Vorläufige Verpflichtung zur Auszahlung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende
Folgen einer fehlenden Mitwirkung eines Antragstellers
Vollständige Versagung des Existenzminimums
Vermutete psychische Erkrankung eines Antragstellers
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt - bei verständiger Würdigung ihrer Ausführungen - im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die
vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Auszahlung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten
Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Zeit ab September 2018 und dies im Wege der Barzahlung.
Die 1978 geborene Antragstellerin bewohnt unter der sich aus dem Rubrum ergebenden Anschrift allein eine Wohnung, für die
monatlich eine Bruttowarmmiete in Höhe von 370,07 EUR zu zahlen ist. Sie steht seit Jahren im Leistungsbezug des Antragsgegners.
Nachdem es im Dezember 2017 bereits zu einer vorläufigen Zahlungseinstellung gekommen war, zahlte der Antragsgegner ihr auf
gerichtliche Anordnung ab Februar 2018 wieder Leistungen aus, dies allerdings unter Berufung auf bestandskräftige Sanktionsbescheide
in jeweils geminderter Form.
Im Hinblick auf den am 31. Mai 2018 endenden Bewilligungsabschnitt wies der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben
vom 05. April 2018 auf die Notwendigkeit hin, einen Weiterbewilligungsantrag zu stellen. Am 01. Juni 2018 legte die Antragstellerin
diesen beim Antragsgegner vor. Unter dem 04. Juni 2018 erteilte der Antragsgegner ihr eine Zwischenmitteilung und verwies
in diesem Rahmen auf von der Antragstellerin zwischen dem 13. Februar und 23. April 2018 nicht wahrgenommene sechs Termine.
Weiter forderte er sie auf, zu einem persönlichen Beratungsgespräch zu erscheinen, und kündigte an, bis zur persönlichen Vorsprache
keine Leistungen zu gewähren. Die Antragstellerin suchte daraufhin um einstweiligen Rechtsschutz nach. Auf ihren Antrag verpflichtete
das Sozialgericht Berlin (S 34 AS 6012/18 ER) den Antragsgegner mit Beschluss vom 07. Juni 2018, der Antragstellerin für die Monate Juni bis August 2018 Leistungen
in im Einzelnen benannter Höhe auszuzahlen. Zur Begründung führte das Sozialgericht mit Blick auf die vom Antragsgegner im
Laufe des Verfahrens in Frage gestellte Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin aus, dass unter Berücksichtigung eines Schreibens
des Gesundheitsamtes vom 28. März 2018 tatsächlich Zweifel an ihrer Erwerbsfähigkeit bestünden. Allerdings gelte die Antragstellerin
als erwerbsfähig, solange ein Verfahren nach § 44a SGB II nicht zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit geführt habe, und dies unabhängig davon, ob die Antragstellerin bereit sei,
an diesem Verfahren mitzuwirken. Für die Arbeitsuchende bestehe bei der Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit nach Maßgabe der
§§
60 ff. des
Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB I) sowie der §§ 20 ff. des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) eine Mitwirkungspflicht, deren Verletzung entsprechende Rechtsfolgen - wie beispielsweise die Versagung der Leistungen -
nach sich ziehen könne. Im Übrigen ging das Sozialgericht davon aus, dass die Nichtbearbeitung des Weiterbewilligungsantrages
bis zur persönlichen Vorsprache der Antragstellerin einer rechtlichen Grundlage entbehre.
Der Antragsgegner setzte den vorgenannten Beschluss um. Weiter forderte er die Antragstellerin mit Schreiben vom 06. Juli
2018 zur Mitwirkung bei der Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit auf. Zu dieser Feststellung lud er sie zu einem Beratungsgespräch
bei der Arbeitsvermittlung am 24. Juli 2018 ein, in dem die Notwendigkeit der Einschaltung des Ärztlichen Dienstes erläutert
werden sollte, und gab ihr auf, zuvor eine Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht abzugeben sowie einen Gesundheitsfragebogen
auszufüllen. Weiter erläuterte er, dass die Leistungen bei fehlender Mitwirkung ganz entzogen oder versagt werden könnten.
Sofern die Antragstellerin nicht bereit sei, den Gesundheitsfragebogen auszufüllen, seien hierfür - zur Vermeidung der vorgenannten
Konsequenzen - wichtige Gründe darzulegen. Den genannten Termin sagte die Antragstellerin am 24. Juli 2018 wegen eines anderen
von ihr wahrzunehmenden Termins ab, woraufhin sie am 26. Juli 2018 zu einem Termin am 16. August 2018 eingeladen wurde. Schließlich
wies der Antragsgegner unter dem 27. Juli 2018 nochmals darauf hin, dass die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin als Voraussetzung
des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II nach § 44a SGB II festgestellt werden müsse. Schließlich gab er ihr vor einer Leistungsversagung nach erneuter Antragstellung ab dem 01. September
2018 Gelegenheit, die Mitwirkung bis zum 16. August 2018 nachzuholen. Das Schreiben wurde der Antragstellerin am 31. Juli
2018 zugestellt. Zum Termin am 16. August 2018 erschien sie nicht; die geforderten Unterlagen legte sie - ohne Angabe irgendwelcher
Gründe - nicht vor.
Mit Schreiben vom 20. August 2018 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin daraufhin unter Hinweis auf ihr Ausbleiben zum
Meldetermin am 16. August 2018 zur Verhängung einer Sanktion an und gab ihr Gelegenheit, sich bis zum 06. September 2018 schriftlich
zu äußern. Die Antragstellerin erwiderte daraufhin umgehend, dass sie eine Fristverlängerung in Anspruch nehme, da ihr der
Hungertod drohe. Für sie hätte die Erstattung von Strafanzeigen Vorrang, soweit ihre Kräfte dies zuließen.
Am Morgen des 31. August 2018 forderte die Antragstellerin den Antragsgegner per Telefax auf, seine Mordversuche gegen sie
zu unterlassen, und rügte, das ihr für September 2018 zustehende Geld nicht erhalten zu haben. Keine halbe Stunde später hat
die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht, einen "erneuten Mordversuch" des
Antragsgegners auf ihre Person beklagt und sinngemäß beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig
zu verpflichten, ihr ab September 2018 Leistungen zur Grundsicherung auszuzahlen.
Mit Beschluss vom 03. September 2018 hat das Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur
Begründung ausgeführt, dass der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig sei, da die Antragstellerin noch
gar keinen Weiterbewilligungsantrag beim Antragsgegner gestellt habe.
Am 04. September 2018 sprach die Antragstellerin - offenbar noch in Unkenntnis des erstinstanzlichen Beschlusses - beim Antragsgegner
vor, stellte einen Weiterbewilligungsantrag und ersuchte zur Beseitigung ihrer Mittellosigkeit um Barauszahlung von Leistungen
für September. Mit der Antragstellerin sofort ausgehändigtem Bescheid vom selben Tage versagte der Antragsgegner gestützt
auf §
66 SGB I Leistungen nach dem SGB II (monatlich 786,07 EUR) ab dem 01. September 2018 ganz und führte zur Begründung aus, dass nach einer Mitteilung des Sozialpsychiatrischen
Dienstes vom 28. März 2018 Anlass zur Prüfung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a SGB II bestehe. Zu den Beratungsgesprächen, in denen die Notwendigkeit der Einschaltung des Ärztlichen Dienstes erläutert werden
sollte, sei die Antragstellerin nicht erschienen. Auch habe sie die für die Untersuchung notwendigen Unterlagen (Gesundheitsfragebogen
und Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht) nicht beigebracht, ohne ihr Verhalten zu erklären. Gründe, die
im Rahmen der nach §
66 SGB I zu treffenden Ermessensentscheidung zu Gunsten der Antragstellerin berücksichtigt werden könnten, seien nicht ersichtlich.
Nach Abwägung des Sinns und Zwecks der Mitwirkungsvorschriften mit dem Interesse der Antragstellerin an den Leistungen einerseits
und dem öffentlichen Interesse an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit andererseits würden die Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 01. September 2018 ganz versagt. Mit weiterem Bescheid vom 05. September 2018 lehnte der Antragsgegner den Antrag
auf Beseitigung der Mittellosigkeit / auf Barauszahlung für September ab und verwies darauf, dass angesichts der Versagung
von Leistungen aktuell kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe. Gegen den Bescheid vom 04. September 2018 legte die Antragstellerin umgehend Widerspruch ein. Zur Begründung beklagte
sie Mordversuche sowie Körperverletzungen und rügte, dass ein 100%iger Wegfall von Leistungen ohne Angebot von Gutscheinen
und Mietübernahme rechtswidrig sei.
Am 07. September 2018 hat die Antragstellerin gegen den ihr am 06. September 2018 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts
beim Landessozialgericht Beschwerde eingelegt. Zur Begründung stellt sie in Abrede, keinen Weiterbewilligungsantrag gestellt
zu haben, und verweist sinngemäß darauf, gegen den Bescheid vom 04. September 2018 Widerspruch eingelegt zu haben. Im Übrigen
meint sie, dass die Versagung zu Unrecht erfolgt sei. Den ersten Termin beim Antragsgegner habe sie abgesagt, beim zweiten
Termin sei die bis zum 06. September 2018 laufende Äußerungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen. Außerdem sei sie nicht zu
einem Arzt, sondern zum Gespräch beim Arbeitsvermittler geladen worden. Schließlich begehrt sie die Auszahlung von Leistungen
in bar, da Überweisungen mit einer zusätzlichen Zeitverzögerung verbunden seien.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 03. September 2018 ist nach §
172 Abs.
1 und Abs.
3 Nr.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthaft sowie schriftlich und fristgerecht eingelegt (§
173 SGG). Sie kann jedoch nur in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg haben.
Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin aus seiner damaligen Sicht am 03. September 2018 den Erlass einer einstweiligen Anordnung
als unzulässig angesehen. Es bestand seinerzeit kein Anlass und damit auch kein Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme
gerichtlichen Rechtsschutzes. Dabei kann dahinstehen, ob seinerzeit durch die Antragstellerin tatsächlich noch kein Leistungsantrag
beim Antragsgegner gestellt worden war oder ein solcher in dem diesem am Morgen des 31. August 2018 gefaxten Schreiben, in
dem die Antragstellerin rügte, das ihr für September 2018 zustehende Geld noch nicht erhalten zu haben, zu sehen ist. Denn
selbst wenn man in letztgenanntem Schreiben einen Antrag sehen wollte, änderte dies nichts daran, dass die Antragstellerin
dem Antragsgegner keinerlei Gelegenheit gegeben hat, über ihren Antrag überhaupt zu befinden. Stattdessen hat sie sich nur
etwa 20 Minuten nach Übersendung des vorgenannten Telefaxes an den Antragsgegner an das Gericht gewandt. Der Antragstellerin
ist es durchaus zuzumuten, rechtzeitig Weiterbewilligungsanträge zu stellen, während dem Antragsgegner eine angemessene Bearbeitungszeit
zuzugestehen ist.
Indes ist der erstinstanzliche Beschluss aufgrund einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- und Rechtslage abzuändern, nachdem
die Antragstellerin jedenfalls am 04. September 2018 einen Fortzahlungsantrag gestellt und der Antragsgegner Leistungen ab
dem 01. September 2018 ganz versagt hat.
Auch wenn richtige Klageart gegen einen Versagensbescheid allein die Anfechtungsklage wäre, ist die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes vorliegend im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes an §
86b Abs.
2 SGG zu messen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 06.05.2008 - L 5 B 125/08 AS ER, Rn. 20, vom 22.11.2005 - L 29 B 1212/05 AS ER, Rn. 14 ff., BayLSG, Beschluss vom 31.08.2012 - L 7 AS 601/12 B ER - Rn. 32 ff., jeweils zitiert nach juris).
Nach §
86b Abs.
2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass nach materiellem Recht
ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind jeweils glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung -
ZPO -).
Die Antragstellerin hat vorliegend einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es erscheint derzeit überwiegend wahrscheinlich,
dass sie Berechtigte im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II ist, denn sie hat das 15. Lebensjahr vollendet, nicht jedoch die Altersgrenze des § 7a SGB II erreicht, ist nach Aktenlage hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II (Nr. 3) und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4). Soweit der Antragsgegner Zweifel
an der weiter erforderlichen Erwerbsfähigkeit (Nr. 2) der Antragstellerin hat, ist diese anzunehmen, solange nicht in einem
Verfahren nach § 44a SGB II das Gegenteil festgestellt wurde.
Dem danach überwiegend wahrscheinlichen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II steht vorliegend nicht der Versagungsbescheid
vom 04. September 2018 entgegen. Diese Wirkung könnte dem Versagungsbescheid, der das Verwaltungsverfahren beendet und festlegt,
dass der Leistungsanspruch schon wegen mangelnder Mitwirkung nicht besteht, nur zukommen, wenn er rechtmäßig wäre. Denn dann
wäre es nicht Aufgabe des gerichtlichen Eilrechtsschutzes, Leistungen zuzusprechen, die durch eine rechtmäßige Verwaltungsentscheidung
abgelehnt wurden. Vorliegend ist der Versagungsbescheid zur Überzeugung des Senats jedoch rechtswidrig. Zwar liegen die tatbestandlichen
Voraussetzungen nach §
66 SGB I für eine Versagung vor. Der Bescheid vom 04. September 2018 leidet jedoch an einem Ermessensfehler.
Nach §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen,
soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt, seinen
Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert
wird. Davon ist vorliegend bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen vorläufigen Prüfung auszugehen.
Die Antragstellerin ist ihren Mitwirkungspflichten nach §§
60 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1,
61, 62
SGB I nicht nachgekommen. Nach diesen Vorschriften hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben,
die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte
durch Dritte zuzustimmen. Weiter soll er auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers u.a. zur Vornahme für die Entscheidung
über die Leistung notwendiger Maßnahmen persönlich erscheinen. Schließlich soll er sich auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers
ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit diese für die Entscheidung über die Leistung erforderlich
sind. Dass der Antragsgegner, der insbesondere auf der Grundlage eines Hinweises des Sozialpsychiatrischen Dienstes vom 18.
März 2018 Zweifel an der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin hat, die Antragstellerin auf der Grundlage vorgenannter Bestimmungen
aufgefordert hat, zu einem Gespräch beim Arbeitsvermittler zu erscheinen, in dessen Rahmen die Notwendigkeit der Einschaltung
des Ärztlichen Dienstes geklärt und erläutert werden soll, und in Vorbereitung hierfür die Vorlage eines ausgefüllten Gesundheitsfragebogens
sowie einer Schweigepflichtsentbindungserklärung angefordert hat, ist nicht zu beanstanden. Dabei ist zu beachten, dass die
Behörde den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt, Art sowie Umfang der Ermittlungen bestimmt (§ 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X) und sich hierzu derjenigen Beweismittel bedient, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für
erforderlich hält (§ 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dass der Antragsgegner hier zunächst Auskünfte in einem Gesundheitsfragebogen und eine Erklärung zur Schweigepflichtsentbindung
für behandelnde Ärzte angefordert hat, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere liegt hierin kein Ermessensfehler. Der Antragsgegner
ist letztlich nicht in der Lage selbst zu entscheiden, ob die Antragstellerin erwerbsfähig ist oder nicht. Hierzu bedarf es
einer Prüfung, die der Antragsgegner eingeleitet hat. Bzgl. des leistungserheblichen Gesundheitszustandes der Antragstellerin
bedarf es der Auskünfte Dritter, zu deren Einholung sie die erforderliche Einwilligung zu erteilen hat. Dazu gehört insbesondere
auch die Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht. Nicht hingegen kann angenommen werden, dass der Antragsgegner allein
zur Anforderung eines Gutachtens berechtigt wäre. Denn gerade bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen ist die Erfassung
des Krankheitsverlaufs und der bisherigen Behandlungen ein wesentlicher Teil der Sachverhaltsermittlung.
Schließlich ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner von der Antragstellerin etwas fordern würde, womit die Grenzen ihrer
Mitwirkungspflichten nach §
65 SGB I überschritten wären. Entsprechende Gründe sind auch von der Antragstellerin nicht ansatzweise dargetan. Im Gegenteil reagiert
sie schlicht auf die Aufforderungen des Antragsgegners überhaupt nicht. Soweit sie schließlich meint, ihr hätte eine Frist
zur Mitwirkung bis zum 06. September 2018 zugestanden, geht dies offensichtlich fehl. Der Antragsgegner hatte ihr eine bis
zu diesem Tage laufende Frist zur Stellungnahme zur geplanten Verhängung einer Sanktion wegen Nichterscheinens zum Termin
am 16. August 2018 eingeräumt. Die Frist zur hier verfahrensgegenständlichen Mitwirkung war indes bereits am 16. August 2018
abgelaufen, nachdem diese zuvor bereits wegen - wenn auch am selben Tage unter Hinweis auf einen angeblich anderen Termin
entschuldigten - Nichterscheinens zum Termin am 24. Juli 2018 bis zu diesem Tage verlängert worden war.
Lagen damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I vor, stand die daraus resultierende Rechtsfolge im Ermessen des Antragsgegners. Die von ihm hier im Sinne einer vollständigen
Leistungsversagung getroffene Ermessensentscheidung darf das Gericht gemäß §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG nur auf Ermessensfehler hin überprüfen. Zur Überzeugung des Senats stellt die vollständige Versagung existenzsichernder Leistungen
im vorliegenden Fall jedoch einen Ermessensfehlgebrauch dar. Der Antragsgegner hat inhaltlich unzureichende Erwägungen angestellt
und insbesondere wesentliche Aspekte nicht in seine Betrachtung einbezogen.
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass es dem Antragsgegner um die Einleitung des Verfahrens nach § 44a SGB II geht. Mit diesem Verfahren soll sicher gestellt werden, dass ein Hilfebedürftiger - bildlich gesprochen - "nicht zwischen
zwei Stühle gerät", weil zwei Behörden die Gewährung existenzsichernder Leistungen jeweils mit unterschiedlicher Argumentation
ablehnen, das Jobcenter nämlich wegen fehlender Erwerbsfähigkeit, der Träger der Grundsicherung nach dem Zwölften Buch des
Sozialgesetzbuches (SGB XII) hingegen wegen bestehender Erwerbsfähigkeit. Diese Regelung kann jedoch nur dann vollzogen werden, wenn ein Hilfebedürftiger
in ausreichendem Umfang mitwirkt. Nur so kann die streitentscheidende gutachtliche Stellungnahme des Trägers der Rentenversicherung
(§ 44a Abs. 1 Satz 4 und 5, Abs. 2 SGB II) erstellt werden. Die Vorschrift dient hingegen nicht dazu, dass sich ein Hilfebedürftiger der zumutbaren Mitwirkung bei
der Feststellung seiner Erwerbsfähigkeit entzieht und auf die Leistungspflicht des Jobcenters nach § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II verweisen kann. § 44a Abs. 1 SGB II soll keine zumutbaren Mitwirkungshandlungen aushebeln.
Weiter ist zu bedenken, dass die Antragstellerin - so jedenfalls nach Vermutung des Antragsgegners - unter einer erheblichen
psychischen Erkrankung leidet. Diese Einschätzung erscheint unter Berücksichtigung eines dem Antragsgegner offenbar vorliegenden
entsprechenden Hinweises des Sozialpsychiatrischen Dienstes, weiter aber auch angesichts des der Verfolgung ihrer eigenen
Interessen keinesfalls zuträglichen Vorgehens der Antragstellerin im Laufe nicht nur des hiesigen Verfahrens keinesfalls fern
liegend. Vor diesem Hintergrund ist hier jedoch zu beachten, dass die Verweigerung der Mitwirkungshandlungen durchaus auf
der (vermuteten) psychischen Erkrankung der Antragstellerin beruhen kann.
Weiter ist zu bedenken, dass die gerade 40jährige Antragstellerin, so sie denn tatsächlich nicht mehr erwerbsfähig sein sollte,
vermutlich (ergänzende) Leistungen der Sozialhilfe erhalten würde. Im Vordergrund der Prüfung der Erwerbsfähigkeit dürfte
damit hier weniger die Frage stehen, ob zu Unrecht öffentliche Mittel aus Steuergeldern erbracht werden, als vielmehr die
Klärung, welche Behörde letztlich für die Leistungserbringung zuständig ist.
Schließlich zeigt ein Blick auf die Regelungen zu den Sanktionen, dass der Gesetzgeber einen vollständigen Wegfall der existenzsichernden
Leistungen nur bei beharrlichen Pflichtverletzungen für angezeigt hält und bei erheblichen Leistungskürzungen ergänzende Sachleistungen
oder geldwerte Leistungen vorsieht (§ 31a Abs. 3 SGB II).
Nach alledem müssen zur Überzeugung des Senats in Fällen, in denen wegen fehlender Mitwirkung bei der Klärung möglicher Erwerbsunfähigkeit
infolge einer vermuteten psychischen Erkrankung eine vollständige Leistungsversagung erfolgen soll, die Ermessenserwägungen
darauf eingehen, warum in diesem Fall eine vollständige Versagung des Existenzminimums angemessen und verhältnismäßig ist
(so auch schon: BayLSG, Beschluss vom 31.08.2012 - L 7 AS 601/12 B ER - juris, Rn. 37 ff., 48). Entsprechende Erwägungen sind den Ausführungen des Antragsgegners zur Ausübung des Ermessens
indes nicht zu entnehmen. Im Gegenteil beschränken diese sich auf eine floskelhafte angebliche Abwägung der einander gegenüberstehenden
Interessen, sodass sich die vollständige Leistungsversagung vorliegend als ermessensfehlerhaft erweist.
Steht mithin die vom Antragsgegner ausgesprochene vollständige Leistungsversagung der Annahme eines Anordnungsanspruchs nicht
entgegen, war ein Anordnungsanspruch zu bejahen. Gleiches gilt für einen Anordnungsgrund. Da es vorliegend um existenzsichernde
Leistungen geht, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung schon unter Beachtung des so genannten Gegenwärtigkeitsprinzips
geboten.
Indes sieht der Senat hier Anlass, die Auszahlung der Leistungen sowohl der Höhe nach als auch in zeitlicher Hinsicht auf
den sich aus dem Tenor ergebenden Umfang zu begrenzen. Hintergrund hierfür ist, dass zum einen eine Vorwegnahme der Hauptsache
vermieden, zum anderen aber der Antragstellerin eindringlich klar gemacht werden soll, dass sie an der Aufklärung des Sachverhalts
mitzuwirken hat. Denn abgesehen davon, dass die Frage, ob sie das Tatbestandsmerkmal der Erwerbsfähigkeit erfüllt, nicht auf
Dauer offen bleiben kann, liegt des durchaus auch im Interesse der Antragstellerin, negativen Folgen des Bezugs von Leistungen
nach dem SGB II, wie etwa Sanktionen, nur dann ausgesetzt zu sein, wenn sie überhaupt erwerbsfähig ist. In diesem Spannungsfeld hat der Senat
sich an der für Pflichtverletzungen nach § 31 SGB II geltenden Bestimmung des § 31a SGB II orientiert. Nach dem oben Gesagten sieht er derzeit keinen Raum, der Antragstellerin Leistungen zur Deckung ihrer Unterkunfts-
und Heizkosten vorzuenthalten. Wohl aber hat er die ihr bis zur Erbringung der von ihr geforderten Mitwirkung zu zahlenden
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anlehnung an § 31a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II für die Zeit bis zum 31. Oktober 2018 um 30 % und sodann für November 2018 um 60 % gemindert. Er hat dabei berücksichtigt,
dass es der Antragstellerin in sechs Wochen ohne weiteres möglich sein müsste, die geforderten Mitwirkungshandlungen zu erbringen
und damit eine weitere Leistungsabsenkung zu vermeiden. Im Gegenteil verlöre dieser Beschluss mit der Erbringung der Mitwirkungshandlungen
(Vorlage des ausgefüllten Gesundheitsfragebogens, Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht sowie Erscheinen
zum erneut anzuberaumendem Termin beim Arbeitsvermittler zur Klärung und Erläuterung, ob die Einschaltung des Ärztlichen Dienstes
erforderlich ist) seine Wirkung, sodass der Antragsgegner sodann erneut zu prüfen hätte, ob der Antragstellerin Leistungen
zustehen oder nicht. Sollte die Antragstellerin ihren Mitwirkungspflichten hingegen bis Ende Oktober 2018 noch immer nicht
nachgekommen sein, erscheint eine weitere Leistungsabsenkung verhältnismäßig und angemessen. Nach alledem stehen ihr neben
den Leistungen zur Deckung des Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlich anfallender Höhe von 370,07 EUR zur Deckung
ihrer Bedarfe für den Lebensunterhalt bis einschließlich Oktober 2018 monatlich 291,20 EUR (= 70 % von 416,00 EUR) und für
November 2018 166,40 EUR (= 40 % von 416,00 EUR) zu. Selbstverständlich steht es dem Antragsgegner im November 2018 in Anlehnung
an § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II frei, der Antragstellerin in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen.
Dabei lässt der Senat es ausdrücklich dahinstehen, ob möglicherweise eine Reduzierung der Leistungen infolge von gegen die
Antragstellerin rechtskräftig verhängten Sanktionen zu erfolgen hat. Dies muss ggfs. einer Klärung in der Hauptsache vorbehalten
bleiben.
In zeitlicher Hinsicht war die einstweilige Anordnung auf den Zeitraum vom 19. September 2018 bis zum 30. November 2018 zu
beschränken. Seiner ständigen Rechtsprechung folgend sieht der Senat Raum für eine Verpflichtung zur vorläufigen Leistungserbringung
bzgl. des Regelbedarfs erst für die Zeit ab Entscheidung durch den Senat. Denn das Vorliegen eines Anordnungsgrundes beurteilt
sich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt
der Beschwerdeentscheidung. Denn die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes
scheidet in aller Regel aus, soweit diese Dringlichkeit lediglich vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen
hat. Insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt; das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren
der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar. Von den monatlich
in Höhe von hier 291,20 EUR zu zahlenden Leistungen sind damit für September 2018 nur noch 116,48 EUR (12/30 von 291,20 EUR)
zu erbringen. Anderes hat der Senat hier lediglich bzgl. der Kosten für Unterkunft und Heizung angenommen, um dem Entstehen
von Mietschulden und einem möglichen Wohnungsverlust vorzubeugen.
Weiter war die Verpflichtung zur vorläufigen Leistungserbringung auf die Zeit bis zur Nachholung der geforderten Mitwirkungshandlungen,
längstens bis zum 30. November 2018 zu befristen. Sollte die Antragstellerin bis dahin noch immer nicht an der Klärung ihrer
Erwerbsfähigkeit mitgewirkt haben, wird der Antragsgegner erneut zu prüfen haben, ob und ggf. in welchem Umfang er Leistungen
dann versagt.
Schließlich hat der Senat hier Anlass gesehen, zum einen eine Auszahlung der Leistungen im Wege der Überweisung, zum anderen
eine Auszahlung der Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung für November 2018 unmittelbar an den Vermieter anzuordnen.
Mit letztgenannter Anordnung lehnt er sich erneut an § 31a SGB II, hier die Regelung in Absatz 3 Satz 3, an. Hingegen vermag er keinen Grund zu erkennen, den Antragsgegner - dem Begehren der Antragstellerin folgend, hingegen
den üblichen Gepflogenheiten zuwider - zur Barauszahlung zu verpflichten. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang
auf den Zeitverlust verweist, ist ihr entgegenzuhalten, dass im Wesentlichen sie selbst diesen verursacht (hat). Würde sie
ihre Weiterbewilligungsanträge rechtzeitig stellen und im Übrigen den von ihr geforderten Mitwirkungshandlungen nachkommen,
würden Verzögerungen bei der Leistungsbewilligung und -auszahlung aller Voraussicht nach nicht auftreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).