Einkommensanrechnung bei Leistungen nach dem SGB II
Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens
Tatbestand:
Streitig ist die Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Monate Mai und Juni 2016.
Die 1996 geborene Klägerin bewohnte im streitigen Zeitraum u.a. mit ihrer Mutter, zwei Geschwistern (Ai und P) und ihrer Nichte
(N) die unter der im Rubrum genannten Adresse gelegene Wohnung, für welche ab dem 01. April 2016 ein monatlicher Gesamtmietzins
i.H.v. 728,11 EUR (417,15 EUR Grundmiete zzgl. Vorauszahlungen (VZ) für Betriebskosten i.H.v. 117,47 EUR, für Heizkosten i.H.v.
120,09 EUR und Aufzug i.H.v. 13,23 EUR zzgl. Kosten für Be- und Entwässerung i.H.v. 60,17 EUR) fällig war. Bereits im Oktober
2015 hatte die Mutter der Klägerin dem Beklagten mitgeteilt, dass sie am 25. April 2015 geheiratet habe, ihr Ehemann sich
bisher aber nicht in Deutschland befinde. Unter dem 22. Januar 2016 bestätigte die Vermieterin der Klägerin den Einzug des
Ehemannes der Mutter in der Wohnung. Auch stellte dieser unter dem 18. Januar 2016 einen Leistungsantrag beim Beklagten.
Am 05. April 2016 stellte die Mutter der Klägerin für die Bedarfsgemeinschaft (von ihr mit ihrer Person, ihrem Ehemann, der
Klägerin und dem Sohn benannt) einen Weiterbewilligungsantrag bei dem Beklagten. Hierin gab sie an, dass u.a. für die Klägerin
Kindergeld in Höhe von monatlich 190,00 EUR gezahlt werde. Mit Bescheid vom 06. April 2016 bewilligte der Beklagte daraufhin
der Mutter der Klägerin, der Klägerin sowie ihrem im Oktober 2010 geborenen Bruder A für die Zeit vom 01. Mai bis zum 31.
Oktober 2016 vorläufig Leistungen nach dem SGB II und zwar für die Klägerin i.H.v. insgesamt monatlich 285,36 EUR (164,00 EUR Regelbedarf (RB) zzgl. 121,36 EUR Bedarfe für
Unterkunft und Heizung (BUH)). Bei der Berechnung der individuellen BUH waren sechs Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft berücksichtigt
worden. Ferner war bei der Klägerin 190,00 EUR Kindergeld abzüglich 30,00 EUR Versicherungspauschale als Einkommen angerechnet
worden. In der Begründung des Bescheides hieß es, die Bewilligung erfolge aufgrund fehlender Unterlagen zur Haushaltsgemeinschaft
sowie zum Ehemann vorläufig. Mit Schreiben vom selben Tag forderte der Beklagte die Mutter der Klägerin auf, eine Ummeldebestätigung
für P und N sowie eine Daueraufenthaltsrechtskarte für den Ehemann vorzulegen. Bis zur Vorlage der Daueraufenthaltsrechtskarte
könne der Ehemann lediglich in der Haushaltsgemeinschaft berücksichtigt werden. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
In der Folge wurde eine Meldebescheinigung für P und N eingereicht, Nachweise zu einer Daueraufenthaltsrechtskarte für den
Ehemann folgten jedoch nicht. Vielmehr teilte die Mutter der Klägerin im Oktober 2016 mit, sie wisse nicht, wo sich der Ehemann
aufhalte.
Die Klägerin ging im Februar und März 2016 sowie ab dem 11. Juli 2016 einer Beschäftigung nach, für welche ihr ein monatliches
Entgelt jeweils im Folgemonat ausgezahlt wurde und zwar im August 2016 für Juli 2016 i.H.v. 42,50 EUR brutto=netto sowie in
den Monaten September 2016 bis Januar 2017 i.H.v. jeweils 85,00 EUR brutto=netto.
Im Rahmen des Weiterbewilligungsantrages vom Oktober 2016 reichte die Mutter der Klägerin den Bescheid der Familienkasse S
vom 10. Juni 2016 ein, wonach die Bewilligung von Kindergeld für die Klägerin ab Juli 2016 aufgehoben worden war. Nachdem
zunächst in den Monaten Juli bis Oktober 2016 für die Klägerin kein Kindergeld ausgezahlt worden war, erfolgte am 11. November
2016 eine Nachzahlung für die Monate Juli bis Oktober 2016 i.H.v. 760,00 EUR sowie die Wiederaufnahme der laufenden monatlichen
Kindergeldzahlung i.H.v. 190,00 EUR.
Mit endgültigem Bescheid vom 16. Februar 2017 bewilligte der Beklagte der Mutter der Klägerin, der Klägerin und deren Bruder
für die Zeit vom 01. Mai bis zum 31. Oktober 2016 Leistungen und zwar für Mai bis Juni i.H.v. monatlich insgesamt 939,08 EUR,
für Juli bis September i.H.v. monatlich insgesamt 1.099,08 EUR und für Oktober i.H.v. monatlich insgesamt 1.110,08 EUR. Dabei
wurden für die Klägerin für die Monate Mai und Juni 2016 monatlich jeweils insgesamt 285,36 EUR (164,00 EUR RB zzgl. 121,36
EUR BUH) sowie für die Monate Juli bis Oktober 2016 monatlich jeweils insgesamt 445,36 EUR (324,00 EUR RB zzgl. 121,36 EUR
BUH) bewilligt. Im Rahmen der Berechnung der Leistungen hatte der Beklagte bei der Klägerin in den Monaten Mai und Juni 2016
Einkommen aus Kindergeld i.H.v. jeweils 160,00 EUR (190,00 EUR abzgl. 30,00 EUR Versicherungspauschale), im Monat Juli 2016
gar kein Einkommen, und in den Monaten August bis Oktober 2016 ein Einkommen nur aus Erwerbstätigkeit nach Abzug der Freibeträge
in Höhe von 0,00 EUR berücksichtigt. Bei den BUH ging der Beklagte nach wie vor von sechs Mitgliedern in der Haushaltsgemeinschaft
aus. Insgesamt wurde eine Nachzahlung i.H.v. 676,00 EUR ermittelt, hiervon entfielen 640,00 EUR (für die Monate Juli bis Oktober
2016) auf die Klägerin. Ebenfalls am 16. Februar 2017 ergingen der endgültige Bewilligungsbescheid für den nachfolgenden Zeitraum
vom 01. November 2016 bis zum 30. April 2017 sowie ein die Klägerin betreffender Erstattungsbescheid für den Zeitraum November
2016 bis Februar 2017 und ein die Mutter betreffender Erstattungsbescheid für den Zeitraum November 2016.
Mit Schreiben ihres Rechtsanwalts vom 16. März 2017 legte die Klägerin gegen den Bewilligungsbescheid vom 16. Februar 2017
"betreffend den Zeitraum vom 1.5.2016 bis 31.10.2016 Widerspruch, insoweit der Monat Mai 2016 geregelt wird", ein. Der Beklagte
habe versäumt, nach § 41a SGB II das Durchschnittseinkommen aus Kindergeld bzw. Erwerbstätigkeit im Bewilligungszeitraum zu bilden. Dieses sei niedriger als
das im Mai berücksichtigte tatsächliche Einkommen. Die Klägerin habe daher Anspruch auf höhere Leistungen im Mai 2016. Der
Widerspruch erhielt das Az. W 02686/17. Mit weiterem rechtsanwaltlichen Schreiben vom selben Tag wurde ferner seitens der Klägerin und ihrer Mutter Widerspruch
bezüglich der endgültigen Leistungsbewilligung vom 16. Februar 2017 betreffend den Zeitraum November 2016 bis Februar 2017
soweit der Monat November 2016 geregelt wird und bezüglich der Erstattungsbescheide eingelegt (W 2687/17, 2688/17, 2689/17).
Der Beklagte wies den Widerspruch W 02686/17 gegen den Bescheid vom 16. Februar 2017 "wegen Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 16.02.2017
(ZR 05/16 - 10/16)" mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 2017 als unbegründet zurück. In der Begründung hieß es, der Widerspruch richte
sich insbesondere gegen die Kindergeldanrechnung für Mai 2016. Es sei eine Anrechnung des Kindergeldes i.H.v. 190,00 EUR für
Mai 2016 erfolgt. Dabei sei der tatsächliche Bezug des Kindergeldes gemäß den vorliegenden Nachweisen berücksichtigt worden.
Hiergegen hat die Klägerin am 25. April 2017 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben und die Verpflichtung des Beklagten
begehrt, ihr für die Monate Mai und Juni 2016 höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Da der Bewilligungszeitraum von Mai bis Oktober 2016 reiche, finde § 41a SGB II Anwendung, wie sich aus § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ergebe. Gemäß § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II sei der abschließenden Entscheidung ein Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Eine Ausnahme gemäß § 41a Abs. 4 Satz 2 SGB II liege nicht vor. Hiervon abweichend habe der Beklagte in den einzelnen Monaten des Bewilligungsabschnittes das tatsächlich
zugeflossene Einkommen und damit kommentarlos die alte Rechtslage angewendet. Nach Auffassung der Klägerin sei aus dem monatlich
bereinigten Einkommen ein Durchschnittsbetrag zu bilden, welcher sich nach ihrer Berechnung auf 53,33 EUR belaufe. In den
streitgegenständlichen Monaten Mai und Juni 2016 sei jeweils ein Einkommen i.H.v. jeweils 160,00 EUR berücksichtigt worden.
Dies sei belastend rechtswidrig. Ihr stehe daher in den Monaten Mai und Juni 2016 jeweils ein Anspruch auf weitere 106,67
EUR zu. Die Bewilligung von Leistungen in den übrigen Monaten werde nicht angefochten.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klage sei von vornherein insoweit abweisungsreif, als sie für den Monat Juni
2016 geführt werde. Insoweit fehle das Vorverfahren. Der Widerspruch sei wirksam auf den Monat Mai 2016 beschränkt worden.
Für den Monat Mai 2016 sehe sich der Beklagte durch seine fachlichen Weisungen (41a.25) gebunden. Dort heiße es (im Gegensatz
zum Gesetzestext): "War schwankendes Einkommen der Grund für die vorläufige Entscheidung, ist bei der abschließenden Feststellung
des Leistungsanspruchs grundsätzlich ein Durchschnittseinkommen für den Bewilligungszeitraum zu bilden." Vorliegend seien
Gründe für die Vorläufigkeit fehlende Unterlagen zur Haushaltsgemeinschaft bzw. zum Ehemann der Mutter der Klägerin gewesen.
Das Sozialgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 16. Oktober 2017 verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides
vom 16. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2017 weiteres Arbeitslosengeld II i.H.v. monatlich
126,67 EUR für die Monate Mai und Juni 2016 zu gewähren. Darüber hinaus hat es die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung
zugelassen.
Die Klage sei auch hinsichtlich des Monates Juni 2016 zulässig, da es nicht an der Durchführung eines Vorverfahrens fehle.
Zwar sei der Widerspruch der Klägerin auf den Monat Mai 2016 beschränkt worden. Der Beklagte habe jedoch mit dem Widerspruchsbescheid
über den gesamten Bewilligungszeitraum entschieden und damit auch über den Monat Juni 2016. Dies ergebe sich zum einen daraus,
dass der Beklagte angegeben habe, es gehe um die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 16. Februar
2017 im Zeitraum 05/16-10/16. Zum anderen habe der Beklagte in der Begründung geschrieben, dass sich der Widerspruch insbesondere
gegen die Kindergeldanrechnung für Mai 2016 richte. Dies zeige, dass sich der Widerspruch nach Ansicht des Beklagten eben
nicht nur gegen die Kindergeldanrechnung für Mai 2016 gerichtet habe und der Beklagte als Herr des Vorverfahrens den angegriffenen
Bescheid aufgrund des Widerspruchs vollständig überprüft habe.
Der Bescheid vom 16. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2017 sei rechtswidrig und verletze
die Klägerin in ihren Rechten. Am Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II bestünden keine Zweifel. Rechtsgrundlage für das zu berücksichtigende Einkommen seien die §§ 11, 11b und 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II. Die Anwendbarkeit des § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II ergebe sich aus § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II, da der Bewilligungszeitraum bis Oktober 2016 gereicht habe und nicht vor dem 01. August 2016 beendet gewesen sei. Nach §
41a Abs. 4 Satz 1 SGB II sei bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs nach Abs. 3 als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen
zugrunde zu legen. Eine der in § 41a Abs. 4 Satz 2 Nrn. 1-3 SGB II geregelten Ausnahmen greife nicht. Insofern sei nach § 41a Abs. 4 Satz 3 SGB II als monatliches Durchschnittseinkommen für jeden Kalendermonat des Bewilligungszeitraums der Teil des Einkommens zu berücksichtigen,
der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum
ergebe.
§ 41a Abs. 4 SGB II finde nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm, die von "Einkommen" spreche, auch auf Kindergeld Anwendung. Denn auch bei
Kindergeld handele es sich um nach § 11 SGB II anrechenbares Einkommen, das somit vom Wortlaut der Norm umfasst sei, da sich diese auf Einkommen aller Art erstrecke. Auch
aus der Gesetzesbegründung zu § 41a Abs. 4 SGB II lasse sich eine Begrenzung auf Erwerbseinkommen nicht entnehmen. Zwar werde dort auf § 2 Abs. 3 II/Sozialgeld-Verordnung
(Alg II-VO) verwiesen. Es werde jedoch insofern nur darauf hingewiesen, dass die mögliche Bildung eines Durchschnittseinkommens
für die abschließende Entscheidung übernommen worden sei und der Verwaltungsvereinfachung dienen solle, damit verschiedene
Leistungsberechnungen entfielen. Hätte der Gesetzgeber ein Durchschnittseinkommen nur bei Erwerbseinkommen regeln wollen,
hätte er das Durchschnittseinkommen wie zuvor in § 2 Abs. 3 Alg II-VO auf Erwerbseinkommen beschränkt. Dies habe der Gesetzgeber
aber gerade nicht getan.
Es könne vorliegend dahingestellt bleiben, ob § 41a Abs. 4 SGB II einschränkend dahin auszulegen sei, dass nur eine auf der Unbestimmtheit der Einkommensanrechnung beruhende Vorläufigkeit
zur Feststellung der endgültigen Leistungshöhe zu einem Durchschnittseinkommen führen solle. Denn vorliegend seien die vom
Beklagten hinsichtlich der vorläufigen Bewilligung angegebenen Gründe "fehlende Unterlagen der Haushaltsgemeinschaft sowie
des Ehemannes" so ungenau, dass darunter alles verstanden werden könne. Insbesondere habe die Klägerin im streitigen Zeitraum
tatsächlich schwankendes Erwerbseinkommen erzielt, denn von Mai bis Juli 2016 habe sie kein Erwerbseinkommen, im August 2016
Erwerbseinkommen i.H.v. 42,50 EUR und im September sowie Oktober 2016 i.H.v. jeweils 85,00 EUR gehabt.
Aus dem Gesetz gehe nicht hervor, wie die Berechnung eines Durchschnittseinkommens aus verschiedenen Einkommensarten erfolgen
solle. Nach § 41a Abs. 4 Satz 3 SGB II erfolge zunächst die Bildung eines Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum, welches dann durch die Anzahl der Monate im
Bewilligungszeitraum geteilt werde. Anschließend würden gemäß § 11b SGB II die Absatzbeträge vom Einkommen abgezogen. Da es bei unterschiedlichen Einkommensarten aufgrund einer unterschiedlichen Absetzung
der Freibeträge zu Schwierigkeiten kommen könne, halte es das Gericht für sinnvoll, bei verschiedenen Einkommensarten zwei
Durchschnittseinkommen zu bilden und diese je nach Einkommensart zu bereinigen. Hinsichtlich des Erwerbseinkommens der Klägerin
ergebe sich kein zu berücksichtigendes Einkommen, da dieses unter dem Grundfreibetrag von 100,00 EUR monatlich gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II liege. Hinsichtlich des Kindergeldes ergebe sich ein zu berücksichtigendes Einkommen i.H.v. 33,33 EUR monatlich. Das Gesamteinkommen
aus Kindergeld im streitigen Zeitraum betrage insgesamt 380,00 EUR (190,00 EUR x 2) und ergebe geteilt durch die Monate im
Bewilligungszeitraum monatlich 63,33 EUR (380,00 EUR: 6). Das monatlich anzurechnende Durchschnittseinkommen werde im nächsten
Schritt um die Versicherungspauschale i.H.v. 30,00 EUR bereinigt gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-VO, sodass sich ein monatlich
anzurechnendes Einkommen von 33,33 EUR ergebe. Der Beklagte habe hingegen im Mai und Juni 2016 Einkommen i.H.v. jeweils 160,00
EUR bei der Klägerin angerechnet, sodass ihr weitere Leistungen i.H.v. monatlich 126,67 EUR zustünden.
Gegen das ihm am 24. Oktober 2017 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. November 2017 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
eingegangene Berufung des Beklagten. Im vorliegenden Fall sei trotz des Wortlautes der Norm gerade kein Durchschnittseinkommen
zu bilden gewesen. Die Berechnung eines Durchschnittseinkommens erfolge nur, wenn der Grund für die vorläufige Entscheidung
schwankendes Einkommen gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der Norm. Andere Gründe für eine vorläufige Bewilligung
(z.B. temporäre Bedarfsgemeinschaft, nicht vollständig geklärte Höhe der BUH) führe nicht zur Bildung eines Durchschnittseinkommens.
Sinn und Zweck des 9. Änderungsgesetzes sei die Verwaltungsvereinfachung gewesen. Schwierige Fallkonstellationen sollten mittels
einfacher Lösungsansätze schneller bearbeitet werden können. Im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II für Selbstständige habe sich die Bildung eines Durchschnittseinkommens bewährt. Die Bildung eines Durchschnittseinkommens
komme insoweit nur in Betracht, wenn das konkrete Einkommen Schwankungen unterliege. Dies sei im Falle des Bezuges von Kindergeld,
welches naturgemäß nicht schwankend sei, nicht der Fall.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Wortlaut des § 41a SGB II sei eindeutig. Danach sei bei der endgültigen Festsetzung ein Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Die Auslegung des
Beklagten stehe im Widerspruch zum Gesetz.
Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 19. Juni 2018 (Beklagter) und 27. Juni 2018 (Klägerin) mit einer Entscheidung
des Senats ohne mündliche Verhandlung (§§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten (3 Bände) verwiesen, die Gegenstand
der gerichtlichen Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene (§
151 SGG) Berufung des Beklagten ist statthaft. Das Landessozialgericht ist an die Zulassung der Berufung in dem angefochtenen Urteil
gebunden (§
144 Abs.
3 SGG). Die Berufung ist darüber hinaus teilweise begründet.
Zulässiger Streitgegenstand ist - im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts - allein die Bewilligung höherer endgültiger
Leistungen nach dem SGB II für den Monat Mai 2016. Soweit die Klägerin im Klageverfahren auch höhere Leistungen für den Monat Juni 2016 begehrt hat,
ist die Klage bereits unzulässig, da der streitgegenständliche Bescheid vom 16. Februar 2017 insoweit - wie auch hinsichtlich
der Leistungsbewilligung für die Monate August bis Oktober 2016 - bestandskräftig geworden ist. Die Klägerin hat ihren fristgerechten
Widerspruch vom 17. März 2017 ausdrücklich auf die Leistungsbewilligung für den Monat Mai 2016 beschränkt. Soweit der Beklagte
im Vorspann seines Widerspruchsbescheides W 2686/17 vom 31. März 2017 den Gegenstand seiner Entscheidung mit "wegen Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
vom 16.02.2017 (ZR 05/16 - 10/16)" bezeichnet hat, handelt es sich bei "(ZR 05/16 - 10/16)" um ein reines Ordnungsmerkmal zur genauen Bezeichnung des streitgegenständlichen Bescheides. Dies ergibt sich schon
daraus, dass unter dem Datum 16. Februar 2017 noch drei weitere Bescheide erlassen worden sind (endgültiger Bewilligungsbescheid
betreffend den Folgezeitraum sowie zwei Erstattungsbescheide), gegen welche ebenfalls am 17. März 2017 Widerspruch eingelegt
wurde. Im Übrigen hat die Klägerin in ihrem Widerspruch vom 17. März 2017 selbst den angegriffenen Bewilligungsbescheid vom
16. Februar 2017 konkretisierend mit "betreffend den Zeitraum vom 1.5.2016 bis 31.10.2016" bezeichnet, sodass der Widerspruchsbescheid
nur die Bezeichnung des Bescheides durch die Klägerin aufgreift. Auch in der (kurzen) Begründung des Widerspruchsbescheides
finden sich lediglich Ausführungen zur Kindergeldanrechnung im Monat Mai 2016.
Zutreffend ist das Sozialgericht jedoch zu dem Schluss gelangt, der endgültige Bescheid vom 16. Februar 2017 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2017 sei insoweit rechtswidrig, als der Klägerin für den Monat Mai 2016 zu geringe
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt wurden.
Die im Juli 1996 geborene und somit zum Zeitpunkt der vorläufigen sowie der endgültigen Leistungsbewilligung volljährige Klägerin
(§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) war bezogen auf den streitigen Zeitraum erwerbsfähig und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland
(§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 und 4 SGB II). Sie war auch hilfebedürftig i.S.d. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 SGB II, denn sie war ausweislich der vorliegenden Unterlagen nicht in der Lage, ihren Gesamtbedarf (Regelbedarf gemäß § 20 SGB II sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II) aus eigenem zu berücksichtigenden Einkommen bzw. etwaigem zu berücksichtigendem Einkommen der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft
lebenden Mutter vollständig zu decken. Ihr Gesamtbedarf - ohne Berücksichtigung von Kindergeld - belief sich im streitigen
Zeitraum auf 445,36 EUR (324,00 EUR RB der Stufe 3 gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II zzgl. 121,36 EUR BUH (728,11 EUR Bruttowarmmiete: 6 Personen)). Das darauf anzurechnende Einkommen i.S.d. § 11 Abs. 1 SGB II der Klägerin aus Kindergeld und Erwerbstätigkeit war nach Bereinigung nicht ausreichend, diesen Bedarf zu decken. Ihre mit
ihr in Bedarfsgemeinschaft lebende Mutter verfügte über kein Einkommen.
Nachdem der Beklagte u.a. ihr mit Bescheid vom 06. April 2016 für die Zeit vom 01. Mai bis zum 31. Oktober 2016 letztlich
im Hinblick auf Unklarheiten bezüglich der Anzahl der in der Haushaltsgemeinschaft (maßgeblich für die Anteile an den BUH)
bzw. in der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigenden Personen (wichtig insbesondere für die Frage, welche Regelbedarfsstufe
bei der Mutter der Klägerin zu berücksichtigen war) vorläufig Leistungen (damals: § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. §
328 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 Drittes Sozialgesetzbuch (
SGB III)) bewilligt hatte, waren die Leistungen nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II nach Ablauf des Bewilligungszeitraums gemäß § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II endgültig festzusetzen, da insbesondere aufgrund des Wegfalls der Kindergeldzahlungen für die Klägerin ab Juli 2016 die vorläufig
bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entsprach. Ob die Leistungsbewilligung durch vorläufigen Bescheid
rechtmäßig war, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, da der Bescheid vom 06. April 2016 bestandskräftig geworden ist (vgl.
auch BSG, Urteil vom 06. April 2011 - B 4 AS 119/10 R - juris Rn. 20).
Maßstab für die Prüfung der Einkommensanrechnung ist § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II. Dieser sieht vor, dass bei der abschließenden Feststellung zunächst nur vorläufig bewilligter Leistungen, wie hier mit Bescheid
vom 06. April 2016, "ein monatliches Durchschnittseinkommen" zugrunde zu legen ist, sofern - wie hier - keine der enumerativ
genannten Ausnahmen des Abs. 4 Satz 2 vorliegt.
Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut setzt § 41a SGB II für die Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens weder voraus, dass es sich um schwankendes und über die gesamten
Monate des Bewilligungsabschnitts hinweg erzieltes Erwerbseinkommen handeln muss, noch dass die vorläufige Leistungsbewilligung
wegen schwankenden Erwerbseinkommens erfolgt sein muss. Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung, dass mit § 41a Abs. 4 "die bislang in § 2 Absatz 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung mögliche Bildung eines Durchschnittseinkommens für die abschließende Entscheidung übernommen" werde (BT-Drs. 18/8041, S.
53), die explizite Beschränkung auf Erwerbseinkommen, wie in § 2 Abs. 3 Alg II-VO in der bis zum 25. Juli 2016 geltenden Fassung
(a. F.), findet aber im Wortlaut des § 41a Abs. 4 SGB II ebenso wenig Niederschlag wie eine § 3 Abs. 4 Alg II-VO entsprechende Regelung zur Durchschnittsbildung von Einkommen, das nur in einzelnen Monaten des Bewilligungsabschnitts
erzielt wird.
Mit Blick auf § 4 Alg II-VO kann auch allein mit Verweis auf eine Nachfolgeregelung zu § 2 Abs. 3 Alg II-VO nicht auf eine
Beschränkung der Durchschnittsbildung gemäß § 41a Abs. 4 SGB II auf Erwerbseinkommen geschlossen werden. Die in § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II zur Pflicht erklärte Durchschnittsberechnung knüpft nach dem eindeutigen Wortlaut allein an die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung
an.
Die mittlerweile in den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit (Stand 20.03.2018 41a.27) erfolgte Beschränkung
der Durchschnittsberechnung auf schwankendes Erwerbseinkommen mag sinnvoll sein, ist für die Gerichte jedoch nicht bindend.
Für eine "teleologische Reduktion", d.h. die Schließung einer Regelungslücke oder eines vom Gesetzgeber übersehenen Regelungsdefizits
ist angesichts des klaren Wortlautes der Regelung, der Definition des Begriffs "Einkommen" in § 11 Abs. 1 SGB II und der ausführlichen Beratungen im Gesetzgebungsverfahren (vgl. hierzu das Dokumentations- und Informationssystem des Deutschen
Bundestags - DIP -) kein Raum. Zwar mag Ziel der gesetzlichen Neuregelung gewesen sein, "dass leistungsberechtigte Personen
künftig schneller und einfacher Klarheit über das Bestehen und den Umfang von Rechtsansprüchen erhalten und die von den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in den Jobcentern anzuwendenden Verfahrensvorschriften vereinfacht werden" (BT-Drs. 18/8041, S. 1). Dies
steht jedoch der Anwendung des § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II in Fällen, in denen Grund für die vorläufige Bewilligung nicht die Erzielung schwankenden Erwerbseinkommens war und tatsächlich
schwankend anderes Einkommen war, nicht entgegen, auch wenn hier eine Vereinfachung für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
der Jobcenter tatsächlich nicht ersichtlich ist.
Die Art und Weise der Einkommensanrechnung berührt darüber hinaus keine Grundrechtsbelange, die eine einschränkende Norminterpretation
gebieten. Es bleibt letztlich dem Gesetzgeber vorbehalten, die, gemessen am Ziel einer Verwaltungsvereinfachung, unbefriedigende
Gesetzesfassung zu korrigieren, wenn dies gewollt ist. Keineswegs steht es dem Beklagten oder den Gerichten zu, sich an die
Stelle des Gesetzgebers zu stellen und entgegen dessen in einen eindeutigen Wortlaut gegossenen "Willen" etwaige "sinnvolle"
Regelungen über den Weg einer Auslegung zu konstruieren.
Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass ungeachtet des Zeitpunkts des Zuflusses und der Einkommensart eine Verteilung sämtlicher
Einkünfte über den sechsmonatigen Bewilligungsabschnitt hinweg zu erfolgen hat. Gemäß § 41a Abs. 4 Satz 3 SGB II ist als monatliches Durchschnittseinkommen für jeden Kalendermonat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zu berücksichtigen,
der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum
ergibt.
Die Klägerin verfügte im Bewilligungszeitraum Mai bis Oktober 2016 über Einkommen aus Kindergeld in den Monaten Mai und Juni
2016 i.H.v. insgesamt 380,00 EUR (2 x 190,00 EUR). Darüber hinaus floss ihr Einkommen aus Erwerbstätigkeit in den Monaten
August bis Oktober 2016 i.H.v. insgesamt 212,50 EUR zu (42,50 EUR + [2 x 85,00 EUR]). Soweit das Sozialgericht zu dem Schluss
gelangt ist, das laufende Einkommen aus Kindergeld und das laufende Einkommen aus Erwerbstätigkeit seien nicht vorab zusammen
zu rechnen, sondern es habe jeweils eine gesonderte Ermittlung eines Durchschnittseinkommens stattzufinden, begegnet dies
keinen Bedenken. Insoweit überzeugt das Argument des Sozialgerichts, dass die Bereinigung der Einkommensarten verschieden
und deswegen eine anfängliche Summierung nicht sinnvoll sei. Ob die Bereinigung anfänglich oder nach Bildung des Durchschnittsbetrags
stattzufinden hat, ist im vorliegenden Fall jedenfalls bezüglich des laufenden Einkommens der Klägerin aus Erwerbstätigkeit
ohne Bedeutung, denn das Einkommen liegt in jedem Fall unter dem Grundfreibetrag des § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II i.H.v. 100,00 EUR, sodass kein anzurechnendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit verbleibt. Daher ist letztlich allein das laufende
Einkommen aus Kindergeld zu addieren (insgesamt 380,00 EUR) und durch die sechs Monate des Bewilligungsabschnittes zu teilen
(380,00 EUR: 6 = 63,33 EUR). Dieses Durchschnittseinkommen ist um die Versicherungspauschale gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgII-VO i.H.v. 30,00 EUR zu bereinigen, sodass ein monatlich zu berücksichtigendes Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.H.v. 33,33 EUR verbleibt. Diese Berechnungsweise ergibt sich bereits aus der Terminologie des Gesetzes, wonach zwischen
(Durchschnitts-) Einkommen und zu berücksichtigendem Einkommen unterschieden wird (§ 41a Abs. 4 SGB II; §§ 9 Abs. 1, 11, 11a und 11b SGB II). Der Klägerin stand somit im streitigen Monat Mai 2016 ein Leistungsanspruch i.H.v. 412,03 EUR zu (324,00 EUR RB abzügl.
33,33 EUR zzgl. 121,36 EUR BUH). Der Beklagte hat ihr mit endgültigem Bescheid vom 16. Februar 2017 für Mai 2016 hingegen
lediglich Leistungen i.H.v. insgesamt 285,36 EUR (164,00 EUR RB zzgl. 121,36 EUR BUH) bewilligt, sodass ihr - wie bereits
vom Sozialgericht ermittelt - noch ein weiterer Leistungsanspruch i.H.v. 126,67 EUR für Mai 2016 zusteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zuzulassen.