Erstattung der Aufwendungen des Rentenversicherungsträgers im Rahmen des Versorgungsausgleichs; Folgen eines Verstoßes gegen
Obliegenheiten der Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung
Gründe:
Die am 28. September 2012 eingelegte Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts
Berlin vom 27. August 2012 ist zulässig, aber unbegründet.
Die fehlende Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus §
144 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG), wonach die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts bedarf, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei
einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts 10.000,- EUR nicht übersteigt (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG), es sei denn, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG). Im vorliegenden Verfahren wird aber weder der Berufungsstreitwert von 10.000,- EUR überschritten, noch geht es um wiederkehrende
oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Mit ihrer Klage hat die Klägerin als zuständige Rentenversicherungsträgerin
gegen die Beklagte als zuständige Trägerin der Versorgungslast eine Erstattungsforderung hinsichtlich des Jahres 2001 in Höhe
von 3.260,91 EUR geltend gemacht, welche ihr durch das angefochtene Urteil auch zugesprochen worden ist.
Die Berufung ist nicht gemäß §
144 Abs.
2 SGG zuzulassen. Nach dieser Vorschrift muss eine Zulassung nur dann erfolgen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat
(Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann (Nr. 3).
Während für eine Abweichung und einen Verfahrensmangel keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind, dringt die Beklagte auch
mit der von ihr geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht durch. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts ist von einer grundsätzlichen Bedeutung nur dann auszugehen, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren
Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen
Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht auch zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Eine
Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn ihre Beantwortung von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder unmittelbar
dem Gesetz zu entnehmen ist (Bundessozialgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2011, B 9 V 3/11 B; Beschluss vom 30. März 2005, B 4 RA 257/04 B; Beschluss vom 14. August 1981, 12 BK 15/81).
In diesem Sinne ist eine Klärungsbedürftigkeit im vorliegenden Fall abzulehnen. Streitig ist hier die Rechtsfrage, ob ein
Verstoß des Rentenversicherungsträgers gegen seine Obliegenheit, die zu erstattenden Aufwendungen innerhalb von vier Kalendermonaten
nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Aufwendungen entstanden sind, festzustellen und von dem zuständigen Träger
der Versorgungslast anzufordern (§ 2 Abs. 1 der Verordnung über die Erstattung von Aufwendungen der Träger der Rentenversicherung im Rahmen des Versorgungsausgleichs - Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung - [VAErstV] vom 4. Oktober 2001 [BGBl. I S. 2628]), zur Folge hat, dass die
Erstattungsanforderung mit Ablauf dieser Frist als erfolgt gilt, so dass der Erstattungsanspruch nach weiteren sechs Monaten
fällig wird (§ 2 Abs. 3 VAErstV) und vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres der Fälligkeit verjährt (§ 2 Abs. 4 Satz 1 VAErstV).
Diese Frage ist nach der maßgeblichen Regelung des § 2 Abs. 3 VAErstV zu verneinen. Danach wird der Erstattungsanspruch sechs Monate nach Eingang der Erstattungsanforderung beim zuständigen Träger
der Versorgungslast fällig. Der Wortlaut dieser Vorschrift stellt also entscheidend auf den Eingang der Erstattungsanforderung
ab, so dass es in Ermangelung abweichender Regelungen nicht auf einen Obliegenheitsverstoß des Rentenversicherungsträgers
ankommen kann. Da der mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung bildet und die Regelung eindeutig ist, kommt eine abweichende
Auslegung nicht in Betracht (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. März 2014, 2 C 2/13, Rn. 15; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 163 f.).
Die Vorschrift ist auch einer über die Auslegung im engeren Sinne hinausgehenden richterlichen Rechtsfortbildung - hier in
der Form einer teleologischen Extension - nicht in der von der Beklagten gewünschten Weise zugänglich. Jede Art der richterlichen
Rechtsfortbildung setzt eine normative Lücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit der Regelung voraus (vgl. Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 18. April 2013, 5 C 18/12; Urteil vom 15. November 2012, 3 C 12.12; Urteil vom 20. Mai 1999, 3 C 3.98). Hat der Normgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer
Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Oktober 2004,
6 C 30.03). Ob eine Regelungslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm erfassten Fälle in den Vorschriften
tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift
nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (Bundesverwaltungsgericht, Urteil
vom 13. Dezember 2012, 2 C 71.10; Urteil vom 18. Mai 2006, 3 C 29.05).
Eine derartige Feststellung kann hier nicht getroffen werden. Nach der Verordnungsbegründung soll § 2 VAErstV zwar insgesamt der Verfahrensbeschleunigung dienen (BR-Drucksache 646/01, S. 9). Dieser Zielsetzung steht auch nicht entgegen,
dass es sich bei § 2 Abs. 1 VAErtstV nur um eine Sollvorschrift handelt. Sollvorschriften räumen der Behörde im Regelfall
kein Ermessen ein, sondern ermöglichen über den Regelungsinhalt hinausgehende Rechtsfolgen und Abweichungen nur ausnahmsweise
in atypischen, besonders gelagerten Fällen, wobei dann Ermessen auszuüben ist (in dieser Allgemeinheit: Bundessozialgericht,
Urteil vom 27. Mai 2014, B 8 SO 1/13 R, Rn. 18). Die Erstattungsanforderungsfrist aus § 2 Abs. 1 VAErstV ist also im Regelfall einzuhalten. Aus dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, dass
die Fälligkeitsregelung des § 2 Abs. 3 VAErtstV auch die Fälle einer verspäteten Erstattungsanforderung erfassen sollte. Die
Rentenversicherungsträger sind als vollziehende Gewalt gemäß Art.
20 Abs.
3 des
Grundgesetzes an Gesetz und Recht gebunden. Der Verordnungsgeber durfte also ohnehin davon ausgehen, dass die Erstattungsanforderungsfrist
im Regelfall eingehalten wird. Ausweislich der Verordnungsbegründung wurde die Einführung einer Sanktionsregelung lediglich
für die Fälle der Erfüllung des Erstattungsanspruches nach Fälligkeit geprüft, jedoch mangels einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage
abgelehnt (BR-Drucksache 646/01, S. 9). Das lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass eine Sanktionsregelung für die Nichteinhaltung
der Erstattungsanforderungsfrist von vornherein nicht beabsichtigt war.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
63 Abs.
2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 sowie § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
Dieser Beschluss kann gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden. Nach §
145 Abs.
4 Satz 5
SGG wird die Entscheidung des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.