Höhe des Grades einer Behinderung
Mehrere Beeinträchtigungen
Gesamt-GdB
Ausmaß der Behinderung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).
Auf den Feststellungsantrag des Klägers vom 7. Juli 2010 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 25. November 2010 bei ihm einen
GdB von 30 fest. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2011 setzte der Beklagte den
Gesamt-GdB auf 40 herauf. Er legte hierbei folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
1. psychische Minderbelastbarkeit (Einzel-GdB von 20),
2. Funktionsstörung der Wirbelsäule (Einzel-GdB von 30),
3. Funktionsstörung des rechten Kniegelenks (Einzel-GdB von 10).
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger einen GdB von 50 begehrt. Das Sozialgericht hat das Gutachten des
Facharztes für Orthopädie und Chirurgie Dr. T vom 22. Juni 2012 eingeholt, der einen GdB von 40 vorgeschlagen hat. Der Sachverständige
hat folgende Behinderungen ermittelt:
1. Wirbelsäulenleiden mit Versteifung (Einzel-GdB von 20),
2. leichte Funktionsstörung der Knie- und Sprunggelenke (Einzel-GdB von 10),
3. psychische Komorbidität mit Schmerzchronifizierung (Einzel-GdB von 20).
Ferner hat das Sozialgericht das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. K vom 21. November 2012 eingeholt,
der bei dem Kläger eine leichtere seelische Anpassungsstörung und eine somatoforme Schmerzstörung festgestellt und mit einem
Einzel-GdB von 20 bewertet hat.
Mit Gerichtsbescheid vom 18. Juli 2014 hat das Sozialgericht die Klage über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten
im Widerspruchsverfahren hinaus abgewiesen. Es ist hierbei im Wesentlichen den Sachverständigen gefolgt. Einen entsprechenden
Ausführungsbescheid hat der Beklagte am 1. August 2014 erlassen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte und des Gutachtens des
Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 2. Juli 2015. Der Sachverständige hat nach der Untersuchung des Klägers den Gesamt-GdB
auf 30 eingeschätzt. Hierzu hat er folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:
1. depressive Störungen (Einzel-GdB von 20),
2. Wirbelsäulenfunktionsstörungen bei Verschleiß, operative Versteifung im Bereich der Lendenwirbelsäule L5/S1 2010 (Einzel-GdB
von 20),
3. Kniegelenkfunktionsstörungen bei Verschleiß, operierte Ruptur des vorderen Kreuzbandes rechts 2003, Fußfehlform, Durchblutungsstörung
der linken unteren Extremität, operativ versorgt 2014 (Einzel-GdB von 10).
Auf den Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist der Facharzt für Innere Medizin sowie für psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Sch gehört worden. Im Gutachten
vom 15. April 2016 hat der Sachverständige den Gesamt-GdB mit 50 ab Februar 2015 bewertet. Hierzu hat er folgende GdB-relevante
Funktionsbeeinträchtigungen ermittelt:
1. chronische bzw. rezidivierende depressive Störung, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (Einzel-GdB
von 40),
2. Wirbelsäulenfunktionsstörungen mit/bei degenerativen Bandscheiben- und Wirbelgelenkveränderungen; Zustand nach Versteifungsoperation
(Einzel-GdB von 20),
3. Kniegelenkfunktionsstörungen bei degenerativen Gelenkveränderungen und Knorpelverschleiß, Zustand nach Teilresektion des
Außenmeniskus im rechten Kniegelenk (Einzel-GdB von 10),
4. obstruktives Schlafapnoe-Syndrom mit Notwendigkeit der Maskenbeatmung, bisher unzureichend behandelbar (Einzel-GdB von
30).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 9. Juni 2016 hat der Kläger sein Begehren auf den Zeitraum ab Februar 2015
beschränkt.
Die Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juli 2014 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides
vom 25. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides
vom 1. August 2014 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab Februar 2015 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass seine Entscheidungen zutreffend sind.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt
der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist, soweit er diese aufrechterhalten hat, begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 mit Wirkung ab Februar 2015.
Nach den §§
2 Abs.
1,
69 Abs.
1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (
SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend
den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Die psychischen Störungen des Klägers bedingen nach Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV einen Einzel-GdB von 40. Der Sachverständige Dr. S hat nach der Untersuchung des Klägers festgestellt, dass der Kläger im
streitbefangenen Zeitraum an einer depressiven Störung und an einer chronischen Schmerzstörung leidet. Hierbei handelt es
sich nach der Überzeugung des Senats, der den einleuchtenden Ausführungen des Gutachters Dr. S folgt, um stärker behindernde
Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und leichtgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten.
Die Ansicht des in der ersten Instanz herangezogenen Sachverständigen K, bei dem Kläger lägen eine leichtere seelische Anpassungsstörung
und eine somatoforme Schmerzstörung vor, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten seien, ist nicht überzeugend, da die
chronische Schmerzstörung nicht als Somatisierungsphänomen im Rahmen der Depression zu betrachten ist, sondern eigenständige
Funktionsbeeinträchtigungen zeitigt, die dementsprechend zu berücksichtigen sind.
Die Wirbelsäulenfunktionsstörung ist nach Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der Senat folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S, der bei
dem Kläger mittelgradige funktionelle Einschränkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt festgestellt hat.
Nach den übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen rechtfertigen die Schäden der unteren Extremitäten, d.h. die
Funktionseinschränkungen in beiden Kniegelenken, einen Einzel-GdB von 10. Der Senat schließt sich dieser Bewertung an, da
sie den Vorgaben in Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV entspricht.
Für das im Februar 2015 festgestellte obstruktive Schlafapnoe-Syndrom ist nach Teil B Nr. 8.7 der Anlage zu § 2 VersMedV ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen. Der Kläger bedarf einer nächtlichen Überdruckbehandlung mit Maske, die er schlecht toleriert,
so dass die Behandlung nachts nicht ausreichend lang durchgeführt werden kann.
Liegen - wie hier - mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß §
69 Abs.
3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann
im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung
größer wird.
Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB danach mit Wirkung ab Februar 2015 auf 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 40 für die psychischen
Störungen ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S unter Berücksichtigung der mit einem Einzel-GdB
von 30 zu bewertenden Behinderungen durch das Schlafapnoe-Syndrom mit Wirkung ab Februar 2015 um einen Zehnergrad heraufzusetzen,
da sich die Funktionsstörungen gegenseitig verstärken. Das Wirbelsäulenleiden ist nicht geeignet, eine Erhöhung zu rechtfertigen,
da die Auswirkungen der Behinderungen, die teilweiser mechanischer, teilweise schmerzbedingter Natur sind, sich überschneiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens, wobei zu berücksichtigen war, dass der Beklagte trotz des überzeugenden Gutachtens
des Dr. S auch für den Zeitraum ab Februar 2015, dem Hinzutreten des behandlungsbedürftigen Schlafapnoe-Syndroms, an seiner
Gesamtbewertung des GdB festgehalten und damit eine streitige Entscheidung notwendig gemacht hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt.