Hinterbliebenenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz
Wirkung der Rechtskraft
Identität der Streitgegenstände
Rechtsschutzinteresse für eine neue Klage
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz.
Die Klägerin ist Witwe des Verstorbenen, der 1941 geboren wurde und 1980 verstarb. Der Verstorbene war Berufssoldat der Bundeswehr,
zuletzt im Range eines Oberstleutnants. 1980 wurde er in seinem Hotelzimmer in L tot aufgefunden, wo er sich dienstlich aufhielt.
Am 22. Dezember 1980 beantragte die Klägerin die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach dem Verstorbenen. Mit Bescheid
vom 16. November 1982 lehnte das damals zuständige Versorgungsamt Heidelberg den Antrag mit der Begründung ab, der Tod des
Verstorbenen sei nicht auf eine Wehrdienstbeschädigungsfolge zurückzuführen. Den Widerspruch der Klägerin wies das Landesversorgungsamt
Baden-Württemberg mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 1983 mit ähnlicher Begründung zurück. Eine hiergegen erhobene Klage
zum Sozialgericht Mannheim (Az.: S 6 V 1600/83) nahm die Klägerin am 20. Juli 1984 nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht zurück.
Am 31. Juli 1991 beantragte die Klägerin bei dem Versorgungsamt Heidelberg die Überprüfung der vorgenannten Bescheide. Mit
Bescheid vom 20. Mai 1992 lehnte das Versorgungsamt Heidelberg den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe keine Gesichtspunkte
oder rechtserhebliche Tatsachen vorgebracht, die die frühere Entscheidung widerlegen könnten. Den Widerspruch hiergegen wies
das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1992 mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen
des § 44 Sozialgesetzbuch/zehntes Buch (SGB X) lägen nicht vor.
Die hiergegen gerichtete Klage, die auf die Aufhebung der Bescheide aus dem Jahr 1982 bzw. 1983 und auf die Gewährung von
Hinterbliebenenrente ab dem 1. Januar 1987 gerichtet war, wies das Sozialgericht Mannheim durch Urteil vom 10. Mai 1999 (Az.:
S 7 V 2546/94) ab. Mit Urteil vom 22. November 2001 wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg die hiergegen gerichtete Berufung (L 6 VS 2469/99) zurück: Das Sozialgericht sei zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs
zwischen dem Tod des Verstorbenen und wehrdiensteigentümlichen Umständen nicht bejaht werden könne, wobei es dahingestellt
sei, ob nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Kardiomyopathie als zum Tode führendes Leiden als erwiesen festgestellt
werden könne oder ob das Todesleiden und damit die Todesursache als nicht klärbar zu beurteilen seien. Im letzteren Fall scheide
der für eine Hinterbliebenenversorgung erforderliche Zusammenhang mit wehrdiensteigentümlichen Umständen schon mangels feststellbarer
Todesursache aus, wobei die Feststellungslast der Klägerin obliege. Ausgehend von einer primären dilatativen Kardiomyopathie
habe das Sozialgericht einen Zusammenhang mit wehrdienstlichen Umständen verneint und sich hierfür auf die Ausführungen eines
Sachverständigen gestützt, der als Todesursache einen plötzlichen Herztod durch Rhythmusstörungen bei Kardiomyopathie als
hinreichend gesichert angesehen, aber als schicksalsmäßig und damit nicht wehrdienstbedingt beurteilt habe. Auch einen Zusammenhang
des Todes des Verstorbenen mit Besonderheiten der truppenärztlichen Versorgung habe das Sozialgericht verneint, weil ausgehend
von dem zur Zeit des Todes des Verstorbenen im Jahre 1980 gegebenen medizinischen Erkenntnisstand, der Praxisausstattung von
zivilen Ärzten und beim Fehlen entsprechender Befunde im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Truppenarzt eine rechtzeitige
Diagnose von Herzrhythmusstörungen durch einen zivilen Arzt zu verneinen gewesen sei.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Berufungsurteil hat das Bundessozialgericht
mit Beschluss vom 16. April 2002 (B 9 VS 1/02 B) zurückgewiesen: Die Rüge mangelnder Sachaufklärung dürfte schon unzulässig sein, weil die Klägerin keinen Beweisantrag gestellt
habe. Jedenfalls seien die Rügen zu §
103 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) unbegründet. Gerügt sei u.a. die Nichtanhörung eines Zeugen zum Gesundheitszustand des Verstorbenen in den Wochen vor dessen
Tod. Das Landessozialgericht habe sich nicht gedrängt fühlen müssen, diesen Beweis zu erheben, weil es von seinem rechtlichen
Standpunkt her nur darauf angekommen sei, ob dem Truppenarzt diese gesundheitlichen Verhältnisse - unterstellt, sie hätten
vorgelegen - bekannt gewesen seien. Dazu hätte der Zeuge nach dem Antrag der Klägerin nicht gehört werden sollen.
Am 2. September 2002 beantragte die Klägerin erneut die Überprüfung der Bescheide aus dem Jahre 1982 und 1983. Mit Bescheid
des Versorgungsamtes Heidelberg vom 9. Mai 2005 und Widerspruch des inzwischen zuständig gewordenen Landesamtes für Soziales
und Versorgung Brandenburg vom 15. April 2009 wurde dieser Antrag abgelehnt, weil die Bescheide aus den Jahren 1982 und 1983
nicht rechtswidrig seien. Mit Schreiben vom 5. Mai 2009 teilte die Klägerin mit, sie werde keine Klage erheben.
Am 14. Juli 2009 beantragte die Klägerin bei dem Versorgungsamt Potsdam erneut die Überprüfung der Bescheide aus den Jahren
1982 und 1983. Mit Bescheid vom 18. Mai 2010 und Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 2011 lehnte das weiterhin zuständige Landesamt
für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg den Antrag mit der Begründung ab, die Bescheide aus den Jahren 1982 und
1983 seien nicht rechtswidrig. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Potsdam mit Urteil vom 14. Juni 2012 abgewiesen:
Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. November 2001 sei in Rechtskraft erwachsen und binde gemäß §
141 Abs.
1 Nr.
1 SGG die Beteiligten. Die nunmehr erhobene Klage sei deshalb unzulässig.
Mit ihrer Berufung zum Landessozialgericht macht die Klägerin geltend, ihre Klage sei zulässig. Es müsse auch in eine neue
Sachaufklärung eingetreten werden, weil inzwischen neue medizinische Erkenntnisse über den Tod des Verstorbenen und den Zusammenhang
mit den wehrdiensttypischen Verhältnissen vorliege.
Die Klägerin beantragt wörtlich:
1. Es wird unter Aufhebung des Bescheides des Versorgungsamtes Heidelberg vom 16.11.1982 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 08.06.1983, des Bescheides vom 20.05.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.07.1992 und des Bescheides
vom 09.05.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landesamtes für Soziales und Versorgung vom 15.04.2009 sowie
des Urteils des Sozialgerichts Potsdam, - S 13 VS 13/11 - vom 14.06.2012 festgestellt, dass der am 30.11.1980 festgestellte Tod des Ehemannes der Klägerin, Oberstleutnant im Generalstab
(OTL i.G.) S B, Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG i.V.m. ist, und zwar im Sinne der Verschlimmerung einer bestehenden Grunderkrankung.
2. Der Beklagte und Berufungsbeklagte wird verpflichtet, der Klägerin ab dem 01.01.2005 erhöhte Hinterbliebenenversorgung
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligen gewechselten
Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand
der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen, denn aufgrund der Rechtskraftwirkung
nach §
141 Abs.
1 Satz 1
SGG sind sowohl das Sozialgericht als auch das Landessozialgericht an einer Entscheidung in der Sache selbst gehindert.
Nach §
141 Abs.
1 Satz 1
SGG binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden
ist. Der Begriff des Streitgegenstandes deckt sich mit demjenigen des erhobenen Anspruchs. Die Rechtskraft eines Urteils steht
damit der Zulässigkeit einer erneuten Klage wegen desselben Streitgegenstands (Anspruchs) jedenfalls dann entgegen, wenn nicht
aus besonderen Gründen ein Rechtsschutzinteresse für die neue Klage besteht. Voraussetzung ist jedoch eine Identität der Streitgegenstände.
Hierfür ist eine Deckungsgleichheit des in dem früheren und in dem erneut anhängig gemachten Rechtsstreit erhobenen Anspruchs
erforderlich (Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Oktober 1987, 1 RA 15/86, juris Rn. 19 m.w.N.).
Die Streitgegenstände des vorliegenden Verfahrens sowie des Verfahrens, das durch rechtskräftiges Urteil des Landessozialgerichts
Baden-Württemberg vom 22. November 2001 abgeschlossen wurde, sind identisch. In beiden Fällen wird derselbe Anspruch geltend
gemacht, nämlich der Anspruch auf Überprüfung des Bescheides vom 16. November 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 8. Juni 1983. Sowohl das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. November 2001 als auch der vorliegende
Rechtsstreit beschäftigen sich ausschließlich mit der Frage, ob die Bescheide aus den Jahren 1982 und 1983 aufzuheben sind.
Der dem zugrundeliegende, hier geltend gemachte materiell-rechtliche sowie prozessuale Anspruch ist deckungsgleich.
Dem steht nicht entgegen, dass die Streitgegenstände eines Ausgangsverfahrens einerseits und eines Überprüfungsverfahrens
nach § 44 SGB X andererseits grundsätzlich nicht deckungsgleich sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Oktober 1987, 1 RA 15/86, juris Rn. 20). Denn bereits das Verfahren, das letztlich durch Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22.
November 2001 abgeschlossen wurde, war bereits seinerseits ein Verfahren gemäß § 44 SGB X. In diesem Fall kann eine Identität der Streitgegenstände hinsichtlich beider Überprüfungsverfahren und der darauf fußenden
Rechtsstreitigkeiten bestehen (vgl. BSG, a.a.O., juris Rn. 20 am Ende).
Vorliegend ist auch aus sonstigen Gründen kein weiterer zusätzlicher Streitgegenstand eröffnet worden. Denn der hier streitbefangene
Bescheid vom 18. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 2011 hat keine erneute Sachprüfung und insbesondere
nicht die Prüfung eines neuen oder erweiterten Sachverhaltes vorgenommen, sondern hat sich ausschließlich auf die bereits
durchgeführte, zu Ungunsten ausgefallene Klägerin in dem früheren Überprüfungsverfahren bezogen. Der Prüfungsgegenstand der
angefochtenen Bescheide war ausschließlich auf denjenigen Prüfungsumfang bezogen, der bereits vorher Gegenstand des Urteils
des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. November 2001 gewesen war.
Vorliegend besteht auch nicht aus besonderen Gründen ausnahmsweise ein Rechtsschutzinteresse für die neue Klage (vgl. hierzu:
BSG, a.a.O., juris Rn. 19). Denn das Überprüfungsverfahren, das seinen Abschluss durch das rechtskräftige Urteil des Landessozialgerichts
Baden-Württemberg vom 22. November 2001 gefunden hat, nahm eine vollständige und eingehende Sachprüfung vor. Dies gilt auch
im Hinblick auf das anschließende gerichtliche Verfahren vor dem Sozialgericht Mannheim und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg.
Hierbei wurde in vollständigem Umfang eine grundsätzliche Sachklärung vorgenommen, die verfahrensfehlerfrei erfolgte. Dem
entsprechend hat auch das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 16. April 2002 die von der Klägerin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde
zurückgewiesen. Es ist an keiner Stelle ein Rechtsschutzdefizit erkennbar, aufgrund dessen ausnahmsweise in einem zweiten
Überprüfungsverfahren erneut eine vollständige gerichtliche Nachprüfung durch alle verfügbaren Instanzen erforderlich werden
könnte. Vielmehr ist dem Rechtsschutzinteresse der Klägerin durch das umfassende Überprüfungsverfahren mit anschließender
vollständiger gerichtlicher Nachprüfung durch das Sozialgericht Mannheim, das Landessozialgericht Baden-Württemberg und das
Bundessozialgericht Genüge getan worden. Ein besonderes Rechtsschutzinteresse, das ausnahmsweise eine Einschränkung oder gar
durch Brechung des Grundsatzes der Rechtskraftwirkung nach §
141 Abs.
1 Satz 1
SGG gebieten könnte, ist weder dargetan noch von Amts wegen ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG sind nicht ersichtlich.