Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht einer Rechtsfrage zum Anspruch auf Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und
kulturellen Leben nach dem SGB XII
Gründe:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 18. Februar 2016, mit dem dieses die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Verfahren S 20 SO 77/14, in dem die Klägerin die Erstattung der Kosten für eine Freizeitmaßnahme
(Reise) begehrt, abgelehnt hat, ist gemäß den §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die Bewilligung von PKH.
Nach §
73 a Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
114 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält auf Antrag PKH ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung
nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet und nicht mutwillig erscheint.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn der Kläger in der Hauptsache möglicherweise obsiegen wird. Erfolgsaussichten
bestehen vor allem dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt
(vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 13. März 1990, Aktenzeichen 2 BvR 94/88, juris Rn. 28 = NJW 1991, 413, 414) oder von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind (§
103 SGG), bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können.
Vorliegend dürften Ermittlungen zu führen sein. Es ist für den Senat nicht ersichtlich, woraus die Beklagte und das Sozialgericht
die Erkenntnis herleiten, dass es sich bei der Reise der Klägerin um eine solche handele, bei der nicht (ausreichend) Kontakt
mit nichtbehinderten Menschen hergestellt werde.
Als Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Klägerin kommen die Vorschriften der Eingliederungshilfe, also §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII) in Verbindung mit §§
55,
58 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (
SGB IX) in Betracht. Nach der zuletzt genannten Vorschrift umfassen die Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen
Leben (§55 Abs. 2 Nr. 7
SGB IX) vor allem Hilfen zur Förderung der Begegnung und des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen. Dabei herrscht in Rechtsprechung
und Literatur Einigkeit, dass nach der genannten Vorschrift auch die Kostenübernahme für eine Urlaubsreise in Betracht kommt.
Die Ausführungen in der Kommentarliteratur sind im Übrigen relativ knapp gehalten, es wird auf die Rechtsprechung verwiesen
(am ausführlichsten Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß, Kommentar zum
SGB IX, 4. Auflage 2015, §
58 Rdnr. 5).Überwiegend wird angenommen, dass eine Reise nur förderfähig ist, wenn es zur Kontaktaufnahme mit nichtbehinderten
Menschen kommt (vgl. Luthe in jurisPK-
SGB IX, 2. Auflage 2015, §
58 SGB IX Rdnr.22; Joussen in Dau/Düwell/Joussen [Hrsg.], Kommentar zum
SGB IX, 4. Auflage 2014, § 58 Rdnr. 5; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 54 Rdnr. 32;Verwaltungsgericht - VG - Potsdam, Urteil vom 28. März 2008, Az. 11 K 2698/04, juris Rdnr. 15; Landessozialgericht - LSG - für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Juni 2010, Az. L 9 SO 163/10,
juris Rdnrn. 34ff; Thüringer LSG, Urteil vom 23. Mai 2012, Az. L 8 SO 640/09, juris Rdnrn. 27, 28; LSG Hamburg, Urteil vom
20. November 2014, Az. L 4 SO 31/12, juris Rdnr. 21).
Vorliegend ist zum einen nicht geklärt, ob die Reise der Klägerin nicht in ausreichendem Maß der Begegnung mit nicht behinderten
Menschen gedient hat. In den Akten der Beklagten und den Gerichtsakten finden sich kaum Unterlagen zu der Ausgestaltung der
Reise, lediglich das Anmeldeformular für die "betreute Freizeit" und Hinweise sowie Teilnahmebedingungen. Es erschließt sich
für den Senat nicht, worauf die Beklagte und das Sozialgericht ihre Annahme stützen, die Reise habe nicht der Förderung von
Kontakten mit nichtbehinderten Menschen gedient. Nach dem Internetauftritt der "L ", Stichwort "Bildungs- und Begegnungsstätte",
richtet sich das dortige Angebot an Menschen mit und ohne Behinderung. Es werden Klassenfahrten, Vereins- und Familienfahrten
und auch Hochzeiten organisiert, außerdem finden dort Weiterbildungsveranstaltungen für die Mitarbeiter der Lebenshilfe statt.
Es müsste durch Rückfrage bei dem Veranstalter ermittelt werden, welche Kontakte genau zwischen behinderten und nichtbehinderten
Menschen dort möglich sind und/oder gefördert werden. Erst dann kann entschieden werden, ob der Umfang ausreichend ist im
Hinblick auf die Ziele des § 58 Nr. 1 SGB XII. Dabei ist auch zu beachten, dass die Frage, wie intensiv die Kontakte zu nicht behinderten Menschen im Rahmen des §
58 Nr. 1
SGB IX sein müssen, soweit ersichtlich, noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und die Auffassungen hierüber bei den Untergerichten
relativ weit auseinanderliegen. Während das VG Potsdam eine "eher weite Fassung" annimmt (VG Potsdam, aaO., juris Rdnr. 15,
so wohl auch Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider, Kommentar zum SGB XII, 19. Auflage 2015, § 54 Rdnr. 65.2), legt z.B. das LSG Hamburg einen strengeren Maßstab an und fordert, dass "insbesondere" die Begegnung mit nicht
behinderten Menschen in der Ferienfreizeit gefördert werden muss.
Hinzu kommt, dass, worauf das VG Potsdam zu Recht hingewiesen hat, die nicht abschließenden Leistungskataloge der Eingliederungshilfe
nur beispielhaften Charakter haben (VG Potsdam, aaO., juris Rdnr. 15), was sich schon aus der Formulierung "umfassen vor allem"
in §
58 SGB IX ergibt. Es stellt sich die Frage, ob nicht auch dann, wenn die Reise nicht überwiegend oder "ausreichend" der Förderung der
Kontakte mit nichtbehinderten Menschen dient, die Übernahme der Kosten auch dann in Betracht kommt, wenn bei einer Nichtteilnahme
an der Reise die Klägerin "ausgegrenzt" würde, weil die anderen Bewohner ihrer Wohnstätte alle oder fast alle an dieser Reise
teilnehmen. Auch dies müsste gegebenenfalls ermittelt werden.
Da damit sowohl Ermittlungen angestellt werden müssen als auch die Frage der Voraussetzungen für die Übernahme von Kosten
für eine Reise noch klärungsbedürftig erscheinen, ist eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage anzunehmen.
Da die Klägerin nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, war ihr Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung
zu bewilligen und ihr ihre Prozessbevollmächtigte beizuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
73 a SGG in Verbindung mit §
127 Abs.
4 ZPO.
Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§
177 SGG).