Krankenversicherung; Ausschlusstatbestand "private Krankenversicherung"; rückwirkende Anfechtung eines Privatversicherungsvertrages
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 22. Dezember 2014 ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig, längstens bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Hauptsacheverfahrens, Leistungen nach dem
Fünften Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) zu gewähren.
Der Antrag der Antragstellerinnen ist als solcher auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 S. 1 und 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und zulässig. Danach kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des §
86b Abs.
1 SGG nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen. Das Verfahren nach §
86b Abs.
1 SGG ist vorliegend nicht einschlägig, weil die Antragstellerinnen ihr Rechtsschutzziel nicht durch die vorläufige Beendigung
der Wirkungen eines Verwaltungsaktes erreichen können, sondern gerade die, ausweislich einer Gesprächsnotiz vom 29. Oktober
2014 (mündlich)abgelehnte, Feststellung eines Versicherungsverhältnisses begehren. Insoweit hält der Senat an seiner bisherigen
Rechtsprechung (Beschlüsse vom 7. Januar 2008 - Az.: L 1 B 336/07 KR ER - und vom 10. April 2013 - L 1 KR 1/13 B ER -, zitiert jeweils nach juris) fest, dass im Wege der einstweiligen Anordnung auch die Feststellung des Bestehens eines
Versicherungsverhältnisses oder die Verpflichtung der Krankenkasse zur Erbringung der gesetzlichen Leistungen dem Grunde nach
erfolgen kann. Ob die Voraussetzungen einer solch weitgehenden Regelungsanordnung vorliegen, ist eine Frage der Begründetheit
und nicht der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Ein Anspruch auf Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nur gegeben, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu muss der Antragsteller gemäß §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft machen.
Vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist auszugehen, wenn nach (summarischer) Prüfung die Hauptsache Erfolgsaussicht hat.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter und des öffentlichen
Interesses nicht zumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Ein Anordnungsanspruch liegt vor. Nach gegenwärtigem Sachstand ist die Versicherungspflicht der Antragstellerin zu 1), die
ausweislich ihrer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 27. Januar 2015 über keine Einnahmen
verfügt, insbesondere auch keine Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bezieht, nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V überwiegend wahrscheinlich.
Danach sind versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und
zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Die Antragstellerin
zu 1) war zuletzt, bis zum 31. März 2008, gesetzlich krankenversichert.
Ein Versicherungsschutz aus einer privaten Krankenversicherung bestand in der Folgezeit nicht.
Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 10. April 2013 (aaO.) zum Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes in der Parallelnorm
des §
5 Abs.
5a Satz 1
SGB V entschieden, dass im Rahmen der Prüfung des Bestehens eines privaten Krankenversicherungsvertrages eine rückwirkende Beendigung
durch Anfechtung nach §
142 Abs.
1 BGB jedenfalls dann zu berücksichtigen ist, wenn aus dem Vertrag faktisch kein Versicherungsschutz in Anspruch genommen wurde.
Ausgangspunkt der Bewertung ist insoweit nach Auffassung des Senats die Einheit der Rechtsordnung, die es gebietet die zivilrechtliche
Wertentscheidung einer rückwirkenden Nichtigkeit des Krankenversicherungsvertrages auch im Sozialversicherungsrecht zu beachten.
Soweit hiergegen angeführt wird, dass das krankenversicherungsrechtliche Verhältnis nicht von zukünftigen ungewissen Ereignissen
wie einer Anfechtung abhängen kann (Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2012 - Az.: L 5 KR 258/12 B ER), mag dies eine abweichende Wertung für den Fall bis zum Zugang der Anfechtungserklärung tatsächlich vollzogener Versicherungsverhältnisse
zulassen. Letztlich setzt die Gegenauffassung eine Auslegung des Begriffs "privat krankenversichert" voraus, der nicht mit
dem des wirksamen Bestehens eines privaten Krankenversicherungsvertrages übereinstimmt. Angesichts der gesetzlichen Systematik
kann es bei einem solchen Verständnis dann aber nur auf ein tatsächlich vollzogenes Versicherungsverhältnis, d.h. die Gewährung
von faktischem Versicherungsschutz ankommen. Da sich private Versicherungsunternehmen im Fall der Inanspruchnahme regelmäßig
auch mit der Vertragsanfechtung verteidigen, wäre es inkonsequent bei einer solchen von der zivilrechtlichen Rechtslage gelösten
Betrachtung die Anfechtbarkeit außer Acht zu lassen.
Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalens vom 25. September 2014 - L 16 KR 735/13 - (zitiert nach juris) keine Veranlassung im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens von dieser Rechtsprechung
abzuweichen. Da die Antragstellerin zu 1) nach Aktenlage und auf ausdrückliche Nachfrage des Senats vorgetragen hat, keine
Leistungen aus der privaten Krankenversicherung in Anspruch genommen zu haben, ist das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes
einer privaten Versicherung nicht überwiegend wahrscheinlich. Die am 3. November 2014 geborene Antragstellerin zu 2) ist damit
als Tochter der Antragstellerin zu 1) nach §
10 Abs.
1 SGB V im Rahmen der Familienversicherung Mitglied der Antragsgegnerin.
Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Insoweit sind nach Auffassung des Senats bei fehlenden Krankenversicherungsschutz und
Vorliegen eines Anordnungsanspruchs keine hohen Anforderungen zu stellen, zumal die Antragstellerin zu 2) erst im vierten
Lebensmonat ist und schon deshalb für Mutter und Kind ein Leistungsbedarf nach dem
SGB V besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Antrag der Antragstellerinnen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von
Rechtsanwalt H wird abgelehnt, weil die Antragstellerinnen im Hinblick auf die unanfechtbare Kostenentscheidung nicht bedürftig
sind.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).