Gründe:
I. Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrer Beschwerde, den Beschluss vom 24. November 2010, mit welchem das Sozialgericht Berlin
(SG) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 21. September 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 18. August 2010 angeordnet hat, aufzuheben. In den vorbezeichneten Bescheiden hatte die Antragsgegnerin den dem Antragsteller
aufgrund des Arbeitsunfalls vom 11. November 1995 eine Verletztenrente nach einer MdE von 100 v. H. gewährenden Bescheid vom
16. September 1997 wegen zwischenzeitlich eingetretener Verbesserung des Gesundheitszustandes mit Wirkung ab dem 01. Oktober
2009 teilweise aufgehoben, die MdE mit 30 v. H. neu festgestellt und die Rente entsprechend herabgesetzt. Die Antragsgegnerin
trägt vor, die Neufeststellung der MdE auf 30 v. H. sei gerechtfertigt und gründe sich auf die von ihr eingeholten medizinischen
Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen auf unfallchirugischem (Dr. K vom 14. Mai 2009 und 09. Juni 2009), neurologischem
(Dr. S vom 12. Mai 2009, 18. Mai 2009 und 30. Juni 2009) und urologischem Fachgebiet (Dr. P vom 07. Mai 2009 sowie Dr. B nach
Aktenlage vom 09. Juli 2010). Alle Gutachter hätten eine Besserung im Gesundheitszustand des Antragstellers festgestellt und
gingen von einer weit unter 100 v. H. liegenden MdE aus. Im summarischen Verfahren könnten vom Gericht keine eigenen Feststellungen
zur Höhe der MdE getroffen werden (vgl. Hessisches Landessozialgericht [LSG], Beschluss vom 27. März 2009, L 3 U 271/08 B ER), auch könnten keine Schätzungen erfolgen. Da der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen sei, gehe die daher vorzunehmende
Interessenabwägung zu ihren Gunsten aus. Die wirtschaftliche Lage des vor dem Unfall als freischaffender bildender Künstler
und Berufskraftfahrer tätigen Antragstellers sei desolat. Es sei zu befürchten, dass er im Fall eines negativen Ausgangs des
Klageverfahrens die ihm dann rechtswidrig überzahlte Rente nicht mehr zurückzahlen werde. Der Umstand, dass der Antragsteller
aufgrund einer persönlichen Entscheidung auf die Philippinen ausgewandert sei und daher keine Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem Zweiten oder Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB II/SGB XII) beziehe, könne im Rahmen der Unfallversicherung
keine Rolle spiele. Die Unfallrente diene nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes, sondern dem Ausgleich des durch den Arbeitsunfall
bedingten abstrakten Schadens.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. November 2010 aufzuheben.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Die aufschiebende Wirkung der Klage sei anzuordnen, weil der angefochtene Bescheid vom 21. September 2009 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 18. August 2010 offensichtlich rechtswidrig sei, wie bereits das SG zu Recht festgestellt habe. Eine genaue Prüfung, in welchem Grad die Abweichung bestehen könnte, sei bei einer summarischen
Prüfung nicht erforderlich, so dass eine teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht komme. Auch sei
seine wirtschaftliche Lage desolat, weil er bis auf die gekürzte Unfallrente keine Einkünfte beziehe. Die Antragsgegnerin
zahle lediglich den unstreitigen Betrag von 309,00 Euro aus, so dass er seine für mögliche Rückzahlungsansprüche gebildeten
Rücklagen habe aufbrauchen müssen. Er sei allein aus gesundheitlichen Gründen auf die Philippinen ausgewandert. Zu jenem Zeitpunkt
habe er nicht vorhersehen können, dass er wegen eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes auf die sozialen Sicherungssysteme würde
zurückgreifen müssen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten sowie der
Akten des SG Berlin S 25 U 642/10, S 25 U 642/10 ER verwiesen, die dem Senat bei der Beschlussfassung vorgelegen haben.
II. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gemäß §
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig und hinsichtlich des aus dem Tenor der Entscheidung ersichtlichen Umfangs begründet.
Gemäß §
86 a Abs.
2 Nr.
3 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die
eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen. Die aufschiebende Wirkung kann allerdings nach §
86 b Abs.
1 Nr.
2 SGG durch das Gericht der Hauptsache auf Antrag ganz oder teilweise angeordnet werden. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage
sowie das Einzel- und das öffentliche Interesse gegeneinander abzuwägen; je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache,
umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellen. Sofern der Verwaltungsakt bereits
nach summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist, besteht ein öffentliches Interesse an seiner Vollziehung nicht
und das Aufschubinteresse hat Vorrang. In den anderen Fällen verbleibt es bei der gesetzlichen Anordnung des Entfallens der
aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage. Dem Gesetz ist ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Lasten des Suspensiveffekts zu
entnehmen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung als Regelfall angeordnet hat. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
muss daher eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl. 2008, §
86 b, Rdnr. 12 e ff, m. w. N.).
Als Rechtsgrundlage für die Änderung kommt im Streitfall - auch wenn weder von der Antragsgegnerin noch vom SG ausdrücklich benannt - allein § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Als wesentliche Änderung in diesem Sinne ist vorliegend eine Besserung der Auswirkungen des beim Kläger anerkannten Arbeitsunfalls
vom 11. November 1995 und damit eine Verminderung der durch die Arbeitsunfallfolgen bedingten MdE (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Siebtes
Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]) anzusehen.
Unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben bestehen indes ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 21. September
2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2010 insofern, als die Antragsgegnerin nunmehr von einer MdE
von unter 50 v. H., d.h. von nur noch 30 v. H. ausgeht. Der Senat hält im einstweiligen Rechtschutzverfahren unter Würdigung
der präsenten Gutachten und ärztlichen Äußerungen zur Abgeltung der noch bestehenden Gesundheitsstörungen aus dem Arbeitsunfall
vom 11. November 1995 demgegenüber eine MdE von 50 v. H. für ausreichend, aber auch angemessen. Diese Schätzung berücksichtigt
den Umstand, dass die Unfallfolgen mehrere Körperteile und Organe betreffen, andererseits für das Gesamtbild aller Funktionseinschränkungen
ein einziger MdE-Wert, der in aller Regel wegen sich überlagernder oder überschneidender Funktionseinschränkungen niedriger
ist als die Summe der Einzel-MdE-Grade, zu bilden ist.
Zur Begründung seiner MdE-Einschätzung nimmt der Senat zunächst auf den angefochtenen Beschluss des SG, insbesondere auf die dort dargestellten Ausführungen zum Inhalt der von der Antragsgegnerin eingeholten ärztlichen Gutachten
und ergänzenden Stellungnahmen auf unfallchirugischem (Dr. K vom 14. Mai 2009 und 09. Juni 2009), neurologischem (Dr. S vom
12. Mai 2009, 18. Mai 2009 und 30. Juni 2009) und urologischem Fachgebiet (Dr. P vom 07. Mai 2009 sowie Dr. B nach Aktenlage
vom 09. Juli 2010) Bezug (§
142 Abs.
2 Satz 3
SGG). Der Senat schließt sich bei summarischer Prüfung auch der vom SG vorgenommenen Würdigung der Gutachten an, als auf unfallchirugischem Fachgebiet (Dr. K vom 14. Mai 2009) von einer MdE von
30 v. H. auszugehen ist, die auch die Antragsgegnerin nicht bestreitet. Auf urologischem Fachgebiet folgt der Senat im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren - ebenfalls in Übereinstimmung mit dem SG - der MdE-Einschätzung durch Dr. P in seinem Gutachten vom 07. Mai 2009. Der Sachverständige hat den Antragsteller eingehend
untersucht, eine nach wie vor bestehende Blasenentleerungsstörung festgestellt und seine MdE-Einschätzung nachvollziehbar
begründet. Soweit die Beklagte des Weiteren eine Stellungnahme nach Aktenlage von dem Praxisnachfolger von Dr. P, Dr. B, vom
09. Juli 2010 eingeholt hat, der zu einer MdE auf urologischem Fachgebiet in Höhe von 10 v. H. kommt, vermögen dessen recht
kurz gehaltenen Ausführungen nicht die Einschätzung durch Dr. P zu erschüttern, zumal Dr. B selbst davon ausgeht, dass zur
Verifikation der neurogenen Blasenentleerungsstörung zusätzliche neuro-urologische Untersuchungen durchzuführen seien. Soweit
der Gutachter Dr. S auf neurologischem Fachgebiet (Gutachten vom 12. Mai 2009 nebst Seite 1 einer ärztlichen Stellungnahme
vom 30. Juni 2009) von einer MdE von 0 v. H. ausgeht, betrifft diese Einschätzung zunächst lediglich die Bewertung von Gesundheitsschäden
auf neurologischem Gebiet, die zudem - wegen verweigerter Mitwirkung - nicht durch elektrophysiologische Untersuchungen verifiziert
wurden. Jedoch hat Dr. S beim Kläger einen nahezu regelrechten neurologischen Befund erhoben und den Kläger als "tadellos
trainierten" Mann mit "Verarbeitungsspuren an beiden Händen" beschrieben, was auf Benutzung der Gliedmaßen und der Muskulatur
hindeutet. Da diesen Feststellungen diejenigen im Rentengutachten von Prof. Dr. H vom 08. Juli 1997 und der detaillierten
Schilderung des Antragstellers hinsichtlich seiner weiterhin bestehenden Ausfälle und Beschwerden nahezu diametral entgegenstehen,
vermochte der Senat sich im einstweiligen Verfahren kein abschließendes Bild über den Gesundheitszustand des Antragstellers
vor allem in neurologischer Hinsicht, aber auch hinsichtlich der insgesamt noch aus dem Arbeitsunfall vom 11. November 1995
resultierenden Gesundheitsstörungen zu verschaffen.
Gleichwohl lassen jedoch die aktuellen Gutachten und medizinischen Befunde auf eine deutliche Besserung des Gesundheitszustandes
des Antragstellers sowie der aus den Unfallfolgen resultierenden Funktionseinschränkungen schließen, so dass der Klage eine
Erfolgsaussicht allenfalls betreffend die Herabsetzung der MdE auf unter 50 v. H. beizumessen ist. Hinsichtlich der Differenz
zwischen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren als begründet erachteten MdE von 50 v. H. und der in dem angefochtenen
Bescheid vom 21. September 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2010 festgestellten MdE von 30 v.
H. überwiegt das Aufschubinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an einer Nichtauszahlung der Verletztenrente.
Zwar sieht auch der Senat, dass es für die Antragsgegnerin schwierig werden dürfte, im Fall eines negativen Ausgangs des Klageverfahrens
die dann zu viel ausgezahlte Rente vom Antragsteller zurück zu erhalten. Zudem war es eine freie Entscheidung des Antragstellers,
auf die Philippinen auszuwandern und sich dadurch aus dem Bereich der deutschen sozialen Grundsicherung zu begeben. Jedoch
unterschlägt der Antragsteller bei Darstellung seiner wirtschaftlichen Situation, dass er neben der Verletztenrente auch Rente
wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 452,29 Euro monatlich bezieht. Offen bleiben kann hier, ob das Argument der Antragsgegnerin,
die Unfallrente diene nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes, sondern dem Ausgleich des durch den Arbeitsunfall bedingten
abstrakten Schadens, in dieser Eindeutigkeit noch zutrifft. Schließlich wird die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II behandelt, sie wird also auf die Leistungen nach dem SGB II, aber auch nach
dem SGB XII, angerechnet (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 29. März 2007, B 7b AS 2/06 R). Zu berücksichtigen ist hier, dass die Antragsgegnerin für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer Herabsetzung
der MdE beweispflichtig ist und daher die derzeit insoweit noch bestehenden Unklarheiten zu ihren Lasten gehen.
Der Senat teilt schließlich nicht die von der Antragsgegnerin und auch vom SG vertretene Rechtsauffassung, dass eine teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung im summarischen Verfahren wegen "Unteilbarkeit"
der MdE-Feststellung nicht in Betracht komme. Dem von der Antragsgegnerin zur Begründung dieser Auffassung in Bezug genommenen
Beschluss des Hessischen LSG vom 27. März 2009 (L 3 U 271/08 B ER) lag ein Verfahren auf einstweilige Anordnung zugrunde, in dem es der dortigen Antragstellerin darum ging, überhaupt
eine Rente zu erlangen, d. h. streitig war das Vorliegen von andauernden Unfallfolgen und der daraus resultierenden MdE. Die
Beweislast für die noch ungeklärten tatbestandlichen Voraussetzungen der begehrten Entschädigungsleistung lag dort zudem bei
der Antragstellerin. Über den Fall hinausgreifende Ausführungen hinsichtlich eines grundsätzlichen Verbotes der Schätzung
einer MdE im einstweiligen Verfahren lassen sich weder diesem Beschluss noch der diesen bestätigenden Entscheidung des BSG
(Beschluss vom 14. Juli 2009, B 2 U 2/09 S) entnehmen. Vielmehr führt das BSG gerade aus, dass es grundsätzlich möglich sei, nur vorläufig und zeitlich begrenzt zur
Zahlung einer begehrten Rentenleistung (unter MdE-Schätzung) zu verpflichten, wobei das BSG im konkreten Fall eine derartige
Verpflichtung nach Durchführung einer Folgenabwägung, auch wegen Fehlen eines Anordnungsgrundes, verneint hat.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin war daher der Beschluss des SG insoweit abzuändern, als die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers nur hinsichtlich der im Bescheid
vom 21. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2010 vorgenommenen Herabsetzung der Verletztenrente
unter Zugrundelegung einer MdE von unter 50 v. H. anzuordnen war. Hinsichtlich der Herabsetzung der MdE von 100 v. H. auf
50 v. H. und der entsprechenden Kürzung der Verletztenrente bleibt der Bescheid vom 21. September 2009 vollziehbar, insoweit
hatte die Beschwerde der Antragsgegnerin Erfolg.
Die auf §
193 SGG in analoger Anwendung beruhende Kostenentscheidung gründet auf billigem Ermessen. Hierbei wird der Vorgehensweise der Antragsgegnerin,
die mit ihrer späten Nachprüfung der MdE (erst nach Wegzug des Antragstellers ins Ausland) zu den Unsicherheiten bzw. Schwierigkeiten
bei der Sachverhaltsaufklärung beigetragen hat, Rechnung getragen.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, §
177 SGG.