Einbeziehung von neuen Bescheiden aus einem Anfrageverfahren mit erstmaliger Feststellung der Versicherungspflicht in ein
sozialgerichtliches Verfahren; Verwirkung des Rechts zur Antragstellung auf Durchführung eines Anfrage- und Statusfeststellungsverfahrens
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines sog. Statusfeststellungsbescheides nach §
7a des Sozialgesetzbuchs/Viertes Buch (
SGB IV).
Der Kläger war zugelassener Rechtsanwalt und spätestens seit Anfang 2002 Alleininhaber der Anwaltskanzlei Dr. B S & Coll.
Er schloss mit dem Beigeladenen, einem Juristen mit 1. Staatsexamen, unter dem 21. Februar 1997 einen "Vertrag über freie
Mitarbeit". Nach diesem sollte der Beigeladene ab dem 1. März 1997, spätestens ab dem 1. April 1997, für den Kläger als juristischer
Mitarbeiter tätig werden. Es war eine Ganztagsstelle (6-Tage-Woche) mit mind. 50 Arbeitsstunden vereinbart, die Vergütung
mit 3.000,- DM pro Monat (= 13,64 DM pro Arbeitsstunde) während der Probezeit angegeben. Der anfängliche Sollumsatz des Beigeladenen
war mit einem Honorar von 25.000,- DM pro Monat festgelegt. Nach Ablauf der Probezeit sollte die Vergütung neu vereinbart
werden im Sinne einer bis zu 25%igen Umsatzbeteiligung aus der Honorarvereinbarung durch eigene Mandate, jedoch begrenzt auf
ein Jahresgesamteinkommen von anfänglich 100.000,- DM. Außerdem sollte ein neuer Zielumsatz vereinbart und jährlich angepasst
werden. Der Urlaubsanspruch betrage 20 Tage bei einer 6-Tage-Woche. Der Kläger sei berechtigt, dem Beigeladenen eine andere
Tätigkeit, auch an einem anderen Einsatzort, zuzuweisen, soweit dies betrieblich als zweckmäßig erachtet werde. Der Beigeladene
habe seine ganze Arbeitskraft - unter Ausschluss jeder nebenberuflichen Tätigkeit - der Kanzlei zu widmen, die Brutto-Arbeitszeit
(9.00 Uhr bis 19.30 Uhr) pünktlich einzuhalten und an der Verbesserung der Arbeitsverfahren mitzuarbeiten. Im Krankheitsfall
müsse der Kläger von der Arbeitsunfähigkeit früh am ersten Tag der Krankheit unterrichtet werden. Bei jeder Erkrankung habe
der Beigeladene ohne besondere Aufforderung eine Bescheinigung des Arztes über die Arbeitsunfähigkeit vorzulegen bzw. zu übersenden.
Der Kanzleisitz sei derzeit "Rechtsanwälte B, Dr. S, E, Kdamm in B".
Auf Grundlage dieses Vertrages nahm der Beigeladene am 1. April 1997 die Tätigkeit in der Kanzlei auf, die er bis zum 30.
September 2000 ausübte. Unter dem 22. November 2001 beantragte er die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status.
Er gab an, seine Tätigkeit habe in der Anfertigung von Schriftsätzen, Gutachten und Stellungnahmen, Führen von Mandantengesprächen,
Wahrnehmung von Terminen vor den Amtsgerichten und Ortsterminen auf Baustellen (Schlussabnahmen) sowie Mandantenwerbung für
die Anwaltskanzlei des Klägers bestanden. Er trug vor, seit dem 1. Januar 1999 sei die Vergütung eingestellt worden; deshalb
habe er zum Teil Mandantengelder "umgeleitet". Zu der Vereinbarung einer Umsatzbeteiligung sei es nie gekommen.
Die Beklagte hörte den Beigeladenen und den Kläger zu der beabsichtigten Entscheidung an. Der Kläger führte daraufhin aus,
ab Januar 1999 sei wegen der schlechten Ertragslage der Kanzlei eine Stundung vereinbart worden, der Beigeladene habe erklärt,
noch weitere Auftraggeber zu haben. Es seien im Jahre 1999 und im Jahre 2000 noch Akontozahlungen über 10.951,11 DM und 14.432,59
DM erfolgt, ohne dass eine Honorarrechnung erstellt worden sei. Gegenüber dem Finanzamt habe der Beigeladene jeweils angegeben,
er sei freier Mitarbeiter. Mit abstraktem Schuldanerkenntnis vom 29. September 2000 habe er schließlich erklärt, er schulde
der Kanzlei noch 100.000,- DM.
Mit Bescheid vom 30. September 2002, der an den Beigeladenen und die "Anwalts-Kanzlei Dr. S & Coll." gerichtet war, stellte
die Beklagte fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen als juristischer Mitarbeiter im Rahmen eines abhängigen und damit dem
Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei.
Hiergegen richtete sich der vom Kläger eingelegte Widerspruch, mit dem er geltend machte, es habe sich um eine selbständige
Tätigkeit gehandelt. Der Beigeladene habe dem Finanzamt und der Krankenkasse eine selbständige Tätigkeit angezeigt und sich
selbst als freiberuflich bezeichnet. Die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen habe er nie verlangt und stattdessen Umsatzsteuer
in Rechnung gestellt. Ende 1998 sei vereinbart worden, dass das Honorar 4.000,- DM zuzüglich Telefonkostenpauschale betrage,
jedoch habe der Beigeladene ab 1999 auf die Honorarzahlungen verzichtet, auch dies spreche für eine selbständige Tätigkeit.
Die in den Jahren 1999 und 2000 erfolgten Zahlungen seien allein darlehenshalber erfolgt und sollten mit etwaigen Honoraransprüchen
verrechnet werden. Sein Arbeitsfeld sei das eines Rechtsanwaltes gewesen; er habe die Mandate vollkommen selbständig bearbeitet.
Allein weil der Beigeladene keine Zulassung als Rechtsanwalt gehabt habe, habe er, der Kläger, als Kanzleiinhaber die vorgefertigten
Schriftsätze und Schreiben unterschrieben. Der geschlossene Vertrag entspreche inhaltlich den Verträgen, die die Kanzlei mit
selbständigen Rechtsanwälten geschlossen habe. Der Beigeladene habe auch eine Vielzahl anderer Auftraggeber innerhalb und
außerhalb der Kanzlei gehabt, von denen er Honorare erhalten habe. Die vereinbarten Anwesenheitszeiten seien nicht eingehalten
worden; vielmehr sei er häufig kanzleiabwesend gewesen und sei eigennützigen Tätigkeiten nachgegangen. Darüber hinaus läge
eine Verwirkung vor, da es treuwidrig sei, wenn der Beigeladene, der sich stets als selbständig bezeichnet habe, nunmehr Arbeitnehmerrechte
geltend mache.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch mit an die Anwaltskanzlei Dr. B S & Coll. gerichtetem Widerspruchsbescheid
vom 30. Juni 2004 als unbegründet zurück, da bei einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände eine abhängige Beschäftigung
vorgelegen habe. Der Beigeladene sei dem Direktionsrecht des Klägers unterstellt gewesen. Nach dem geschlossenen Vertrag sei
eine Verfügbarkeit während der gesamten betrieblichen Arbeitszeit erwartet worden. Ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der
Wahl des Arbeitsortes oder der Arbeitszeit habe nicht bestanden; er sei daher in die Arbeitsorganisation eingebunden gewesen.
Dass der Beigeladene die Tätigkeit eigenverantwortlich ausgeübt habe, stehe dieser Beurteilung nicht entgegen, da auch Beschäftigte
im Rahmen eines Dienstverhältnisses ein hohes Maß an Eigenverantwortung tragen könnten. Er sei gerade nicht als Rechtsanwalt
zugelassen gewesen, so dass er nicht mit Rechtsanwälten vergleichbar sei. Er habe auch kein Unternehmerrisiko getragen. Dass
er auf Entgelt verzichtet habe, begründe kein unternehmerisches Risiko, da auch abhängig Beschäftigte zu Gunsten des Arbeitgebers
auf bestehende Gehaltsforderungen verzichteten, um diesen in einer finanziell angespannten Situation zu entlasten und somit
den eigenen Arbeitsplatz für die Zukunft zu sichern. Dass die Beteiligten von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen seien,
sei für die Beurteilung nicht von Bedeutung.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin nach Vernehmung der Zeugen Dr. B, B, S und S, die allesamt in der
Kanzlei des Klägers tätig waren, sowie des Zeugen E, des vormaligen Kanzleiinhabers, mit Urteil vom 9. März 2006 abgewiesen.
Es habe ein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen, da der Beigeladene in die Organisation der Kanzlei eingebunden gewesen sei,
dem Weisungsrecht des Klägers unterlegen und kein unternehmerisches Risiko getragen habe. Nach den Aussagen der Zeugen habe
der Beigeladene seine Tätigkeit regelmäßig in den Kanzleiräumen ausgeübt und nachweislich Weisungen des Klägers erhalten.
Dieser Wertung stehe nicht entgegen, dass er ansonsten die Mandanten weitgehend selbständig betreut habe und gewisse Freiheiten
bei der Arbeitszeitgestaltung gehabt und daher nicht durchgehend in der Kanzlei anwesend gewesen sei. Es hätten demgegenüber
keine Umstände vorgelegen, die üblicherweise für eine selbständige Tätigkeit sprächen. Es sei eine Bezahlung wie bei einem
Arbeitnehmer vorgenommen worden. Etwas anderes gelte auch nicht für den für die Zeit ab 1999 geltend gemachten Entgeltverzicht.
Das bloße Inkaufnehmen des Nachteils, für geleistete Arbeit kein Entgelt zu erhalten, sei kein Indiz für eine selbständige
Tätigkeit. An der Beurteilung ändere sich nichts wegen des vorgetragenen Umstandes, dass der Beigeladene Mandate auf eigene
Rechnung abgewickelt habe. Denn es bleibe dabei, dass er im Rahmen der Organisation der Kanzlei und unter dem bestehenden
Weisungsrecht gearbeitet habe. Auch dass er für andere Auftraggeber tätig geworden sei, sei unbeachtlich. Denn jede Tätigkeit
sei grundsätzlich für sich zu betrachten. Gesichtspunkte, die für eine Verwirkung sprächen, lägen nicht vor.
Gegen das ihm am 18. Mai 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, den 19. Juni 2006 Berufung eingelegt. Die Beklage
hat am 14. Januar 2009 (gemeint: 2010) einen an den Bevollmächtigten des Klägers gerichteten Bescheid erlassen, mit dem sie
den Bescheid vom 30. September 2002 abgeändert und festgestellt hat, dass auf Grund der in der Zeit vom 1. April 1997 bis
zum 30. September 2000 ausgeübten Beschäftigung des Beigeladenen als juristischer Mitarbeiter bei der Anwaltskanzlei Dr. S
& Coll. Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie
nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden habe.
Der Kläger führt aus, die Würdigung des Sozialgerichts sei unzutreffend; es läge keine Beschäftigung vor. Der Beigeladene
sei von ihm nicht wirtschaftlich abhängig und damit nicht sozial schutzwürdig gewesen. Er habe überwiegend eigenwirtschaftliche
Arbeiten betrieben und sei nur gelegentlich fremdnützig für die Kanzlei tätig geworden. Diese habe ihm nur als Plattform gedient,
um eigenen Geschäften nachzugehen. Auch habe er Gelder der Kanzlei veruntreut und im eigenen Namen Rechnung gelegt. Das Sozialgericht
habe seine Würdigung wesentlich auf Zeit, Organisation und Ort der Tätigkeit gestützt. Diese Kriterien seien aber zur Abgrenzung
selbständiger Tätigkeit von abhängiger Beschäftigung bei dem hier ausgeübten Beruf nicht geeignet. Bei einer Gesamtwürdigung
müsse auch berücksichtigt werden, dass der Beigeladene sich über die getroffenen Vereinbarungen hinweggesetzt habe. So habe
er z. B. Urlaub gemacht, wann er wollte. Die Auffassung des Sozialgerichts, dass weitere eigenwirtschaftliche Tätigkeiten
getrennt zu beurteilen seien, sei nur bei gänzlich andersgearteten Tätigkeiten, nicht aber bei artgleichen oder -verwandten,
wie im vorliegenden Fall, zutreffend. Diese seien vielmehr einheitlich zu beurteilen. Der Beigeladene habe auch eine umfassende
unternehmerische Tätigkeit entfaltet, indem er Mandate für eigene Rechnung akquiriert habe. Weiterhin erhebe der Kläger die
Einrede der Verjährung. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2009 (2010) sei nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens
geworden. Er betreffe nicht denselben Streitgegenstand wie der Ausgangsbescheid. Dieser beschränke sich allein auf die isolierte
Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses, während der Bescheid vom 14. Januar 2009 (2010) das Sozialversicherungsverhältnis
regele. Dieser Bescheid beruhe auf anderen Rechtsgrundlagen. Auch sei nicht klar, wer Adressat der Bescheide sein solle, er
selbst, die Anwaltskanzlei Dr. B S & Coll. oder sein Bevollmächtigter. Es fehle an einer wirksamen Bekanntgabe, einer Begründung
und einer Anhörung. Weiterhin sei eine Einbeziehung des Bescheides in das gerichtliche Verfahren nicht möglich, da der Kläger
nicht Antragsteller des Statusfeststellungsverfahrens gewesen sei; er begehre im gerichtlichen Verfahren nur die Aufhebung
der isolierten Elementenfeststellung im Bescheid vom 30. September 2002.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 9. März 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 30. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30. Juni 2004 sowie den Beschied vom 14. Juni 2010 aufzuheben,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat ein als "Mehrausfertigung" bezeichnetes Schreiben zur Gerichtsakte gereicht, das den Kläger als Adressaten
nennt und inhaltlich mit dem oben genannten Bescheid vom 14. Januar 2009 (2010) identisch ist. Darüber hinaus hat sie in der
mündlichen Verhandlung vom 24. März 2010 erklärt, dass die angefochtenen Bescheide und der Bescheid vom 14. Januar 2009 (2010)
gegen den Kläger gerichtet sein sollten. Sie hat die Bescheide dahingehend korrigiert, dass Arbeitgeber des Beigeladenen der
Kläger sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers solle im Hinblick auf die Versicherungspflicht des Beigeladenen weder Adressat
eines Bescheides sein, noch aus diesem als Verfahrensbeteiligter in Anspruch genommen werden.
Sie hält den angefochtenen Bescheid in der Fassung, die er durch den Bescheid vom 14. Januar 2009 (2010) erhalten habe, für
rechtmäßig. Dieser sei Gegenstand des Verfahrens geworden. In der Sache habe das Sozialgericht zutreffend das Vorliegen einer
abhängigen Beschäftigung angenommen.
Der Beigeladene vertritt weiterhin die Auffassung, es habe eine abhängige Beschäftigung vorgelegen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid vom 30.
September 2002 in der Fassung des Bescheides vom 14. Januar 2009 (2010) rechtmäßig ist. Denn der Beigeladene unterlag auf
Grund der für den Kläger ausgeübten Tätigkeit in der Rechtsanwaltskanzlei Dr. B S & Coll. der Versicherungspflicht in der
Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung.
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 30. September 2002 in der Fassung, die er durch den
Bescheid vom 14. Januar 2009 (2010) erhalten hat, der gemäß den §§
153 Abs.1, 96 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des Verfahrens wurde. Denn dieser Bescheid, der die Versicherungspflicht des Beigeladenen auf Grund der für den
Kläger im Zeitraum vom 1. April 1997 bis 30. September 2000 ausgeübten Beschäftigung feststellt, ändert den vorherigen vom
30. September 2002 ab, der das Element "abhängige Beschäftigung" isoliert festgestellt hatte. Mit dem neuen Bescheid vom 14.
Januar 2009 (2010) hat die Beklagte der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 11. März 2009, B 12 R 11/07 R, zitiert nach juris) Rechnung getragen, nach der eine isolierte Feststellung einer abhängigen Beschäftigung - wie im Bescheid
vom 30. September 2002 vorgenommen - nicht zulässig ist. Zwar stellt dies eine Änderung des Regelungsumfangs des letztgenannten
Bescheides dar. Jedoch ist zu beachten, dass die Beklagte mit dem Bescheid vom 30. September 2002 vollumfänglich über den
Antrag des Beigeladenen, seinen "sozialversicherungsrechtlichen Status" zu klären, entscheiden wollte und sich hierzu auf
die Regelung des §
7a SGB IV stützte. Erst mit dem Bescheid vom 14. Januar 2009 (2010) ist der Antrag des Beigeladenen in der vom Gesetz vorgesehenen
Weise beschieden worden: Der Bescheid vom 14. Januar 2009 (2010) ergänzt den Bescheid vom 30. September 2002 in seinem Regelungsbereich,
indem er feststellt, dass auf Grund der abhängigen Beschäftigung Versicherungspflicht vorlag, und ändert ihn in seinem Verfügungssatz
ab. Auch bei einem Verwaltungsakt, der in dieser Weise gemäß §
96 SGG Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens wird, bedarf es entgegen der Auffassung der Klägers keines Vorverfahrens (vgl.
BSGE 18, 93).
II. Der Bescheid der Beklagten vom 30. September 2002 in der Fassung des Bescheides vom 14. Januar 2009 (2010) ist formell
rechtmäßig.
1.) Dem Bescheid vom 14. Januar 2009 (2010) fehlt es insbesondere nicht an der erforderlichen Begründung im Sinne des § 35 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs/Zehntes Buch (SGB X). Er legt dar, dass Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-,
Renten-, und Arbeitslosenversicherung unterliegen und sich aus den vorliegenden Unterlagen keine Tatbestände ergeben, die
die Versicherungsfreiheit begründen oder die Versicherungspflicht in einem Zweig der Sozialversicherung ausschließen. Dem
Begründungserfordernis des § 35 Abs. 1 SGB X ist damit genüge getan; einer weiteren Begründung bedurfte es nicht. Da der Bescheid vom 14. Januar 2009 (2010) den Bescheid
vom 30. September 2002 abändert, ist er auch in der Begründung in Zusammenhang mit diesem zu sehen. Hierin hatte die Beklagte
dargelegt, weshalb sie von dem Vorliegen einer Beschäftigung gegen Entgelt ausging.
2.) Weiterhin war vor Erlass des Bescheides vom 14. Januar 2010 keine erneute Anhörung im Sinne des § 24 SGB X erforderlich, da die Beklagte den Bescheid weder auf einen neuen Sachverhalt gestützt noch zwischenzeitlich neue Ermittlungen
angestellt hat. Vielmehr hat sie aufgrund gleicher Rechtsgrundlage - §
7a SGB IV - ihre vorhergehende Entscheidung korrigiert. Vor diesem Hintergrund wäre eine erneute Anhörung zu den in vollem Umfang bereits
bekannten Tatsachen ein inhaltsleerer Formalismus, den durchzuführen weder das Rechtsstaatsprinzip noch der Grundsatz des
rechtlichen Gehörs gebietet. Die Rechtsverteidigung des Klägers ist nicht eingeschränkt worden. Wesentlich für die Beurteilung
der Versicherungspflicht ist allein, ob eine abhängige Beschäftigung vorlag. Dies ist aber bereits Gegenstand des Bescheides
vom 30. September 2002 und des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens.
3.) Der Bescheid vom 30. September 2002 ist auch dem Kläger gegenüber im Sinne des § 39 Abs. 1 S. 1 SGB X wirksam geworden. Zwar war er nicht an ihn, sondern an die "Anwaltskanzlei Dr. B S & Coll." adressiert. Jedoch wurde der
Kläger bereits im Verwaltungsverfahren, nachdem die Beklagte ihn (persönlich) von dem Antrag in Kenntnis gesetzt hatte, durch
die genannte Anwaltskanzlei vertreten. Dementsprechend konnte die Beklagte den Bescheid gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 SGB X der Anwaltskanzlei bekannt geben. Den Änderungsbescheid vom 14. Januar 2009 (2010) hat sie in der mündlichen Verhandlung
vom 24. März 2010 ausdrücklich an den Kläger gerichtet. Dabei ist es unerheblich, dass das übergebene Schreiben den Aufdruck
"Mehrausfertigung" trägt. Denn sie hat dem Kläger die in dem Bescheid getroffene Regelung willentlich und zielgerichtet mitgeteilt.
Die Bescheide sind in Bezug auf den Adressaten und den in Anspruch genommenen Arbeitgeber auch inhaltlich hinreichend bestimmt
im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X. Denn aus dem Gesamtzusammenhang ergab sich, dass der Kläger - und nicht etwa die Anwaltskanzlei - Betroffener ist und Gegenstand
der Feststellung das zwischen ihm und dem Beigeladenen bestehende Beschäftigungsverhältnis, selbst wenn als Tätigkeit des
Beigeladenen die eines "Mitarbeiters bei der Anwaltskanzlei Dr. S & Coll." bezeichnet wird. Der Kläger selbst hat den Bescheid
auch so verstanden: Zum einen hat die "Anwaltskanzlei Dr. S & Coll." den Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. September
2002 "namens und in Vollmacht des Mandanten, Herrn, Dr. B S" begründet. Darüber hinaus hat ausweislich der Klageschrift der
Kläger - und nicht etwa die Anwaltskanzlei - die Klage erhoben; von ihr wurde er lediglich vertreten. In der mündlichen Verhandlung
hat die Beklagte auch insoweit nochmals klargestellt, dass Adressat der Bescheide weder die Anwaltskanzlei noch der Bevollmächtigte,
sondern ausschließlich der Kläger sein soll und Gegenstand der Feststellung das zwischen ihm und dem Beigeladenen bestehende
Vertragsverhältnis.
III. Der Bescheid vom 30. September 2002 in der Fassung des Bescheides vom 14. Januar 2009 ist auch materiell rechtmäßig,
da der Beigeladene im Zeitraum vom 1. April 1997 bis 30. September 2000 auf Grund des zwischen ihm und dem Kläger bestehenden
Beschäftigungsverhältnisses der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlag.
Die Versicherungspflicht richtet sich in den Zweigen der Sozialversicherung nach §
25 Abs.
1 Satz 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB III) für die Arbeitslosenversicherung, §
5 Abs.
1 Nr.
1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB V) für die Krankenversicherung, §
1 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB VI) für die Rentenversicherung und §
20 Abs.
1 Nr.
1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB XI) für die soziale Pflegeversicherung. Diese Vorschriften setzen für die Versicherungspflicht - in der hier einzig denkbaren
Alternative - jeweils eine abhängige Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne des §
7 des Sozialgesetzbuchs/Viertes Buch (
SGB IV) voraus. Nach Absatz
1 Satz 1 dieser Vorschrift ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
1.) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. BSG, Urteil vom 25. Januar 2006, B 12 KR 30/04 R, zitiert nach juris, Rn. 21, 22) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig
ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert
ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber
ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte,
die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets
das Gesamtbild der Arbeitsleistung, das sich nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt. Tatsächliche Verhältnisse in diesem
Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung
erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des
rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten,
so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt.
Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende
Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine
- formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange
diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig
von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung, so wie sie praktiziert
wird, und die praktizierte Beziehung, so wie sie rechtlich zulässig ist.
2.) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass zwischen dem Beigeladenen und
dem Kläger in dem streitigen Zeitraum ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des §
7 Abs.
1 SGB IV bestand. Ausgangspunkt der Beurteilung ist der zwischen ihnen geschlossene "Vertrag über Freie Mitarbeit" vom 21. Februar
1997, der die typischen Elemente eines Beschäftigungsverhältnisses enthält. Als Ort der zu erbringenden Arbeit wird die Kanzlei
bestimmt; der zeitliche Umfang der Tätigkeit (eine 6-Tage-Woche mit mindestens 50 Arbeitsstunden) sowie die Anwesenheitszeiten
in der Kanzlei (von 9.00 bis 19.30 Uhr) waren festgelegt. Als Gegenleistung war ein festes, nach Arbeitszeit bemessenes Entgelt
vereinbart; zu der in Aussicht gestellten Honorarvereinbarung nach Umsatz ist es nicht gekommen. Weiterhin war ein Urlaubsanspruch
vereinbart und im Falle der Arbeitsunfähigkeit die Pflicht zum Nachweis begründet. Ein Indiz für eine Weisungsabhängigkeit
des Beigeladenen ist die vereinbarte Berechtigung des Klägers, dem Beigeladenen auch an einem anderen Einsatzort eine andere
Tätigkeit zuzuweisen, wenn dies betrieblich als zweckmäßig erachtet werde.
Die zwischen den Beteiligten gelebten Beziehungen weichen zwar von der Vereinbarung ab, lassen jedoch im Rahmen einer Gesamtwürdigung
eine Qualifizierung der Tätigkeit als selbständig nicht zu. Der Beigeladene hat sich in die Kanzleiorganisation eingegliedert;
er hat seine Tätigkeit tatsächlich regelmäßig in den Räumen der Kanzlei des Klägers ausgeübt, auch wenn der Umfang der An-
und Abwesenheitszeiten streitig ist. Dass er regelmäßig anwesend war, haben auch die vom Sozialgericht vernommenen Zeugen
Dr. B, B und S bestätigt. Er hat die Kanzleiorganisation des Klägers genutzt, dagegen keine eigenen Räumlichkeiten vorgehalten,
in denen er erwerbstätig war. An den Kosten der Kanzlei hat er sich nicht beteiligt. Auch wenn die Vereinbarung nicht umgesetzt
wurde, so haben die Beteiligten Ende 1998 bei der Festlegung des Entgelts sogar vereinbart, dass dem Beigeladenen Kosten für
Telekommunikation erstattet werden. Weiterhin ist er auch nach außen für die Kanzlei in Erscheinung getreten; er hat Visitenkarten
mit den Kontaktdaten der Kanzlei verwendet. Es liegt demnach eine umfassende Einordnung in den Betrieb des Klägers vor. Soweit
dieser geltend macht, die Einordnung in die Kanzlei sei kein sachgerechtes Kriterium, da auch bei selbständiger Ausübung der
Tätigkeit eine solche erforderlich sei, kann der Senat dem nicht folgen. Der Beigeladene war nicht als Rechtsanwalt, sondern
als juristischer Mitarbeiter tätig. Eine umfassende und selbstständige sowie eigenverantwortliche Betreuung von Mandanten
war dem Beigeladenen, der nur über ein erstes juristisches Staatsexamen verfügte, auf Grund des § 1 Abs. 1 S. 1 des bis zum 30. Juni 2008 geltenden Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) rechtlich gar nicht möglich. Da aber - wie oben ausgeführt - es bei der Beurteilung allein auf die tatsächlichen Verhältnisse,
soweit sie rechtlich zulässig sind, ankommt, ist es unerheblich, ob auch ein selbständig tätiger Rechtsanwalt sich in die
Kanzlei hätte eingliedern müssen.
Darüber hinaus bestand auch ein Weisungsrecht des Klägers. Er selbst hat mehrfach dargelegt, dass er im Einzelfall Weisungen
erteilt hat. Auch der Zeuge B hat bekundet, dass es Weisungen des Klägers an den Beigeladenen gab. Auf den Umfang der tatsächlich
erteilten Weisungen kommt es dagegen nicht an, vielmehr allein darauf, dass der Kläger die Rechtsmacht zur Weisungserteilung
hatte und - wenn auch nur im Einzelfall - diese genutzt hat. Bei Diensten höherer Art ist es darüber hinaus anerkannt, dass
an die Stelle des Weisungsrechts eine funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess tritt; solange jemand in einen
fremden, d. h. den Interessen eines anderen dienenden und von dessen Willen beherrschten Betrieb eingegliedert ist und damit
der objektiven Ordnung dieses Betriebes unterliegt, ist er abhängig beschäftigt (vgl. in Bezug auf einen Anwaltsassessor:
BSGE 21, 57, 58). Daher kommt es weder darauf an, dass der Beigeladene die ihm übertragenen Mandate eigenverantwortlich bearbeitete und
neue Mandanten akquirierte, noch dass er die vereinbarten Arbeitszeiten nicht eingehalten hat und insbesondere in den Mittagsstunden
länger abwesend war. Abgesehen davon, dass der Kläger von dem bestehenden Weisungsrecht Gebrauch gemacht und Vertragsverletzungen
des Beigeladenen nicht widerspruchslos geduldet hat, sind die vertraglichen Regelungen über die Eingliederung des Beigeladenen
in die Kanzleiorganisation nicht abbedungen worden. Vielmehr hat der Beigeladene tatsächlich die Kanzleiorganisation für die
ihm aufgetragenen Arbeiten genutzt.
Für eine abhängige Beschäftigung spricht auch, dass der Beigeladene bis Ende 1998 ein festes Entgelt erhalten hat; eine für
eine selbständige Tätigkeit sprechende Honorarvereinbarung war zwar beabsichtigt, letztendlich aber nie geschlossen und umgesetzt
worden.
Ein eigenes unternehmerisches Risiko ist der Beigeladene nicht eingegangen; er selbst hat kein Kapital eingesetzt, verfügte
über keine Betriebsstätte und hat sich nicht an den Kosten der Kanzlei beteiligt. Ein solches unternehmerisches Risiko ergibt
sich auch nicht aus dem Umstand, dass er für Zeiten ab 1999 auf Entgelte verzichtet haben könnte. Unabhängig davon, weshalb
ab Februar 1999 keine regelmäßigen Entgeltzahlungen mehr erfolgten, stellt ein Verzicht auf das vertraglich vereinbarte Entgelt
keine Übernahme eines unternehmerischen Risikos dar. Denn auch ein Arbeitnehmer trägt regelmäßig das Risiko, dass er für tatsächlich
geleistete Arbeit die vereinbarte Gegenleistung nicht erhält, so z.B. bei Zahlungsschwierigkeiten des Arbeitgebers.
Dass der Beigeladene neben seiner fremdnützigen, der Kanzlei dienlichen Tätigkeit auch eigenwirtschaftlich gehandelt hat,
führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn seine eigenwirtschaftliche Tätigkeit war gerade nicht mehr von dem Vertragsverhältnis
zu dem Kläger umfasst. Vielmehr hatte er - wie auch der Kläger vorträgt - seine ihm eingeräumten Befugnisse und seine Stellung
missbraucht, um Geschäfte im eigenen Namen zu betreiben. Insoweit handelte er nicht mehr im Rahmen des zwischen ihm und dem
Kläger abgeschlossenen Vertrages. Bei der Beurteilung, ob eine Beschäftigung vorliegt, sind jedoch nur die Umstände einzubeziehen,
die sich im Rahmen des zu beurteilenden Vertragsverhältnisses bewegen, nicht aber die, die von ihm gar nicht mehr umfasst
sind. Wenn z.B. ein abhängig beschäftigter Handwerker neben seiner Beschäftigung vertragswidrig "schwarz" arbeitet und unter
Ausnutzung seiner Stellung bei seinem Arbeitgeber dessen Arbeitsmittel nutzt, wird dennoch aus dem Beschäftigungsverhältnis
keine selbständige Tätigkeit, nur weil er nebenbei eigenwirtschaftlich tätig wird. Auch ist es sehr wohl möglich, dass neben
einer abhängigen Beschäftigung eine (inhaltsähnliche) selbständige Tätigkeit ausgeübt wird. Für jede Arbeitsleistung ist gesondert
zu prüfen, ob sie eine Beschäftigung darstellt und Versicherungspflicht begründet. Deshalb ist es nicht von Bedeutung, dass
der Kläger nach seinen Angaben die eigenwirtschaftlichen Geschäfte des Beigeladenen kannte und duldete. Denn sie wurden jedenfalls
nicht in Ausübung, sondern allein neben der Tätigkeit für den Kläger betrieben. Auf den Umfang der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit
und die Höhe der hieraus erzielten Einnahmen kommt es daher nicht an, solange der Beigeladene - wie hier - vertragsgemäß Arbeiten
für die Kanzlei des Klägers erbracht hat.
Erst recht kann es kein Argument für eine selbständige Tätigkeit sein, wenn der Beigeladene unbefugt Mandate der Kanzlei im
eigenen Namen abrechnete oder zwar im fremden Namen abrechnete, aber die Gelder auf sein Konto überweisen ließ. Denn durch
derartige, die Befugnisse im Innenverhältnis überschreitende (ggf. strafbare) Handlungen wird der Charakter des bestehenden
Vertragsverhältnisses nicht geändert. Auch hier kommt es nicht darauf an, in welchem Umfang der Beigeladene tatsächlich in
der geschilderten Weise zum Nachteil des Klägers gehandelt hat.
Auch die weiteren Argumente des Klägers gegen das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses greifen nicht durch. Es ist
unerheblich, dass die Beteiligten die Tätigkeit als "freie Mitarbeit" bezeichnet haben und der Beigeladene sich gegenüber
anderen Behörden auf Selbstständigkeit berufen. Denn entscheidend sind allein die objektiven Umstände der gelebten Vertragsbeziehungen,
nicht aber wie die Beteiligten diese gewürdigt und bewertet haben. Der Eintritt der Versicherungspflicht steht nicht zur Disposition
der Beteiligten, so dass sie es nicht in der Hand haben, durch eine eigene Bewertung über das Vorliegen einer Beschäftigung
zu entscheiden. Die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers oder deren Fehlen im Einzelfall ist nach dem Gesetz ebenfalls kein
Kriterium für die Beurteilung, ob eine Beschäftigung und damit Sozialversicherungspflicht vorliegt. Denn mit den Tatbeständen
der §§
25 Abs.
1 S. 1
SGB III, 5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V, 1 Nr. 1
SGB VI und 20 Abs. 1 Nr. 1
SGB XI typisiert der Gesetzgeber unwiderlegbar ein soziales Schutzbedürfnis, unabhängig davon, ob dies im Einzelfall tatsächlich
gegeben ist.
3.) Die Versicherungspflicht nach den §§
25 Abs.
1 S. 1
SGB III, 5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V, 1 Nr. 1
SGB VI und 20 Abs. 1 Nr. 1
SGB XI tritt nur ein, solange die Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt wird. Soweit seit Anfang 1999 die Entgeltzahlungen nicht
mehr wie vertraglich vereinbart erfolgten, lässt dies die Entgeltlichkeit des Beschäftigunsverhältnisses nicht entfallen.
Denn grundsätzlich ist nicht das Zufluss-, sondern das Entstehungsprinzip maßgeblich (BSGE75, 61, 65f), d. h. es kommt nicht
darauf an, ob die Entgelte tatsächlich geleistet wurden, sondern ob ein Entgeltanspruch entstanden ist. Ist er entstanden
und liegt deshalb ein die Versicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis vor, so können die Vertragsparteien das
Versicherungsverhältnis in seiner öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung durch späteres Verhalten für die Vergangenheit nicht
mehr beeinflussen (BSGE 78, 224). Ein Verzicht auf das vertraglich vereinbarte Entgelt wäre daher nur dann sozialversicherungsrechtlich beachtlich, wenn
er für die Zukunft geschlossen worden wäre. Ein solcher für die Zukunft wirkender Verzicht ist aber nicht erwiesen. Der Beigeladene
hat - zuletzt noch in der mündlichen Verhandlung - angegeben, dass Anfang 1999 lediglich eine Stundung der Entgeltzahlungen
vereinbart gewesen sei. Eine Stundung lässt aber das Bestehen des Entgeltanspruchs unberührt, schiebt allein die Fälligkeit
hinaus. Daher ist durch eine Stundung die Entgeltlichkeit der Beschäftigung nicht entfallen. Der Kläger hat in der mündlichen
Verhandlung vom 24. März 2010 zwar erklärt, es sei vereinbart worden, dass im Jahre 1999 keine Entgelte gezahlt werden sollten.
Dabei ist aber offen geblieben, ob es sich um einen Verzicht auf die Entgelte handelte, oder aber um eine Stundung, insbesondere
weil er schriftsätzlich immer vorgetragen hatte, dass die Entgelte gestundet worden seien (zuletzt im Schriftsatz vom 16.
März 2010). Da somit ein vertraglich vereinbarter Verzicht auf das Entgelt nicht widerspruchsfrei und schlüssig dargelegt
ist, bestehen keine durchgreifenden Zweifel an dem Bestehen eines sozialversicherungsrechtlichen Entgeltanspruches. Ein rückwirkender,
ggf. erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vereinbarter Verzicht führt dagegen nicht zum Wegfall der Entgeltlichkeit
sowie der Versicherungs- und Beitragspflicht.
4.) Letztlich ist weder das Recht des Beigeladenen, einen Antrag auf Statusfeststellung zu stellen, noch das Recht der Beklagten,
die Versicherungspflicht festzustellen, verwirkt.
Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist zwar als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§
242 BGB) auch im öffentlichen Recht allgemein anerkannt (BVerfG, DÖV 1972, 312; BSGE 7, 199, 200; 34, 211; 35, 91, 94; 41, 275, 278). Danach stellt es eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn ein Recht in Widerspruch
zu eigenem früheren Verhalten geltend gemacht wird, der Berechtigte während einer längeren Zeitspanne dem Verpflichteten gegenüber
untätig gewesen ist und besondere Umstände hinzugetreten sind, aufgrund deren sein Verhalten als Verstoß gegen Treu und Glauben
empfunden wird (BSGE 34, 211; 35, 91, 94). Der Kläger macht geltend, er habe darauf vertrauen dürfen, der Beigeladene werde keine Rechte aus einem Status als
Beschäftigter für sich beanspruchen, da er sich selbst während der Ausübung der Tätigkeit als selbständig betrachtet habe.
Es kann dahingestellt bleiben, ob aus dem Verhalten des Beigeladenen eine Verwirkung einzelner Rechte aus dem Arbeitsverhältnis
hergeleitet werden könnte. Jedenfalls kann ein treuwidriges Verhalten des Beigeladenen nicht dazu führen, dass eine Feststellung
der Versicherungspflicht durch die Beklagte nicht mehr möglich wäre. Die Sozialversicherungspflicht tritt kraft Gesetzes ein
und berührt nicht nur die Rechte und Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch die Belange der beteiligten
Sozialversicherungsträger in ihrem öffentlich-rechtlichen Wirkungskreis. So resultiert aus der Versicherungspflicht regelmäßig
ein Beitragsanspruch der Sozialversicherungsträger. Wenn allein die Treuwidrigkeit einer Partei des Beschäftigungsverhältnisses
eine Verwirkung der Rechte der Sozialversicherungsträger herbeiführen könnte, so ginge dies zu Lasten Dritter. Das Recht zur
Feststellung von Versicherungspflicht und Erhebung von Beiträgen kann daher nur dann entfallen, wenn ein Sozialversicherungsträger
ein Verhalten gezeigt hat, auf Grund dessen der Betreffende darauf vertrauen durfte, zu seinem Nachteil werde die Versicherungspflicht
nicht mehr festgestellt und Beiträge nicht mehr erhoben. Dies gilt aber nicht nur für die Feststellung der Versicherungspflicht
sowie die Erhebung von Beiträgen durch die Einzugsstelle nach §
28h Abs.
2 SGB IV und im Rahmen der Betriebsprüfung nach §
28 p
SGB IV, sondern auch für das allein auf Antrag eines Beteiligten durchzuführende Anfrageverfahren nach §
7 a SGB IV. Dieses steht gleichwertig neben den beiden anderen Verfahren zur Feststellung der Versicherungspflicht. Gegen die Möglichkeit
einer Verwirkung des Antragsrechts (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht,
SGB IV, §
7 a Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. März 2009, L 11 R 3849/05, zitiert nach juris, Rn. 26), spricht insbesondere, dass die zuständige Einzugstelle - ggf. nach Hinweis eines Beteiligten
- von Amts wegen das Vorliegen von Versicherungspflicht zu prüfen und festzustellen hätte. Da aber das Anfrageverfahren auch
nach Beendigung der Beschäftigung durchgeführt werden kann (BSG, Urteil vom 4. Juni 2009, B 12 KR 31/07, zitiert nach juris),
muss ein Antrag auf Durchführung des Anfrageverfahrens nach §
7 a SGB IV zulässig sein, solange die Versicherungspflicht von einem Versicherungsträger zulässigerweise festgestellt werden kann.