Vergütungsanspruch eines Apothekers gegen die gesetzliche Krankenkasse; Notwendigkeit der Beachtung der bundesmantelvertraglich
vereinbarten Erläuterungen zur Vordruckvereinbarung; Kontrolle aller enthaltenen Arztnummern
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Vergütungsansprüche des Klägers.
Der Kläger betreibt seit 1993 die "G Apotheke" in der Kstraße im Berliner Stadtteil S. Er nimmt aufgrund seiner Teilnahmeerklärung
nach § 2 Abs. 3 des zwischen den Primärkassen und dem "Berliner Apotheker-Verein Apotheker-Verband Berlin (BAV) e.V." geschlossenen Arzneimittelversorgungsvertrags Berlin (AVB)sowie aufgrund seines Beitritt zu dem nach §
129 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) zwischen den (früheren) Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband abgeschlossenen Rahmenvertrag
über die Arzneimittelversorgung (RV) an der Versorgung gesetzlich Versicherter teil.
Am 9. Mai 2008 wurde in der Apotheke des Klägers eine gefälschte Arzneimittelverordnung für die zur Behandlung HIV-Infizierter
zugelassenen Arzneimittel Kaletra und Truvada vorgelegt. Eine Mitarbeiterin des Klägers gab die Arzneimittel an den Kunden
heraus. Die Arzneimittelverordnung trug am unteren Rand die vorgedruckte Arztnummer 7210665Y sowie darüber den Arztstempel
der ärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft S und D mit der Arztnummer 7281740. Diese Arztnummer findet sich auch in dem entsprechenden
Feld des für die vertragsärztliche Versorgung vorgesehenen, hier verwendeten Verordnungsvordrucks. Ausgestellt wurde das Rezept
nach den aufgedruckten Angaben am 5. Mai 2008 für den am 1970 geborenen M S, Bstraße , B. Ferner enthält die Verordnung den
Namen der Krankenkasse (AOK Berlin), die Krankenkassen- bzw. die Versichertennummer sowie die Gültigkeitsdauer der Krankenversichertenkarte.
Der Kläger berechnete der Beklagten für diese Arzneimittel einen Betrag in Höhe von 1.603,96 Euro, welchen diese zunächst
beglich. Nachdem sie die Fälschung der Arzneimittelverordnung erkannte hatte - ein Versicherter mit dem o.g. Namen bzw. der
o.g. Versichertennummer existiert nicht -, nahm sie eine Rückbelastung in Höhe von 1.599,36 Euro durch Verrechnung mit den
Ansprüchen aus laufenden Arzneimittelverordnungen vor (sogenannte Retaxierung).
Am 13. Mai 2008 wurde in der Apotheke des Klägers eine vom selben Tag stammende und in der gleichen Weise gefälschte Arzneimittelverordnung
vorgelegt. In diesem Fall gab eine andere Mitarbeiterin des Klägers die Arzneimittel an den Kunden heraus. Hinsichtlich der
weiteren Daten stimmte auch diese gefälschte Verordnung mit der oben genannten Verordnung vom 5. Mai 2008 überein. Den vom
Kläger in Rechnung gestellten und von der Beklagten zunächst beglichenen Betrag in Höhe von 1.588,82 Euro retaxierte die Beklagte,
nachdem sie die Fälschung erkannt hatte.
Am 14. Mai 2008 wiederholte sich dieser Vorfall, allerdings weist die gefälschte Arzneimittelverordnung nunmehr das Ausstellungsdatum
13. Mai 2008 sowie den Versichertennamen B.B.- im Übrigen von der Beklagten nachträglich geschwärzt - bei ansonsten identischen
Angaben aus. Der in Rechnung gestellte und zunächst beglichene Betrag belief sich auf 1.588,82 Euro, während die Beklagte
eine Retaxierung nur in Höhe von 1.584,22 Euro vornahm.
Nachdem die mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 und 26. Januar 2009 geltend gemachten Einwände des Klägers gegen die Retaxierungen
erfolglos verliefen, erhob er am 5. März 2009 Klage. Diese wies das Sozialgericht mit Urteil vom 27. Mai 2011 mit folgender
Begründung ab: Bei der Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, welche er nach § 4 Abs. 7 AVB hätte walten lassen
müssen, hätte der Kläger oder ein bei ihm beschäftigter Mitarbeiter die unstreitig vorhandene Fälschung erkennen müssen. Für
den Kläger habe zunächst die Verpflichtung bestanden, die ordnungsgemäße Ausstellung der Verordnung gemäß § 4 Abs. 2 AVB,
somit auch die Vertragsarztnummer, zu überprüfen und dies nicht lediglich schematisch. Dass eine Arzneimittelverordnung alle
in § 4 Abs. 2 AVB vorgesehene Merkmale enthalte, schließe eine für den Apotheker erkennbare Fälschung im Übrigen nicht aus.
Die fehlende Übereinstimmung der Arztnummer auf dem Verordnungsvordruck einerseits mit der durch den Arzt aufgedruckten und
im Arztstempel enthaltenen Arztnummer andererseits sei nach Auffassung der Kammer ein charakteristisches Fälschungsmerkmal,
welche dem Kläger unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte bekannt sein müssen. Es sei als gerichtsbekannt anzusehen
und zudem durch telefonische Nachfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin bestätigt und konkretisiert worden,
dass die Verordnungsvordrucke des Musters 16 (für Arzneimittel) von den Vertragsärzten bei einer Druckerei bestellt und diesen
dann zugeschickt würden, wobei im unteren rechten Bereich des Vordrucks die Arztnummer des jeweiligen Vertragsarztes schon
aufgedruckt sei. Die durch die Druckerei aufgedruckte Arztnummer erfolge zusätzlich zu der zweiten durch den Laser- oder Nadeldrucker
der Praxis aufgedruckten und zu der im Praxisstempel enthaltenen. Es müsse dem Kläger als langjährig tätigem Pharmazeut bekannt
gewesen sein, dass es sich bei dem Abgleich der Arztnummern um ein wirkungsvolles Mittel handele, Fälschungen zu entdecken,
da die Vertragsärzte die Rezepte ausschließlich mit der eigenen Arztnummer bedruckt erhielten. Sollte der Kläger über diese
Kenntnis nicht verfügt haben, handelte es sich um eine besondere, in seiner Person liegende Nachlässigkeit, die den Vorwurf
der Fahrlässigkeit nicht entfallen lasse. Hätten der Kläger oder seine Mitarbeiter bei der gebotenen Kontrolle der Arzneimittelverordnung
die unterschiedlichen Arztnummern verglichen, wären sie nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet gewesen, bis zur
Klärung der Unstimmigkeit die Abgabe des verordneten Arzneimittels zu verweigern. Gegebenenfalls sei es möglich, mit dem verordnenden
Arzt telefonisch Rücksprache zu halten. Der Einwand des Klägers, die Verwendung unterschiedlicher Arztnummern auf dem Arztvordruck
einerseits und dem Stempelaufdruck andererseits sei nicht unüblich, überzeuge nicht. In Gemeinschaftspraxen werde von den
Ärzten eine gemeinsame Arztnummer verwendet. In Praxisgemeinschaften erhalte zwar jeder Arzt seine eigene Arztnummer, die
auch auf dem von jedem Arzt gesondert zu bestellenden Vordrucken abgedruckt sei. Dass es gerade in größeren Praxisgemeinschaften
aufgrund von Versehen zur Verwendung eines Vordrucks des Kollegen komme und damit eine Übereinstimmung der Arztnummern nicht
mehr gegeben sei, möge vorkommen. Dies sei jedoch als Ausnahmefall anzusehen und nicht üblich. Zumindest werde damit die fehlende
Übereinstimmung der Arztnummern als Fälschungsmerkmal nicht widerlegt. Die vom Kläger als weitere Gegenbeispiele eingereichten
Arzneimittelverordnungen stellten - wie von der Beklagten dargelegt - überwiegend sogenannte Sonderverordnungen dar. Diese
würden von der KV Berlin direkt an die Ärzte abgegeben und erhielten die aufgedruckte Nummer 7212345. Diese Vordrucke würden,
wie eine telefonische Nachfrage der Vorsitzenden bei der KV Berlin gegeben habe, bei dieser vorrätig gehalten und an neugegründete
Praxen, die noch keine Vordrucke bestellt hätten oder bei denen die Bestellung noch nicht angekommen sei, persönlich ausgegeben.
Diese Möglichkeit stehe auch anderen Praxen offen, wenn es Probleme mit der Lieferung der Vordrucke gebe. Daneben sind keine
weiteren Fälle denkbar, die bei ordnungsgemäßer Verwendung und Ausfüllung der Vordrucke zu einer Abweichung der Arztnummern
innerhalb eines Vordrucks führten.
Gegen dieses ihm am 8. Juni 2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 1. Juli 2011, zu deren Begründung
er vorbringt: Er sei gemäß § 4 Abs. 2 AVB lediglich vertraglich verpflichtet zu prüfen, ob die Verordnung die Vertragsnummern
(gemeint wohl: Vertragsarztnummern)enthalte. Eine Verpflichtung, die Vertragsnummern auf Übereinstimmung zu überprüfen, lasse
sich aus dem AVB nicht ableiten. § 4 Abs. 7 AVB würde den Apotheker vor den Nachteilen, die sich aus einem gut gefälschten
Rezept ergeben könnten, schützen und berücksichtige gerade, dass er im täglichen Geschäftsbetrieb nur eine Prüfung nach §
4 Abs. 2 AVB vornehmen könne. § 4 Abs. 7 AVB enthalte keinen höheren Sorgfaltsmaßstab als Abs. 2 dieser Regelung. Entgegen
der Auffassung des Sozialgerichts sei die Abweichung von aufgedruckter und im Arztstempel enthaltener Arztnummer tatsächlich
üblich. Nachdem er für das Problem sensibilisiert worden sei, habe er festgestellt, dass allein in seiner Apotheke wöchentlich
fünf bis sechs Rezepte mit differierenden Arztnummern eingereicht würden. Das Gericht verwechsle insoweit die Frage des rechtlichen
Dürfens mit dem tatsächlichen Können. Letztlich argumentierten Sozialgericht und Beklagte mit der Auffassung, dass nicht sein
könne, was nicht sein dürfe. Im Übrigen führe nicht allein die Abweichung der Arztnummern dazu, dass er schon deshalb von
einer Fälschung auszugehen habe. Hinzukommen müssten, wie auch von anderen Sozialgerichten gefordert, weitere Indizien, die
hier jedoch fehlten. Er führe eine Schwerpunktapotheke im Bereich der HIV-Arzneimittel und gebe die hier betroffenen Arzneimittel
täglich mehrmals aus. Aus deren hohen Preis folge daher kein besonders hoher Sorgfaltsmaßstab für den Apotheker.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.772,40 Euro nebst
5 Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Bereits der Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung
vom 17. Januar 2008 mache das Vorliegen eines Vergütungsanspruches von der Belieferung einer "ordnungsgemäßen vertragsärztlichen
Verordnung" abhängig. An einer solchen mangele es hier. Die vom Kläger behauptete Unterscheidung einer rein formalen Prüfpflicht
nach § 4 Abs. 2 AVB und einer angeblich nicht geforderten Prüfung auf Echtheit nach § 4 Abs. 7 AVB sei bei praxisnaher Betrachtung
akademisch, um nicht zu sagen "weltfremd". Bei einer solchen Unterscheidung wäre auch ein Karton im Bierdeckelformat, sofern
er denn die Eintragung nach § 4 Abs. 2 AVB aufwiese, als Grundlage eines Zahlungsanspruches geeignet. Dass in Apothekerkreisen
das Fälschungspotential bei HIV-Medikamenten als bekannt vorausgesetzt werden könne, belege auch ein Artikel aus der Apothekerzeitung
vom 11. Juli 2011. Da der Kläger im vorliegenden Verfahren einen Zahlungsanspruch verfolge, sei er gehalten, die für ihn günstigen
Tatsachen zu beweisen. Er habe bis heute nicht ansatzweise vorgetragen, aus welchen Tatsachen er den Schluss gezogen habe,
dass die ihm vorliegende Verordnung Gültigkeit beanspruche. Sie - die Beklagte- verfüge über keine spezifischen Kenntnisse
darüber, in welcher Form und in welchem Inhalt Apotheker über Vorgaben informiert seien, die primär die Vertragsärzte beträfen
(wie zum Beispiel die Vordruckvereinbarung). Solche Kenntnisse würden von ihr "ganz einfach vorausgesetzt". Da sie über kein
eigenes Zulassungssystem verfüge, müsse sie die zur ordnungsgemäßen Erfüllung vertraglicher Pflichten notwendigen branchentypischen
Kenntnisse notwendigerweise voraussetzen. Auch in einschlägigen Standardlehrbüchern werde das "Muster 16 Rezept" sowie die
Bedeutung übereinstimmender Arztnummern thematisiert. Im Übrigen werde in den Ausbildungsapotheken auch erklärt, wie eine
Rezeptfälschung zu erkennen sei. Die von ihr bereits beglichenen Forderungen des Klägers über 1.599,36 Euro sowie 1.584,22
Euro habe sie gegen die Rechnung mit der Nummer 81112265-30100 aus dem Abrechnungsmonat November 2008 und die Forderung über
811,46 Euro und 777,36 Euro mit demselben Betrag aus der Rechnung mit der Nummer 90112265-30100 aus dem Abrechnungsmonat Januar
2009 verrechnet.
Der Senat hat Ausdrucke der im Urteil des Sozialgerichts zitierten, zwischenzeitlich aber nicht mehr zugänglichen Seiten aus
den Internetauftritten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sowie der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
(ABDA) beigezogen und ergänzende Auskünfte der KBV sowie der KV Berlin eingeholt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Einzelnen, sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die
Gerichts- und Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Denn der Kläger hat keinen Zahlungsanspruch
gegen die Beklagte aufgrund der o.g. Arzneimittelverordnungen vom Mai 2008.
I) Dem Kläger stehen - dies ist unstreitig - aufgrund der von ihm an Versicherte der Beklagten abgegebenen Arzneimittel Vergütungsansprüche
i.H.v. 4.772,40 Euro zu, die er unter den Rechnungsnummern 81112265-30100 (Abrechnungsmonat November 2008) und 90112265- 30100
(Abrechnungsmonat Januar 2009) geltend gemacht hat. Diese Zahlungsansprüche sind durch die von der Beklagten vorgenommenen
Aufrechnungen erloschen (§
387 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] analog). Der Beklagten standen insoweit Gegenforderungen i.H.v.1.599,36 Euro, 1.584,22 Euro, 811,46 Euro und 777,36
Euro zu (hierzu unter 1.), mit denen sie wirksam aufgerechnet hat (hierzu unter 2.).
1) Die von der Beklagten geltend gemachten Rückforderungsbegehren basieren auf dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.
Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines
öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen
vorgenommen worden sind. Ein öffentliches Rechtsverhältnis liegt hier vor, da auch schon für die Zeit vor der Neufassung des
§
69 SGB V zum 1. Januar 2000 die Abrechnungsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer öffentlich-rechtlich geprägt waren.
Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gelten ähnliche Grundsätze wie im bürgerlichen Recht der ungerechtfertigten
Bereicherung (§§ 812ff
BGB), dem der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zumindest insoweit vergleichbar ist, als beide Ansprüche als Ausdruck
eines althergebrachten Rechtsgrundsatzes dem Ausgleich rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen dienen. Allerdings ist auch
im Zivilrecht nicht ausdrücklich geregelt, wann eine Bereicherung ungerechtfertigt ist. Es lässt sich deshalb keine einheitliche
Formel für das Vorliegen oder Fehlen eines die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Grundes aufstellen. Allgemein anerkannt
ist jedoch, dass Leistungen zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, die in Wirklichkeit nicht besteht, grundsätzlich
zurückgefordert werden können (BSGE 93, 137; Senat, Urteil vom 28. Juli 2010 - L 9 KR 244/06 -, juris; jeweils m.w.N.).
Die Beklagte macht zu Recht geltend, sie habe wegen der Abgabe der o.g. Arzneimittel Zahlungen an den Kläger geleistet, obwohl
ein Vergütungsanspruch nicht bestanden habe.
2) Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs eines Apothekers gegen eine Krankenkasse wegen der Abgabe eines vertragsärztlich
verordneten Arzneimittels an einen ihrer Versicherten ist §
129 SGB V i.V.m. den zu dieser Vorschrift bestehenden ergänzenden Vereinbarungen, nämlich dem - auf Bundesebene geltenden - RV (hier
in der Fassung vom 17. Januar 2008) nach §
129 Abs.
2 SGB V sowie dem nach §
129 Abs.
5 Satz 1
SGB V abgeschlossenen AVB, der ausweislich seines §
21 Abs.
1 Satz 1 zum 1. März 2003 in Kraft trat. Der Kläger ist aufgrund seiner Teilnahmeerklärung, die Beklagte als vertragsschließende
Krankenkasse nach § 2 Abs. 1 AVB an diesen Landesvertrag gebunden. An den bundesweiten RV ist der Kläger durch seinen Beitritt
gemäß §
129 Abs.
3 Nr.
2 SGB V gebunden. Erst hierdurch ist der nicht verbandsangehörige Kläger zur Versorgung Versicherter mit Arzneimitteln im Rahmen
der GKV berechtigt (§
2 Abs.
2 Satz 2 RV; Armbruster, in: Eichenhofer/Wenner,
SGB V, §
129, Rd. 35 m.w.N.).
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RV kommt ein Vertrag zwischen Krankenkasse und Apotheke für vertragsgegenständliche Produkte durch
die Annahme einer ordnungsgemäßen gültigen vertragsärztlichen Verordnung zustande. Ist eine Voraussetzung nach Absatz 1 nicht
erfüllt, so besteht kein vertraglicher Zahlungsanspruch gegenüber der Krankenkasse (§ 3 Abs. 2 RV). Stellte man allein hierauf
ab, bestünde kein Zahlungsanspruch des Klägers. Denn gefälschte Arzneimittelverordnungen sind nicht "ordnungsgemäß" i.S.v.
§ 3 Abs. 1 Satz 1 RV. Allerdings regelt der RV die Voraussetzungen für die Abgabe von Arzneimitteln im Rahmen des GKV nicht
abschließend.
b) Entsprechend der gesetzlichen Ermächtigung (§
129 Abs.
5 Satz 1
SGB V), auf Landesebene ergänzende Verträge zu schließen, sind neben den o.g. Regelungen des RV auch die Teile des AVB anzuwenden,
die die Abgabe von Arzneimitteln sowie die Voraussetzungen für einen Zahlungsanspruch des Apothekers und die Retaxierungs-
und Beanstandungsmöglichkeiten der Krankenkasse regeln. Hierzu enthält der AVB folgende Bestimmungen:
§ 4 Allgemeine Abgabebestimmungen
(1) Die Belieferung erfolgt aufgrund ordnungsgemäß ausgestellter vertragsärztlicher Verordnung. Es gelten die zwischen den
Partnern des Bundesmantelvertrages Ärzte und Zahnärzte nach §
87 SGB V vereinbarten und die amtlichen Verordnungsblätter in der jeweils gültigen Fassung. [...]
(2) Ordnungsgemäß ausgestellt ist eine vertragsärztliche Verordnung, wenn sie neben dem Mittel folgende Angaben enthält:
a. Bezeichnung der Krankenkasse
b. Kassen-Nummer
c. Name, Vorname, Geburtsdatum und Anschrift des Versicherten
d. Versicherten-Nummer
e. Vertragsarzt-Nummer
f. Gültigkeitsdatum der Versichertenkarte
g. Ausstellungsdatum
h. Status des Versicherten (einschließlich der Kennzeichen nach § 267 Abs. 5 Satz 1 SGBV)
i. Kennzeichnung der Statusgruppen 6, 8 und 0 sowie des Feldes Begründungspflicht, soweit zutreffend
j. Kennzeichnung für Unfall, soweit zutreffend
k. Kennzeichnung für Arbeitsunfall, soweit zutreffend
1. Kennzeichnung der Gebührenpflicht bzw. der Gebührenbefreiung, soweit zutreffend
m. Kennzeichnung im noctu-Feld, soweit zutreffend
n. Unterschrift des Vertragsarztes
o. Vertragsarztstempel oder entsprechender Aufdruck
[...]
(4) Die Angaben gemäß Absatz 2 werden vorn Arzt auf das Verordnungsblatt übertragen; ein Fehlen einzelner Angaben nach Buchstaben
a. oder b., c. oder d., e., f. und i. bis m. berechtigt nicht zur Zurückweisung des Verordnungsblattes bei der Abrechnung.
Formfehler4 können in Einzelfällen vom Apotheker geheilt werden. Änderungen sind vom Apotheker abzuzeichnen.
[4Zu den Formfehlern zählt ein Fehlen einzelner Angaben nach Buchstaben a. oder b., c. oder d., e., f. und i. bis m.]
Fehlende Angaben nach Buchstaben a. und 1. kann der Apotheker unter Anbringung seines Namenszeichens nachtragen, wenn bei
Vorlage des Verordnungsblattes ein Nachweis über die bei der Krankenkasse bestehende Versicherung (z, B. durch die Krankenversichertenkarte)
oder über die bestehende Befreiung von der Zuzahlungspflicht (z. B. durch den Befreiungsbescheid) der Krankenkasse erbracht
wird. Für die Versichertenzuzahlung gilt im übrigen § 12. Bei fehlenden oder unbestimmten Angaben zur zahlungsverpflichteten
Krankenkasse ist die Verordnung erst nach unverzüglicher Heilung durch den Apotheker beziehungsweise den Vertragsarzt von
der zuständigen Krankenkasse zu erstatten.
[...]
(7) Die Krankenkasse ist nicht verpflichtet, Belieferungen aufgrund von gefälschten Verordnungen, gefälschten Verordnungsblättern
oder Verordnungen auf missbräuchlich benutzten Verordnungsblättern zu bezahlen, sofern der Apotheker die Fälschung oder den
Missbrauch erkannt hat oder hätte erkennen müssen.
(8) Liegen erkennbare Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Verwendung von Verordnungen vor, informiert der Apotheker unverzüglich
entweder die zuständige Krankenkasse bzw. deren Verband oder den BAV, der die zuständige Krankenkasse bzw. deren Verband unverzüglich benachrichtigt.
c) Die Ergänzungen zu § 3 RV in § 4 Absätze 1 und 2 AVB lassen nur den Schluss zu, dass sich die Voraussetzungen für einen
Zahlungsanspruch aus dem Zusammenspiel dieser Vorschriften ergeben. Insbesondere werden die Anforderungen an eine "ordnungsgemäße"
vertragsärztliche Verordnung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RV durch § 4 Abs. 2 AVB konkretisiert. Ob die Angaben nach § 4 Abs. 2
AVB abschließend regeln, welche Daten eine ordnungsgemäße vertragsärztliche Verordnung aufweisen muss, oder ob wegen des Verweises
in § 4 Abs. 1 Satz 2 AVB auf die bundesmantelvertraglichen Regelungen noch weitergehende Anforderungen zu stellen sind, kann
dahinstehen. Jedenfalls belegt § 4 Abs. 7 AVB, dass die Unverfälschtheit einer vertragsärztlichen Verordnung nicht zu den
tatbestandlichen Voraussetzungen einer vertragsärztlichen Verordnung zählt, sondern die Fälschung bzw. die missbräuchliche
Verwendung lediglich als Einwand der Krankenkasse dem Zahlungsanspruch des Apothekers entgegen gehalten werden kann. Hierfür
sprechen die Stellung dieser Regelung außerhalb des in § 4 Abs. 2 AVB enthaltenen Katalogs, die Formulierung ("ist nicht verpflichtet")
sowie die nur in dieser Regelung enthaltenen subjektiven Merkmale ("erkannt hat oder hätte erkennen müssen").
d) Der Kläger hätte die Fälschung erkennen müssen.
aa) Insbesondere hätte der Kläger schon zum Zeitpunkt der Einreichung der o.g. Arzneimittelverordnungen im Mai 2008 wissen
müssen, dass auch die im Vordruck rechts unten enthaltene Arztnummer mit den beiden anderen Arztnummern übereinstimmen muss.
Dies ergibt sich aus der landesvertraglich (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AVB) vereinbarten Geltung der bundesmantelvertraglichen Regelungen
zu den Vordrucken ("Verordnungsblätter").
(1) Nach den bundesmantelvertraglichen Regelungen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Bundesmantelvertrag Ärzte - BMV-Ä - bzw. § 6 Abs. 1 Satz 1 Ersatzkassenvertrag-Ärzte - EKV-Ä -) werden Abrechnungs- und Verordnungsvordrucke sowie Vordrucke für schriftliche Informationen als verbindliche Muster
in der Vordruckvereinbarung (Anlage 2) festgelegt. Dies wiederholend bestimmt Ziffer 1.1 der für beide Kassenbereiche einheitlichen
Anlage 2 - diese ist Bestandteil der Bundesmantelverträge (§ 1 Abs. 2 BMV-Ä / § 1 Abs. 5 EKV-Ä) -, dass im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung die als Bestandteil (Anlagen) dieser Vereinbarung beigefügten Muster
zu verwenden sind, sofern sich aus dieser Vereinbarung nichts anderes ergibt. In diesem Rahmen stellt Muster 16 (Ziffer 2.1.6
der Anlage 2) das Arzneiverordnungsblatt dar.
Die "bundesmantelvertraglichen Regelungen zu den Vordrucken" gehen aber noch darüber hinaus. Denn Gegenstand der Vordruckvereinbarung
sind auch die Erläuterungen zur Ausstellung der Vordrucke (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BMV-Ä bzw. § 6 Abs. 1 Satz 2 EKV-Ä). Demzufolge sind beim Ausfüllen der Vordrucke die von der KBV im Einvernehmen mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen
herausgegebenen Erläuterungen zu beachten (Ziffer 1.2.1. der Anlage 2).
(2) Ziffer 1 der Erläuterungen zu Muster 16 lautete seit 1991:
"Das Muster 16 enthält zum Zwecke der maschinellen Rezepterfassung auf dem rechten Rand der Vorderseite die Arztnummer. Aus
diesem Grund darf der Kassenarzt/Vertragsarzt nur Arzneiverordnungsblätter mit seiner Arztnummer verwenden. Die aushilfsweise
Weitergabe des durch die Arztnummer gekennzeichneten Vordrucks an einen anderen Kassenarzt/Vertragsarzt ist nicht statthaft."
Spätestens seit Juli 1999 und auch noch im Mai 2008 regelte diese Ziffer:
Der Vertragsarzt darf nur Arzneiverordnungsblätter mit seiner Arztnummer verwenden. Eine aushilfsweise Weitergabe des durch
die Arztnummer gekennzeichneten Vordrucks an einen anderen Vertragsarzt ist nicht statthaft.
(3) Aufgrund der seit 1991 maßgeblichen Erläuterung (Ziffer 1 zu Muster 16) musste der Kläger daher wissen, dass auf jedem
Vordruck für eine Arzneimittelverordnung bereits die Arztnummer aufgedruckt ist. Dass dieser Grund für die Verpflichtung jedes
Vertragsarztes, bei der Verordnung von Arzneimitteln nur Vordrucke mit seiner Arztnummer zu verwenden, später nicht mehr genannt
wird, ändert an der Wissenszurechnung nichts. Jedenfalls musste dem Kläger lange vor 2008 bekannt sein, dass wegen dieser
Verpflichtung der Vertragsärzte die im Vordruck rechts (unten) enthaltene Arztnummer grundsätzlich nicht von der in der Arztpraxis
eingetragenen bzw. im Vertragsarztstempel enthaltenen abweichen durfte.
(4) Ob der Kläger die Bedeutung der vorgedruckten Arztnummer tatsächlich kannte, ist unerheblich. Die in § 4 Abs. 2 AVB enthaltene
Anordnung, dass die bundesmantelvertraglichen Verordnungsblätter "gelten", macht nur Sinn, wenn auch die Kenntnis der hierzu
erlassenen Regelungen bei jedem Apotheker als bekannt vorausgesetzt werden kann. Ob und wie sich der einzelne Apotheker diese
Kenntnis verschafft, bleibt dann ihm überlassen. Apotheker, die aufgrund einer Verbandsmitgliedschaft dem AVB unterworfen
sind, mögen dies durch regelmäßige Informationen ihres Verbandes (z.B. in einer Mitgliederzeitschrift) erfahren. Nicht organisierte
Apotheker, zu denen offenkundig der Kläger zählt, sind demgegenüber gehalten, sich die erforderlichen Kenntnisse selbst zu
verschaffen.
(5) Allerdings ist nach der vom Senat eingeholten Stellungnahme der KV Berlin davon auszugehen, dass zwar typischerweise jeder
Vertragsarzt seine Vordrucke für Arzneimittelverordnungen unter Angabe seiner Arztnummer (bzw. - seit dem 1. Juli 2008 - seiner
Betriebsstättennummer gemäß § 37a Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 22a Abs. 1 EKV-Ä) beim Paul Albrechts Verlag bestellt. In Ausnahmesituationen - bei Lieferengpässen des Verlags, wenn die Vertragsarztpraxis
abgebrannt oder anderweitig zerstört ist oder bei Praxisaufnahme - kann der Vertragsarzt jedoch bei der KV Berlin einen Satz
Arzneimittelverordnungsblätter mit einer Sonderkodierung (mehrere Nullen) in der Kodierleiste erhalten. Dass in diesen - offensichtlich
auf der Ebene der Bundesmantelverträge nicht geregelten - Ausnahmefällen eine Divergenz zwischen der aufgedruckten und den
beiden anderen Arztnummern auftreten kann, ändert an dem oben gefundenen Ergebnis nichts. Denn nach dem, was er hätte wissen
müssen - nur dies ist maßgebend -, wäre der Kläger in Unkenntnis der Sonderkodierungen ggf. auch in den Fällen einer ausnahmsweise
zulässigen Divergenz nicht zur Abgabe der verordneten Arzneimittel verpflichtet gewesen, sondern hätte zunächst, etwa durch
eine telefonische Rücksprache mit dem ausstellenden Vertragsarzt, dessen Urheberschaft klären müssen.
bb) Aufgrund dieses Kennenmüssens war der Kläger verpflichtet, bei jeder vertragsärztlichen Arzneimittelverordnung sämtliche
darin enthaltenen Arztnummern auf Identität abzugleichen. Dies haben der Kläger bzw. seine Mitarbeiter, deren Unwissenheit
bzw. Nachlässigkeit er sich zurechnen lassen muss, offensichtlich versäumt. Legt man die Kenntnis der o.g. bundesmantelvertraglichen
Regelungen zugrunde, hätten dem Kläger die abweichenden Arztnummern und somit die naheliegende Möglichkeit einer Fälschung
auffallen müssen.
Soweit der Kläger aus § 4 Abs. 7 AVB einen Schutz des Apothekers vor guten Fälschungen ableitet, entspricht dies sicherlich
den Regelungsabsichten der Vertragsparteien. Seine darüber hinaus gehenden Schlussfolgerungen überzeugen indes nicht. Käme
dieser vertraglichen Bestimmung keine über § 4 Abs. 2 AVB hinausreichende Bedeutung zu, wäre sie überflüssig. Sinn macht §
4 Abs. 7 AVB nur, wenn diese Regelung eine Prüfpflicht des Apothekers begründet, die sich auf weitere als die in § 4 Abs.
2 AVB genannten Angaben und Umstände erstreckt.
II) Fehlt es an einem Zahlungsanspruch des Klägers, kann auch der darauf aufbauende Zinsanspruch nicht bestehen.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.