Beweislast des Arbeitgebers bei der Prüfung der Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zum Anwendungsbereich eines Tarifvertrags
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung für die Zeit vom 01. Januar 1997 bis zum 31. Oktober 2000. Umstritten
ist hierbei nur die Anwendbarkeit der zwischen dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V. und dem Hauptverband der
Deutschen Bauindustrie e.V. einerseits und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt andererseits geschlossenen Tarifverträge
zur Regelung eines Mindestlohnes im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn).
Die Geltung dieser Tarifverträge hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) durch Allgemeinverbindlicherklärungen
(AVE) nach § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) bzw. Verordnungen (VO) auf der Grundlage von § 1 Abs. 3 a Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) wie folgt auf die nicht an diese Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt:
Tarifvertrag vom
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Erstreckung auf Nicht-Tarifgebundene durch
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Veröffentlichung
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Geltungsdauer
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02. September 1996
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AVE vom 12. November 1996
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Bundesanzeiger 1996, S. 12102
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01. Januar 1997 bis 31. August 1997
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17. Juli 1997
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AVE vom 14. August 1997
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Bundesanzeiger 1997, S. 10909
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01. September 1997 bis 31. August 1999
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26. Mai 1999
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VO über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 25. August 1999
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BGBl. 99 I, 1894
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01. September 1999 bis 31. August 2000
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02. Juni 2000
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Zweite VO über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 17. August 2000
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BGBl. 00 I, 1290
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01. September 2000 bis 31. August 2002
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Vom betrieblichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge waren nach ihrem § 1 Abs. 2 Betriebe erfasst, die unter den betrieblichen
Geltungsbereich des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV) in der jeweils geltenden Fassung fallen. Den betrieblichen
Geltungsbereich des BRTV regelte dessen § 1 Abs. 2 wie folgt:
Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.
Abschnitt I
Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen
Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen.
Abschnitt II
Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfasst, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten
Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die - mit oder ohne Lieferung
von Stoffen oder Bauteilen - der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.
Abschnitt III
Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I oder II erfasst, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten
geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung - mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen -
gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen.
Abschnitt IV
Betriebe, in denen die nachstehend aufgeführten Arbeiten ausgeführt werden:
1. Aufstellen von Gerüsten und Bauaufzügen;
2. Bauten- und Eisenschutzarbeiten;
3. technische Dämm-(isolier-)Arbeiten, insbesondere solche an technischen Anlagen, soweit nicht unter Abschnitt II oder III
erfasst, einschließlich von Dämm-(isolier-) Arbeiten an und auf Land-, Luft- und Wasserfahrzeugen.
4. Erfasst werden auch solche Betriebe, die im Rahmen eines mit einem oder mehreren Betrieben des Baugewerbes bestehenden
Zusammenschlusses - unbeschadet der gewählten Rechtsform - für die angeschlossenen Betriebe des Baugewerbes entweder ausschließlich
oder überwiegend die kaufmännische Verwaltung, den Vertrieb, Planungsarbeiten, Laborarbeiten oder Prüfarbeiten übernehmen,
oder ausschließlich oder in nicht unerheblichem Umfang (zumindest zu einem Viertel der betrieblichen Arbeitszeit) den Bauhof
und/oder die Werkstatt betreiben, soweit diese Betriebe nicht von einem spezielleren Tarifvertrag erfasst werden.
Abschnitt V
Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z. B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten
Art ausgeführt werden:
1....
5. Beton- und Stahlbetonarbeiten einschließlich Betonschutz- und Betonsanierungsarbeiten sowie Armierungsarbeiten;
6. ...
Abschnitt VI
Betriebe, soweit in ihnen die unter den Abschnitten I bis V genannten Leistungen überwiegend erbracht werden, fallen grundsätzlich
als Ganzes unter diesen Tarifvertrag. Betrieb im Sinne dieses Tarifvertrages ist auch eine selbständige Betriebsabteilung.
Als solche gilt auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die außerhalb der stationären Betriebsstätte eines nicht von den Abschnitten
I bis IV erfassten Betriebes baugewerbliche Arbeiten ausführt.
Werden in Betrieben des Baugewerbes in selbständigen Abteilungen andere Arbeiten ausgeführt, so werden diese Abteilungen dann
nicht von diesem Tarifvertrag erfasst, wenn sie von einem spezielleren Tarifvertrag erfasst werden.
Abschnitt VII
Nicht erfasst werden Betriebe:
1. des Betonwaren und Terrazzowaren herstellenden Gewerbes,
2. - 13. ......
Jeweils unter § 1 Abs. 3 der o.g. Tarifverträge - und nochmals wiederholt in den beiden o.g. AVE - wurde deren persönlicher
Geltungsbereich wie folgt umschrieben:
"gewerbliche Arbeitnehmer (Arbeiter), die eine nach der Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung
- (
SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben. Nicht erfasst werden jugendliche Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung
sowie Boten, Küchenhilfen, Reinigungspersonal, Wächter und Wärter (Hilfskräfte) gemäß Berufsgruppe VIII des Anhangs zum Bundesrahmentarifvertrag
für das Baugewerbe - Berufsgruppen für die Berufe des Baugewerbes."
Für diesen Personenkreis sah jeweils § 2 Abs. 2 b der o.g. Tarifverträge u.a. für das Land Brandenburg einen Gesamttarifstundenlohn
(GTL) in folgender Höhe vor:
Tarifvertragliche Geltungsdauer
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GTL in DM
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Januar 1997 bis August 1997
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15,64
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September 1997 bis August 1999
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15,14
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September 1999 bis August 2000
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16,28
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September 2000 bis August 2001
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16,60
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Nach § 2 Abs. 3 dieser Tarifverträge (bzw. § 2 Abs. 4 des TV Mindestlohn vom 02. Juli 2000) war der GTL der Berufsgruppe VII
2 nach dem Anhang zum BRTV ("Arbeitnehmer, die einfache Bauarbeiten verrichten, in den ersten 6 Monaten ihrer Tätigkeit")
zugleich Mindestlohn im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AEntG für alle vom persönlichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge erfassten Arbeitnehmer.
Der Kläger meldete - ausweislich der Gewerbeanmeldung beim Amt R vom 02. Oktober 1989 - zum 01. Februar 1990 ein handwerklich
geführtes Gewerbe mit den Tätigkeiten "Baubetrieb, Hoch- u. Tiefbau, Betonsteinherstellung" an. Mit vom Kläger nicht angegriffenen
Bescheid vom 02. März 2001 setzte die damalige Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitsamt Cottbus) gegenüber dem Kläger wegen eines
Verstoßes gegen § 1 Abs. 1 Satz 3 und 4 AEntG eine Geldbuße in Höhe von 10.000 DM u.a. deswegen fest, weil fünf Arbeitnehmern der Fa. Betonwaren Hoch- u. Tiefbau O B in
der Zeit vom Januar 1997 bis September 1999 nicht der tarifvertraglich festgesetzte Mindestlohn des Baugewerbes gezahlt worden
sei.
Aufgrund einer für den o.g Betrieb des Klägers am 05. Oktober 2001 für den Zeitraum Januar 1997 bis Dezember 2000 durchgeführten
Betriebsprüfung setzte die Landesversicherungsanstalt Brandenburg - eine Rechtsvorgängerin der Beklagten - mit Bescheid vom
29. Oktober 2001 eine Beitragsnachforderung in Höhe von 11.892,78 DM (6.080,68 €) fest, weil im streitgegenständlichen Zeitraum
für die Beigeladenen zu 7), 8) und 10) bis 12), den zwischenzeitlich verstorbenen früheren Beigeladenen zu 13) sowie den Beschäftigten
S D die Mindestlohnregelung des Baugewerbes nicht berücksichtigt worden sei. Darüber hinaus seien bezüglich der Beschäftigten
E D keine Pauschalbeiträge für geringfügige Dauerbeschäftigung und für die Beigeladene zu 9) die U2-Umlagebeiträge nicht abgeführt
worden. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 25. September 2002).
Mit Urteil vom 16. Juni 2005 hat das Sozialgericht Cottbus die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die auf §
28 p Abs.
1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) gestützte Nachforderung sei rechtmäßig. Ermessensgrundlage für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag sei nicht das tatsächlich
zugeflossene, sondern das geschuldete Entgelt. Dies ergäbe sich aus dem TV Mindestlohn in der jeweils geltenden Fassung, gegen
dessen Anwendung keine Bedenken bestünden. Gegen die Behauptung des Klägers, sein Betrieb sei überwiegend mit der Herstellung
von Betonwaren befasst, sprächen die Gewerbeanmeldung, die umfangreichen Ermittlungen des Arbeitsamtes C im Rahmen des Bußgeldbescheides
vom 02. März 2001 sowie die Auskunft des Arbeitsamtes C vom 19. März 2003, wonach die Fa. Betonwaren O B als Baubetrieb im
Sinne der Baubetriebsverordnung eingestuft werde. Auf die Erklärung des Klägers, drei der Beigeladenen seien als Hilfskräfte
eingesetzt gewesen, komme es nicht an, denn auch für diesen Personenkreis hätte er den o.g. Mindestlohn beachten müssen, der
sich an der niedrigsten Lohngruppe des BRTV orientiere. Der Kläger könne auch nicht geltend machen, er habe einschlägige Bestimmungen
der allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge nicht gekannt. Ein Vertrauenstatbestand bestehe nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) nicht. Auch die Feststellungen zur Abführung von pauschalen Arbeitgeberbeiträgen bei geringfügiger
Beschäftigung und zur Erhebung von Umlagebeiträgen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) unterlägen keinen rechtlichen Bedenken.
Gegen dieses ihm am 30. Juni 2005 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 29. Juli 2005, zu deren Begründung
er vorträgt: Innerhalb der Ausschlussfrist nach § 16 BRTV sei die Lohnhöhe von keinem der Beteiligten angezweifelt worden.
Sollte der BRTV tatsächlich anwendbar sein, wären daher kein weiteres Entgelt und auch keine Sozialversicherungsbeiträge geschuldet.
Seine Unternehmung habe auch die Herstellung von Betonwaren zum Gegenstand. Dass er parallel dazu auch einen Baubetrieb habe,
sei unbeachtlich, da die hier betroffenen Mitarbeiter im tariffreien Gewerbe (Betonwaren) eingesetzt worden seien. Im Übrigen
bestehe die Tarifpflicht beim Einsatz von Hilfskräften - zu diesen zählten nach der Klagebegründung die Beigeladenen zu 7),
8) und 10) - nicht. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten ausschließlich Reinigungsarbeiten auf der Baustelle und sonstige Tätigkeiten
übernommen. Weil die Einzugstellen bei ihrer Überprüfung der Lohnhöhe der Versicherungsleistungen im Rahmen einer mehrtägigen
Überprüfung nichts zu beanstanden gehabt hätten, habe er darauf vertrauen dürfen, dass die von ihm vorgenommenen Zahlungen
der Höhe nach nicht zu beanstanden seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 16. Juli 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2001 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat sich ebenso wie sämtliche Beigeladenen im Berufungsverfahren zur Sache nicht geäußert.
Der Senat die Auskunft der Handwerkskammer C vom 16. März 2010 zu den den Kläger betreffenden Eintragungen in die Handwerksrolle
veranlasst.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Denn die angefochtenen Bescheide
sind rechtmäßig.
Der Kläger hat die im angefochtenen Bescheid als "KV", "PV, "RV" und "BA" gekennzeichneten Beiträge zur Kranken-, Pflege-
und Rentenversicherung sowie zur Bundesagentur für Arbeit und die als "U1" und "U2" gekennzeichneten Umlagebeiträge nach dem
Lohnfortzahlungsgesetz für die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Lohn und dem für allgemeinverbindlich erklärten Mindestlohn zu tragen.
1. Rechtsgrundlage für die Nachforderung ist §
28 p Abs.
1 Satz 5 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht
und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich
der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten §
28 h Abs.
2 SGB IV sowie § 93 i.V.m. § 89 Abs. 5 SGB X nicht. Hierzu prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern gemäß §
28 p
SGB IV, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag
stehen, insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen, ordnungsgemäß erfüllen.
Nach §
28 e Abs.
1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugstelle - dies ist gemäß §
28 h SGB IV die Krankenkasse - zu zahlen. Nach §
28 d SGB IV werden die Beiträge in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten sowie
der Beitrag aus Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung als Gesamtsozialversicherungsbeitrag
gezahlt.
2. Bemessungsgrundlage für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§
28 d Satz 1
SGB IV), den der Kläger zu entrichten hatte, ist das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§
226 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB V; §
57 Abs.
1 SGB XI; §
162 Nr.
1 SGB VI; §
342 SGB III). Die Höhe des zustehenden Arbeitsentgelts ergibt sich hier aus §
2 Abs. 2 b der o.g. Tarifverträge i.V.m. den AVE vom 12. November 1996 und 14. August 1997 bzw. den o.g. VO vom 25. August
1999 und 17. August 2000.
a) Der persönliche Anwendungsbereich der genannten Tarifverträge war für die Beigeladenen zu 9), 11) bis 13) sowie den Beschäftigten
S D unstreitig gegeben. Aber auch die Beigeladenen zu 7), 8) und 10) wurden von ihm erfasst. Die Behauptung des Klägers, bei
diesen Arbeitnehmern handele es sich um Hilfskräfte, ist nicht erwiesen. Arbeitsverträge mit diesen Arbeitnehmern hat der
Kläger trotz entsprechender Aufforderung durch den Senat nicht vorgelegt. Nach den auch im Sozialrecht anzuwendenden allgemeinen
Regeln der Beweislast ist davon auszugehen, dass die Beigeladenen zu 7), 8) und 10) dem persönlichen Anwendungsbereich der
o.g. TV Mindestlohn unterfielen. Die Beweislast, dass der persönliche Anwendungsbereich eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags
eröffnet ist, trägt der Rentenversicherungsträger, da es sich insoweit um eine anspruchsbegründende Tatsache handelt. Dass
Arbeitnehmer der Berufsgruppe VIII des Anhangs zum BRTV aus diesem Anwendungsbereich herausgenommen werden, stellt eine Ausnahme
vom Regelfall dar. Die Beweislast für die Voraussetzungen der Ausnahme liegt bei dem Beteiligten, der sich auf die Ausnahme
beruft, hier also beim Kläger. Zu seinen Lasten ist daher im Falle der Nichterweislichkeit davon auszugehen, dass die o.g.
Beigeladenen keine Hilfskräfte i.S.d. Berufsgruppe VIII waren.
b) Soweit der Kläger geltend macht, sein Betrieb sei vom betrieblichen Anwendungsbereich der TV Mindestlohn nicht erfasst,
verweist der Senat gemäß §
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende Begründung der angefochtenen sozialgerichtlichen Entscheidung. Ergänzend
sei auf die vom Senat eingeholte Auskunft der Handwerkskammer C vom 16. März 2010 verwiesen, derzufolge der Kläger seit 1990
nur für die handwerklichen Tätigkeiten "Mauer- und Betonbauer Straßenbauer", nicht aber für das - im streitigen Zeitraum noch
zulassungspflichtige - Handwerk des Betonstein- und Terrazzoherstellers in der Handwerksrolle eingetragen war. Es kann nicht
davon ausgegangen werden, dass der Kläger sowohl gegenüber der Handwerkskammer als auch gegenüber dem Gewerbeamt als auch
gegenüber der (damaligen) Bundesanstalt für Arbeit unwahre Angaben gemacht hat.
3. Für die Feststellung der Höhe des Arbeitsentgeltes und damit auch der Beitragshöhe gilt das Entstehungsprinzip und nicht
das Zuflussprinzip. Maßgeblich ist daher das tariflich geschuldete Arbeitsentgelt. Desgleichen ist das Arbeitsentgelt Bemessungsgrundlage
der Umlagebeiträge ("Umlage U2") für die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen in Kleinbetrieben
nach §
14 Mutterschutzgesetz (
MuSchG) i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Lohnfortzahlungsgesetz.
a) Nach §
22 Abs.
1 SGB IV in der bis 2002 anzuwendenden Fassung entstehen ausnahmslos alle Beitragsansprüche, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund
eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Diese bestehen jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Beschäftigung tatsächlich
aufgenommen worden ist, in der Ausübung der versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigung gegen Entgelt. Auch die Fälligkeitsregelung
des §
23 SGB IV spricht für das Entstehungsprinzip. Diese Vorschrift unterscheidet nicht danach, ob das Arbeitsentgelt bei Fälligkeit der
Beiträge bereits gezahlt worden ist oder nicht. Ferner bestätigen insolvenzrechtliche Regelungen das Entstehungsprinzip. So
ergibt sich aus § 208
SGB III (früher § 141 n Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz), dass der Beitragsanspruch auf nicht gezahltes Arbeitsentgelt gegen den insolventen Arbeitgeber fortbesteht. Eine solche
Regelung wäre unverständlich, wenn eine Beitragsforderung von der Zahlung des Arbeitsentgelts abhinge. Die genannten Vorschriften
zum Entstehen und zur Fälligkeit von Beitragsforderungen lassen keine Unterscheidung danach zu, ob der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt
zahlt und ob der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt verlangt hat oder es noch verlangen könnte. Derartige Bedingungen würden
das Entstehen oder den endgültigen Bestand von Beitragsforderungen von zahlreichen Unsicherheiten abhängig machen, wie beispielsweise:
dem Geltendmachen des Anspruchs auf nicht gezahltes Arbeitsentgelt durch den Arbeitnehmer, dem Eingreifen tariflicher Ausschlussklauseln,
der Verjährung des Anspruchs, der Erhebung der Verjährungseinrede durch den Arbeitgeber oder einem etwaigen Verzicht des Arbeitnehmers
auf Arbeitsentgelt. Unter derartige Vorbehalte sind Beitragsansprüche in den genannten Vorschriften nicht gestellt.
Die Anwendung des Entstehungsprinzips beim Gesamtsozialversicherungsbeitrag gewährleistet im Allgemeinen eine weitgehende
Übereinstimmung zwischen den Versicherungsverhältnissen sowie den mit ihnen verbundenen Beitragspflichten und Leistungsansprüchen.
Wegen der Höhe der Beitragssätze wird der Gesamtsozialversicherungsbeitrag vor allem durch die Beiträge zur Rentenversicherung
und zur Krankenversicherung bestimmt. In der Rentenversicherung würden, wenn nicht der Versicherungspflicht auch eine Beitragspflicht
entspräche, Leistungsansprüche in der Regel nicht begründet. In der Krankenversicherung stünden dem, wenn mit dem Eintritt
in die Beschäftigung oder das Beschäftigungsverhältnis die Mitgliedschaft beginnt und sofortige Ansprüche zumindest auf Sachleistungen
ausgelöst werden, bei Geltung des Zuflussprinzips möglicherweise keine Beiträge gegenüber. Solche Ergebnisse entsprechen nicht
dem geltenden Recht, sondern bedürfen, wenn sie gewollt sind, einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des Zuflussprinzips.
Dieses Erfordernis wird dadurch bestätigt, dass eine solche Regelung für die beitragsrechtliche Behandlung von Einmalzahlungen
seit dem 1. Januar 2003 vorhanden ist. Von diesem Zeitpunkt an ist §
22 Abs.
1 SGB IV neu gefasst worden. Darin ist bestimmt, dass der Beitragsanspruch bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt entsteht, sobald
dieses ausgezahlt worden ist (zur Begründung der Gesetzentwurf BT-Drucks 15/26 S 24 zu Nr. 6 - § 22). Hieraus ergibt sich
im Umkehrschluss, dass für hier zu zahlendes laufendes Arbeitsentgelt das Zuflussprinzip nach wie vor nicht gilt.
b) Die Anwendung des Zuflussprinzips beim Arbeitsentgelt ist kein allgemeiner abgabenrechtlicher Grundsatz, der für Steuern
und Beiträge gleichermaßen gelten müsste und aus dem Einkommensteuerrecht auf das Beitragsrecht der Sozialversicherung übertragen
werden könnte. Im Steuerrecht ist das Zuflussprinzip ausdrücklich geregelt. Nach §
36 Abs.
1 Einkommensteuergesetz (
EStG) entsteht die Einkommensteuer vorbehaltlich abweichender Regelungen mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Eine solche Ausnahmeregelung
ist in §
38 Abs.
1 Satz 1
EStG enthalten, wonach die Lohnsteuer (nur) erhoben wird, soweit der Arbeitslohn ausgezahlt wird. Zudem bestimmt §
38 Abs.
2 Satz 2
EStG, dass die Lohnsteuer abweichend von der Regel des §
36 Abs.
1 EStG bereits zu dem Zeitpunkt entsteht, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Vergleichbare Regelungen enthält das
Beitragsrecht der Sozialversicherung - von der o.g., ab 2003 geltenden Ausnahme abgesehen - nicht. Zwischen beiden Bereichen
bestehen auch strukturelle Unterschiede. Im Steuerrecht werden Abgaben zur Erfüllung staatlicher Aufgaben grundsätzlich zweckfrei
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erhoben, die sich im Zufluss ausdrückt und erschöpft. Im Sozialversicherungsrecht
werden demgegenüber durch entgeltliche Beschäftigungen Versicherungsverhältnisse begründet, die in ihrem Bestand und in ihrer
beitragsrechtlichen Ausgestaltung grundsätzlich nicht vom Zufluss des Arbeitsentgelts abhängen.
c) Soweit dem entgegengehalten wird, die Einheit der Rechtsordnung erfordere die Anwendung des Zuflussprinzips, überzeugt
dies jedenfalls für Sachverhalte einer einverständlichen untertariflichen Bezahlung nicht. Allerdings führt die Anwendung
des Entstehungsprinzips zu einer Inkongruenz zwischen Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, wenn der Arbeitnehmer arbeitsrechtlich
eine tarifliche Entlohnung jedenfalls nach einer gewissen Zeit wegen tariflicher Ausschlussklauseln, Verjährung oder Verzicht
nicht mehr durchsetzen kann, gleichwohl aber selbst dann noch Beiträge gegenüber dem Arbeitgeber festgesetzt werden dürfen.
Andererseits dient es jedoch der Einheit der Rechtsordnung, wenn Versicherungsverhältnisse auf der Grundlage bestehender Tarifverträge
durchgeführt werden müssen und durch eine untertarifliche Bezahlung weder der Versicherungsschutz der Arbeitnehmer beeinträchtigt
werden darf noch sich Arbeitgeber Vorteile gegenüber tariflich zahlenden Arbeitgebern verschaffen können (BSG, Urteil vom
14. Juli 2004, Az.: B 12 KR 1/04 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.; im Ergebnis ebenso: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. September 2008, Az.: 1 BvR 2007/05, veröffentlicht in Juris).
4. Soweit die angegriffenen Bescheide pauschale Arbeitgeberbeiträge bei geringfügiger Beschäftigung und Beiträge zur Umlage
U2 betreffen und soweit der Kläger sich auf Vertrauensschutz beruft, verweist der Senat nach §
153 Abs.
2 SGG ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Cottbus.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.