Tatbestand:
Der Kläger wendet sich mit der Berufung dagegen, dass seine Klage als unzulässig verworfen worden ist. In der Sache sind zwei
Aufhebungs- und Erstattungsbescheide streitig.
Die Beklagte bewilligte dem 1967 geborenen erwerbsfähigen Kläger mit Bescheid vom 18. August 2006 oder 21. August 2008 Arbeitslosengeld
II für den Zeitraum vom 1. September 2006 bis 28. Februar 2007 in Höhe von 662,25 EUR monatlich. Mit weiterem Bescheid vom
18. August 2006 oder 2. Juli 2007 bewilligte sie Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 1. März 2007 bis 30. Juni 2007 in
Höhe von 662,25 EUR und vom 1. Juli 2007 bis 31. August 2007 in Höhe von 644,25 EUR monatlich.
Der Kläger zeigte mit Veränderungsmitteilung vom 2. November 2006, bei der Beklagten am selben Tag eingegangen, an, dass er
ab 1. November 2006 eine Tätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden aufgenommen habe. Das Bruttoentgelt
betrage ca. 990,00 EUR, das Nettoentgelt ca. 800,00 EUR. Die erste Lohnzahlung werde zum 15. Dezember 2006 erfolgen. Das Arbeitsverhältnis
kam in Folge eines Vermittlungsvorschlages der Beklagten vom 20. Oktober 2006 zustande. Der Arbeitsvertrag vom 1. November
2006 wurde auf der Grundlage des Anerkennungsbescheides der Beklagten vom 25. Oktober 2006 für die ABM-Nr. 228/06 geschlossen
und war zunächst auf ein halbes Jahr bis zum 30. April 2007 befristet. Tatsächlich endete die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
aber erst am 31. Oktober 2007.
Am 27. September 2007 sprach der Kläger bei der Beklagten wegen eines Fortzahlungsantrages vor. Aus dem Aktenvermerk über
dieses Gespräch ergibt sich unter anderem, dass der Kläger äußerte, ihm sei an der Information der Beklagten erklärt worden,
dass sich die Beklagte hinsichtlich der Einkommensanrechnung mit ihm in Verbindung setzen werde.
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2007 oder 5. Dezember 2007 hörte die Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Teilaufhebung
der Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Dezember 2006 bis 31. August 2007 und der damit verbundenen Erstattungsforderung
an. Der Kläger wiederholte im Schreiben vom 16. Dezember 2007 seinen bisherigen Vortrag.
Unter dem 20. Februar 2008 erließ die Beklagte zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheide. Der eine betraf den Zeitraum vom
1. Dezember 2006 bis 28. Februar 2007 und einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1.609,78 EUR, der andere den Zeitraum vom 1.
März 2007 bis 31. August 2007 und einen Erstattungsbetrag in Höhe von 3.193,80 EUR. In beiden Fällen wurden die Aufhebungsentscheidungen
auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) gestützt.
Mit Schreiben vom 14. März 2008 legte der Kläger Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid mit der Gesamtforderung
in Höhe von 4.803,58 EUR ein. Diesen wies die Beklagte mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 14. Mai 2008 (Az.: 07402BG0042534
- W 4601/08 und 07402BG0042534 - W 6366/08 -) zurück. Auf beiden in der Verwaltungsakte befindlichen Fassungen der Bescheidentwürfe findet sich links oben der handschriftliche
Eintrag "Entwurf" und darunter der Datumsstempel "13. 5. 08" sowie das Handzeichen "Wozn.". Rechts oben unterhalb des Feldes
mit dem Wappen des kommunalen Trägers, dem Namen der Beklagten und dem Signet der Bundesagentur für Arbeit sowie im Betrefffeld
hinter der Angabe "Datum:" findet sich jeweils der Datumsstempel "14. Mai. 2008". Beide Bescheidentwürfe sind von der zuständigen
Mitarbeiterin der Beklagten unterschrieben.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 8. Juni 2008, abgesandt am 17. Juni 2008 und eingegangen beim Sozialgericht am 18. Juni 2008,
Klage gegen beide Widerspruchsbescheide (unter Angabe beider Aktenzeichen) erhoben.
Die Beklagte hat in der Klageerwiderung die Auffassung vertreten, dass die Klage unzulässig sei. Der Widerspruchsbescheid
gelte am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post und damit am 17. Juni 2008 als zugestellt. Die Klage sei aber erst am 18. Juni
2008 und damit außerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden.
Nachdem der Kläger erklärt hatte, die Klage nicht zurückzunehmen, und nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht
die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. Februar 2009 abgewiesen. Nach dem Tatbestand hat die Entscheidung nur den Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid betreffend den Zeitraum vom 1. Dezember 2006 bis 28. Februar 2007 zum Gegenstand. Zur Begründung hat
das Sozialgericht ausgeführt, dass der Widerspruchsbescheid mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, hier am 14. November
2005, als bekannt gegeben gelte. Die einmonatige Klagefrist habe daher am 14. Dezember 2005 geendet. Die Klage sei aber erst
am 14. Februar 2006 erhoben worden. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht gestellt worden; Wiedereinsetzungsgründe
seien auch nicht ersichtlich.
Der Kläger hat gegen den ihm am 17. Februar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid am 10. März 2009 Berufung eingelegt. Er rügt,
dass das Sozialgericht sowohl im Tatbestand als auch in den Entscheidungsgründen von komplett falschen Daten ausgegangen sei
und nicht berücksichtigt habe, dass er sich gegen zwei Widerspruchsbescheide gewandt habe.
Auf gerichtliche Anfrage hat der Kläger erklärt, dass er die Briefumschläge, mit denen die Widerspruchsbescheide übersandt
worden sind, nicht vorlegen könne, weil er sie nicht aufgehoben habe. Er könne auch nicht mehr sagen, wann ihm die Widerspruchsbescheide
zugegangen sind.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 10. Februar 2009 sowie den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20.
Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2008 (Az.: 07402 BG 0042534-W 4601/08) aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat im Schriftsatz vom 24. September 2009 zur aktenmäßigen Dokumentation sowie zu den Zeiten des Postlaufes Stellung genommen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Gegenstand des Gerichtsbescheides und damit des Berufungsverfahrens ist nur der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom
20. Februar 2008, der den Zeitraum vom 1. Dezember 2006 bis 28. Februar 2007 und einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1.609,78
EUR betrifft, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2008 (Az.: 07402BG0042534 - W 4601/08 -).
Der Kläger hat zwar mit der Klageschrift vom 8. Juni 2008 ausdrücklich auch gegen die zweite Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung
Klage erhoben. Auch ist aus der Gerichtsakte des Sozialgerichtes nicht zu erkennen, dass dieser Teil abgetrennt und unter
einem neuen Aktenzeichen als neues Verfahren fortgeführt worden wäre. Dieser Teil der Klage ist jedoch ausweislich des Tatbestandes
des Gerichtsbescheides nicht vom Sozialgericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt worden. Im Hinblick darauf, dass der
Gesetzgeber für einen solchen Fall in §
140 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) die Urteilsergänzung vorgesehen hat, ist die vom Sozialgericht nicht entschiedene Anfechtungsklage nicht Gegenstand des
Berufungsverfahrens geworden.
II. Die zulässige Berufung ist im Sinne der Zurückverweisung an das Sozialgericht begründet.
1. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Anfechtungsklage als verfristet abgewiesen.
Gemäß §
87 Abs.
1 Satz 1
SGG ist die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Verwaltungsakt in diesem Sinne ist
der Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2008, weil gemäß §
78 Abs.
1 Satz 1
SGG vor der Erhebung der Anfechtungsklage ein Vorverfahren durchzuführen war, das gemäß §
85 Abs.
2 Satz 1
SGG dann, wenn dem Widerspruch nicht abgeholfen wird, mit dem Erlass eines Widerspruchsbescheides endet. Der Widerspruchsbescheid
ist gemäß §
85 Abs.
3 Satz 1
SGG schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Beteiligten bekanntzugeben. Nimmt die Behörde eine Zustellung vor, gelten die
§§
2 bis
10 des Verwaltungszustellungsgesetzes (vgl. §
85 Abs.
3 Satz 2
SGG). Aus dieser Regelung folgt im Umkehrschluss, dass in Fällen, in denen keine Zustellung vorgenommen wird, die allgemeinen
verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen in § 37 SGB X über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten gelten.
Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X in der hier maßgebenden, vom 1. Februar 2003 bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (vgl. Artikel 3 Nr. 9 Buchst. a des
Gesetzes vom 21. August 2002 [BGBl. I S. 3322]) gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post
im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post, ein Verwaltungsakt, der elektronisch übermittelt wird, am dritten Tage
nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang
des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB X). Die Regelungen in § 37 Abs. 2 SGB X entsprechen denen in anderen Rechtsnormen, zum Beispiel in § 41 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) oder in § 4 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG).
Vorliegend greift die Fiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht, weil der Tag, an dem der Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2008 zur Post gegeben worden ist, nicht hinreichend dokumentiert
und damit nicht festzustellen ist. Voraussetzung für die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist aber die Feststellung des Zeitpunktes, zu dem der maßgebende Verwaltungsakt zur Post gegeben worden ist (vgl. Engelmann,
in: von Wulffen, SGB X [6. Aufl., 2008], § 41 Rdnr. 12; Recht, in: Hauck/Noftz, SGB X [Stand: Erg.-Lfg 1/10, Februar 2010], § 41 Rdnr. 16). Denn § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X enthält eine gesetzliche Fiktion des Zeitpunkts der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes (vgl. zu § 41 Abs. 2 VwVfG: SächsOVG, Urteil vom 26. März 2003 - 5 B 638/02 - KStZ 2003, 176 [177] = JURIS-Dokument Rdnr. 57), nicht aber eine Fiktion, dass und wann der Verwaltungsakt zur Post gegeben worden ist (vgl.
zu § 41 Abs. 2 VwVfG: U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG [7. Aufl., 2008], § 41 Rdnr. 120). Darlegungs- und beweispflichtig für den Tag der Aufgabe des schriftlichen Verwaltungsaktes zur Post ist die Behörde
(vgl. zu § 41 Abs. 2 VwVfG: U. Stelkens, aaO.; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG [9. Aufl., 2005], § 41 Rdnr. 45).
Zu der Regelung in § 4 Abs. 2 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG), die für die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben ebenso wie die Regelung in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X den Eintritt einer Fiktion am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post enthält, hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 9.
Dezember 2008 (B 8/9b SO 13/07 R - FEVS 60, 550 = JURIS-Dokument Rdnr. 15, m. w. N.) ausgeführt, dass Vermerken lediglich
bedeutet, dass der Vorgang in den betreffenden Akten so erwähnt wird, dass auch eine mit der Sache bisher nicht befasste Person
ihn als geschehen erkennen kann. Dementsprechend reicht jeder in den Akten befindliche Hinweis, der Aufschluss über den Tag
der Aufgabe des Briefes zur Post gibt. Wann dieser Hinweis zu den Akten gelangt ist, ist ohne Bedeutung. Nicht erforderlich
ist zudem, dass der Hinweis sich aus dem Verwaltungsakt selbst ergibt beziehungsweise ein Vermerk über die Aufgabe zur Post
auf dem Verwaltungsakt angebracht ist (vgl. BSG, aaO.).
Zwar enthält § 37 SGB X keine dem § 4 Abs. 2 Satz 4 VwZG vergleichbare Regelung, wonach der Tag der Aufgabe zur Post in den Akten zu vermerken ist. Dies bedeutet aber nicht, dass
die Behörde im Geltungsbereich des § 37 Abs. 2 SGB X der Verpflichtung enthoben wäre, den Tag, an dem ein schriftlicher Verwaltungsakt zur Post aufgegeben wird, in geeigneter
Weise in der Verwaltungsakte selbst oder an anderer Stelle, zum Beispiel in einem Postausgangsbuch, zu dokumentieren. Denn
nur bei einer hinreichenden Dokumentation kann der Postaufgabetag, der - wie oben ausgeführt wurde - eine Tatbestandsvoraussetzung
für die gesetzliche Bekanntgabefiktion, festgestellt werden. Aus diesem Grund kann auf die zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes
zurückgegriffen werden.
Ausgehend hiervon ist der Tag, an dem der Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2008 zur Post aufgegeben worden ist, nicht hinreichend
dokumentiert.
Die Beklagte hat zwar im Schriftsatz vom 24. September 2009 ausgeführt, dass sich der Tag der Aufgabe zur Post aus der in
den Widerspruchsbescheiden aufgeführten Angabe "Datum:" ergebe. Der Datumsstempel "13.5.08", der handschriftliche Zusatz "Entwurf"
sowie das Namenskürzel würden lediglich das Datum belegen, an welchem die Widerspruchsbescheide jeweils durch den Sachbearbeiter
zur Akte genommen worden seien. Zum Postlauf hat die Beklagte ausgeführt, dass die Teamassistentinnen das Ausgangsdatum auf
den Widerspruchsbescheid stempeln und diesen in die Postausgangsmappe legen würden. Bis zur Mittagspost (zwischen 11.00 Uhr
und 12.00 Uhr) werde das aktuelle Datum, danach das Datum des Folgetages verwendet. Dieses Datum werde zusätzlich unter der
für das Widerspruchsverfahren vergebenen Widerspruchsnummer in das von der Beklagten verwandte Programm "
SGG II" eingetragen. Die Poststücke, die noch bis zum Mittag abgeholt worden seien, würden noch am selben Tag bei der Deutschen
Post AG abgegeben. Poststücke, auf welches ein älteres Ausgangsdatum gestempelt worden sei, würden an das zuständige Team
zur Korrektur zurückgegeben. Diese Vorgehensweise werde auch am Tag vor einem Wochenende oder einem Feiertag praktiziert.
Nach dieser beschriebenen Handhabung wäre der streitige Widerspruchsbescheid am 14. Mai 2008 zur Post gegeben worden. Danach
hätte der Widerspruchsbescheid gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am 17. Mai 2008 als bekanntgegeben gegolten. Unerheblich ist, dass dieser Tag ein Samstag war (vgl. Engelmann, a. a O., §
37 Rdnr. 12, m. w. N.). Die einmonatige Klagefrist des §
87 Abs.
1 Satz 1
SGG wäre danach am 17. Juni 2008, einem Dienstag, abgelaufen. Die Klageschrift ging jedoch erst einen Tag später, nämlich am
18. Juni 2008, beim Sozialgericht ein.
Die aktenmäßige Behandlung bei der Beklagten mit den verschiedenen Stempeln und Handzeichen spiegelt diese Verfahrensweise
allerdings nicht ausreichend wieder. Für eine mit der Sache bisher nicht befasste Person ist aus den Datumsstempeln nur zu
ersehen, dass an diesem Tag eine Bearbeitung der Verwaltungsakte erfolgte. Ferner lässt der Datumsstempel "14. MAI. 2008"
hinter der Angabe "Datum:" erkennen, dass an diesem Tag die Endfassung des Widerspruchsbescheides erstellt wurde. Weder aus
diesem Stempel noch aus dem ohne weiteren Zusatz oder Handzeichen angebrachten Datumsstempel "14. MAI. 2008", der auf der
rechten Seite der Kopfzeile des Widerspruchsbescheides aufgebracht ist, ist hingegen für eine mit der Sache bisher nicht befasste
Person zu erkennen, dass an diesem Tag der Widerspruchsbescheid zur Post ausgegeben wurde.
Im Übrigen sind nach der von der Beklagten beschriebenen Verfahrensweise die auf dem Widerspruchsbescheid ausgebrachten Datumsstempel
"14. MAI. 2008" nicht geeignet, den Tag der Postaufgabe zu dokumentieren. Denn die in der Fachabteilung auf dem in den Akte
befindlichen Original des Widerspruchsbescheides angebrachte Datumsstempel dokumentieren danach nur, dass der Bescheid gefertigt
und zum Versand bereit gelegt worden ist (vgl. auch OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1. April 2003 - 15 A 2468/01 - NVwZ 2003, 120 f. = JURIS-Dokument Rdnr. 11). Danach verbleibt der Bescheid jedoch noch in den Räumlichkeiten der Beklagten, bis er von
den Mitarbeitern der Poststelle an den Postdienstleister weitergegeben wird. Den ohne Paraphierung aufgebrachten Datumsstempeln
kommt damit allenfalls insoweit ein Beweiswert zu, dass der Widerspruchsbescheid an dem aufgestempelten Tag den Bereich der
Fachabteilung verlassen hat (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, aaO.; U. Stelkens, aaO., m. w. N.). Darüber hinaus
besteht weder ein Anscheinsbeweis noch ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass ein Bescheid am Tag seiner Herstellung beziehungsweise
seiner Datierung auch zur Post gegeben wird (vgl. SächsOVG, aaO.; U. Stelkens, aaO., m. w. N.).
Da somit der Zeitpunkt, an dem der Widerspruchsbescheid zur Post aufgegeben wurde, nicht bestimmt werden kann, fehlt für die
Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X die Grundlage. Der Zeitpunkt, an dem der angefochtene Widerspruchsbescheid dem Kläger tatsächlich zugegangen ist, ließ sich
auch nicht mehr ermitteln. Da nach alledem der Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsbescheides nicht von der hierzu gemäß
§ 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB X verpflichteten Beklagten nachgewiesen werden konnte, ist auch eine Berechnung der einmonatigen Klagefrist des §
87 Abs.
1 Satz 1
SGG wegen des nicht bestimmbaren Ausgangszeitpunktes nicht möglich.
2. Da das Sozialgericht die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, ist gemäß
§
159 Abs.
1 Nr.
1 SGG die Aufhebung des Gerichtsbescheides unter gleichzeitiger Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht möglich.
Die Entscheidung darüber, ob eine Sache an das Sozialgericht zurückverwiesen werden soll, steht im Ermessen des Berufungsgerichtes.
Es hat hierbei unter anderem in die Abwägung einzustellen, dass bei einem Verzicht auf die Zurückverweisung einerseits das
Gerichtsverfahren in der Regel beschleunigt wird, andererseits dem unterlegenen Beteiligten eine (Tatsachen-)Instanz verloren
geht (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], §
159 Rdnr. 5a, m. w. N.; Lüdtke, in: Lütke (Hrsg.),
Sozialgerichtsgesetz [3. Aufl., 2009], §
159 Rdnr. 8). Vorliegend war für die Entscheidung über die Zurückverweisung maßgebend, dass der Kläger die beiden Anfechtungsklagen
gegen die beiden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide im Wege einer objektiven Klagehäufung anhängig gemacht hat. Diese vom
Kläger vorgenommene Verbindung von zwei Klagen soll ohne förmliche Verfahrenstrennung im Sinne von §
113 SGG allein auf Grund dessen, dass das Sozialgericht nicht über eine der beiden Klagen entschieden hat, aufgehoben werden. Zudem
betreffen beide Aufhebungs- und Erstattungsbescheide und die nachfolgende einheitliche Klage denselben Lebenssachverhalt,
nämlich den Bezug von Einkommen in Folge einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und daraus folgend die Frage, ob, wann und in welchem
Umfang dieses Einkommen auf das bewilligte Arbeitslosengeld II angerechnet werden kann. Auch dies spricht dafür, dass dem
Sozialgericht nochmals Gelegenheit gegeben wird, insgesamt über beide Anfechtungsklagen zu entscheiden. Schließlich wird mit
einem Verzicht auf eine Sachentscheidung durch das Berufungsgericht vermieden, dass das Sozialgericht gegebenenfalls über
die Anfechtungsklage, die nicht Gegenstand des Gerichtsbescheides vom 10. Februar 2009 war, in einem gesonderten, weiteren
Verfahren im Wege der Urteilsergänzung gemäß §
140 SGG entscheiden müsste.
III. Im Rahmen der erneuten Befassung mit der Sache wird das Sozialgericht folgende Punkte zu berücksichtigen haben:
1. In Bezug auf die Anfechtungsklage, die den nicht vom Gerichtsbescheid erfassten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid betrifft,
wird zu prüfen sein, ob die Berufungsschrift des Klägers als Antrag auf Urteilsergänzung gemäß §
140 SGG ausgelegt werden kann. Da bejahendenfalls der Antrag innerhalb der Monatsfrist nach §
140 Abs.
1 Satz 2
SGG gestellt worden wäre, wäre die Rechtshängigkeit dieses Verfahrensteils noch nicht entfallen.
2. In Bezug auf den Bewilligungsbescheid, der den Zeitraum vom 1. März 2007 bis 31. August 2007 umfasst, wird zu klären sein,
unter welchem Datum dieser erlassen worden ist. In der Verwaltungsakte findet sich hierzu sowohl das Datum 18. August 2006
als auch das Datum 2. Juli 2007. Vom Tag des Erlasses des Bewilligungsbescheides hängt ab, ob der Bescheid nachträglich rechtswidrig
wurde und damit gemäß § 48 SGB X aufgehoben werden kann oder ob er von Anfang an rechtswidrig war und damit gemäß § 45 SGB X aufzuheben war.
3. Sofern für die Aufhebung des den Zeitraum vom 1. März 2007 bis 31. August 2007 umfassenden Bewilligungsbescheides die Regelungen
in § 45 SGB X maßgebend sei sollten, wäre zu berücksichtigen, dass dort nicht das Vertrauen auf den Fortbestand der Leistungsbewilligung
bei Einkommenszufluss vorgesehen ist. Es wäre deshalb zu prüfen, ob das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der Bewilligung
von Arbeitslosengeld II aus einem anderen Grund ausgeschlossen war, zum Beispiel weil er die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides
kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).
4. Schließlich wird das Sozialgericht die Erstattungsregelungen in § 40 Abs. 2 des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung
für Arbeitsuchende - (SGB II) zu beachten haben.
Gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 % der bei der Leistung nach § 19 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB II sowie § 28 SGB II berücksichtigten Kosten für Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs-
und Warmwasserversorgung, nicht zu erstatten. Dies gilt jedoch gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II unter anderem nicht in den
Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird. Die Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestandes sind
vorliegend gegeben. Allerdings werden gegen diese Regelungen verfassungsrechtlichen Bedenken geltend gemacht (vgl. Conradis,
in: Münder [Hrsg.], SGB II [3. Aufl., 2009], § 40 Rdnr. 22). Mit diesen Bedenken sowie den hierzu vertretenen Lösungsansätzen
(vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Dezember 2008 - L 7 B 344/08 AS - JURIS-Dokument Rdnr. 8; Eicher, in: Eicher/Spellbrink, SGB II [2. Aufl., 2008], § 40 Rdnr. 105a; Conradis, aaO. Rdnr.
25; Brönstrup, in: Hohm [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum SGB II [Stand: 13. Erg.-Lfg, Januar 2010], § 40 Rdnr. 160) wird
sich das Sozialgericht auseinanderzusetzen haben.
IV. Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Sozialgerichtes vorbehalten.
V. Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.