Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Absetzung von Unterhaltszahlungen an ein verheiratetes volljähriges Kind vom
Einkommen
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der am 1950 geborene Antragsteller zu 1) ist erwerbsfähig und verheiratet. Er bewohnt zusammen mit seiner Ehefrau, der Antragstellerin
zu 2), L., der Tochter der Ehefrau (geboren am. 1985), S. S. deren Ehemann (verheiratet seit dem 21. März 2005), Y. S., sowie
deren am 2006 geborenen Sohn, A. S., eine 4-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 77,46 m². Die Kosten der Unterkunft betrugen
ab dem 1. Oktober 2006 monatlich an Grundmiete 243,17 EUR, Modernisierungszuschlag 30,81 EUR sowie Vorauszahlung für Betriebskosten
81,65 EUR. Die Vorauszahlungen für Heizung und Warmwasser betrugen ab dem 1. Oktober 2006 monatlich 78,06 EUR. Die Wohnung
wird zentral mit Warmwasser versorgt.
Mit Bescheid vom 2. Juni 2006 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II
für die Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) vom 1. Juni 2006 bis zum 30. Juni 2006
in Höhe von monatlich 188,02 EUR sowie vom 1. Juli 2006 bis zum 30. November 2006 in Höhe von 214,02 EUR monatlich. Zum 24.
Juli 2006 nahm der Antragsteller zu 1) eine Beschäftigung auf. Daraufhin hob die Antragsgegnerin den Bewilligungsbescheid
mit Aufhebungsbescheid vom 28. September 2006 zum 1. September 2006 auf. Hiergegen legte der Antragsteller zu 1) Widerspruch
ein.
Dieses Arbeitsverhältnis des Antragstellers zu 1) wurde noch innerhalb der Probezeit zum 8. September 2006 gekündigt. Daraufhin
beantragte der Antragsteller zu 1) am 8. September 2006 erneut Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB
II. Aus dem Arbeitsverhältnis habe er zuletzt am 6. Oktober 2006 eine Zahlung in Höhe von 777,71 EUR erhalten.
Die Antragstellerin zu 2), L. H., erzielte monatlich unterschiedlich hohes Einkommen. Im Februar 2006 erhielt sie einen Nettolohn
in Höhe von 920,31 EUR, im März 2006 in Höhe von 915,35 EUR, im April 2006 in Höhe von 1.150,15 EUR, im Mai 2006 in Höhe von
789,75 EUR, im Juni 2006 in Höhe von 1.095,68 EUR, im Juli 2006 in Höhe von 1.120,81 EUR, im August 2006 in Höhe von 1.015,83
EUR sowie im September 2006 in Höhe von 968,08 EUR. Auch in der Folgezeit war Frau L. H. weiterhin bei der Firma P. D. GmbH
& Co. KG mit einer Vollzeitstelle beitragspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsentgelt wurde jeweils im Folgemonat ausgezahlt.
Für Oktober 2006 erhielt sie brutto 1.136,34 EUR. Hieraus ergab sich ein Nettogehalt von 871,02 EUR sowie eine Nachzahlung
von 16,97 EUR, mithin insgesamt 887,81 EUR. Dieser Betrag wurde ihr im November 2006 ausgezahlt.
Mit Bescheid der Familienkasse Bautzen vom 16. November 2006 wurde die Festsetzung des Kindergeldes für die Stieftochter des
Antragstellers zu 1) (S. S.) ab Januar 2006 aufgehoben. Der Antragsteller zu 1) erhielt auch in der Folgezeit kein Kindergeld
für die Stieftochter (eidesstattliche Versicherung vom 20. November 2006).
S. S. ist ukrainische Staatsbürgerin und hatte im streitigen Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland eine bis zum 5. Juli
2008 befristete Aufenthaltserlaubnis. Y. S., der Kindsvater, hielt sich vorübergehend bei den Antragstellern auf. Er besaß
keine Aufenthaltserlaubnis, sondern lediglich eine Fiktionsbescheinigung.
Mit notariellem Schuldanerkenntnis vom 11. Juli 2006 "zum Zwecke der Anerkennung der Unterhaltsleistung im Sinne des SGB II"
verpflichtete sich die Antragstellerin zu 2, ihrer Tochter monatlich 250,00 EUR Unterhalt zu zahlen. Hierzu unterwarf sie
sich in der notariellen Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung. Den Unterhaltsbetrag von 250,00 EUR überweist die Antragstellerin
zu 2 - ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge - monatlich an ihre Tochter.
S. S. erhielt weder Sozialleistungen der Bundesrepublik Deutschland noch Mutterschaftsgeld. Sie hatte solche Leistungen auch
nicht beantragt.
Am 21. November 2006 stellte der Antragsteller zu 1 beim Sozialgericht Dresden einen Antrag auf Gewährung von vorläufigem
Rechtsschutz.
Er ist der Auffassung, dass eine Hilfebedürftigkeit gegeben sei. Er selbst habe keine Einkünfte. Die Lohn- und Gehaltszahlungen
für Juli und August seien verbraucht und könnten daher im November nicht mehr berücksichtigt werden. Auch Kindergeld beziehe
er nicht mehr. Allein seine Ehefrau habe Einkünfte aus ihrer Erwerbstätigkeit. Diese zahle hiervon monatlich 250,00 EUR auf
Grund des notariellen Unterhaltstitels an ihre Tochter. Dies müsse gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II vom Einkommen abgezogen
werden. Die Unterhaltspflicht ergebe sich aus §§
1601 ff.
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB). Seine Stieftochter habe keine Einkünfte. Auch sie sei grundsätzlich leistungsberechtigt nach dem SGB II. Der Antragsteller
könne aber seine Stieftochter und deren Ehegatten nicht zwingen, einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zu stellen.
Das Konto der Antragstellerin zu 2 bei der Ostsächsischen Sparkasse wies zum 9. Oktober 2006 ein Guthaben von 774,07 EUR sowie
zum 14. November 2006 in Höhe von 891,89 EUR aus. Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, eine Hilfebedürftigkeit sei nicht
gegeben. Das Einkommen der Antragstellerin zu 2 sei ausreichend, um den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft sicherzustellen. Unterhaltszahlungen
an die Stieftochter könnten nicht berücksichtigt werden, weil ihr Ehegatte ihr gegenüber unterhaltspflichtig sei. Die Tochter
der Antragstellerin zu 2 gehöre nicht zur Bedarfsgemeinschaft, da sie verheiratet sei und mit ihrem Ehegatten eine Bedarfsgemeinschaft
bilde.
Mit Beschluss vom 5. Dezember 2006 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, ab dem 21. November 2006 vorläufig
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 348,00 EUR bis zur Bestandskraft eines
für diesen Zeitraum ergehenden Widerspruchsbescheides oder des rechtskräftigen Abschlusses eines sich anschließenden Klageverfahrens,
maximal jedoch bis zum 31. Dezember 2007, zu zahlen. Für November 2006 sei die Leistung - ab dem 21. November 2006 - anteilig
zu zahlen.
Die Antragsteller seien gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähige Hilfebedürftige. Sie bildeten gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 1,
3a SGB II eine Bedarfsgemeinschaft. Demgegenüber gehöre die volljährige Tochter der Antragstellerin zu 2 nicht gemäß § 7 Abs.
3 Nr. 4 SGB II zu der Bedarfsgemeinschaft, da sie seit dem 21. März 2005 verheiratet sei. Der Bedarf betrage monatlich 786,48
EUR. Dieser setze sich zusammen aus den Regelleistungen der Antragsteller in Höhe von jeweils 311,00 EUR gemäß § 20 Abs. 2
Satz 1, 3 SGB II (in der ab dem 1. Juli 2006 gültigen Fassung) sowie den Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von (anteilig)
164,48 EUR gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Für die Kosten der Warmwasserbereitung sei von den Heizkosten eine Pauschale in
Höhe von 22,50 EUR abzuziehen. Dies basiere auf der Durchführungsregelung der Landeshauptstadt Dresden zur Umsetzung von §
22 SGB II. Zur Haushaltsgemeinschaft gehörten insgesamt fünf Personen. Im Übrigen seien die Kosten für Unterkunft und Heizung
nur anteilig, im Umfang von zwei Fünfteln, zu berücksichtigen.
Diesem Bedarf sei das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft gegenüberzustellen. In Anbetracht des Aufhebungsbescheides der Familienkasse
Bautzen vom 16. November 2006 sei davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1 - zumindest ab November 2006 - kein Kindergeld
mehr beziehe. Im Übrigen habe er auch keine Einnahmen aus Erwerbstätigkeit mehr. Diese seien zuletzt im Oktober 2006 zugeflossen.
Sein Arbeitsverhältnis sei beendet.
Die Antragstellerin zu 2 erziele monatlich differierendes Einkommen. Der Nettobetrag bewege sich bislang zwischen 789,75 EUR
und 1.150,15 EUR. Das durchschnittliche monatliche Einkommen zwischen Februar und Oktober 2006 betrage damit 984,88 EUR. Für
das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, mit welchem nur eine vorläufige Regelung getroffen werden solle, könne repräsentativ
das Einkommen aus August 2006 - ausgezahlt im September - in Höhe von 1.340,37 EUR brutto herangezogen werden. Zu Grunde gelegt
werden müssten daher 968,08 EUR netto.
Von diesem verbleibenden Betrag seien gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II der Grundfreibetrag in Höhe von 100,00 EUR sowie gemäß
§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 30 SGB II ein weiterer Freibetrag in Höhe von 180,00 EUR abzusetzen. Ferner sei gemäß
§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II die Unterhaltszahlung an die Tochter in Höhe von 250,00 EUR monatlich abzuziehen. Bezüglich
dieser Unterhaltsverpflichtung bestehe ein notariell beurkundetes Schuldanerkenntnis. Aus diesem könne gemäß §
794 Abs.
1 Satz 1 Nr.
5 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) auch vollstreckt werden. Unabhängig von einer Unterhaltsverpflichtung des Ehegatten der Tochter bleibe die Antragstellerin
zu 2 als Mutter für ihre Tochter gemäß §
1601 BGB gesetzlich unterhaltsverpflichtet. §
11 Abs.
2 Satz 1 Nr.
7 spreche von "Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen". Eine Vorrangigkeit des Unterhaltsverpflichteten
als Voraussetzung der Abzugsberechtigung komme im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck. Damit verbleibe ein anzurechnendes
Erwerbseinkommen von 438,08 EUR. Dem Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft von 786,48 EUR stehe mithin ein monatliches Einkommen
von 438,08 EUR gegenüber. Damit bestehe für die Bedarfsgemeinschaft - zumindest ab November 2006 - ein Anspruch auf vorläufige
Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 348,40 EUR. Dieser Betrag sei auf 348,00 EUR abzurunden.
Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 27. Dezember 2006 Beschwerde eingelegt. Mit dieser beantragt sie, den Beschluss des Sozialgerichts
Dresden vom 5. Dezember 2006 teilweise aufzuheben und die Antragsgegnerin/Beschwerdeführerin zu verpflichten, der Bedarfsgemeinschaft
des Antragstellers zu 1 und der Antragstellerin zu 2 ab dem 21. November 2006 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II in Höhe von monatlich 98,00 EUR, längstens bis zum 31. Mai 2006 bzw. bis zur Bestandskraft eines für diesen
Zeitraum ergehenden Widerspruchsbescheides oder rechtskräftigen Abschlusses eines folgenden Klageverfahrens, zu gewähren.
Für die vorläufige Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens könne von dem durchschnittlichen Einkommen des Monats
August 2006 ausgegangen werden. Nach Abzug der Freibeträge von 100,00 EUR, weiteren 140,00 EUR sowie 40,00 EUR sei ein bereinigtes
Einkommen von 688,08 EUR maßgebend. Die Unterhaltszahlung von monatlich 250,00 EUR könne hiervon nicht abgesetzt werden. Diese
resultiere aus einem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis, welches am 11. Juli 2006 abgegeben worden sei. Das Sozialgericht
habe zur Begründung auch darauf abgestellt, dass die Antragstellerin zu 2 - als Mutter - gemäß §
1601 BGB gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet sei. Eine teleologische Reduktion dahingehend, dass Unterhaltsverpflichtungen nachrangiger
Unterhaltsschuldner, die lediglich zur Schaffung eines Anspruchs nach dem SGB II notariell beurkundet würden, nicht anrechenbar
seien, hat das Gericht nicht vorgenommen. Die Antragstellerin zu 2 sei gesetzlich zu keiner Unterhaltsleistung an die Tochter
verpflichtet. Damit scheide eine Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II von vorneherein aus. Bei der titulierten Unterhaltsverpflichtung
handle es sich um die Beurkundung einer freiwilligen Unterhaltsleistung. Eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung bestehe
nach §
1610 BGB nur bei Bedürftigkeit, vgl. §
1602 Abs.
1 BGB. Bedürftigkeit bestehe bei Volljährigen nur dann, wenn und solange sich der Volljährige in Ausbildung befinde (§
1610 Abs.
2 BGB). In diesem Sinne habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Volljähriger, soweit er sich nicht in Berufsausbildung
befinde, für sich selbst verantwortlich und deshalb auch verpflichtet sei, die Sicherstellung eines notwendigen Lebensbedarfs
selbst vorzunehmen.
Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 5. Dezember 2006 teilweise aufzuheben. Die Beschwerdeführerin zu verpflichten,
der Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers ab dem 21. November 2006 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II in Höhe von monatlich 98,00 EUR, längstens bis zum 31. Mai 2006 bzw. bis zur Bestandskraft eines für diesen
Zeitraum ergehenden Widerspruchsbescheides oder rechtskräftigen Abschlusses eines sich gegebenenfalls anschließenden Klageverfahrens,
zu gewähren.
Die Antragsteller und Beschwerdegegner beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin zu 2 sei gemäß §
1601 BGB zur Unterhaltsleistung an ihre Tochter verpflichtet. S. S. und ihr Kind seien auch bedürftig. Nach § 1602 sei bedürftig,
wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Grundsätzlich wäre gemäß §
1608 Satz 1
BGB der Ehemann vorrangiger Unterhaltsschuldner. Da dieser keinen Unterhalt leisten könne, gelte hier nach §
1608 Satz 2
BGB keine Nachrangigkeit. Im Übrigen sei der Unterhaltsbetrag - unabhängig von dessen Rechtsgrund - in der titulierten Höhe nach
§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II vom Einkommen abzuziehen.
Die Beschwerdeführerin hat dargelegt, dass sie die Leistungen - entsprechend dem Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom
5. Dezember 2006 für den Zeitraum vom 21. November 2006 bis zum 31. Dezember 2007 gezahlt hat.
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten
der Beschwerdeführerin (vier Bände) verwiesen.
Die Beschwerde ist auch begründet. Denn die Antragsteller haben keinen - vorläufigen - Anspruch auf eine höhere Leistung als
die von der Antragsgegnerin zuerkannten 98,00 EUR monatlich. Zudem war der Leistungszeitraum auch auf die Zeit vom 1. Januar
bis zum 31. Mai 2006 zu begrenzen. Die Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 5. Dezember
2006 lediglich insoweit, als durch diesen eine Leistung über 98,00 EUR monatlich sowie über den 31. Mai 2006 hinaus zuerkannt
wurde.
Zutreffend hat das Sozialgericht zunächst ausgeführt, dass die Antragsteller inhaltlich den Erlass einer einstweiligen Anordnung
gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG begehren.
Nach §
86b Abs.
2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine einstweilige
Anordnung kann auch getroffen werden zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).
Um eine solche Regelungsanordnung geht es im vorliegenden Fall.
Eine einstweilige Anordnung gilt jedoch nur dann, wenn sie zur Abwendung wesentlicher, nicht wiedergutzumachender Nachteile
für die Antragsteller notwendig ist. Dabei haben die Antragsteller wegen der geltend gemachten Eilbedürftigkeit der Entscheidung
die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung nach §§
202 SGG,
294 der
Zivilprozessordnung (
ZPO), also Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, glaubhaft zu machen.
Bei dem Anordnungsanspruch muss es sich um einen der Durchsetzung zugänglichen materiell-rechtlichen Anspruch der Antragsteller
handeln. Diesen müssen die Antragsteller gemäß §
86b Abs.
2 Satz 3
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 ZPO glaubhaft machen. Voraussetzung ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, trotz der Möglichkeit des Gegenteils
dürfen Zweifel nicht überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage 2005, III. Kapitel,
Rdnr. 157). Das Begehren der Antragsteller muss im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen
summarischen Prüfung begründet erscheinen.
Ein solcher Anordnungsanspruch ist hier - jedenfalls über den zuerkannten Betrag von 98,00 EUR vom 1. Januar bis zum 31. März
2006 - nicht glaubhaft gemacht.
Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) - Arbeitslosengeld II - haben gemäß
§ 19 Satz 1 SGB II erwerbsfähige Hilfebedürftige nach Maßgabe der §§ 7 ff. SGB II.
Die Antragsteller erfüllen die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 SGB II. Sie leben in einer Bedarfsgemeinschaft
gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II.
Die Antragsteller sind auch - zumindest teilweise - hilfebedürftig im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB II. Die Antragstellerin zu
2 hat zwar Einkommen aus einer beitragspflichtigen Beschäftigung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Dieses Einkommen deckt jedoch
nicht den Gesamtbedarf; damit gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs als hilfebedürftig,
§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II (wird im Folgenden näher ausgeführt).
Die weiteren, in der Wohnung lebenden Personen gehören nicht zur Bedarfsgemeinschaft, insbesondere nicht die Tochter der Antragstellerin
zu 2, S. S. (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II: nur die unverheirateten Kinder).
Zunächst war die Höhe des für die Antragsteller zu veranschlagenden Bedarfs zu prüfen: Dieser setzt sich zusammen aus den
Regelleistungen für die Antragsteller in Höhe von jeweils 311,00 EUR (insgesamt 622,00 EUR) gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1, Abs.
2 SGB II (in der ab dem 1. Juli 2006 gültigen Fassung).
Für die Kosten von Unterkunft und Heizung ergab sich insgesamt ein Betrag von 433,69 EUR. Hiervon hat die Antragsgegnerin
22,50 EUR für die Warmwasserbereitung als Pauschale abgezogen. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 27. Februar 2008
(B 14/11b AS 15/07 R, S. 10) ergäbe sich allerdings ein anderer Wert, nämlich für jedes Mitglied der Hausgemeinschaft der Betrag von 5,60 EUR,
mithin insgesamt 28,00 EUR. Dies würde letztlich auch zu einem noch etwas niedrigeren Anspruch führen. Da jedoch die Antragsgegnerin
ihre Beschwerde auf eine Leistung über 98,00 EUR begrenzt hat, blieb es auch bei dem Abzug von (lediglich) 22,50 EUR. Dies
ergab einen Betrag von 411,19 EUR. Auf die Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller entfiel ein Anteil von zwei Fünfteln, mithin
insgesamt 164,47 EUR. Das SG hat mithin zutreffend für den Bedarf einen Betrag von 786,47 EUR errechnet.
Hierauf war das Einkommen der Antragstellerin zu 2 anzurechnen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Im Rahmen der vorläufigen, summarischen
Prüfung konnte das Sozialgericht zutreffend von dem durchschnittlichen Einkommen der Antragstellerin zu 2 ausgehen. Das Sozialgericht
hat hierfür den Einkommensbetrag für August 2006 - ausgezahlt im September 2006 - in Höhe von 1.340,37 EUR brutto herangezogen.
Die Antragsteller haben insoweit für die Zeit ab November 2006 sowie das Jahr 2007 jedenfalls kein niedrigeres durchschnittliches
Einkommen angegeben und auch nicht glaubhaft gemacht. Die Heranziehung des durchschnittlichen Einkommens war für das Verfahren
der einstweiligen Anordnung sachgerecht. Im Hauptsacheverfahren wäre für jeden Monat gesondert die genaue Einkommenshöhe festzustellen
und sodann hieraus das anrechenbare Einkommen zu ermitteln.
Von dem zu Grunde gelegten Bruttoeinkommen in Höhe von 1.340,37 EUR sind nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB II (in der
ab dem 1. Oktober 2005 gültigen Fassung) die auf das Einkommen entrichteten Steuern und die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung
einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung abzusetzen. Somit verblieben netto 968,08 EUR. Hiervon sind gemäß §
11 Abs.
2 Satz 3
SGB III der Grundfreibetrag in Höhe von 100,00 EUR sowie gemäß §
11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i. V. m. § 30 SGB II ein weiterer Freibetrag von 180,00 EUR abzusetzen.
Demgegenüber konnte - im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts - ein Abzug der monatlichen Unterhaltszahlung in Höhe
von 250,00 EUR nicht erfolgen. Zwar wurde dieser Betrag durch das notarielle Schuldanerkenntnis vom 11. Juli 2006 festgelegt.
Es handelte sich hierbei jedoch nicht um eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung, sondern eine freiwillige.
Ausgangsnorm für die Unterhaltsverpflichtungen zwischen Eltern und Kindern ist §
1601 Abs.
1 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB). Nach §
1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Kinder haben entsprechend, solange sie nicht
verheiratet sind, einen Unterhaltsanspruch in erster Linie gegen ihre Eltern. Dabei ist die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber
minderjährigen Kindern als Ausdruck der elterlichen Sorgepflicht in mehrfacher Hinsicht besonders stark ausgeprägt. Gleichwohl
wurzelt der Unterhaltsanspruch aller minderjährigen und volljährigen Kinder einheitlich in dem Unterhaltsrechtsverhältnis
nach den §§
1601 ff.
BGB (Schumacher in: Luthin, Handbuch des Unterhaltsrechts, 9. Auflage, Rdnr. 3011).
Ist demgegenüber das Kind bereits verheiratet, haften die Eltern nur nachrangig nach seinem Ehegatten, gleich ob das Kind
volljährig oder ausnahmsweise noch minderjährig ist (§
1608 BGB). Nur soweit der Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen nicht in der Lage ist, ohne Gefährdung seines
eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren, haften die Eltern vor dem Ehegatten. (Schumacher, aaO., Rdnr. 3070)
Zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Ehemannes der Tochter S. S. ist bislang noch nichts näher dargestellt und
erst recht nicht glaubhaft gemacht. Aber selbst wenn man diese Voraussetzung unterstellte, also annähme, der Ehemann sei ohne
Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts nicht in der Lage, seiner Ehefrau Unterhalt zu gewähren, ergäbe sich für
die Antragstellerin zu 2 keine gesetzliche Unterhaltspflicht.
Dies folgt aus den weiteren Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindesunterhalt:
Voraussetzung für einen Unterhaltsanspruch ist die Bedürftigkeit (§
1602 BGB). Unterhaltsberechtigt ist nach §
1602 Abs.
1 BGB nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Diese Voraussetzung ist grundsätzlich von demjenigen, der Unterhalt
verlangt, zu beweisen. Bei Kindern ist jedoch von Bedürftigkeit auszugehen, solange sie minderjährig sind und/oder sich in
einer Ausbildung befinden, die als "angemessene Vorbildung zu einem Beruf" im Sinne des §
1602 BGB anzusehen und daher von der elterlichen Unterhaltspflicht umfasst ist. Minderjährige Kinder sowie Kinder in der Ausbildung
(privilegierte volljährige Kinder) sind generell nicht zu einer Erwerbstätigkeit verpflichtet, während volljährige Kinder,
die nicht in einer Ausbildung stehen, sich auf jedwede Erwerbsmöglichkeit verweisen lassen müssen. Das volljährige Kind ist
grundsätzlich für seinen Lebensunterhalt selbst verantwortlich, denn mit Gewährung des Ausbildungsunterhalts ist die elterliche
Unterhaltspflicht im Prinzip abgeschlossen. Eine den Unterhaltsanspruch gegen die Eltern auslösende Bedürftigkeit wird bei
volljährigen Kindern nur unter strengen Voraussetzungen angenommen (vgl. Schumann, aaO., Rdnr. 3016, 3141 und 3213; sowie
Strohal in: Göppinger/Wax u. a., Unterhaltsrecht [6. Auflg.], Rdnr. 290, 291). Eine Einschränkung der Erwerbsobliegenheit
könnte sich hier durch die Betreuung des neugeborenen Kindes ergeben. Auch diese Frage musste jedoch nicht abschließend entschieden
werden, denn jedenfalls die weiteren Umstände standen einer Unterhaltspflicht der Antragstellerin zu 2 entgegen.
Weitere wesentliche Voraussetzung für einen Unterhaltsanspruch ist die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, also hier
der Antragstellerin zu 2. Die Voraussetzung der Leistungsfähigkeit bestimmt sich nach §
1603 Abs.
1 und
2 BGB. Zu unterscheiden ist auch hierbei zwischen dem minderjährigen sowie privilegiert volljährigen Kind und dem volljährigen
verheirateten Kind. Volljährige unverheiratete Kinder (bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres), die im Haushalt der Eltern
oder eines Elternteils leben und sich noch in der allgemeinen Schulausbildung befinden, nehmen in zweifacher Hinsicht an den
für minderjährige Kinder geltenden Besserstellungen teil, und zwar im Rahmen des §
1603 Abs.
2 BGB (verstärkte Leistungspflicht der Eltern) sowie des §
1609 Abs.
1 BGB (gesetzliche Rangfolge). Anderen Kindern, also den verheirateten volljährigen Kindern (wie hier der Tochter S. S.) geht der
Ehegatte in der Rangfolge vor (§
1609 Abs.
2 Satz 1 2. Alt.
BGB). Auf Grund der vorrangigen Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Ehemann, dem Antragsteller zu 1, hat daher die Antragstellerin
zu 2 zunächst den Unterhaltsanspruch ihres Ehemannes auf der Grundlage der §
1360,
1360a BGB zu begleichen. Erst danach folgt die volljährige verheiratete Tochter. (Strohal, aaO., Rdnr. 333)
Die vorliegende Situation unterscheidet sich damit von dem so genannten "Mangelfall". Von einem "Mangelfall" spricht man dann,
wenn der Pflichtige bei Wahrung seines notwendigen/angemessenen Eigenbedarfs den Mindestbedarf gleichrangiger Unterhaltsberechtigter
nicht befriedigen kann (vgl. Schumacher, aaO., Rdnr. 3312 und 3313 ff.: Für diese Situationen sind in Rechtsprechung und Literatur
verschiedene Berechnungsmethoden entwickelt worden.).
Schließlich besteht auch nur gegenüber minderjährigen und volljährigen, unverheirateten Kindern die verstärkte Unterhaltspflicht
(§
1603 Abs.
2 BGB). Diese findet ihre Grenze beim notwendigen Eigenbedarf (Selbstbehalt) der Eltern. Der notwendige Eigenbedarf wird im Wesentlichen
durch den Sozialhilfebedarf bestimmt, da niemand unterhaltspflichtig sein kann, der infolge der Zahlung von Unterhalt selbst
Sozialhilfe in Anspruch nehmen müsste (Schumacher, aaO., Rdnr. 3195). Demgegenüber ist bei volljährigen, nicht privilegierten
Kindern der angemessene Selbstbehalt als Grenze der Leistungspflicht maßgebend (Schumacher, aaO., Rdnr. 3225). Nach der als
Vortabelle zur Düsseldorfer Tabelle ab dem 1. Juli 2005 für das Beitrittsgebiet maßgebenden Berliner Tabelle (Internet: www.Berlin.de/SenJust/Gerichte/AG/famr
formulare.html) beträgt der angemessene monatliche Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gegenüber volljährigen, nicht privilegierten
Kindern 1.100,00 EUR. Somit ist auch aus diesem Grund - über die Vorrangigkeit des Ehemannes hinaus - ein Unterhaltsanspruch
gegen die Antragstellerin zu 2 nicht gegeben. Ihre Leistungsfähigkeit ist durch den angemessenen Selbstbehalt begrenzt.
Zudem war gemäß § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II die Leistung auf sechs Monate, bis zum 31. Mai 2007, zu begrenzen. Die Ausnahme
einer Bewilligung für 12 Monate nach § 41 Abs. 1 Satz 5 greift hier nicht ein, denn nach den vorliegenden Familienverhältnissen
und den finanziellen Konstellationen konnte nicht von unveränderten Verhältnissen ausgegangen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist abschließend (§
177 SGG).