Gewährung einer Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer; Zulassung eines verspäteten Antrags zur Vermeidung unbilliger Härten;
Anwendbarkeit des Rechtsinstituts der positiven Vertragsverletzung auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse; sozialrechtlicher
Herstellungsanspruch
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer.
Der am 1960 geborene Kläger war von 1996 bis zum 31. März 2009 bei der Firma Q D und vom 1. April 2009 bis zum 15. August
2009 als Transferkurzarbeiter bei der Transfergesellschaft PTG A beschäftigt.
Mit Bescheid vom 25. August 2009 bewilligte ihm die Beklagte Arbeitslosengeld ab dem 16. August 2009 unter Berücksichtigung
eines Bemessungsentgelts in Höhe von 144,46 EUR. Während der Teilnahme an einer nach §§
77,
80 und
81 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) geförderten beruflichen Weiterbildungsmaßnahme in der Zeit vom 21. Oktober 2009 bis zum 7. Mai 2010 erhielt der Kläger Arbeitslosengeld
als Leistungen zum Lebensunterhalt bei beruflicher Weiterbildung.
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2010 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er Kenntnis über die Möglichkeit einer "Entgeltsicherung
für ältere Arbeitnehmer" erhalten habe und rügte, dass er hierüber von der Beklagten nicht beraten worden sei. Er wies auf
einen potentiellen Arbeitgeber hin, bei dem er zeitnah hätte anfangen können, wenn einer Entgeltsicherung zugestimmt worden
wäre.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2010 teilte die Beklagte dem Kläger die Voraussetzungen für eine Entgeltsicherung für ältere
Arbeitnehmer nach § 421j
SGB III mit. Sie verwies auf erhaltene Merkblätter und erläuterte dem Kläger den Grund für eine nicht erfolgte Einladung zu einer
Gruppeninformationsveranstaltung für ältere Arbeitslose im Alter von 49 bis 64 Jahre. Eine solche Veranstaltung habe am 8.
September 2009 stattgefunden. Hierzu sei der Kläger aber nicht eingeladen worden, da die Einladungen 14 Tage vor der Veranstaltung
versendet worden seien und der Arbeitslosengeldbescheid vom 25. August 2009 erst am 28. August 2009 als bekannt geworden gegolten
habe. Eine weitere Informationsveranstaltung habe am 11. Mai 2010 stattgefunden. Da der Kläger aber bis zum 7. Mai 2010 an
einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen und daher nicht als arbeitslos gegolten habe, sei es wiederum nicht
zu einer Einladung gekommen.
Am 26. Oktober 2010 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer ab dem
1. November 2010 und nahm ab diesem Tag eine bis zum 31. Oktober 2011 befristete versicherungspflichtige Beschäftigung mit
einem wöchentlichen Umfang von 40 Stunden als Installateur bei der Firma B S E AG in E auf. Das monatliche Bruttoarbeitsentgelt
betrug 1.998,88 Euro.
Mit Bescheid vom 20. Dezember 2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer
ab, da er bei der Aufnahme der Beschäftigung nicht über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 120 Tagen verfügt
habe.
Hiergegen legte der Kläger am 10. Januar 2011 Widerspruch ein und verwies auf die unterlassene Beratung über die Möglichkeit
der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer. Am 4. Mai 2010 habe er bei der Beklagten einen Termin zur Wiedereingliederungsvereinbarung
wahrgenommen. Zu diesem Zeitpunkt habe er noch einen Anspruch auf 200 Tage Arbeitslosengeld gehabt. Inhalt des Termins sei
eine Kurzbesprechung zu seinem Profil und der Hinweis zu seiner Verpflichtung zur eigenständigen Arbeitssuche gewesen. Über
die Möglichkeit der Teilnahme an einer Informationsveranstaltung zum Thema Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer am 10.
Mai 2010 habe man ihn nicht informiert. Hätte man ihn über dieses Instrument der Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt
aufgeklärt, hätte er schon im Zeitraum Mai bis Juli 2010 einen (deutlich) geringer bezahlten Job annehmen können. Fachlich
erfolgreiche Vorstellungsgespräche habe er dazu am 29. Juni 2010 bei der Fa. S S GmbH in D und am 4. Juli 2010 bei der S AG
in E gehabt. Aber auch andere Bewerbungen wären möglich gewesen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2011 zurück, da die Anspruchsvoraussetzungen zur
Gewährung einer Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer dem Grunde nach nicht gegeben seien. Bei Beendigung der Arbeitslosigkeit
durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung habe er keinen Anspruch von mindestens 120 Tagen Arbeitslosengeld
gehabt. Ein solcher habe zum Zeitpunkt der Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung am 1. November 2010 nur noch
in Höhe von 23 Tagen bestanden. Der Einwand, wonach die unterlassene Beratung zur Entgeltsicherung eine Ausnahmeentscheidung
ermöglichen müsste, sei zwar beachtlich, biete jedoch rechtlich keinen Raum für eine andere Entscheidung und könne insbesondere
nicht durch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ersetzt werden.
Der Kläger hat am 4. März 2011 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben lassen. Er hat sich im Wesentlichen auf
die Ausführungen im Widerspruchsverfahren und die fehlende Beratung über die Möglichkeit der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer
bezogen. Im Übrigen müsse die gesetzliche Regelung insoweit ausgelegt werden, dass es ausreiche, dass überhaupt ein Anspruch
auf Arbeitslosengeld von 120 Tagen bestanden habe. Da aus dem Gesetz nicht hervor gehe, dass dies zum Zeitpunkt der Beantragung
oder zum Zeitpunkt der Bewilligung der Maßnahme der Fall sein müsse, könne der Gesetzeswortlaut von § 421j
SGB III auch so verstanden werden, dass insgesamt eine Dauer von 120 Tagen des Bezuges von Arbeitslosengeld bestanden haben müsse
und der Antrag irgendwann in diesem Zeitraum von 120 Tagen gestellt werden müsse. Insoweit habe sein Anspruch bestanden.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. November 2011 abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf Entgeltsicherung
für ältere Arbeitnehmer gemäß § 412j
SGB III ab dem 1. November 2010 habe. Der Kläger habe bei Aufnahme seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung am 1. November 2010
keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 120 Tagen mehr gehabt. Für die Berechnung der Restdauer des Anspruchs
auf Arbeitslosengeld nach § 421j Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SGB III sei nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sondern auf den Zeitpunkt der Aufnahme der über die Entgeltsicherung zu fördernden
Beschäftigung abzustellen.
Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheide aus. Dieser sei auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung
des Zustands gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden
Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hätte. Hierdurch könne der Leistungsträger nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
aber nicht zu einer dem Gesetz und Recht widersprechenden Handlung verpflichtet werden. Die verspätete Aufnahme einer Beschäftigung
als tatsächlicher Umstand könne nicht im Wege der Herstellung durch eine rechtmäßige Handlung der Beklagten beseitigt werden.
Der Zeitpunkt der Aufnahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung betreffe ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen
dem Kläger und seinem Arbeitgeber und sei einer Gestaltung durch die Beklagte nicht zugänglich. Daher könne auch eine frühere
Arbeitsaufnahme zu einem Zeitpunkt, als der Kläger noch einen Anspruch auf mindestens 120 Tage Arbeitslosengeld gehabt habe,
nicht fingiert werden.
Der Kläger hat gegen den am 7. November 2011 zugestellten Gerichtsbescheid am 24. November 2011 durch seinen Prozessbevollmächtigten
Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass eine Berücksichtigung des Antrags nach §
324 Abs.
1 Satz 2
SGB III möglich gewesen wäre. Auch eine unbillige Härte liege vor, da er nicht für die Informationsveranstaltungen vorgemerkt worden
sei, obwohl er erstmals bereits am 8. Juli 2009 bei der Beklagten vorgesprochen habe. Spätestens bei Erlass des Bescheids
vom 25. August 2009 sei klar gewesen, dass er die Anspruchsvoraussetzungen von § 421j
SGB III erfüllen könne. Dementsprechend hätte er von der Beklagten auf die möglichen Leistungen hingewiesen werden müssen. Wegen
der unterlassenen Beratung ergebe sich schließlich ein Anspruch auf die begehrten höheren Leistungen auch unter der Berücksichtigung
von §
280 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB).
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 4. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 2010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen
nach § 421j
SGB III in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die fehlenden gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für eine Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer
und bezieht sich hinsichtlich des Vorwurfs der unterlassenen Beratung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die bezogene
Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 15. Februar 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs
[SGG]. Er hat keinen Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer nach § 421j
SGB III (in der Fassung des Gesetzes vom 19. April 2007 [BGBl. I, S. 538], gültig vom 21. Dezember 2008 bis zum 31. Dezember 2010;
im Folgenden [a. F.]).
1. Nach § 421j Abs. 1. Satz 1
SGB III a. F. hatten Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet hatten und ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung beendeten oder vermieden, Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung, wenn sie (1.) einen Anspruch auf Arbeitslosengeld
von mindestens 120 Tagen hatten oder hätten geltend machen können, (2.) ein Arbeitsentgelt hätten beanspruchen können, das
den tariflichen oder, wenn eine tarifliche Bindung der Vertragsparteien nicht bestand den ortsüblichen Bedingungen entsprach
und (3.) eine monatliche Nettoentgeltdifferenz von mindestens 50 EUR bestand.
Zwar hatte der Kläger bei Aufnahme seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Firma B S E AG am 1. November 2010
das 50. Lebensjahr vollendet und einen Anspruch auf ein tarifliches oder ortsübliches Arbeitsentgelt, welches zur vorherigen
Tätigkeit zu seinen Lasten differierte. Jedoch hatte er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 120 Tagen oder
hätte diesen geltend machen können. Am 31. Oktober 2010 bestand nur noch ein Restanspruch von 23 Tagen.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann § 421j Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SGB III a. F. auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass es für einen Anspruch auf Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer nur
darauf ankommt, dass überhaupt, das heißt zu einem beliebigen Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit, ein Anspruch auf 120 Tage Arbeitslosengeld
bestanden hat. Hiergegen spricht der eindeutige Gesetzeswortlaut von § 421j Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SGB III a. F., wonach der Anspruch auf mindestens 120 Tage Arbeitslosengeld bestehen musste oder hätte geltend gemacht werden können.
Ein solcher Anspruch muss der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Aufnahme der neuen Beschäftigung haben (vgl. Winkler, in: Gagel,
SGB II/SGB III, [39. Erg.-Lfg., 2010], § 421j Rdnr. 11; Brandts, in: Niesel/Brandt,
SGB III, [5. Aufl., 2010], § 421j Rdnr. 11; Leopold, in: Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, Hrsg: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching,
[30. Edit., Stand: 1. Juni 2013], § 421j [a.F.] Rdnr. 10b).
2. Der Kläger kann sich für den geltend gemachten Anspruch auch nicht darauf berufen, sein (verspäteter) Antrag auf Entgeltsicherung
sei wegen einer unbilligen Härte für einen früheren Zeitpunkt zuzulassen.
Nach §
324 Abs.
1 Satz 2
SGB III kann die Agentur für Arbeit zwar zur Vermeidung einer unbilligen Härte eine verspätete Anragstellung zulassen. Da die Beklagte
grundsätzlich verpflichtet ist, einen über 50-jährigen Arbeitslosen bei der Arbeitslosmeldung auf das Förderinstrument der
Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer hinzuweisen, hätte dies zur Folge, dass bei Unterbleiben eines entsprechenden Hinweises
eine verspätete, nach Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses erfolgte Antragstellung auf Entgeltsicherung grundsätzlich
zuzulassen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 7a AL 22/06 R - SozR 4-4300 § 324 Nr. 3 = JURIS-Dokument Rdnr. 13; LSG Nordrhein-Westfalen,
Urteil vom 17. Januar 2013 - L 9 AL 67/12 - JURIS-Dokument Rdnr. 47). Ob die Beklagte hier ihrer Beratungspflicht durch die von ihr behauptete Aushändigung eines Merkblattes
in ausreichendem Maße nachgekommen ist, oder ob sie dafür hätte Sorge tragen müssen, dass der Kläger zu den Informationsveranstaltungen
für ältere Arbeitnehmer hätte eingeladen oder individuell beraten werden müssen, kann in diesem Zusammenhang dahingestellt
bleiben. Denn die nach §
324 Abs.
1 Satz 2
SGB III geregelte Zulassung eines verspäteten Antrags zur Vermeidung unbilliger Härten bedeutet nur, dass ein verspäteter Antrag,
der im Fall der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer grundsätzlich vor der Aufnahme der schlechter bezahlten Beschäftigung,
als leistungsbegründendes Ereignis im Sinne von §
324 Abs.
1 Satz 1
SGB III, gestellt werden muss (vgl. Leopold, aaO., § 421j [a. F.] Rdnr. 38; Winkler, aaO., § 421j Rdnr. 31) Berücksichtigung finden
kann. Die Härtefallregelung bedeutet aber nicht, dass auf das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen aus § 421j
SGB III, das heißt hier der Voraussetzung auf einen Restanspruch von 120 Tagen Arbeitslosengeld, verzichtet werden kann.
3. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes setzt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch voraus, dass der
Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung
(vgl. § 14 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch - Allgemeiner Teil - [SGB I]) und Auskunft (vgl. §
15 SGB I), verletzt hat. Weiter ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil
des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene
Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2010 - B 13 R 15/10 R - SozR 4-1500 § 193 Nr. 6 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 39; BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 29/10 R - SozR 4-1200 § 14 Nr. 15 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 12;, jeweils m. w. N.; Hassel, in: Brand,
SGB III [6. Aufl., 2012], §
323 Anh Rdnr. 28, ff.). Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (vgl.
BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 166/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 31 - JURIS-Dokument Rdnr. 27, m. w. N.; vgl. auch Sächs. LSG, Urteil vom 27. September 2012 - L 3 AS 329/09 - JURIS-Dokument Rdnr. 32, m. w. N.).
Der Senat hat Bedenken hinsichtlich der Einladungspraxis der Beklagten und damit verbunden hinsichtlich eines etwaigen Beratungsunterlassens
in Bezug auf den Kläger. Denn der Beklagten erschien das Thema der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer offenbar so bedeutsam,
dass sie hierfür über das Verteilen von Merkblättern hinaus wiederholt eigens Informationsveranstaltungen durchführte, zumindest
das Thema aber auf Informationsveranstaltungen ansprach und für diese Veranstaltungen eigens Einladungen versandte. Wenn aber
einem bestimmten Thema ein solches Gewicht beigemessen wird, spricht Vieles dafür, dass die Beklagte verpflichtet sein könnte,
ihre Einladungspraxis dahingehend auszurichten. Es erscheint kaum sachgerecht, die Einladungen auf solche Arbeitslosen zu
beschränken, die zufällig zu dem Zeitpunkt, an dem die Einladungen verschickt werden, oder in einem engen Zeitkorridor vor
der Informationsveranstaltung in der Statistik oder in internen Datensätzen als arbeitslos geführt werden.
Die Frage nach einer etwaigen Verletzung der Beratungspflicht bedarf vorliegend allerdings keiner Vertiefung, weil nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch Begebenheiten tatsächlicher Art nicht
ersetzt werden können (vgl. die umfangreichen Nachweise bei Hassel, aaO., Rdnr. 38). Eine solche Begebenheit tatsächlicher
Art ist aber die nicht erfolgte Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses zu einem bestimmten (früheren) Zeitpunkt, an dem
die Anspruchsvoraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch, hier insbesondere der Restanspruch auf 120 Tage Arbeitslosengeld,
noch vorgelegen hätten.
4. Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf die begehrte Leistung im Wege eines Schadensersatzanspruches in entsprechender
Anwendung von §
280 BGB berufen.
Wenn ein Schuldner eine Pflicht aus einem Schuldverhältnis verletzt, kann der Gläubiger gemäß §
280 Abs.
1 Satz 2
BGB Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu
vertreten hat (vgl. §
280 Abs.
1 Satz 2
BGB). Die Regelungen in §
280 BGB betrifft grundsätzlich Pflichten aus jeder Art von Schuldverhältnissen, also vertragliche, gesetzliche und auch solche aus
vorvertraglichen Kontakten (vgl. Ernst, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2 [6. Aufl., 2012], §
280 Rdnr. 6; H. P. Westermann, in: Erman
BGB, Kommentar, [13. Aufl., 2011], §
280 BGB Rdnr. 5; Stadler, in: Jauernig,
Bürgerliches Gesetzbuch [14. Aufl., 2011], §
280 Rdnr. 2, jeweils m. w. N.).
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass das im Zivilrecht entwickelte Rechtsinstitut der "positiven
Vertragsverletzung", das seit dem 1. Januar 2002 (vgl. Artikel 1 Abs. 1 Nr. 9 des Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts
vom 26. November 2001 [BGBl. I S. 3138]) in §
280 Abs.
1 BGB kodifiziert ist, auch auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse entsprechend anzuwenden ist, soweit diese schuldrechtsähnliche
Leistungsbeziehungen begründen und die Eigenart des öffentlichen Rechts nicht entgegensteht. Es muss eine dem privatrechtlichen
Schuldverhältnis vergleichbare Leistungs- und Obhutsbeziehung bestehen (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 24. Januar 2008 - B 3 KR 2/07 R - SozR 4-2500 § 132a Nr. 4 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 20 ff; BSG, Urteil vom 16. Februar 2012 - B 9 VG 1/10 R - SozR 4-1300 § 112 Nr. 1 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 36 m. w. N.).
Das Bundessozialgericht hat die Anwendbarkeit von §
280 BGB unter anderem im Verhältnis zwischen einer Krankenkasse auf der einen Seite und einem Krankenhaus oder einem nichtärztlichen
Leistungserbringen auf der anderen Seite bejaht. Dies wird unter anderem damit begründet, dass der Gesetzgeber in §
69 Abs.
1 Satz 3 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (
SGB V) für die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie
sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden die Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuches ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt hat (vgl. BSG, Urteil vom 15. November 2007 - B 3 KR 1/07 R - BSGE 99, 208 ff. = SozR 4-2500 § 69 Nr. 3 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 16, m. w. N.; BSG Urteil vom 24. Januar 2008, aaO., Rdnr. 22). Ferner ist zu berücksichtigen, dass gemäß §
51 Abs.
1 Nr.
2 und Abs.
2 Satz 1
SGG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung
entscheiden.
Für das Opferentschädigungsrecht hat das Bundessozialgerichtes §
280 BGB in einem Erstattungsstreit zwischen einem Land und einer Krankenkasse als anwendbar erachtet. Dass Verhältnis sei von Anfang
an durch eine Obhutsbeziehung geprägt gewesen und habe sich mit der Anerkennung als Opferentschädigungsfall rückwirkend zu
einer Leistungsbeziehung entwickelt. Die Begründung einer Schadensersatzpflicht bei Pflichtverletzungen der Krankenkasse im
Zusammenhang mit der Schadensregulierung erscheine dem Senat auch deshalb erforderlich, weil mit der Einführung der pauschalen
Aufwendungsabgeltung nach §§ 19,20 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG) die Möglichkeit eines Interessenausgleiches im Rahmen des Erstattungsverfahrens entfallen sei. Im Übrigen erlaube die Prüfung
eines Schadensersatzanspruchs eine differenzierte Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, was bei der Beschränkung
auf einen bereicherungsrechtlichen Ausgleich zwischen den Beteiligten nicht hinreichend möglich wäre (vgl. BSG, Urteil vom 16. Februar 2012 - B 9 VG 1/10 R - BSGE 110, 104 ff. = SozR 4-1300 § 112 Nr. 1 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 37).
Eine Anwendung von §
280 BGB über die Fälle hinaus, in denen entweder in sozialrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich auf diese Vorschrift, zumindest aber
auf Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuches verwiesen wird, oder in denen eine dem privatrechtlichen Schuldverhältnis vergleichbare Leistungs- und Obhutsbeziehung besteht,
ist nicht gerechtfertigt. Denn eine Erstreckung des Anwendungsbereiches von §
280 BGB auf alle Sozialrechtsverhältnisse würde das im öffentlichen Recht ausdifferenzierte Fehlerfolgensystem weitgehend obsolet
machen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.
IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe dafür (vgl. §
160 Abs.
2 SGG) nicht vorliegen.