Grundsicherung für Arbeitsuchende
Vermögensberücksichtigung
private Rentenversicherung
fehlender Verwertungsausschluss
Anforderungen an das Vorliegen einer besonderen Härte
Tatbestand
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis zum 30. Juni 2016 geltend.
Die am ... 1962 geborene, im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige und alleinstehende Klägerin absolvierte von 1990
bis 1993 eine Ausbildung zur Heilpraktikerin und war im Anschluss daran bis 2016 in diesem Beruf selbständig tätig. Sie war
in dieser Tätigkeit nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig (Bescheid der Bundesversicherungsanstalt
für Angestellte vom 30. Januar 2002). Von Oktober 2014 bis Mai 2015 war die Klägerin neben ihrer selbständigen Tätigkeit in
Teilzeit als Angestellte beschäftigt.
Bereits zum 1. Dezember 2000 schloss die Klägerin bei der P. AG (im Folgenden: P.) eine private Rentenversicherung ab. Nach
dem Vertrag konnte das Guthaben entweder als monatliche Rentenzahlung (beginnend ab 1. Dezember 2027) oder als einmalige Kapitalabfindung
(frühestens 12 Jahre nach Vertragsabschluss und spätestens zwei Monate vor Beginn der Rentenzahlung) ausgezahlt werden. Die
Rentenversicherung gehörte nicht zu den nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge nach dem sog. Riester-Modell geförderten
Anlageformen. Eine Vereinbarung dahingehend, dass eine Kündigung der Rentenversicherung vor dem Eintritt in den Ruhestand
ausgeschlossen sei, wurde nicht getroffen. Bis zum 1. Januar 2016 hatte die Klägerin in diese Versicherung Beiträge in Höhe
von insgesamt 20.018,85 Euro eingezahlt, der Rückkaufwert der Versicherung zum 1. Januar 2016 betrug 20.972,26 Euro. Ausweislich
einer Mitteilung der P. vom 13. Dezember 2015 betrug der monatliche Beitrag 159,45 Euro, der ab Dezember 2027 zu erwartende
monatliche Auszahlungsbetrag 279,43 Euro. Die Klägerin hatte zudem eine Berufsunfähigkeitsversicherung bei der A. (im Folgenden:
A.) abgeschlossen.
Am 17. Mai 2016 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten, weil sie aufgrund einer Erkrankung nicht mehr in der Lage sei, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2016 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin sei nicht hilfebedürftig.
Ihr stehe aus einer „Lebensversicherung“ ein Rückkaufwert in Höhe von 20.972,26 Euro zu. Damit verfüge sie über verwertbares
Vermögen, welches den ihr zustehenden Vermögensfreibetrag in Höhe von 8.850,- Euro übersteige.
Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 1. Juli 2016 Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid. Sie trug vor, die Rentenversicherung
sei zu Unrecht als Lebensversicherung definiert worden.
Mit Schreiben vom 4. Juli 2016 machte die Klägerin gegenüber der A. einen Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente geltend.
Ebenfalls am 4. Juli 2016 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Hamburg
(Az.: S 6 AS 2474/16 ER). Sie trug unter anderem vor, sie habe zwar bisher mit der P. keine Vereinbarung dahingehend getroffen, dass eine Kündigung
der Rentenversicherung vor Eintritt des Leistungsfalls ausgeschlossen sei. Wenn dies jedoch die einzige Möglichkeit sei, die
Rentenversicherung zu retten, werde sie dies zeitnah tun. Im Rahmen des Eilverfahrens reichte die Klägerin außerdem einen
Arztbrief der A1 Klinik N. vom 6. Juni 2016 über einen stationären Aufenthalt vom 29. April 2016 bis zum 7. Juni 2016 ein.
Nach diesem Bericht war die Klägerin nach einem Suizidversuch mit Tabletten in die Klinik aufgenommen worden. Diagnostiziert
wurde eine schwere depressive Episode. Weiter heißt es, die Klägerin leide seit dem Jahr 2000 unter Schlafstörungen, infolgedessen
sei eine Benzodiazepinabhängigkeit entstanden. In der Klinik sei die Medikation umgestellt worden, sodass sie stabilisiert
entlassen worden sei.
Mit Beschluss vom 5. August 2016 verpflichtete das Sozialgericht den Beklagten, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Juli
2016 bis zum 31. Oktober 2016 vorläufig Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren Zur Begründung führte es aus, die private Rentenversicherung sei ein verwertbarer Vermögensgegenstand und nicht
gem. § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II geschützt, da bislang kein Verwertungsausschluss vereinbart sei. Die Klägerin sei auch keine von der gesetzlichen Rentenversicherung
befreite Person im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II, da sie als Selbständige schon nicht der Versicherungspflicht unterfalle. Die Verwertung der privaten Rentenversicherung
würde für die Klägerin jedoch eine besondere Härte im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB II darstellen. Bei der Prüfung, ob eine besondere Härte vorliege, seien insbesondere zwei Aspekte von Bedeutung: Zum einen sei
maßgeblich, wie groß die bei Verwertung der privaten Altersvorsorge voraussichtlich entstehende Versorgungslücke im Alter
sein werde. Zum anderen sei darauf abzustellen, welche Zeit dem Leistungsberechtigten verbleibe, diese zu erwartende Versorgungslücke
wieder zu schließen. Hier sei davon auszugehen, dass die private Rentenversicherung der Altersvorsorge der Klägerin dienen
solle, denn sie habe bekräftigt, eine Vereinbarung über den Ausschluss der vorzeitigen Verwertung treffen zu wollen, wenn
dies erforderlich sei. Die Klägerin verfüge soweit erkennbar über keinerlei anderweitige Altersvorsorge. Ihre Altersvorsorge
weise daher nicht nur Lücken auf, sondern sei quasi nicht existent. Es sei ihr nicht zuzumuten, im Alter von 54 Jahren nunmehr
mit dem Aufbau einer Altersvorsorge nahezu von vorn zu beginnen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre langjährige
selbständige Tätigkeit aufgrund schwerer Krankheit aufgegeben habe, sodass eine Wiederaufnahme der Tätigkeit nicht unmittelbar
absehbar sei. Es sei vielmehr zu erwarten, dass die Klägerin für einen langen Zeitraum auf Leistungen des Beklagten angewiesen
sein werde. Unerheblich sei, dass die private Rentenversicherung alleine auch nicht ausreichen werde, um eine Versorgungslücke
im Alter abzuwenden, da die zu erwartende private Altersrente von 279,43 Euro monatlich unterhalb des Existenzminimums liegen
werde. Es komme nämlich allein darauf an, ob das bisher angesparte Vermögen schutzwürdig sei, weil es der Altersvorsorge diene
und keine andere Altersvorsorge vorhanden sei. Andernfalls würde man im Ergebnis dazu kommen, dass das Vermögen deshalb nicht
schutzwürdig sei, weil es nicht hoch genug sei. Das sei mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar.
Mit Bescheid vom 9. August 2016 setzte der Beklagte den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg um und bewilligte der Klägerin
für den Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis zum 31. Oktober 2016 vorläufig Leistungen nach dem SGB II.
Mit Schreiben vom 18. August 2016 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, das Gericht sei im Rahmen des Eilverfahrens davon
ausgegangen, dass der bisher angesparte Betrag tatsächlich der Altersvorsorge dienen solle, weil die Klägerin im Eilverfahren
bekräftigt habe, einen Verwertungsausschluss vereinbaren zu wollen, und dies vom Gericht als glaubhaft empfunden worden sei.
Für eine positive Bescheidung des Widerspruches werde die Klägerin aufgefordert, einen Nachweis über den vereinbarten Verwertungsausschluss
einzureichen.
Die A. teilte der Klägerin mit Schreiben vom 18. August 2016 mit, dass sie deren Berufsunfähigkeit ab dem 1. Juli 2016 anerkenne.
Hinsichtlich der Höhe der Leistungen müssten noch Berechnungen durchgeführt werden, man werde die Klägerin informieren. Daraufhin
meldete sich die Klägerin für die Zeit ab dem 1. September 2016 beim Beklagten aus dem Leistungsbezug ab. Der Beklagte hob
mit Bescheid vom 23. August 2016 den Bescheid von 9. August 2016 mit Wirkung ab dem 1. September 2016 auf.
Am 24. August 2016 fand ein Telefongespräch zwischen der Klägerin und einem Mitarbeiter des Beklagten statt. Ausweislich des
vom Mitarbeiter des Beklagten darüber gefertigten Vermerks teilte die Klägerin dort mit, sie halte nach dem Beschluss des
Sozialgerichts die Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses mit der P. nicht für erforderlich. Dies sei auch nicht in ihrem
Interesse, denn sie habe gegebenenfalls vor, den Betrag auch vor dem Ende der Versicherungszeit aufzulösen bzw. einen Rückkauf
zu veranlassen. Jedenfalls wolle sie sich hier alle Optionen freihalten. Als Beispiel habe sie die Möglichkeit einer Erkrankung
angeführt oder das Szenario, dass ihr in Kürze mitgeteilt würde, dass sie nur noch ein halbes Jahr zu leben hätte. In einem
solchen Fall wolle sie den Rückkauf jederzeit veranlassen können. Der Beklagte habe in dem Gespräch hingegen seine Auffassung
mitgeteilt, das Sozialgericht sei bei Erlass des Beschlusses gutgläubig davon ausgegangen, dass eine Verwertung vor Ende der
Versicherungslaufzeit nicht erfolgen sollte.
Mit Schreiben vom 1. September 2016 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Beklagten mit, infolge des Eintretens
der Berufsunfähigkeitsversicherung gehe es gegenüber dem Beklagten jetzt nur noch um Leistungen für die Monate Mai und Juni
2016. Die Klägerin könne mit der P. keinen rückwirkenden Verwertungsausschluss vereinbaren, weshalb sie auch ohne eine entsprechende
Vereinbarung Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für diese Monate habe. Mit Schreiben vom 21. September 2016 fragte der Beklagte beim Prozessbevollmächtigten an, aus welchen
Gründen der Verwertungsausschluss abgelehnt werde und erbat um einen Nachweis, sofern die Ablehnung von der Versicherung ausgehe.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin antwortete hierauf, die Klägerin könne keinen rückwirkenden Verwertungsausschluss
vereinbaren, weil dies objektiv unmöglich sei. Das Verwertungsverbot für die Vergangenheit habe sich durch Zeitablauf erledigt.
Der Beklagte wies sodann den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 27. Juni 2016 mit Widerspruchsbescheid vom 31.
Oktober 2016 als unbegründet zurück. Die Klägerin sei nicht hilfebedürftig, da ihr Bedarf durch verwertbares Vermögen gedeckt
sei. Der Rückkaufwert der privaten Rentenversicherung habe bei Antragstellung 20.972,26 Euro betragen. Ein unwiderruflicher
Verwertungsausschluss sei nicht vereinbart worden. Die Klägerin unterfalle als Selbstständige nicht der gesetzlichen Versicherungspflicht
und daher auch nicht dem Schutzkreis von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II. Es liege auch keine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6, 2. Alt. SGB II vor. Der Klägerin verblieben bis zum Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters noch 11 Jahre. Zudem sei der Rentenversicherungsvertrag
derart ausgestaltet, dass die Klägerin sich die eingezahlten Beiträge inklusive Zinsen jederzeit als einmalige Kapitalabfindung
auszahlen lassen könne, was nicht den gesetzlichen Anforderungen zum Schutz von Altersvorsorgevermögen genüge. Ferner sei
die Klägerin ihrer Erklärung im Eilverfahren, einen Verwertungsausschluss nach § 168 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) vereinbaren zu wollen – worauf das Sozialgericht den Beschluss im Rahmen des Eilverfahrens gestützt habe – nicht nachgekommen.
Aufgrund des Vorbringens im Rahmen des Widerspruchverfahrens müsse der Beklagte davon ausgehen, dass ein Ausschluss der Verwertung
gerade nicht dem Willen der Klägerin entspreche und sie sich die Möglichkeit einer jederzeitigen Verwertung der Rentenversicherung
erhalten wolle. Dies entspreche jedoch nicht dem Willen des Gesetzgebers, nur Altersvorsorgevermögen schützen zu wollen. Bei
Zugrundelegung des Rückkaufwerts von 20.972,26 Euro und unter Berücksichtigung der Vermögensfreibeträge von insgesamt 8.850,-
Euro verbliebe ein einzusetzendes Vermögen in Höhe von 12.122,26 Euro. Damit hätte die Klägerin ihren Lebensunterhalt einschließlich
der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die vier Monate von Mai bis August 2016 problemlos sichern können.
Am 30. November 2016 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben, mit der sie die Gewährung von Leistungen nach
dem SGB II für die Monate Mai und Juni 2016 begehrt. Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen des Sozialgerichts in dem Beschluss
vom 5. August 2016 zum Verfahren S 6 AS 2472/16 ER verwiesen, insbesondere zum Vorliegen einer besonderen Härte. Im Übrigen könne ein Verwertungsausschluss nicht rückwirkend,
sondern nur für die Zukunft vereinbart werden. Ferner seien die beantragten Leistungen des Beklagten von vornherein nur zur
Überbrückung der Zeit bis zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente gedacht gewesen. Schließlich wolle sich die Klägerin nicht
ohne Grund als ultima ratio eine Verwertung ihrer Rentenversicherung vorbehalten. Sie sei chronisch krank und ihr Immunsystem
beeinträchtigt. Sie müsse ständig damit rechnen, dass die Ärzte ihr mitteilten, dass sie nur noch kurz zu leben habe. In diesem
Falle wolle sie die Option haben, die Rentenversicherung zu verwerten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24. September 2020 abgewiesen. Die Klage sei unbegründet, die Klägerin
habe für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen Leistungsanspruch gegen den Beklagten, da sie nicht hilfebedürftig gewesen
sei. Die private Rentenversicherung sei verwertbares Vermögen, dessen Berücksichtigung nicht ausgeschlossen sei. Eine besondere
Härte habe nicht vorgelegen. Bei Altersvorsorgevermögen sei in der Regel nicht von einer besonderen Härte auszugehen, wenn
es dem Hilfebedürftigen möglich gewesen wäre, einen Verwertungsausschluss zu vereinbaren und damit den Schutz des § 12 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB II herbeizuführen. Dies habe die Klägerin nicht einmal versucht. Es könne dahinstehen, ob bei der Klägerin eine atypische Erwerbsbiographie
vorliege und infolgedessen die private Rentenversicherung ihre einzige Altersvorsorge sei. Denn die Privilegierung einer Rentenversicherung
aus Härtefallgründen komme nur in Betracht, wenn die Versicherung tatsächlich zur Altersvorsorge bestimmt sei. Das setze voraus,
dass der Hilfebedürftige das Vermögen zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nach Eintritt in den Ruhestand verwenden wolle
und eine dementsprechende Vermögensdisposition getroffen habe, um sicherzustellen, dass der Zugriff auf das Vermögen vor dem
Ruhestand erheblich erschwert werde. Hier sei nicht erkennbar, dass die private Rentenversicherung ausschließlich der Altersvorsorge
der Klägerin zu dienen bestimmt sei. Zwar habe die Klägerin im Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens angegeben, einen Verwertungsausschluss
nach § 168 Abs. 3 Satz 1 VVG vereinbaren zu wollen, dies jedoch dann nicht getan. Sie habe vielmehr gegenüber dem Beklagten zum Ausdruck gebracht, dass
ein Verwertungsausschluss weder erforderlich noch in ihrem Sinne sei, da sie sich die Option eines vorzeitigen Rückkaufs erhalten
wolle. Dies sei im Klageverfahren nochmals bekräftigt worden. Die Verwertung der Rentenversicherung sei schließlich auch nicht
offensichtlich unwirtschaftlich i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 1 SGB II gewesen. Der Rückkaufswert zum 1. Januar 2016 habe die Summe der eingezahlten Beiträge überstiegen.
Der Gerichtsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25. September 2020 zugestellt worden. Am 26. Oktober
2020, einem Montag, hat die Klägerin Berufung erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, es läge durchaus eine besondere Härte
vor. Bei der Prüfung der besonderen Härte habe das Sozialgericht zu Unrecht allein darauf abgestellt, dass sie keinen Verwertungsausschluss
vereinbart habe, und die außergewöhnlichen Umstände, insbesondere ihre atypische Erwerbsbiographie, nicht berücksichtigt.
Es sei keineswegs ausgeschlossen, dass eine besondere Härte auch dann vorliegen könne, wenn kein Verwertungsausschluss vereinbart
sei. Die Klägerin habe bei Beantragung der Leistungen nach dem SGB II das 54. Lebensjahr vollendet gehabt und sei so sehr erkrankt gewesen, dass kurz darauf die Berufsunfähigkeit anerkannt worden
sei. Sie habe damit keine Chance mehr gehabt, eine neue bedarfsdeckende Altersvorsorge durch Erwerbstätigkeit aufzubauen.
Hinzu komme die atypische Erwerbsbiographie, die bereits für sich genommen eine besondere Härte begründe. Das Sozialgericht
habe in dem Eilverfahren zutreffend entscheiden, dass die private Rentenversicherung von der Verwertungspflicht ausgenommen
sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 24. September 2020 und den Bescheid vom 27. Juni 2016 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 31. Oktober 2016 hinsichtlich der Ablehnung einer Leistungsgewährung für die Monate Mai und Juni
2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis zum 30. Juni 2016 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso ein Verwertungsausschluss
nicht vereinbart worden sei.
Mit Beschluss vom 4. Januar 2021 hat der Senat die Berufung nach §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) der Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richter*innen übertragen. Am 26. März 2020 hat eine mündliche
Verhandlung stattgefunden. In dieser hat die Klägerin ausgeführt, sie habe fest vor, die private Rentenversicherung für ihren
Lebensunterhalt im Alter einzusetzen. Lediglich für den Fall einer so erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands,
dass sie mit ihrem baldigen Tod rechnen müsse, wolle sie sich eine vorzeitige Auflösung der Versicherung vorbehalten. Aus
diesem Grund sei es für sie auch jetzt noch ausgeschlossen, einen Verwertungsausschluss zu vereinbaren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte,
der Prozessakte des Verfahrens S 6 AS 2474/16 ER sowie der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet gem. §
153 Abs.
5 SGG durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter*innen.
Gegenstand der Berufung ist der Gerichtsbescheid vom 24. September 2020 sowie der Ablehnungsbescheid vom 27. Juni 2016 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Oktober 2016, soweit er die Monate Mai und Juni 2016 betrifft.
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage,
gerichtet auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis zum 30. Juni 2016, statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat aber in der Sache
keinen Erfolg.
Die Klägerin hat für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, weil sie nicht hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 SGB II war. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder
Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer
Sozialleistungen, erhält. Die Klägerin verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum über Vermögen, aus dem sie ihren Lebensunterhalt
sichern konnte. Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen, § 9 Abs. 1 SGB II. Bei der privaten Rentenversicherung der Klägerin handelt es sich um Vermögen. Sie war auch verwertbar, insbesondere durch
einen Rückkauf, der vertraglich im streitgegenständlichen Zeitraum nicht ausgeschlossen war.
Da eine Verwertung der Rentenversicherung vor Eintritt in den Ruhestand hier nicht durch eine unwiderrufliche vertragliche
Vereinbarung ausgeschlossen war, ist die Rentenversicherung nicht gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II von der Verwertungspflicht ausgenommen. Auch § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II greift nicht, da es sich nicht um ein nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge gefördertes Vermögen handelte. Der
Rückkaufswert lag zum 1. Januar 2016 bei 20.972,26 Euro und überstieg damit die Freibeträge nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 4 SGB II, die insgesamt 8.850,- Euro betrugen (54 x 150,- Euro gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zuzüglich 750,- Euro nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II), um 12.122,26 Euro.
Eine Berücksichtigung der Rentenversicherung ist auch nicht nach § 12 Abs. 3 SGB II ausgeschlossen. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II findet hier keine Anwendung, weil die Klägerin aufgrund ihrer selbstständigen Tätigkeit bereits nicht der gesetzlichen Versicherungspflicht
unterfiel und eine Befreiung von der Versicherungspflicht schon deshalb ausgeschlossen war. Die Klägerin kann sich schließlich
auch nicht auf § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB II berufen. Danach sind Sachen und Rechte nicht als Vermögen zu berücksichtigen, soweit ihre Verwertung für den Betroffenen
eine besondere Härte bedeuten würde. Bei dem Begriff der besonderen Härte handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff,
der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Wie schon das Sozialgericht vermag auch der Senat nicht zu erkennen,
dass hier eine besondere Härte vorliegt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 52/06 R; Urteil vom 16.5.2007 – B 11b AS 37/06 R), der sich der Senat anschließt, richtet es sich nach den Umständen des Einzelfalls, ob von einer besonderen Härte auszugehen
ist. Maßgebend sind dabei nur außergewöhnliche Umstände, die nicht durch die ausdrücklichen Freistellungen über das Schonvermögen
und die Absetzungsbeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II erfasst werden. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II setzt daher voraus, dass die Umstände dem/der Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte
und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte. Nach den Gesetzesmaterialien liegt ein Härtefall
im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II z. B. dann vor, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge
einsetzen muss, obwohl seine Rentenversicherung Lücken wegen selbstständiger Tätigkeit aufweist (BT-Drucks 15/1749 S 32).
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Beispielsfall ist mithin nicht allein der Verlust der Altersvorsorge und dessen
Zeitpunkt, sondern beides nur zusammen mit der Versorgungslücke geeignet, eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II darzustellen. Es sind also nur besondere, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende Umstände beachtlich
und in ihrem Zusammenwirken zu prüfen.
Der Einsatz von Vermögen, das vom Leistungsberechtigten zur Altersvorsorge bestimmt ist, kann eine besondere Härte darstellen.
Voraussetzung hierfür ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat auch insoweit anschließt, dass
das Vermögen subjektiv zur Bestreitung des Lebensunterhalts nach Eintritt in den Ruhestand bezweckt ist. Der bloße Wille des/der
Leistungsberechtigten reicht jedoch nicht aus, vielmehr muss diese Zweckbestimmung sich durch eine entsprechende Vermögensdisposition
nach außen objektiv feststellen lassen (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 – B 4 AS 29/12 und Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 52/06 R). Diese Disposition muss sicherstellen, dass ein Zugriff auf das Vermögen vor dem Ruhestand zumindest erheblich erschwert
ist (BSG, Urteil vom 15.4.2008 – B 14 AS 27/07 R) Daneben ist eine Versorgungslücke aufgrund einer atypischen Erwerbsbiographie erforderlich. Die Versorgungslücke ist allerdings
nur dann relevant, wenn keine Chance auf einen weiteren Aufbau einer Alterssicherung durch Erwerbstätigkeit besteht, wobei
es entscheidend auf das Lebensalter ankommt (BSG, Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 52/06).
Hier liegt zwar eine Versorgungslücke vor, die auf der jahrelangen selbständigen Tätigkeit der Klägerin ohne Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung beruht. Allerdings ist fraglich, ob diese Versorgungslücke relevant ist, denn bei Antragstellung
im Mai 2016 war die Klägerin erst 54 Jahre alt und stand damit nicht kurz vor dem gesetzlichen Rentenalter. Ob sich unter
Berücksichtigung des Gesundheitszustands der Klägerin die Versorgungslücke dennoch als bedeutsam darstellt, braucht jedoch
nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls steht der Annahme einer besonderen Härte entgegen, dass sich nicht feststellen
lässt, dass die Lebensversicherungen tatsächlich zur Altersvorsorge bestimmt waren. Eine Privilegierung der privaten Rentenversicherung
kommt auch im Rahmen des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn sie tatsächlich zur Altersvorsorge bestimmt ist (vgl. BSG, Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 52/06 R). Deshalb ist erforderlich, dass der/die Hilfebedürftige das Vermögen nach Eintritt in den Ruhestand zur Bestreitung des
Lebensunterhalts für sich verwenden will und eine der Bestimmung entsprechende Vermögensdisposition getroffen hat.
Hier deutet zwar insbesondere die Fälligkeit der ersten Rentenzahlung am 1. Dezember 2027, an dem die Klägerin 65 Jahre und
9 Monate alt sein wird, darauf hin, dass die Klägerin die private Rentenversicherung jedenfalls ursprünglich als Vorsorge
für ihr Alter – für das sie aufgrund ihrer selbständigen Tätigkeit keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erwarten
konnte – gedacht hatte. Allerdings war und ist der Klägerin ein Zugriff auf das Vermögen vor dem Erreichen des Rentenalters
seit Ablauf der Zwölfjahresfrist nach Vertragsschluss (also seit Ende 2012) unproblematisch jederzeit möglich. Die Klägerin
hat gerade keine Vermögensdisposition getroffen, die einen vorzeitigen Zugriff erschwert. Sie hat vielmehr sowohl gegenüber
dem Beklagten als auch gegenüber dem Sozialgericht und zuletzt auch noch einmal in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
betont, dass sie sich auf jeden Fall auch die Option einer vorzeitigen Verwertung der Versicherung offenhalten wolle und die
Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses – der die Bestimmung zur Altersvorsorge sehr deutlich gemacht hätte – für sie deshalb
nicht in Betracht gekommen sei und bis heute nicht in Betracht komme. Sie hat dabei zwar glaubhaft versichert, von der Möglichkeit
einer vorzeitigen Verwertung nur dann Gebrauch machen zu wollen, wenn ihr Gesundheitszustand sich derart verschlechtern sollte,
dass sie hinreichend sicher davon ausgehen könne, nicht mehr lange zu leben. Dennoch machen diese Angaben deutlich, dass eben
die Altersvorsorge nicht der einzige denkbare Zweck des Vermögens ist und auch nicht sein soll. Eine Bestimmung des Vermögens
gerade für die Sicherstellung des Lebensunterhalts im Alter ist infolgedessen nicht erkennbar.
Die Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Beschluss vom 5. August 2016 stehen hierzu nicht in Widerspruch. Das Sozialgericht
ist bei dieser Entscheidung – anders als später im Gerichtsbescheid und als jetzt der Senat – davon ausgegangen, dass die
private Rentenversicherung für die Altersvorsorge bestimmt war. Zu dieser Einschätzung ist es vor dem Hintergrund gekommen,
dass die Klägerin im Eilverfahren ihren Willen/ihre Absicht zur Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses geäußert hatte.
Damit stellte sich der Sachverhalt zum Zeitpunkt des Eilbeschlusses maßgeblich anders dar als später, nachdem die Klägerin
entgegen ihrer vorherigen Bekundungen deutlich gemacht hat, dass sie sich die Möglichkeit einer vorzeitigen Verwertung in
jedem Fall aufrechterhalten wolle.
Die Annahme einer besonderen Härte lässt sich hier auch nicht auf andere Erwägungen stützen. Der Wunsch der Klägerin, sich
einen Zugriff auf das angesparte Vermögen für den Fall einer nur noch kurzen prognostizierten Lebensdauer zu erhalten, ist
durchaus nachvollziehbar. Er vermag jedoch keine besondere Härte zu begründen, denn hierin unterscheidet sich die Klägerin
nicht von anderen Menschen. Es dürfte vielen, wenn nicht den meisten Menschen so gehen, dass sie für den Fall einer Diagnose,
die ihre Lebensdauer drastisch verkürzt, auf an sich für den Ruhestand angespartes Vermögen zurückgreifen können möchten.
Aber vielfach ist das nicht möglich: So kann eine abhängig Beschäftigte, die jahrelang einen nicht unerheblichen Teil ihrer
Entlohnung in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, ihre Beiträge unter keinen Umständen „zurückgezahlt“ bekommen
– auch dann nicht, wenn sicher ist, dass sie den Ruhestand nicht mehr erleben wird. Im Übrigen sei hierzu noch Folgendes angemerkt:
Aus den im vorangegangenen Eilverfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen ist zwar erkennbar, dass die Klägerin an einer
chronischen Erkrankung leidet. Auch ist von einer nicht unerheblichen Schwere auszugehen, hat die Erkrankung doch zur Anerkennung
der Berufsunfähigkeit geführt. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum
tatsächlich ernsthaft mit einer ärztlichen Prognose einer nur noch kurzen Restlebensdauer rechnen musste. So verständlich
der Wunsch der Klägerin nach Erhalt ihrer Dispositionsfreiheit hinsichtlich ihres Vermögens, gerade für gesundheitliche Wechselfälle
des Lebens, auch ist, so wenig kann er eine besondere Härte im Sinne von über die üblicherweise mit der Vermögensverwertungspflicht
hinausgehenden Beeinträchtigungen begründen. Vielmehr trifft der Konflikt zwischen dem Wunsch nach Dispositionsfreiheit und
der Verwertungspflicht vor Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II letztlich jede*n Antragsteller*in, der/die über zu verwertendes Vermögen verfügt.
Schließlich kann eine besondere Härte hier auch nicht damit begründet werden, eine Pflicht zur Verwertung der über lange Jahre
aufgebauten Rentenversicherung stünde außer Verhältnis zu der Kurzfristigkeit des Leistungsbezugs, der hier nur zwei Monate
dauern sollte. Denn zum einen war bei Antragstellung nicht erkennbar, dass es nur um die Überbrückung eines kurzen Zeitraums
gehen sollte. Die Klägerin hatte sich erst Anfang Juli 2016 und damit erst nach der Ablehnung ihres Antrags auf SGB II-Leistungen an ihre Berufsunfähigkeitsversicherung gewandt und eine entsprechende Absicht auch dem Beklagten zuvor nicht mitgeteilt.
Zum anderen wäre gerade bei einem nur kurzfristigen Überbrückungsbedarf auch ein Rückverkauf der privaten Rentenversicherung
keinesfalls die einzige Möglichkeit der Bedarfsdeckung gewesen, insbesondere wäre auch eine Beleihung in Betracht gekommen.
Die Verwertung der privaten Rentenversicherung war auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich, der Rückkaufswert bei Antragstellung
lag über den bis dahin eingezahlten Beiträgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht vorliegen.