Krankenversicherung
Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung
Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
Der Versicherte der Beklagten wurde vom 1. bis 10. Juni 2011 in der Abteilung Lungen- und Bronchialkunde der von der Klägerin
betriebenen Klinik vollstationär behandelt. In diesem Rahmen wurde bei ihm am 3. Juni 2011 eine Bronchoskopie zur Gewinnung
von Zellmaterial durchgeführt, um abzuklären, ob neben dem bekannten Bronchialkarzinom des Versicherten auch eine Pneumonie
vorlag.
Die Klägerin stellte der Beklagten unter dem 22. Juni 2011 einen Gesamtbetrag von 3.325,85 EUR in Rechnung, wobei sie unter
anderem die Prozedur 1-430.2 (Endoskopische Biopsie an respiratorischen Organen: Lunge) nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel,
Version 2011 (OPS 2011), kodierte und hierdurch zu der Diagnosebezogenen Fallgruppe (Diagnosis Related Group - DRG) E71A (Neubildungen
der Atmungsorgane, mehr als ein Belegungstag, mit äußerst schweren CC oder starrer Bronchoskopie oder mit komplexer Biopsie
der Lunge) gelangte. Die Beklagte zahlte den Rechnungsbetrag zunächst vollständig, beauftragte aber den Medizinischen Dienst
der Krankenversicherung N. (MDK) mit der Überprüfung der kodierten Prozeduren. Dieser vertrat in seinem Gutachten vom 28.
Oktober 2011 die Auffassung, dass nicht der OPS 1-430.2, sondern der OPS 1-430.1 (Endoskopische Biopsie an respiratorischen
Organen: Bronchus) zu kodieren sei, da Lungengewebe nicht getroffen worden sei. Somit ergebe sich die DRG E71B (Neubildungen
der Atmungsorgane, ein Belegungstag oder ohne äußerst schwere CC, ohne starre Bronchoskopie oder ohne komplexe Biopsie der
Lunge) mit einem geringeren Kostengewicht. Die Beklagte verrechnete daraufhin am 9. Dezember 2011 den Betrag von 1.662,75
EUR mit der Forderung aus einem anderen Behandlungsfall.
Wegen dieses Differenzbetrages hat die Klägerin am 3. August 2012 Klage erhoben und vorgetragen, dass eine Bronchoskopie mit
zentraler und peripherer Bürstenbiopsie erfolgt sei. Die periphere Bürstenbiopsie bedeute einen höheren Zeit- und Personalaufwand,
da dabei eine Röntgendurchleuchtung und eine tiefere Sedierung des Patienten erforderlich seien. Unabhängig vom histologischen
oder zytologischen Ergebnis der entnommenen Proben sei daher ein Mehraufwand entstanden, der durch den OPS 1-430.2 abgebildet
werde. Maßgeblich für den zutreffenden OPS sei zudem die erbrachte Leistung und nicht der Erfolg, denn beschrieben werde eine
Biopsie "an" und nicht "von" respiratorischen Organen.
Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat der Facharzt für Innere Medizin Dr. V. unter dem 14. Juni 2013 ein Gutachten erstellt
und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin zu Recht den OPS 1-430.2 kodiert habe. Wegen des Inhalts des Gutachtens
im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
Der MDK hat in seinem weiteren Gutachten vom 28. November 2013 eingewandt, dass zwar beabsichtigt gewesen sei, aus dem in
der bildgebenden Diagnostik gesehenen pulmonalen Rundherd eine Biopsie zu entnehmen, dies sei jedoch nicht gelungen. Vielmehr
sei ersatzweise ein Bürstenabstrich aus den rechten Oberlappenostien und dem Segment S6 erfolgt, wodurch bereits die Definition
einer Biopsie nicht erfüllt werde. Der Sachverständige Dr. V. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. Mai 2014 an
seiner bisherigen Auffassung festgehalten.
Das Sozialgericht ist den Ausführungen von Dr. V. gefolgt und hat die Beklagte mit Urteil vom 14. Januar 2015 zur Zahlung
des streitigen Betrages nebst Zinsen verurteilt.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 25. Februar 2015 zugestellte Urteil am 23. März 2015 Berufung eingelegt und trägt vor, der
gerichtlich bestellte Sachverständigen habe zwar die von der Klägerin vorgenommene Kodierung bestätigt, dafür aber keine hinreichende
Begründung geliefert. Für die streitige Prozedur 1-430.2 fehle es vielmehr an allen Tatbestandsvoraussetzungen. Es handele
sich bereits nicht um eine Biopsie, sondern um einen Abstrich, denn eine Biopsie sei die Entnahme einer Gewebeprobe, also
eines zusammenhängenden Zellverbandes. Bei einem Bürstenabstrich würden dagegen nur einzelne Zellen gewonnen, aber kein zusammenhängender
Zellverband. Es sei auch tatsächlich kein zusammenhängender Zellverband entnommen worden, denn auch der Sachverständige habe
bestätigt, dass Lungengewebe nicht habe nachgewiesen werden können. Aus diesem Grund sei auch das Kriterium "an respiratorischen
Organen: Lunge" nicht erfüllt. Auf den angeblich entstandenen Mehraufwand komme es dabei nicht an. Schließlich sei auch keine
endoskopische Biopsie durchgeführt werden, denn diese setze die Verwendung eines Endoskops, also eines weichen biegsamen Schlauchs
voraus. Vorliegend sei aber eine Bürste eingesetzt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Hamburg vom 14. Januar 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bezieht sich auf ihren bisherigen Vortrag.
In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 2. Juli 2016 hat der Sachverständige Dr. V. daran festgehalten, dass die von
der Klägerin vorgenommene Kodierung zutreffend sei.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Prozessakte sowie auf die in der Sitzungsniederschrift
aufgeführten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, denn das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung
des streitigen Restbetrages verurteilt. Der geltend gemachte Vergütungsanspruch ist nicht durch Aufrechnung (§
69 Abs.
1 S. 3
SGB V i.V.m. §§
387 ff.
BGB) erloschen, denn der Beklagten stand insoweit kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu.
Rechtsgrundlage des - dem Grunde nach unstreitigen - Vergütungsanspruchs ist §
109 Abs.
4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V), § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2011
(Fallpauschalenvereinbarung 2011 - FPV 2011) sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen
Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und u.a. der Beklagten
(Vertrag nach §
112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig
von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 18.09.2008 - B 3 KR 15/07 R - Juris).
Maßgebliche Kriterien für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG nach der FPV 2011 sind die Hauptdiagnose, die
Nebendiagnosen, eventuelle den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten
Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung ("Kodierung")
von Diagnosen und Prozeduren haben die Vertragspartner auf Bundesebene die "Deutschen Kodierrichtlinien" (hier: Version 2011,
DKR 2011) beschlossen.
Nach Maßgabe dieser rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin zu Recht die DRG E71A abgerechnet. Allein streitig ist insoweit,
ob die Prozedur 1-430.2 nach dem OPS 2011 kodiert werden durfte. Die medizinische Erforderlichkeit der vollstationären Krankenhausbehandlung
sowie die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung im Übrigen ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig,
sodass es diesbezüglich keiner Ermittlungen bedurfte (zur eingeschränkten amtlichen Sachaufklärung bei übereinstimmendem Vorbringen
Beteiligter mit besonderer professioneller Kompetenz: BSG, Urteil vom 21.04.2015 - B 1 KR 9/15 R - Juris).
Der Senat ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. V. davon überzeugt, dass die Klägerin die streitige
Prozedur zu Recht kodiert hat. Dieser hat in seinem Gutachten vom 14. Juni 2013 ausgeführt, dass bei dem Versicherten die
Gewinnung von Lungengewebe durch gezielte Biopsie pulmonaler Herdbefunde medizinisch indiziert gewesen sei, um abzuklären,
ob neben dem bekannten Bronchialkarzinom des Versicherten auch eine Pneumonie vorgelegen habe. Aus der Dokumentation des Krankenhauses
gehe hervor, dass anlässlich der am 3. Juni 2011 in Lokalanästhesie durchgeführten Bronchoskopie eine Bronchiallavage sowie
eine Bürstenbiopsie unter Durchleuchtung aus dem Segment S6 rechts erfolgt seien. Zudem sei eine Biopsie im Bereich der rechten
Oberlappencarina erfolgt. Ausweislich des OP-Berichts sei es aber entgegen der ursprünglichen Planung nicht möglich gewesen,
aus dem Bereich der im CT gesehenen Raumforderungen weitere Proben zu entnehmen, da unter Durchleuchtung keine adäquate Herddeckung
habe erreicht werden können. Nach der histologischen Auswertung habe es sich bei dem eingesandten Biopsiematerial aus dem
Segment S6 und der Oberlappencarina jeweils um kleine Bronchusbiopsiepartikel mit geringer Stromaelastose gehandelt. Alveoläres
Lungengewebe sei dagegen in beiden eingesandten Proben nicht nachweisbar gewesen. Zusammenfassend gehe also aus der Dokumentation
zweifelsfrei hervor, dass bei dem Versicherten eine endoskopische Biopsie an der Lunge, nämlich eine Bürstenbiopsie im Bereich
des Segments S6 und im Bereich der rechten Oberlappencarina vorgenommen worden sei. Die Prozedur bilde die erbrachte Leistung,
nicht den tatsächlichen Erfolg bzw. das Ergebnis ab. Der Umstand, dass Lungengewebe tatsächlich nicht getroffen worden sei,
sei daher nicht entscheidend. Maßgeblich sei vielmehr, dass mit erheblichem Aufwand und unter Inkaufnahme erheblicher Risiken
- wenngleich frustrane - Biopsien an der Lunge und nicht lediglich an einem Bronchus vorgenommen worden seien. Denn die streitige
Prozedur beschreibe eine endoskopische Prozedur "an" und nicht "von" respiratorischen Organen. Der Senat folgt diesen nachvollziehbaren
Ausführungen und schließt sich ihnen an.
Demgegenüber greifen die von der Beklagten vorgebrachten Einwände nicht durch. Soweit sie vorträgt, es sei schon keine Biopsie
erfolgt, da nur einzelne Zellen, aber kein zusammenhängender Zellverband gewonnen worden sei, hat Dr. V. in seinem Gutachten
und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. Mai 2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei dem gewonnen Material
ausweislich des pathologisch-anatomischen Berichts des Labors um "kleine Bronchusbiopsiepartikel mit geringer Stromaelastose"
gehandelt habe. Daraus lasse sich schließen, dass nicht nur einzelne Zellen, sondern histologisch untersuchbares Gewebe, d.h.
ein Verbund gleichartig oder unterschiedlich differenzierter Zellen einschließlich ihrer extrazellulären Matrix erlangt worden
sei.
Soweit die Beklagte weiter meint, dass die Bürstenbiopsie jedenfalls keine endoskopische Biopsie sei, ist Dr. V. auch dem
mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten. Er hat nämlich dargelegt, dass unter einer endoskopischen Biopsie die gezielte
Entnahme einer Gewebeprobe unter Zuhilfenahme eines Endoskops, d.h. eines mit elektrischer Lichtquelle und Spiegeln versehenen
optischen Instruments zur Untersuchung von Hohlorganen und Körperhöhlen, zu verstehen sei. Eine Bürstenbiopsie falle immer
dann unter den Begriff einer endoskopischen Biopsie, wenn die dabei verwendeten kleinen Kunststoff- oder Stahlbürsten über
den Instrumentenkanal eines Endoskops eingesetzt würden, was hier der Fall gewesen sei.
Schließlich kann die Beklagte auch nicht damit durchdringen, dass es sich wegen des fehlenden Nachweises von Lungengewebe
jedenfalls nicht um eine Biopsie "an respiratorischen Organen: Lunge" gehandelt habe. Die Bürstenbiopsie wurde im Bereich
des Segments S6 und im Bereich der rechten Oberlappencarina, also im Bereich der Lunge vorgenommen. Wie zwischen den Beteiligten
unstreitig ist, war die Gewinnung von Lungengewebe das Ziel der Maßnahme, das lediglich nicht erreicht worden ist. Der Senat
geht jedoch in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen davon aus, dass die streitige Prozedur lediglich die erbrachte Leistung
beschreibt, ohne dass es auf den tatsächlichen Erfolg bzw. das Ergebnis ankommt. Das Abstellen auf den Erfolg einer medizinischen
Maßnahme ist auch sonst den Vergütungsregelungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich fremd.
Dieses Verständnis der Vergütungsregelungen wird auch durch die Vorschriften zur Kodierung von nicht vollendeten oder unterbrochenen
Prozeduren bestätigt. In der Ziffer P004f der DKR 2011 sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der dort
unter den Unterziffern 1 bis 4 aufgeführten Spezialregelungen (Umsteigen auf offen chirurgisches Verfahren, Existenz eines
spezifischen Kodes für misslungene Prozedur, Existenz eines spezifischen Kodes für erbrachte Teilleistung, nahezu vollständige
Erbringung der Prozedur) aufgeführt, die im vorliegenden Fall sämtlich nicht erfüllt sind. Insbesondere kann auch nicht aufgrund
des Umstandes, dass Lungengewebe tatsächlich nicht getroffen wurde, die Biopsie am Bronchus (OPS 1-430.1) als erbrachte Teilleistung
zu der geplanten Biopsie an der Lunge angesehen werden. Die hierzu aufgeführten Beispiele 4 und 5 zeigen vielmehr, dass es
dabei um Fälle geht, in denen lediglich ein abgrenzbarer Teil einer medizinischen Maßnahme erbracht worden ist, weil ein bestimmtes
Ereignis (Herzstillstand, Inoperabilität) zum vorzeitigen Abbruch gezwungen hat. Vorliegend ist aber, wie der Sachverständige
dargelegt hat, die Biopsie im Bereich der Lunge komplett durchgeführt worden, sie hat nur letztlich nicht das gewünschte Ergebnis
gebracht. Für alle nicht von den Unterziffern 1 bis 4 erfassten Fälle ist in der Unterziffer 5 jedoch ausdrücklich angeordnet,
dass die geplante, aber nicht komplett durchgeführte Prozedur zu kodieren ist.
Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus den §§
12 und
14 des zwischen den Beteiligten geltenden Vertrages nach §
112 SGB V.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere hat die Auslegung von Kodierungsvorschriften keine grundsätzliche Bedeutung, da diese grundsätzlich
eine kurze Geltungsdauer haben und der regelmäßigen Überprüfung und Anpassung unterliegen (BSG, Beschluss vom 19.07.2012 - B 1 KR 65/11 B - Juris).