LSG Hamburg, Urteil vom 16.10.2017 - 2 U 70/13
Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung
Keine Anerkennung eines Gesundheitserstschadens als Ursache einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Züchtigung einer
Schülerin durch einen Lehrer
Eine bei einer Versicherten diagnostizierte komplexe posttraumatische Belastungsstörung kann nicht als Folge vom Unfallversicherungsträger
anerkannter ca. 50 Arbeitsunfälle in Form von Übergriffen eines Lehrers an einer Schule durch Schläge auf den nackten Po in
einem Zeitraum von drei Jahren festgestellt werden.
Vorinstanzen: SG Hamburg S 40 U 281/12
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt ihrem Teilanerkenntnis vom 15. November 2013 entsprechend ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen
Kosten der Klägerin im Vor- und im Klageverfahren. Im Übrigen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine bei der Klägerin diagnostizierte komplexe posttraumatische Belastungsstörung
(im Folgenden: PTBS) als Folge anerkannter Arbeitsunfälle ("ca. 50 Arbeitsunfälle in den Jahren 1980 bis 1982 an der S.-Schule
in H." in Form von Übergriffen eines Lehrers durch Schläge auf das nackte Gesäß) festzustellen ist.
Die am xxxxx 1970 geborene Klägerin stellte beim Versorgungsamt Hamburg am 30. September 2010 einen Antrag auf Versorgung
für Geschädigte nach dem Opferentschädigungsgesetz ( OEG). Sie gab an, als 10- bis 12-jährige Schülerin der S.-Schule im Mädchenumkleideraum der dortigen Turnhalle von dem Lehrer
und Jesuitenpater W.S. (im Folgenden: W.S.) sexuell missbraucht worden zu sein. Das Versorgungsamt leitete diesen Antrag im
Hinblick auf § 65 Bundesversorgungsgesetz, wonach Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu einem Ruhen von Entschädigungsleistungen nach dem OEG führen können, an die Beklagte weiter und bat diese, von Amts wegen tätig zu werden und das Versorgungsamt zum Verfahren
hinzuzuziehen.
Dem Antrag der Klägerin waren verschiedene Unterlagen beigefügt, die im Zusammenhang mit der Aufarbeitung eines Anfang 2010
öffentlich gewordenen Missbrauchsskandals an Jesuitenschulen und -internaten stehen, in dessen Kontext sich auch die von der
Klägerin geschilderten Vorfälle ereigneten. Sehr ausführlich sind die Schilderungen der Beauftragten für Fälle von sexuellem
Missbrauch an Minderjährigen durch Ordensleute, Frau Rechtanwältin U.R., in einem Zwischenbericht vom 18. Februar 2010 und
in einem Bericht vom 27. Mai 2010 sowie diejenigen in einem vom Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten in Auftrag gegebenem
Sondergutachten der Frau F. vom 8. Juli 2010. Hierauf nimmt der Senat ebenso Bezug wie auf den Artikel "Sozusagen im Vorübergehen"
aus "Die Zeit" vom 11. Februar 2010, die Presserklärung des W.S. vom 7. Februar 2010, dessen Schreiben "an alle Personen,
die ich als Kinder und Jugendliche missbraucht habe" vom 20. Januar 2010 sowie auf die schriftliche "Bitte um Entschuldigung
für erlittenes Unrecht", die der Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten am 19. August 2010 an die Klägerin gerichtet
hatte. Schließlich war ein Schreiben der Klägerin vom 8. März 2010 Bestandteil der Unterlagen, in dem sie gegenüber Frau Rechtsanwältin
R. schilderte, dass sie, die 1984 auf ein Internat in V. kam, wo sie 1989 das Abitur machte, zwischen Sommer 1980 und Sommer
1984 Schülerin der S.-Schule in H. gewesen sei. Von 1980 bis 1982 (5. und 6. Klasse) sei W.S. ihr - in der Klasse außerordentlich
beliebter - Klassenlehrer gewesen. Im Zeitraum von spätestens Anfang 1981 bis kurz vor seinem Weggang (1982) habe W.S. sie
nach dem Sportunterricht ca. einmal in der Woche über das Knie gelegt und ihr den nackten Hintern "zur Strafe versohlt". Hierbei
sei er eindeutig sexuell erregt gewesen, habe sich aber viel Mühe gegeben, dass sie dies nicht merke. Ein Bewusstsein davon,
dass "das" etwas mit Sexualität zu tun habe, habe die Klägerin erst kurz vor Weggang des W.S. bekommen, vorher habe sie seine
Aufregung nicht verstanden. Dieser sexuelle Missbrauch habe ausschließlich nach dem Sportunterricht im Umkleideraum für Mädchen
in der Schulsporthalle stattgefunden und zwar unter Ausschluss von Zeugen, da die anderen Mädchen bereits gegangen gewesen
seien. W.S. habe nicht nur ihren Körper missbraucht, sondern auch ihr Vertrauen, ihr Gewissen und ihren Glauben. Er habe ihr
beigebracht, es sei gut, ihre Grenzen von einem Mann verletzen zu lassen. Ohne davon zu wissen oder dies zu wollen, habe er
dadurch Anteil an Ereignissen, die in "seiner Zeit" stattgefunden hätten, jedes menschliche Vorstellungsvermögen zerbrächen
und nahezu unaussprechbar seien. Zumindest sei hier nicht der Ort hierfür. Die Folgen seien bis heute unüberwindbar und träfen
nicht nur sie, sondern auch ihren Partner und ihre Familie in aller Härte.
Die Beklagte forderte Unterlagen von den von der Klägerin im OEG-Antrag und in der Einwilligungserklärung angegebenen, sie nach der Tat behandelnden Ärzten ("seit Kurzem" Dr. A., Allgemeinmediziner
und Psychotherapeut) und Krankenhäusern (Dezember 1984 ambulant im U.-Klinikum H.- E. (U.) zur "Abklärung von lang andauernden
Schmerzen im linken Unterbauch", "Entlassungsdiagnose: psychosomatische Erkrankung"; ca. 10 Wochen im Sommer 1986 Kinderklinik
O.; "vorher" für 1 bis 2 Wochen 1986 S2-Hospital L., Innere Medizin, "wegen Erbrechen und Appetitlosigkeit ohne organische
Ursache"; Ende 1986 bis ins Jahr 1987 hinein Uniklinik K., "Prof.", "therapeutische Gespräche") an. Das Kinderhospital O.
übersandte einen Bericht vom 1. September 1986 über eine stationäre Behandlung vom 12. Juni bis 20. August 1986 mit der -
nach Angaben der Klägerin zu Kontakten zur H. Drogenszene im Alter von 10 bis 13 Jahren und zwei positiven Urinbefunden auf
Heroin und Morphin gestellten - Diagnose einer Drogenabhängigkeit vom Morphin-Typ ohne körperliche Folgeschäden bei akuter
Selbst- und latenter Fremdgefährdung, unzureichender und inkonsistenter elterlicher Kontrolle. Der die Klägerin seit dem 16.
Juli 2010 behandelnde Facharzt für psychotherapeutische Medizin und Arzt für Allgemeinmedizin Dr. A. berichtete unter dem
31. März 2011, dass die Klägerin an einer schweren Traumatisierung durch die Übergriffe an der S.-Schule leide. Durch den
öffentlichen Skandal um den Missbrauch an kirchlichen Einrichtungen im Februar 2010 sei es bei der Klägerin zu einer Retraumatisierung
gekommen. Seit diesem Zeitpunkt sei die Klägerin nicht mehr arbeitsfähig. Als Diagnosen gab er eine komplexe PTBS, eine andauernde
Persönlichkeitsveränderung nach schwerer Belastung, eine soziale Phobie, dissoziative Störungen, eine emotional instabile
Persönlichkeitsstörung sowie eine Panikstörung an. Angesichts der Tatsache, dass die Klägerin streng katholisch erzogen und
ein tief religiöses Kind gewesen sei, sich der Klassenlehrer, Priester und Beichtvater in der Zeit der Charakterbildung der
Klägerin eine hohe Vertrauensstellung erworben und die schwerwiegenden, lang andauernden Übergriffe religiös als Strafe für
Sünden verbrämt habe, sei es aus psychotraumatologischer Sicht unzweifelhaft, dass die Ereignisse an der S.-Schule einen unmittelbaren
und essenziellen Beitrag zu diesen Störungen und Einschränkungen bedeuteten. In einem weiteren Befundbericht desselben Arztes
vom 31. Januar 2011 an das Versorgungsamt wird das Vorliegen einer außergewöhnlich schweren Belastung durch ein über ein Jahrzehnt
andauerndes sexuelles Gewalterleben durch verschiedene Täter zwischen ihrem 7. und 19. Lebensjahr angegeben. Nach den Erfahrungen
der Psychotraumatologie gelte als besonders zerstörend, wenn Täter Beziehungspersonen seien. Einer der Täter habe aus dem
familiären Umkreis gestammt, ein anderer habe als Klassenlehrer, Priester Beichtvater und Vorbild das volle Vertrauen der
Klägerin genossen.
Im Auftrag der Beklagten erstattete die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P. nach Untersuchung der Klägerin
am 16. Juni 2011 unter dem 7. September 2011 ein Gutachten zur Zusammenhangfrage. Bei der Begutachtung habe die Klägerin u.a.
auf Nachfrage angegeben, dass sie nie Kontakt zur Drogenszene in H. gehabt habe. Es sei aber ein Trauma in H. passiert. So
habe sie zwangsmäßig mehrere Spritzen (mit Drogen) bekommen. Sie wisse nicht, was da gewesen sei. So sei sie mit einem Bekannten
zu einem SM-Club gefahren, der auf P sei. Den gebe es heute noch. Dies habe sie recherchiert. Sie sei dahin gefahren, habe
eine Spritze verabreicht bekommen. Das sei nur einmal gewesen. Vom Wesentlichen wisse sie da allerdings vieles nicht. Vieles
wisse sie aber noch, vieles nicht. Sonst habe sie aber keinen Kontakt zur Drogenszene gehabt. Sie habe aber 1987 bis 1989
noch Joints geraucht, dies selten, aber nicht täglich wie Zigaretten. Die Klägerin habe bei der Begutachtung ebenfalls angegeben,
im 7. Lebensjahr von einem Täter aus dem familiären Umkreis sexuell belästigt worden zu sein. Nach dem Abitur 1989 habe sie
22 Semester Sozial-, Wirtschaftsgeschichte, verbunden mit Politik und Philosophie studiert. Danach habe sie eine Promotion
begonnen. Am 19. März 2004 habe sie im Fernsehen den Film "Der Exorzist" gesehen. Sie habe dann das Gefühl gehabt, dass das
mit der Promotion nicht sein solle. Die Konzentration sei schlechter geworden. Auch Bilder wie aus dem Irak-Krieg hätten sie
sehr belastet. Das mit dem SM-Club sei nicht in einem Zusammenhang mit der Schule passiert, das sei ein Bekannter gewesen.
Das erste Mal sei das passiert ein halbes Jahr, nachdem das mit W.S. passiert sei. Da habe das mit dem anderen Täter angefangen.
Sie habe versucht, dies W.S. zu sagen. Es sei ein Mann gewesen, den die Nachbarin ihrer Mutter als Handwerker empfohlen habe.
Zuerst sei das mit W.S. passiert. Dann sei das parallel gelaufen. Bei dem anderen sei dabei viel mehr passiert. Dieser Mann
("A1") laufe noch frei in der Gegend herum. Es sei leider Gottes so, dass sie diesen Mann 2008/2009 auf der Fahrt zum Dienst
gesehen habe. Das Ganze mit diesem Mann sei gelaufen, bis sie nach V. gekommen sei (1984). Später habe es noch vereinzelt
Kontakte gegeben. Des Weiteren habe die Klägerin im Jahre 2008 frühmorgens an der Alster einen weiteren Übergriff sexueller
Art erlebt, aber vor dem Täter flüchten und die Polizei alarmieren können. Die Gutachterin führte zusammenfassend aus, dass
es bei der Klägerin zu multiplen Traumatisierungen durch sexuelle Übergriffe mehrerer Täter über einen langen Zeitraum gekommen
sei. Bei der Klägerin seien eine emotional-instabile Persönlichkeit, eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig
schwerer depressiver Episode mit psychotischen Symptomen, eine dissoziative Störung, eine Panikstörung, eine soziale Phobie,
eine stattgehabte Drogenabhängigkeit vom Morphin-Typ und eine stattgehabte Bulimia nervosa bei einem insgesamt psychosenahen
Erleben festzustellen, wobei differenzialdiagnostisch auch die Entwicklung einer psychotischen Störung möglich erscheine.
Dabei sei allgemein anzuführen, dass im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung durch die Mehrzeitigkeit der Ereignisse
an der S.-Schule von 1980 bis 1982 bzw. das fortlaufende Geschehen die geforderte zeitliche Begrenzung auf eine Arbeitsschicht
nicht erfüllt sei, sodass für die bestehenden psychischen Störungen kein kausaler Zusammenhang in der dafür erforderlichen
Art festgestellt werden könne. Daher können keine Unfallfolgen festgestellt werden. Der Klägerin sei im Rahmen der Begutachtung
empfohlen worden, wegen der langjährigen sexuellen Traumatisierung durch den Täter aus dem familiären Umfeld einen OEG-Antrag zu stellen, was die Klägerin aufgrund der bestehenden Ängste gegenüber diesem Täter, aber auch der Erfahrung im Umgang
mit einem - wegen fehlenden Nachweises eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs abgelehnten - OEG-Antrag 2008 nicht machen wolle.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2011 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Leistungen anlässlich der Ereignisse in den Jahren
von 1980 bis 1982 in der S.-Schule ab, weil die bei der Klägerin festgestellten psychischen Erkrankungen nicht auf einen Arbeitsunfall
zurückgeführt werden könnten. Die typischen Beschwerden einer PTBS lägen nicht vor. Für die bei der Klägerin bestehenden Beschwerden
könne kein kausaler Zusammenhang bezogen auf ein Ereignis innerhalb einer festen zeitlichen Begrenzung festgestellt werden.
Am 31. Oktober 2011 legte die Klägerin Widerspruch ein. Die Beklagte könne im Anschluss an die von ihr gehörte Sachverständige
nicht ernsthaft erklären, dass die Folgen eines einzigen sexuellen Missbrauchs durch eine Lehrkraft als Unfallfolgen anzuerkennen
wären, nicht aber die Folgen eines wiederholten sexuellen Missbrauchs, den ein Lehrer jeweils nach dem Sportunterricht im
Umkleideraum der Schülerinnen an derselben Schülerin verübte. Das wäre mit Sicherheit falsch. Sollte der Bescheid so zu verstehen
sein, dass nicht festgestellt werden könne, welche psychischen Beeinträchtigungen den Erlebnissen in der S.-Schule zuzuordnen
seien und welche anderen traumatisierenden Erlebnissen, so wäre darauf hinzuweisen, dass nach der sozialrechtlichen Kausalitätslehre
ein Ursachenzusammenhang schon dann zu bejahen sei, wenn das fragliche Geschehen zumindest eine wesentliche Ursache für die
festzustellenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen darstelle. Es sei keineswegs erforderlich, dass es alleinige Ursache
gewesen sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei der Fall bisher offenbar nicht geprüft worden. Der Verlauf der Erkrankung der
Klägerin und ihr endgültiger Zusammenbruch unmittelbar nach dem Publikwerden von Taten des Lehrers, der auch sie missbraucht
habe, zeigten den Zusammenhang mit dem und die Bedeutung des Geschehens für das Leiden der Klägerin.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2012 zurück. Die bei der Klägerin vorliegenden
Gesundheitsstörungen seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die sexuellen Belästigungen durch die Schläge auf
das nackte Gesäß in der Zeit von 1980 bis 1982 in der S.-Schule zurückzuführen, weil bereits vor diesem Zeitraum sexuelle
Traumatisierungen und danach im privaten Umfeld erfolgt seien. Ferner sei festzustellen, dass ein Kontakt zur Drogenszene
bestanden und eine Drogenabhängigkeit im Alter von 10 bis 13 Jahren vorgelegen habe. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung
könnten daher nicht erbracht werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. November 2012 Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben. Nachdem die Beklagte am 15. November 2013 anerkannt hatte, dass die von der Klägerin behaupteten ca. 50
Ereignisse an der S.-Schule in H. in den Jahren von 1980 bis 1982 Arbeitsunfälle in der Gestalt darstellten, dass die körperliche
Gewalt einen - wenn auch nur vorübergehenden - Gesundheitserstschaden körperlicher Art verursacht hätten, und die Beklagte
sich bereit erklärt hatte, ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu übernehmen, hat die Klägerin
dies als Teilanerkenntnis angenommen und darüber hinaus die Feststellung begehrt, dass die Ereignisse in den Jahren 1980 bis
1982 an der S.-Schule in H. eine komplexe PTBS verursacht hätten.
Dem ist die Beklagte unter Bezugnahme auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden entgegengetreten.
Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akten des Versorgungsamtes Hamburg nach dem
Schwerbehindertenrecht einerseits (Feststellung eines Grades der Behinderung von 70 wegen einer psychischen Störung sowie
des Vorliegens der Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B mit Wirkung ab 1. Januar 2010) und nach dem OEG andererseits beigezogen und einen Befundbericht des Herrn Dr. A. eingeholt. Es hat weiter Beweis erhoben durch Einholung
eines Sachverständigengutachtens von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. F1, der nach Untersuchung
der Klägerin durch ihn sowie durch die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S1 am 24. September 2013 gemeinsam mit
Letzterer unter dem 31. Oktober 2013 bei der Klägerin eine komplexe PTBS diagnostiziert hat. Wenn man die aktenkundigen Angaben
der Klägerin als voll bewiesene Tatsachen einer Bewertung zugrunde lege, sei davon auszugehen, dass trotz Belastungen durch
nicht versicherte Ereignisse gleichwohl die Belastung durch den sexuellen Missbrauch in der Schule zwar nicht alleinige, aber
zumindest rechtlich wesentlich mitwirkende Teilursache bei der Entstehung des Folgeschadens gewesen sei. Diese Aussage gelte
in Bezug auf die Gesamtheit der sexuellen Übergriffe. Man werde jedoch die Frage, dass auch eine einmalige Handlung, wie sie
der Schilderung der Klägerin nach von W.S. vorgenommen worden sei, die Gesamtheit des heutigen Störungsbildes mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit hervorgerufen hätte, kaum bejahen können, wenn man sich zum einen den entscheidenden psychodynamischen
Faktor des Missbrauchs durch den Kirchenmann vergegenwärtige, der sich ja gerade in der repetitiven Missbrauchshandlung finde,
wenn man sich zum zweiten Schwere und den Konsequenzenreichtum der nicht versicherten Ereignisse mit der Folge von Drogenmissbrauch
und wahrscheinlich -abhängigkeit ins Gedächtnis rufe und wenn man außerdem berücksichtige, dass eine einmalige Züchtigung
durch einen Lehrer zwar verboten und sicherlich pädagogisch hoch verwerflich sei, an sich aber eine seelische Traumatisierung
nicht nach sich ziehen sollte. Die Ausführungen der vorgerichtlich gehörten Dr. P. würden für dem Grunde nach stichhaltig
erachtet. In diese gutachterliche Bewertung sind die Ergebnisse eines psychologischen Zusatzgutachtens vom 21. Oktober 2013
nach Befunderhebung am 26. September 2013 durch Dr. F1 und den Diplom-Psychologen T. eingeflossen. Im Termin zur mündlichen
Verhandlung und Beweisaufnahme am 15. November 2013 hat Dr. F1 sein Gutachten erläutert.
Auf die mündliche Verhandlung hat das SG die Klage mit Urteil vom selben Tag abgewiesen. Sie sei zwar als Anfechtungs- und Feststellungsklage statthaft und zulässig,
nach (konkludenter) Abänderung der angefochtenen Bescheide durch das angenommene Teilanerkenntnis jedoch unbegründet. Es könne
nicht festgestellt werden, dass die als Arbeitsunfälle anerkannten Ereignisse bei der Klägerin eine komplexe PTBS verursacht
hätten. Die Klägerin habe durch die Schläge auf ihr nacktes Gesäß Arbeitsunfälle erlitten. Diese hätten aber über die kurzzeitigen
Schmerzen hinaus keine weiteren Folgen hinterlassen. Bei der Feststellung unfallbedingter Gesundheitsschäden müsse unterschieden
werden, welche Art von Gesundheitserstschaden und Folgeschäden ein Versicherter geltend mache. Bei orthopädisch/chirurgischen
Leiden müssten pathologische Körperveränderungen ereignisnah vorliegen, bei psychischen Unfallfolgen müsse ein seelischer
Gesundheitserstschaden nachgewiesen sein, beides im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.
Der Nachweis von zeitnahen seelischen Gesundheitserstschäden zu den einzelnen versicherten Ereignissen sei nicht erbracht.
Die Kammer gehe davon aus, dass die von der Klägerin erlebten und damit einwirkenden Ereignisse einen "seelischen Eindruck"
- eine Erinnerung bzw. ein Engramm - im Gehirn hinterlassen hätten. Ein solcher seelischer Eindruck sei aber nicht mit einem
Gesundheitserstschaden gleichzusetzen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei es zur Feststellung des Gesundheitsschadens erforderlich, dass dieser anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes
festgestellt werde. Hierfür seien die derzeit gültigen Diagnose-Manuale (ICD-10 oder DSM-IV TR) anzuwenden. Nach beiden Diagnosesystemen
fehle es an einem seelischen Erstschaden, der den so genannten Traumaprozess in Gang setzen könne. Nach dem Diagnosemanual
DSM-IV-TR setze die Diagnose einer PTBS u.a. voraus: A. Es war eine Konfrontation mit einem traumatischen Ereignis gegeben
und zwar: 1. Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung oder Gefahr für eigene oder fremde
körperliche Unversehrtheit (objektiv) und 2. Reaktion: Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (subjektiv). Nach dem
Diagnosemanual ICD-10 setze die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung unter anderem voraus: • Der Betroffene
war (kurz oder lang anhaltend) einem belastendem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt,
das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. •. • Die Symptome sollten in der Regel innerhalb von
sechs Monaten nach dem belastenden Ereignis (oder der Belastungsperiode) aufgetreten sein. Eine richtige Diagnosestellung
nach ICD-10 scheitere bereits daran, dass die geschilderten und erlebten Ereignisse an der S.-Schule in H. in den Jahren von
1980 bis 1982 keine so erhebliche Bedrohung von katastrophalem Ausmaß darstellten, wie dies medizinisch gefordert werde. Außerdem
ließen sich innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Ereignis keine entsprechenden Symptome nachweisen. Nach dem DSM-IV-(TR)
sei bereits sehr fraglich, ob beim Erleben der Ereignisse das Traumakriterium "A2" erfüllt gewesen sei. Aus den Schilderungen
der Klägerin sei vielmehr abzuleiten, dass sie zumindest die Handlungen des Paters nicht "verstanden" habe, denn sie habe
ausgeführt, dass sie noch kein Bewusstsein davon gehabt habe, dass "das" etwas mit Sexualität zu tun habe. Dies sei ihr nach
eigenem Bekunden erst etwas bewusster geworden, kurz vor dem Weggang des Paters zu einer Jungenschule. Die erlebten Ereignisse
an der S.-Schule in H. in den Jahren von 1980 bis 1982 seien ihrer Intensität nach keine schweren, anhaltenden Traumatisierungen
im Sinne der Diagnosestellung einer komplexen PTBS gewesen, einem psychischen Krankheitsbild, das sich infolge schwerer, anhaltender
Traumatisierungen (z. B. Misshandlungen oder sexueller Missbrauch, Kriegserfahrung, Folter, Naturkatastrophen, physische oder
emotionale Vernachlässigung in der Kindheit, existenzbedrohende Lebensereignisse) entwickeln könne. Dass mit hoher Wahrscheinlichkeit
die Handlungen im SM-Club hierunter fallen würden, sei für die Kammer nachvollziehbar und insoweit auch schlüssig, sodass
die medizinisch gestellte Diagnose F 62.0 wohl zutreffend sei. Dass die Klägerin die dortigen Handlungen auch in erheblichem
Umfange "anders" erlebt und diese gerade nicht gebilligt habe, zeige sich bereits daran, dass sie versucht habe, diese Ereignisse
bei W.S. "anzuzeigen". Dieser habe aber die Anschuldigungen der Klägerin nicht ernst genommen und dies mit "Blasphemie" abgetan.
Die Klägerin habe also nach ihrem damaligen Weltbild eine Unterscheidung zwischen den Handlungen des Paters und den als "schlimmer"
empfundenen Handlungen im SM-Club treffen können. Demnach hätten die Ereignisse im Club, die von 1981 bis Mitte 1984 begangen
worden seien, ein qualitativ erheblich größeres Gewicht als die als "erzieherische Strafe" empfundenen Handlungen des Paters.
Ein seelischer Erstschaden durch die Ereignisse im SM-Club wäre insoweit für die Kammer als nachgewiesen anzunehmen, denn
diese erlebten Belastungen überstiegen diejenigen, die die Klägerin bei den Handlungen des Paters erlebt habe. Die Kammer
weise nur ergänzend darauf hin, dass bei einem unterstellten seelischen Gesundheitserstschaden im Zeitraum von 1980 bis 1982
an der S.-Schule in H. die wohl medizinisch richtig diagnostizierte komplexe PTBS nicht wesentlich auf die versicherten Ereignisse
zurückgeführt werden könnte, es mithin an der haftungsausfüllenden Kausalität nach der Theorie der wesentlichen Bedingung
fehlte. Die Klägerin sei in ihrem Leben häufigen sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen. Nach deren eigenen Angaben sei
ein erster Übergriff im privaten Umfeld erfolgt, als sie ca. sieben Jahre alt gewesen sei. Weitere Übergriffe seien im Rahmen
ihrer versicherten Tätigkeit als Schülerin von 1980 bis 1982 erfolgt. Ebenfalls in diesem Zeitraum seien nach ihren eigenen
Angaben die sexuellen Übergriffe gefallen, denen sie ca. von 1981 bis 1984 in der Weise ausgesetzt gewesen sei, dass sie unter
Drogeneinfluss mit in einen SM-Club auf P genommen und dort misshandelt worden sei. Aus dem Befundbericht von Dr. A. gehe
weiter hervor, dass bei der Klägerin das Vorliegen einer außergewöhnlich schweren Belastung durch ein über ein Jahrzehnt andauerndes
sexuelles Gewalterleben durch verschiedene Täter zwischen ihrem 7. und 19. Lebensjahr vorgelegen habe. Welche genauen Ereignisse
hier, insbesondere im 19. Lebensjahr passiert seien, ergebe sich als weitere nicht versicherte Wirkursache aber nicht. Auch
das von ihr geschilderte Ereignis im Jahre 2008, als sie frühmorgens an der Alster von einem Mann belästigt worden sei, sei
insoweit als Wirkursache festzustellen. Weiter seien die Tatsachen, dass die Klägerin sehr religiös erzogen worden sei, und
die Umstände, dass sie in der eigenen Familie als Kind keinen Halt gefunden und diesen bei W.S. gesucht habe, zu berücksichtigen.
Der allein versicherten Wirkursache in Gestalt der Vorfälle in der S.-Schule komme gegenüber den übrigen, unversicherten Wirkursachen
keine wesentliche Bedeutung zu. Die Veröffentlichungen über W.S. Anfang 2010 hätten zwar das "Fass zum Überlaufen" gebracht,
so dass die Klägerin ab diesem Zeitpunkt tatsächlich dekompensiert sei und auf Dauer wohl arbeitsunfähig sein werde. Diese
letzte Ursache sei aber nicht die wesentliche Ursache, sondern nur das Anlassgeschehen im Sinne einer Gelegenheitsursache
gewesen. Bei der Klägerin hätten bereits so tiefgreifende psychische Veränderungen vorgelegen, die durch die unversicherten
Ursachen aus ihrem privaten Umfeld und ihrer extremen Religiosität hergerührt hätten, dass es nur eines leichten Anstoßes
von außen in Form der Veröffentlichungen über W.S. bedurft habe, dem keine besondere Beziehung in rechtlicher Hinsicht zukomme.
Die Kostenentscheidung ("Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten") folge aus §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz ( SGG). Die Kammer weise darauf hin, dass die Beklagte durch ihr Anerkenntnis auch 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten
zu tragen habe und nur die geänderte Klage "ohne" Kostenfolge für die Beklagte abgewiesen worden sei.
Gegen dieses, ihren Prozessbevollmächtigten am 26. November 2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 23. Dezember 2013
eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Feststellungsbegehren weiter verfolgt und die Ansicht vertritt, dass die
anerkannten Arbeitsunfälle entgegen den Ausführungen des SG schwerwiegend genug gewesen seien, um eine PTBS hervorzurufen. Sie habe schmerzhafte Schläge erlitten, die zu sexueller Erregung
des Täters geführt hätten, der es verstanden habe, unter Missbrauch seiner Autorität und des ihm entgegen gebrachten Vertrauens
mit Scheinargumenten der Klägerin eine "Einwilligung" in die Übergriffe zu entlocken. All dies sei der Klägerin als aufgewecktes
Kind durchaus spürbar bzw. bewusst gewesen. Entgegen der Annahme des SG sei das zeitnahe Auftreten von PTBS-Symptomen innerhalb von sechs Monaten keine Voraussetzung für die Feststellung eines
Gesundheitserstschadens im Rahmen einer komplexen PTBS, die nach dem ICD-10 am ehesten unter die Diagnose "andauernde Persönlichkeitsänderung
nach Extrembelastung" zu fassen sei (F 62.0) und nicht unter die Diagnose "PTBS" (F 43.1), wie es u.a. Dr. F1 in seinem Gutachten
ausgeführt habe. Selbst für die Diagnose F 43.1 werde das Auftreten innerhalb von sechs Monaten nur regelhaft verlangt. Ausnahmen
seien denkbar. Im Übrigen seien bereits lange vor der Dekompensation im Jahr 2010 ab den achtziger Jahren dreimal stationäre
Behandlungen belegt, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass eine stationäre Aufnahme erst erfolgt sei, wenn eine Abklärung
bzw. Behandlung unabdingbar erschienen sei. Bereits Ende 1984 sei im U. von einer psychosomatischen Erkrankung ausgegangen
worden. Zu den Zeiten der stationären Behandlungen in L. und O. im Jahr 1986 sei die Klägerin bereits sehr verschlossen gewesen.
An die Therapieversuche in K. Ende 1986 bis Anfang 1987 habe sie nur eine vage Erinnerung. Seither sei sie nie beschwerdefrei
gewesen, habe lediglich zeitweise eingeschränkt funktioniert, aber insbesondere immer wieder unter dissoziativen Zuständen
gelitten. Soweit das SG auch bei Unterstellung eines seelischen Gesundheitserstschadens und der haftungsbegründenden Kausalität im Rahmen der Prüfung
der haftungsausfüllenden Kausalität entgegen den Ausführungen von Dr. F1 und Dr. S1 eine wesentliche Teilursächlichkeit der
Vorfälle in der S.-Schule verneine, sei die Gewichtung der übrigen Umstände nicht nachvollziehbar. Insbesondere sei die Religiosität
der Klägerin nicht übersteigert, also nur ein in der Unfallversicherung geschütztes Persönlichkeitsmerkmal. Auch wenn das
SG das von den Sachverständigen thematisierte Problem, dass ein einzelner der ca. 50 Arbeitsunfälle wohl nicht gereicht hätte,
um von einer wesentlichen (Teil-) Ursache für das Leiden der Klägerin auszugehen, sondern dass es schon mehrerer davon bedurft
habe, nicht in den Blick genommen habe, werde vorsorglich erneut darauf hingewiesen, dass dies die Annahme eines Ursachenzusammenhangs
nicht hindere. Die versicherten Ereignisse stellten einen Wirkkomplex eigener Art dar. Zwar lasse sich wohl nicht wirklich
klären, durch welches der versicherten Ereignisse erstmals eine seelische Beeinträchtigung Beeindruckung von Krankheitswert
erreicht worden sei (sie könne erreicht worden sein, weil jedes einzelne Ereignis die Psyche der Klägerin angegriffen und
jedes nachfolgende die Wirkung verstärkt habe, sie könne eingesetzt haben oder besonders verstärkt worden sein, als der Klägerin
deutlicher geworden sei, dass der Pater sie nicht wirklich habe erziehen wollen, sondern eigenen Neigungen nachgegeben habe).
Für die Eintrittspflicht der Unfallversicherung könne es doch aber keinen Unterschied machen, ob schon mit dem dritten oder
erst mit dem zehnten oder gar erst mit dem 39. Ereignis das Maß voll gewesen sei. Auch Kassiererinnen, die mehrfach an ihrem
Arbeitsplatz überfallen worden seien, oder Lokführer, denen mehrfach ein Mensch vor den Zug gesprungen/gefallen sei und die
erst nach dem letzten Ereignis eine PTBS entwickelt hätten, erhielten Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, ohne
dass geklärt werden müsse, welches der Ereignisse welchen Anteil an der Ausbildung der PTBS habe. So heiße es zum Beispiel
in einem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg: "Vorliegend unschädlich für den geltend gemachten Anspruch
ist, dass die Verursachungsbeiträge der drei Fahrgastunfälle nicht mehr abgrenzbar sind. Grundsätzlich setzt zwar die Annahme
einer Verschlimmerung gegebenenfalls vorbestehender Gesundheitsstörungen voraus, dass der Vorschaden und der unfallbedingte
Verschlimmerungsanteil abgrenzbar sind. Dies steht dem geltend gemachten Anspruch jedoch dann nicht entgegen, wenn der Vorschaden
ebenfalls auf Versicherte Arbeitsunfälle rückführbar ist". Der im Urteil des BSG vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02 - bekräftigte Grundsatz, dass Gesundheitsschäden, die auf mehreren Arbeitsunfällen beruhten, jeweils getrennt zu beurteilen
seien und die Bildung einer Gesamt-Minderung der Erwerbsfähigkeit insoweit nicht in Betracht komme, möge für einen Großteil
der Fälle zu akzeptablen Ergebnissen führen. Für Fälle des mehrfachen sexuellen Missbrauchs - insbesondere eines Schulkindes
durch eine Lehrkraft - gelte dies allerdings nicht. Diese mehreren versicherten Ereignisse seien nicht so unterschiedlich
und stünden nicht so trennbar nebeneinander wie Arbeitsunfälle üblicherweise: Der Verursacher sei jeweils derselbe, die Geschehensabläufe
seien in der Regel sehr ähnlich, die Zeitabstände zwischen mehreren Ereignissen kürzer, die jeweiligen gesundheitlichen Folgen
häufig nicht sofort in Gänze erkennbar. Hinzu komme die Besonderheit des alle versicherten Ereignisse dieser Art verbindenden
Unrechts: Die versicherte Person habe nicht einfach Pech und nochmals Pech bei der Ausübung einer versicherten Tätigkeit,
sondern sei - in einem besonderen Gewaltverhältnis - wiederholt schutzlos vorsätzlichem rechtswidrigen Tun ein und desselben
Täters ausgeliefert. Diese spezielle Konstellation rechtfertige, ja gebiete eine andere Handhabung, nämlich eine Bewertung
der Folgen des Missbrauchs insgesamt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. November 2013 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom
24. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2012 und des angenommenen Teilanerkenntnisses vom
15. November 2013 festzustellen, dass die bei der Klägerin diagnostizierte komplexe posttraumatische Belastungsstörung Folge
der anerkannten Arbeitsunfälle ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und nimmt auf diese Bezug.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens
von der Ärztin für Psychiatrie und Neurologie und Diplom-Psychologin Dr. P1, die nach Untersuchung der Klägerin am 14. Oktober
2015 unter dem 18. Juni 2016 zu einer im Wesentlichen gleichen Einschätzung wie die Vorgutachter gekommen ist. Auch sie diagnostiziert
eine spätestens ab 1986 vorliegende PTBS bzw. andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung und hält die Ereignisse
in der S.-Schule in den Jahren von 1980 bis 82 in ihrer Gesamtheit für eine wesentliche Teilursache der bei der Klägerin vorliegenden
psychischen Gesundheitsstörungen. Die einzige Abweichung gegenüber den Vorgutachten macht Dr. P1 daran fest, dass der Grad
der Behinderung bzw. der Grad der Schädigung nach versorgungsmedizinischen Grundsätzen mit mehr als 70, nämlich mit wenigstens
80 zu bewerten sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16. Oktober 2017 und den weiteren Inhalt der Prozessakte
sowie der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das SG hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten in der Fassung des angenommenen Teilanerkenntnisses
sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in deren Rechten. Die bei der Klägerin diagnostizierte komplexe PTBS
kann nicht als Folge der von der Beklagten anerkannten ca. 50 Arbeitsunfälle in den Jahren 1980 bis 1982 an der S.-Schule
in H. festgestellt werden.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch ( SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen
Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes,
von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv
und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; st.Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 - B 2 U 10/13 R, BSGE 118,1, m.w.N.). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende
Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern - vor allem - für die Gewährung einer
Verletztenrente (st. Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196, m.w.N.).
Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die Vorfälle in den Jahren 1980 bis 1982 in der S.-Schule in H. zu Recht als
Arbeitsunfälle mit geringfügigen und vorübergehenden körperlichen Folgen durch die Schläge auf den nackten Po der Klägerin
anerkannt worden sind. Jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass ein zeitlich begrenztes Ereignis einen seelischen Gesundheitserstschaden
verursacht hat. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass einer der anerkannten, erlittenen geringfügigen und vorübergehenden
körperlichen Gesundheitserstschäden wesentliche Teilursache für das komplexe psychische Beschwerdebild der Klägerin gewesen
ist.
Letzteres erscheint nicht nur selbstverständlich, sondern ist auch von den gehörten Sachverständigen bestätigt worden, die
darüber hinaus darin einig sind, dass jeder einzelne der erlittenen Vorfälle für sich genommen nicht geeignet war, einen seelischen
Schaden zu verursachen. Vielmehr hat insbesondere Dr. F1 für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass die sexuellen Übergriffe
durch W.S. nur in ihrer Gesamtheit geeignet waren, als wesentliche Teilursache zum psychischen Krankheitsbild der Klägerin
beizutragen, wohingegen jeder einmaligen Züchtigung die entsprechende Eignung fehlte. Die im Berufungsverfahren als Sachverständige
gehörte Dr. P1 hat sich dessen Beurteilung im Wesentlichen angeschlossen.
Bei der Prüfung, ob die bei der Klägerin diagnostizierte komplexe PTBS Folge einer versicherten Tätigkeit als Schülerin ist,
hat das SG nicht berücksichtigt, dass dies mangels offensichtlicher Geeignetheit der geringfügigen und vorübergehenden körperlichen
Gesundheitserstschäden voraussetzen würde, dass ein einzelner der ca. 50 Vorfälle (auch) einen seelischen Gesundheitserstschaden
verursacht hätte, der wiederum im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität wesentliche Teilursache für das bestehende komplexe
Beschwerdebild der Klägerin sein müsste, und dass dies daran scheitert, dass Gesundheitsschäden, die auf mehreren Arbeitsunfällen
beruhen, jeweils getrennt zu beurteilen sind (BSG, Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02, HVBG-INFO 2003, 2845) und dass eine schädigende Einwirkung den Tatbestand eines Unfalls nur erfüllt, wenn sie innerhalb eines verhältnismäßig
kurzen Zeitraums, höchstens innerhalb einer Arbeitsschicht geschehen ist; die Gesamtheit mehrerer, auf einen längeren Zeitraum
als eine Arbeitsschicht verteilter äußerer Einwirkungen erfüllt nicht den Unfallbegriff, sondern kann unfallversicherungsrechtlich
nur unter dem Gesichtspunkt einer Berufskrankheit (§ 9 SGB VII) relevant sein; ein Kausalzusammenhang mit einer zeitlich begrenzten Einwirkung im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII kann nur angenommen werden, wenn sich eine Gewalteinwirkung aus der Gesamtheit wiederholter, in mehreren Arbeitsschichten
aufgetretener Gewalteinwirkungen derart hervorhebt, dass sie nicht nur als letzte von mehreren für den Erfolg gleichwertiger
Gewalteinwirkungen erscheint (st. Rspr., BSG, Urteile vom 30. Mai 1985 - 2 RU 17/84, SoR 2200 § 548 Nr. 71, vom 31. Oktober 1969 - 2 RU 15/69, SozR Nr. 14 zu § 548 RVO, vom 30. Juli 1965 - 2 RU 57/64, BG 1966, 360 sowie vom 14. März 1958 - 2 RU 48/56, SozR Nr. 10 zu § 542 RVO, Beschlüsse vom 5. Februar 1980 - 2 BU 31/79, HVGBG RdSchr VB 56/80, sowie vom 14. September 1955 - 5 RKn 5/54, SozR RVO § 542 Nr. 6; s.a. Keller in Hauck/Noftz, SGB, Stand 05/15, § 8 SGB VII Rn. 12, 12b; G. Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB VII, 2. Aufl. 2014, Stand: 29. Juni 2017, § 8 Rn. 120; Nehls in Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand: 11/12, US 0050).
Nach diesen Grundsätzen kommt eine Zurechnung der psychischen Gesundheitsschäden der Klägerin zu dem langanhaltenden Missbrauch
durch W.S. nicht in Betracht. Eine Zurechnung zum Versicherungsfall "Arbeitsunfall" im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII scheitert an dem Merkmal der zeitlich begrenzten Einwirkung, weil sich kein einzelner Vorfall von den übrigen so abhebt,
dass ihm eine eigenständige wesentliche Bedeutung für den eingetretenen Schaden zukommt, eine - im Rahmen dieses Verfahrens
auch nicht beantragte - Zuordnung zum Versicherungsfall "Berufskrankheit" im Sinne des § 9 SGB VII scheitert daran, dass die Erkrankung der Klägerin weder in der abschließenden Berufskrankheitenliste als Anlage zur aufgrund
von § 9 SGB VII erlassenen Berufskrankheitenverordnung aufgeführt ist, noch die Voraussetzungen einer sogenannten Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sieht das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die Zurechnung zu einem "Wirkkomplex
eigener Art" nicht vor. Eine solche würde die systemimmanent erforderliche strikte Trennung zwischen den Versicherungsfällen
"Arbeitsunfall" und "Berufskrankheit" unmöglich machen und entgegen der gesetzgeberischen Konzeption das Listenprinzip des
Berufskrankheitenrechts unterlaufen und die Berufskrankheitenliste einerseits und § 9 Abs. 2 SGB VII andererseits ihres Regelungsgehaltes berauben. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch aus der von ihr zitierten
Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 17. Dezember 2009 (L 2 U 1014/05, UV-Recht Aktuell 2010, 334) nichts anderes. Dort ging es im Zusammenhang mit dem Begehren auf die Gewährung weiterer psychotherapeutischer Behandlung
um die Frage der Abgrenzbarkeit des zu behandelnden Leidens von ebenfalls durch Versicherungsfälle verursachten Vorschäden,
wobei die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 SGB VII und die Geeignetheit, den bestehenden Gesundheitsschaden zu verursachen, für den streitgegenständlichen Unfall bejaht wurden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits. Entgegen den Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil ist die aus dem Kostenteilanerkenntnis der Beklagten vom 15. November 2013 erwachsende Pflicht zur
teilweisen Kostenerstattung auch im gerichtlichen Kostentenor auszuweisen, um der Gefahr ansonsten sich widersprechender Vollstreckungstitel
zu begegnen. Insoweit ist das angefochtene Urteil hinsichtlich des Kostentenors zu korrigieren.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
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