Feststellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls
Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität
Lehre von der wesentlichen Bedingung
Diagnoseverfahren zur Feststellung einer PTBS
Tatbestand:
Es geht (noch) um die Feststellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) "leichter Ausprägung mit chronifiziertem
Verlauf" als Folge des Arbeitsunfalls vom 24. Dezember 1992.
Hinsichtlich des Sachverhalts bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des Urteils des Sozialgerichts
Hamburg vom 8. November 2012 verwiesen. Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des
Bescheides vom 16. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2010 zur Feststellung einer "PTBS leichter
Ausprägung mit chronifiziertem Verlauf" als Folge des Arbeitsunfalls vom 24. Dezember 1992 und zur Gewährung von Entschädigungsleistungen
verurteilt.
Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die erstinstanzliche Entscheidung sei unzutreffend, denn sie
stütze sich maßgeblich auf das Gutachten von Dr. N., welches aber erhebliche formale und inhaltliche Mängel aufweise. Es sei
weiter streitig, ob eine PTBS bei der Klägerin vorliege. Zwar sei das A1-Kriterium zu bejahen, aber das A2-Kriterium sei nicht
hinreichend geprüft. Die initiale Reaktion müsse nachgewiesen sein, und zwar zeitnah zum Ereignis. Die Klägerin habe sich
jedoch nach dem Ereignis nicht auffällig benommen, sondern ihre Aussage vor der Polizei gemacht und weitergearbeitet. Soweit
sich das Sozialgericht auf Widder und Förster beziehe, die eine "Schockphase" nach sehr schweren traumatischen Ereignissen
annehmen, so sei hier fraglich, ob ein Raubüberfall ein derartig schweres Ereignis sei. Weiter fehle es an dem B-Kriterium
in Form von Flashbacks und Intrusionen. Ein bloßes Denken an das Ereignis reiche dafür nicht, auch nicht die Angst in ähnlichen
Situationen oder Alpträume mit entferntem Bezug zu dem Ereignis. Ebenfalls lasse sich kein traumaspezifisches Vermeidungsverhalten
feststellen (C-Kriterium). Allein das Vorliegen des D-Kriteriums sei zu unspezifisch, um die Erkrankung zu beweisen. Die Befunde
einer PTBS seien von der unfallunabhängigen Depression und der Zwangsstörung nicht ausreichend abgegrenzt. Es fehle die Auswertung
des ungewöhnlichen zeitlichen Ablaufs der Beschwerdeentwicklung, der langen Latenz und die kritische Hinterfragung der Angaben
der Klägerin.
Die Beklagte stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. November 2012 aufzuheben und die Klage gegen
den Bescheid vom 16. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2010 abzuweisen.
Die Klägerin stellt den Antrag, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das erstinstanzliche Urteil sei zutreffend. Die Reaktion auf den Überfall sei in der Schilderung in
der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht noch aktuell spürbar gewesen. Die behandelnde Ärztin R. schildere dies ebenfalls
in ihren Berichten. Das Verhalten des Arbeitgebers sei dafür verantwortlich, dass nicht früher ärztliche oder psychologische
Hilfe in Anspruch genommen worden sei. Dennoch sei es nicht gelungen, das Erlebnis zu verdrängen. Schon die Aufgabe des Schalterdienstes
belege das Vermeidungsverhalten im Sinne des C-Kriteriums. Bei der Länge der Latenz sei zu berücksichtigen, dass nicht nur
ein Überfall durchlebt werden worden sei.
Nachdem der Neurologe/Psychiater Dr. N. schon in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 1. Mai 2012 und 8. August 2012 und
in seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 8. November 2012 auf die Kritik insbesondere der
Beklagten eingegangen ist, hat er im Berufungsverfahren erneut im schriftlichen Gutachten vom 27. Juni 2014 und der Anhörung
in der Verhandlung am 1. Juli 2014 dargelegt, dass seiner Auffassung nach alle Kriterien für das Vorliegen einer PTBS bei
der Klägerin erfüllt sind. Hinsichtlich der Einzelheiten seiner Aufführungen wird auf das schriftliche Gutachten und die Niederschrift
des Verhandlungstermins vom 1. Juli 2014 verwiesen. Auf weitere Einwendungen der Beklagten hat sich der Sachverständige in
einer Stellungnahme vom 23. Dezember 2014 geäußert, zu der die Beteiligten unter Aufrechthaltung ihres bisherigen Standpunktes
ebenfalls Stellung genommen haben.
Die Klägerin hat auf Hinweis des Gerichts ihre Klage im Termin am 1. Juli 2014 auf die Feststellung der Unfallfolge beschränkt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Prozessakten
sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Sie sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte die Berichterstatterin an Stelle des Senats und im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil sich
die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§
124 Abs.
2 und §
155 Abs.
4 in Verbindung mit Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten (vgl. §§
143,
144,
151 SGG) ist nicht begründet.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht der Klage auf Feststellung einer PTBS als Unfallfolge stattgegeben.
Den umfangreichen Ausführungen schließt sich das Berufungsgericht nach eigener Prüfung vollinhaltlich an. Zur Vermeidung von
Wiederholungen nimmt das Gericht insoweit Bezug auf die Begründung des sozialgerichtlichen Urteils (§
153 Abs.
2 SGG). Lediglich hinsichtlich der Verurteilung zur Gewährung von Entschädigungsleistungen ist die sozialgerichtliche Entscheidung
zu unbestimmt. Nachdem die Klägerin ihre Klage beschränkt hat, ist dieser Teil des erstinstanzlichen Urteils obsolet.
Ergänzend gilt Folgendes:
Voraussetzung für die Feststellung einer Unfallfolge ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls. Gemäß § 548 Abs. 1 Satz 1
RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten
erleidet. Den hier die gesundheitliche Schädigung in Form einer PTBS auslösenden Überfall erlitt die Klägerin während ihrer
Arbeitstätigkeit, somit während einer Tätigkeit im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 auf Grund einer Beschäftigung in einem Arbeits-,
Dienst- oder Lehrverhältnis.
Für einen Arbeitsunfall ist erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit
zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper
einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden
oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen
aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für das Vorliegen eines
Arbeitsunfalls (vgl. Bundessozialgericht (BSG) v. 9.5.2006, B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196). Nach der das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung beherrschenden Lehre von der wesentlichen Bedingung, die bereits
vom Reichsversicherungsamt entwickelt wurde und die das BSG für seine Rechtsprechung übernommen hat und in seinen Entscheidungen als Theorie der wesentlich mitwirkenden bzw. rechtlich
erheblichen Ursache bezeichnet (vgl. u.a. BSG v. 14.10.1955, 2 RU 16/54, BSGE 1, 254; v. 31.08.1956, 2 RU 129/54, BSGE 3, 240; v. 30.06.1960, 2 RU 86/56, BSGE 12, 242 = SozR Nr. 27 zu § 542
RVO), sind ursächlich (im Rechtssinne) nur diejenigen Bedingungen (im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne), die unter
Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt
haben. Dabei sind die tatsächlichen Grundlagen der Ursachenzusammenhänge im Vollbeweis zu sichern. Das bedeutet, die Umstände
des Falles müssen nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung
geeignet sein, insoweit die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Hierfür bedarf es zwar nicht einer absoluten Gewissheit,
aber doch immerhin eines der Gewissheit nahekommenden Grades der Wahrscheinlichkeit. Zur Feststellung des kausalen Zusammenhangs
reicht indessen nach allgemeiner Auffassung die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. schon BSG v. 02.02.1978, 8 RU 66/77, SozR 2200 § 548 Nr. 38 = BSGE 45, 285; v. 30.04.1985, 2 RU 24/84, SozR 2200 § 548 Nr. 70 = BSGE 58, 76; v. 30.04.1985, 2 RU 43/84, SozR 2200 § 555a Nr. 1 = BSGE 58, 80; v. 20.01.1987, 2 RU 27/86, SozR 2200 § 548 Nr. 84 = BSGE 61, 127): Während die einzelnen Glieder der Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung und Gesundheitsschaden) mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, ohne dass eine völlige Gewissheit zu fordern ist, genügt für
den Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen.
Die bloße Möglichkeit genügt allerdings nicht (vgl. BSG v. 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196 m. zahlr. Nachw. aus der Rechtsprechung des BSG). Diese Grundsätze gelten auch für den Beweis durch Sachverständige nach §
118 SGG i. V. m. §§
402 ff.
Zivilprozessordnung. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist
danach gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen,
dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer
Betracht bleiben können, d. h. nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung (vgl. BSG v. 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196 mit Anmerkung Spiolek in JurisPR 26/2006, Anm. 5) mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich
einer anderen Verursachung ausscheiden. Dies gilt in gleicher Weise für psychische Reaktionen des Verletzten auf ein Unfallereignis.
Die auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes vorzunehmende Prüfung hat stets den konkreten Versicherten
in den Blick zu nehmen und darf nicht von einem fiktiven Durchschnittsmenschen ausgehen.
Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ergibt sich, dass das Erleben der Situation des Überfalls die Klägerin im Sinne eines
Erstschadens als unmittelbarer Unfallfolge psychisch in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung traumatisiert hat.
Das steht zur Überzeugung des Gerichts nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere nach Auswertung der während des
Klage- und des Berufungsverfahrens eingeholten medizinischen Gutachten fest. Dabei ist es nicht von wesentlicher Relevanz,
dass dem Überfall vom 24. Dezember 1992 noch zwei weitere ähnliche Ereignisse folgten, welche zur weiteren Festigung der Traumatisierung
beigetragen haben, weil zum Einen auch die beiden weiteren Ereignisse Arbeitsunfälle sind und zum Anderen für den Eintritt
der psychischen Folgen das Ereignis vom 24. Dezember 1992 jeweils die Hauptursache für die psychische Reaktion war und die
späteren Ereignisse keine weiteren andauernden psychischen Gesundheitsstörungen hervorgerufen haben. Die medizinische Bezeichnung
einer Gesundheitsstörung als "posttraumatische Belastungsstörung" ist rechtlich insofern problematisch, als diese Krankheitsbezeichnung
begrifflich bereits eine Kausalitätsverknüpfung mit einem vorausgegangenen Unfallereignis beinhaltet. Nichts anderes gilt
für die früher gebräuchliche Bezeichnung der "abnormen Erlebnisreaktion" oder der hier ebenfalls in Betracht kommenden "Anpassungsstörung
nach schwerem Lebensereignis". Dieser Umstand vermag bei der rechtlichen Beurteilung aber nicht dazu zu führen, dass im Falle
einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nur die Gesundheitsstörung, sondern auch deren Verursachung mit Sicherheit
nachzuweisen und nicht nur wahrscheinlich zu machen wäre. Für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist es vielmehr
ausreichend, dass das Erleiden einer seelischen Traumatisierung und das Vorliegen entsprechender psychischer Störungen nachgewiesen
und deren Verursachung durch das Unfallereignis hinreichend wahrscheinlich ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist auf
der Grundlage der vom Sachverständigen Dr. N. erhobenen Befunde sowie seiner überzeugenden Beurteilung zu bejahen. Das Ereignis
vom 24. Dezember 1992 war von seiner Schwere her auch geeignet, zu einer posttraumatischen Belastungsstörung zu führen. Dies
gilt unabhängig davon, ob man der Diagnose die Kriterien des ICD 10 (International Classification of Diseases) oder diejenigen
des DSM-IV (Diagnostic und Statistical Manual of Mental Disorders) bzw. DSM-V (im Mai 2013 erfolgte Revision des seit 1994
veröffentlichten Manuals IV) zu Grunde legt. Zwar ist in der gesetzlichen Unfallversicherung jeder Versicherte mit den ihm
eigenen Empfindlichkeiten und in dem Zustand versichert ist, in dem er sich vor dem Ereignis befindet, jedoch bedeutet dies
nicht, dass die Schwere des Unfallereignisses ohne Bedeutung wäre. Voraussetzung für die Anerkennung psychischer Gesundheitsstörungen
als Unfallfolge ist nämlich zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen. Angesichts der zahlreichen in Betracht
kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte die Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines
der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung
nachvollziehbar ist. Bestimmte Diagnosen setzen dabei ein entsprechend schweres Ereignis voraus (vgl. BSG vom 9.5.2006, B 2 U 1/05 R, aaO.). So liegt der Fall auch hier. Die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung ist sowohl nach dem ICD 10 als
auch dem DSM-IV bzw. DSM-V möglich. Alle Diagnosesysteme stellen bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung unter anderem
auf die Schwere des ihr zu Grunde liegenden Ereignisses ab. Allerdings weisen die Kriterien der Diagnosesysteme Unterschiede
auf. Das DSM-IV fordert den Nachweis eines Ereignisses, welches unabhängig vom Erleben des Betroffenen objektiv schwer bedrohlich
ist, während der ICD 10 nicht so deutlich zwischen dem subjektiven und objektiven Aspekt der Bedrohungssituation unterscheidet,
wenn er eine Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem
Ausmaß verlangt, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Dieser Unterschied relativiert sich wieder
dadurch, dass das DSM-IV neben dem objektiv bedrohlichen Ereignis auch eine Reaktion der betroffenen Person in Form von intensiver
Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen fordert und damit nicht allein dem funktionellen Unfallmechanismus bei physikalischer
Betrachtung, sondern auch dem subjektiven Erleben als Reaktion des Betroffenen auf ein Unfallgeschehen entscheidende Bedeutung
beimisst. Der DSM-V hat demgegenüber das Kriterium A (Stressor-Kriterium) in Bezug darauf, wie ein Betroffener das traumatisierende
Ereignis erlebte, deutlich ausgearbeitet, während das Kriterium A2 (subjektive Reaktion auf das Ereignis) gestrichen wurde.
Es kann hier unentschieden bleiben, welches der Diagnosesysteme anzuwenden ist, weil im Falle der Klägerin die Kriterien aller
drei Systeme erfüllt sind.
Zur Überzeugung des Gerichts ist, wie es die Beklagte ebenfalls anerkennt, der von der Klägerin erlittene Überfall objektiv
geeignet, auf den Betroffenen lebensbedrohlich zu wirken und auch einen besonders nervenstarken Menschen in Panik und Verzweiflung
verfallen zu lassen. Auch das A2 Kriterium (Reaktion der Bedrohten im Sinne von intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen
während des Geschehens) ist zur Überzeugung des Gerichts erfüllt. Soweit sich die erforderliche Erstreaktion nicht schon aufgrund
des Umstandes, dass es sich um einen Überfall mit gegen die Klägerin gerichteter Schusswaffe und daher um ein Ereignis mit
unmittelbarer Lebensbedrohung handelt, auf der Hand liegt, ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erforderlich, dass
die initiale Reaktion von Außenstehenden beobachtet und beschrieben wird, um ihr Vorliegen zu beweisen. Das Gericht darf vielmehr
beim Fehlen entsprechender Beobachtungen den glaubhaften Angaben der Betroffenen folgen. Wie das Sozialgericht ist auch das
Berufungsgericht davon überzeugt, dass die Klägerin zutreffende Angaben macht. Bestätigt wird dies dadurch, dass die Klägerin
entsprechende Ausführungen schon gegenüber der behandelnden Ärztin R. gemacht hat als es noch gar nicht um die Geltendmachung
eines Schadens gegenüber dem Unfallversicherungsträger ging und, dass der medizinische Sachverständige in seinen Gesprächen
mit der Klägerin festgestellt hat, dass ihre Schilderungen von vegetativen Symptomen begleitet sind, die zur Darstellung passen,
vom Betroffenen aber nicht gesteuert werden können, ihr Entsetzen über die damalige Tat und die Hilflosigkeit nachzuempfinden
sowie ihr geschildertes Verhalten nach dem Ereignis plausibel war. Dazu steht nicht im Widerspruch, dass die Klägerin nach
dem Überfall noch in einer Art Schockzustand weitergearbeitet hat. Der medizinische Sachverständige erklärt dies überzeugend
mit einer nachvollziehbaren und auf Befundebene gut einfühlbaren emotionalen Abstumpfung durch das Ereignis. Für das B-Kriterium
(Flashbacks, Intrusionen) gelten dieselben Beweismaßstäbe. Auch insoweit darf das Gericht seine Überzeugung aus den Angaben
des Betroffenen bilden, wenn andere Erkenntnisquellen nicht zur Verfügung stehen. Bei der Schilderung der Nachhallerinnerungen
in den Untersuchungen des medizinischen Sachverständigen hat die Klägerin eine deutliche affektive Beteiligung im Sinne von
katastrophisierenden Reaktionen und Affektstürmen mit Affektlabilität gezeigt, die jemand nicht bewusst vorspielen kann. Weil
die Klägerin im Rahmen der Exploration auf die Konfrontation mit Hinweisreizen eine erkennbare intensive psychische Belastung
und körperliche, vegetative Reaktionen gezeigt hat, hält das Gericht ihre Schilderung für glaubhaft. Das C-Kriterium (ein
auf das Trauma bezogenes spezifisches Vermeidungsverhalten) ist nach Überzeugung des Gerichts ebenfalls gegeben. Zum einen
hat der medizinische Sachverständige Vermeidungsverhalten in der Erzählung im Rahmen seiner Untersuchung beobachtet sowie
anhand seiner Befragung Hinweise auf die Vermeidung bestimmter Aktivitäten und das Aufsuchen bestimmter Orte gefunden. Zum
anderen hat sich die Klägerin um eine Versetzung in einen anderen Arbeitsbereich bei ihrem Arbeitgeber bemüht. Es kann ihr
nicht angelastet werden, dass ihre Bemühungen erst Jahre nach dem Ereignis erfolgreich waren und sie erst spät in den Zustelldienst
versetzt wurde. Vielmehr zeigt diese lange Beharrlichkeit, dass es für die Klägerin besonders wichtig war, nicht mehr im Schalterdienst
des Postamtes arbeiten zu müssen, wo der Überfall geschah. Auch ist ihr nicht vorzuwerfen, dass sie versucht hat, ihre Arbeitsstelle
zu behalten und sich gezwungen hat, trotz aller Schwierigkeiten weiterzuarbeiten. Dass hinsichtlich des D-Kriteriums sich
nur Schlafstörungen auf der Befundebene abbilden, während über eine Hypervigilanz mit Schreckreaktionen nur noch aus der Vergangenheit
berichtet werden kann, passt zu der Einordnung der Erkrankung als leichtere Störung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
von 20 vom Hundert und bestätigt im Übrigen die Glaubwürdigkeit der Klägerin. Die unfallunabhängig vorliegenden Erkrankungen
auf psychischem Gebiet (Zwangserkrankung und depressive Erkrankung) hat der Sachverständige Dr. N. bei seiner Beurteilung
der PTBS überzeugend abgegrenzt und dabei auch Symptome, die grundsätzlich mehreren Erkrankungen zuordenbar sind, gewürdigt
und, soweit es überhaupt möglich ist, mit guten Argumenten konkret zugeordnet. Für die Abgrenzung unfallbedingter Folgen reicht
dies aus. Ebenso ist eine mehrjährige Latenzzeit nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft zwar nicht häufig,
aber bei einer PTBS auch nicht außergewöhnlich, so dass dieser Umstand die Feststellung der Unfallfolge nicht ausschließt.
Das Gericht folgt hier ebenfalls den überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen. Abzulehnen ist die im
Urteil vom 30.3.2011 (L 2 U 293/05) geäußerte Auffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, wonach bei einer Latenzzeit von zwei Jahren zwischen
einem Arbeitsunfall und dem Entstehen eines psychischen Symptomatik ein Ursachenzusammenhang stets zu verneinen sei, sowie
die im Urteil vom 14.11.2011 (L 2 U 164/11) geäußerte Meinung des Bayerischen Landessozialgerichts, dass die Feststellung einer PTBS nicht mehr möglich sei, wenn zwischen
dem angeschuldigten Unfallereignis viele Jahre liegen und trotz fachärztlicher Behandlung die Symptome eine PTBS nicht diagnostiziert
wurden. Derartig allgemeine Aussagen sind angesichts der Vielzahl möglicher Fallvarianten nicht seriös zu treffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG ist nicht gegeben.