Erwerbsminderungsrente; Verrechnung; Insolvenzeröffnung
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten im Auftrag der AOK-Die Gesundheitskasse in Hessen (AOK)
vorgenommenen Verrechnung einer Forderung der AOK mit der monatlichen Rente der Klägerin gemäß §§
51 Abs.
2 und
52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I).
Mit Schreiben vom 2. Dezember 1998 ermächtigte die AOK die Beklagte nach §§
52 i.V.m. 51
SGB I, die von der Klägerin bis 31. August 1994 geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 11.397,99 DM gegen ihre
Leistungen zu verrechnen.
Am 22. August 2011 wurde durch das Amtsgericht Marburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet.
Am 16. September 2011 meldete die AOK ihre Forderung in Höhe von insges. 17.490,14 Euro (einschließlich Zinsen und Kosten)
im Rahmen des Insolvenzverfahrens zur Tabelle an (5.357,72 Euro Gesamtsozialversicherungsbeiträge zuzüglich 10.833,47 Euro
Zinsen und 1.298,95 Euro Kosten).
Die Klägerin bezog ab dem 1. März 2013 eine zunächst bis zum 30. September 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung,
deren Höhe ab 1. August 2013 monatlich 602,60 Euro betrug.
Mit Schreiben vom 13. November 2013 bat die Beklagte die AOK unter Bezugnahme auf deren Verrechnungsersuchen vom 2. Dezember
1998 im Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung des BSG um nähere Angaben zum damaligen Verrechnungsersuchen.
Die AOK teilte daraufhin mit Schreiben vom 20. November 2013 mit, dass es sich bei der Forderung um einen öffentlich-rechtlichen
Beitragsanspruch nach §
52 i.V.m. §
51 Abs.
2 SGB I handele. Die Gesamtsumme belaufe sich auf 9.224,67 Euro. Sie setze sich aus der Hauptforderung vom 1. Juli 1994 bis 31. August
1994 in Höhe von 5.357,72 Euro, Vollstreckungskosten in Höhe von 1.298,95 Euro und Säumniszuschlägen bis 31. Juli 2011 in
Höhe von 2.568,00 Euro zusammen. Die Forderung sei in vollem Umfang bestandskräftig und fällig.
Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 12. Dezember 2013 wegen des Verrechnungsersuchens an. Sie beabsichtige,
für die Aufrechnung/Verrechnung von der laufenden Rente der Klägerin monatlich einen Festbetrag von 100,00 Euro einzubehalten.
Darüber hinaus werde die noch zur Verfügung stehende Nachzahlung in Höhe von 2.531,81 Euro verrechnet. Über die Aufrechnung/Verrechnung
habe die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Um die Entscheidung treffen zu können, erhalte die Klägerin
Gelegenheit, sich bis zum 16. Januar 2014 zu äußern und dabei alle Umstände zu schildern, die für die Aufrechnung/Verrechnung
bedeutsam sein können.
Mit Schreiben vom 7. Januar 2014 teilte die Klägerin auf das Anhörungsschreiben hin lediglich mit, dass im Insolvenzverfahren
die Forderung der AOK in voller Höhe anerkannt worden sei. Damit bestehe ein Aufrechnungsverbot. Die Rentennachzahlung solle
schnellstmöglich veranlasst werden.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2014 teilte die AOK der Beklagten auf deren Nachfrage mit, dass sie ihr Verrechnungsersuchen
aufrechterhalte. Bislang sei keine Restschuldbefreiung erteilt. Eine Versagung sei durchaus noch möglich.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2014 verrechnete die Beklagte gestützt auf §§
52,
51 Abs.
2 SGB I die Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der offenen Beitragsforderung in Höhe von monatlich 100,00 Euro. Außerdem verrechnete
sie auch die Nachzahlung in Höhe von 2.531,81 Euro. Die Beitragsforderung belaufe sich auf eine Gesamtsumme in Höhe von 9.224,67
Euro (Hauptforderung 5.357,72 Euro, Säumniszuschläge/Nebenkosten 3.866,95 Euro) und beziehe sich auf die Zeit vom 1. Juli
1994 bis 31. August 1994. Die Aufrechnung beziehungsweise Verrechnung werde nach eingehender Prüfung für angemessen gehalten.
Insbesondere könne die Aufrechnung ohne Beteiligung des Insolvenzverwalters auch während eines Insolvenzverfahrens begonnen
werden, da die Insolvenzmasse nicht betroffen sei. Die Klägerin habe insbesondere auch nicht den drohenden Eintritt von Sozialhilfebedürftigkeit
nachgewiesen. Die beiden Kinder der Klägerin seien mittlerweile erwachsen. Sie lebe mit einem Lebensgefährten in einem Haushalt,
so dass davon auszugehen sei, dass bei einer monatlichen Verrechnung in Höhe von 100,00 Euro keine Sozialhilfebedürftigkeit
eintrete. Ab dem 1. März 2014 werde nur noch ein Betrag von monatlich 502,60 Euro an Rente überwiesen. Über eine Wiederanweisung
der Rente in voller Höhe werde die Klägerin zu gegebener Zeit informiert. Die Beklagte habe weder ihr Ermessen missbraucht
noch die gesetzlichen Bestimmungen über die Aufrechnung beziehungsweise Verrechnung fehlerhaft angewandt.
Dagegen legte die Klägerin am 27. Januar 2014 Widerspruch ein. Unter Berücksichtigung der hälftigen Mietzahlungen und einer
hälftigen Beteiligung an den Nebenkosten der Wohnung verbleibe der Klägerin für ihren Lebensunterhalt nicht einmal der Sozialhilfesatz.
Außerdem sei eines der beiden Kinder der Klägerin ihr gegenüber noch unterhaltsberechtigt. Schon aus diesen Gründen sei die
vorgenommene Abzweigung nicht rechtmäßig. Außerdem seien auf den vorliegenden Fall die Regelungen der
Insolvenzordnung anzuwenden. Danach müsse sich jeder Abtretungsgläubiger gemäß § 114 Abs. 2
Insolvenzordnung (
InsO) nach Ablauf von zwei Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in die Reihe der übrigen Insolvenzgläubiger nach
§
38 InsO einreihen. Dem entsprechend sei die hier vorgenommene Aufrechnung bzw. Verrechnung nicht zulässig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe trotz Erinnerung eine
Bedarfsbescheinigung des zuständigen Sozialleistungsträgers nicht vorgelegt, um eine eintretende Sozialhilfebedürftigkeit
nachzuweisen. Sie habe zwei erwachsene Kinder und lebe mit einem Lebensgefährten in einer Bedarfsgemeinschafts, so dass davon
ausgegangen werden müsse, dass einer Abtrennung von 100 Euro nichts entgegenstehe. Die Beklagte habe auch bei der Festlegung
der Höhe des zu verrechnenden Betrages weder ihr Ermessen missbraucht noch die gesetzlichen Bestimmungen über die Aufrechnung
beziehungsweise Verrechnung fehlerhaft angewandt. Für Aufrechnungen nach §
51 Abs.
2 SGB I habe das Insolvenzverfahren keine unmittelbaren Auswirkungen, soweit sie über §
850c Zivilprozessordnung (
ZPO) hinausgehend Rentenbeträge erfassten, mit denen nur im Rahmen des §
51 Abs.
2 SGB I eine Aufrechnung zulässig sei. Eine Konkurrenzlage liege nicht vor, weil die Aufrechnung in diesen Fällen nicht auf die Insolvenzmasse
zugreife. Deshalb könne die Aufrechnung ohne Beteiligung des Insolvenzverwalters auch während eines Insolvenzverfahrens begonnen
werden. Die Aufrechnung in den pfandfreien Teil der Rentenbeträge sei auch in der Wohlverhaltensphase möglich und müsse erst
bei Tilgung der Forderung, gegebenenfalls durch Restschuldbefreiung, beendet werden. Eine Nachfrage bei der AOK habe ergeben,
dass die Forderung zwar im Insolvenzverfahren angemeldet worden sei, aber darüber hinaus weiterhin geltend gemacht werde,
bis Restschuldbefreiung tatsächlich erteilt werde.
Am 4. Juli 2014 erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Marburg und trug vor, die Verrechnung sei schon deswegen rechtswidrig,
weil zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch keine Aufrechnungslage bestanden habe. Zwar sei nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (BGH, B. v. 29. Mai 2008, IX ZB 51/07, ZinsO 2008, 742) eine Aufrechnung/Verrechnung nach den Spezialregelungen des SGB II/SGB XII bis in die Regelsätze hinein
im laufenden Insolvenzverfahren und während der Restschuldbefreiungsphase möglich, zu beachten seien aber vorliegend die §§
114 Abs. 2
InsO i.V.m. Abs. 1,
294 Abs.
3 InsO. Danach werde die Aufrechnung/Verrechnung im Insolvenzverfahren auf 2 Jahre begrenzt. Die Vorschrift des § 114
InsO sei auch trotz ihres Wegfalls zum 1. Juli 2014 im vorliegenden Verfahren noch anzuwenden, da es sich im Sinne des Art. 6,
103h des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (GlRStG) um ein "altes
Verfahren" handele, auf das das "alte Recht" anzuwenden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 114 Abs. 2
InsO - die Klägerin verweist insoweit auf das Urteil des BSG vom 10. Dezember 2003, B 5 RJ 18/03 - sei diese Vorschrift im vorliegenden Fall anzuwenden, obwohl die Rente der Klägerin keine pfändbaren Rentenanteile aufweise
und damit per se die Insolvenzmasse nicht betroffen sein könne. Danach ende die Verrechnungsmöglichkeit nach 2 Jahren, das
heißt im August 2013. Weiterhin sei der angegriffene Bescheid deshalb rechtswidrig, weil die Klägerin mit ihrer Rente nicht
ihren Bedarf nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und den ihres Sohnes (C. A., geb. 1993) decken könne. Auf das Einkommen ihres Lebensgefährten könne nicht verwiesen werden,
da die Klägerin verpflichtet sei, alle ihr zur Verfügung stehenden Einnahmen einzusetzen, um ihren Bedarf und denjenigen ihres
Sohnes zu decken.
Demgegenüber vertrat die Beklagte die Auffassung, die Verrechnung sei rechtmäßig. Hinsichtlich des Verhältnisses der Möglichkeit
der Verrechnung und der Vorschriften der
Insolvenzordnung verwies die Beklagte auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Während des erstinstanzlichen Verfahrens legte die Klägerin den Bescheid des Landkreises Marburg-Biedenkopf als SGB II-Träger vom 11. Dezember 2014 vor. Danach bestünden für die Klägerin, ihren Lebensgefährten, D. D., und den Sohn der Klägerin,
C. A., keine Leistungsansprüche, da das bestehende Vermögen der Bedarfsgemeinschaft (hier explizit die Vermögenswerte des
Herrn D.) den geschützten Vermögensbetrag in Höhe von 7.650,00 Euro überstiegen.
Mit Urteil vom 29. Januar 2015 wies das Sozialgericht die Klage mit der Begründung ab, §
51 Abs.
2 SGB I stelle eine Ausnahme im System der Aufrechnungen bzw. Verrechnungen dar. Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die
Pfändung, unter anderem in §
54 SGB I, sowie Pfändungen nach der
ZPO im privatrechtlichen Bereich träten hinter §
51 Abs.
2 SGB I zurück. Die Voraussetzungen des §
51 Abs.
2 SGB I lägen vor. Insbesondere habe die Klägerin keine Bescheinigung der zuständigen Behörde über ihre Hilfebedürftigkeit vorgelegt.
Aus dem vorgelegten Bescheid des Kreisausschusses des Landkreises Marburg-Biedenkopf vom 11. Dezember 2014 über die Ablehnung
von Leistungen nach dem SGB II folge, dass durch den Abzweig von 100,00 Euro von der monatlichen Rentenzahlung bei der Klägerin keine Hilfebedürftigkeit
eintrete. Die Leistungen seien abgelehnt worden, weil das bestehende Vermögen der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin und ihres
Lebensgefährten, D. D., den geschützten Vermögensbetrag in Höhe von 7.650,00 Euro übersteige.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 20. März 2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. April 2015 Berufung beim
Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Sie bezieht sich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und hält die Verrechnung für rechtswidrig. Das Sozialgericht habe sich
mit ihrem Vorbringen mit falschem Ergebnis auseinandergesetzt.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29. Januar 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2014 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Beklagte hat
außerdem die Beiladung der AOK beantragt.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 21. Juni 2016 darauf hingewiesen, dass das Landessozialgericht die Berufung
gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Beschluss zurückweisen kann, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen
auf die gewechselten Schriftsätze sowie den Inhalt der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte und die Gerichtsakte.
II.
Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten von der in §
153 Abs.
4 SGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und zur Beschleunigung des Verfahrens durch Beschluss entschieden, weil er das
Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Der Senat kann ohne Beiladung der AOK entscheiden. Die AOK ist nicht nach §
75 Abs.
2 SGG notwendig zum Verfahren beizuladen. Sie ist als Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an dem im vorliegenden
Verfahren streitigen Rechtsverhältnis nicht in der Weise beteiligt, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich
ergehen könnte. Die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung nach §
75 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Zwar würde im Falle einer erfolgreich durchgeführten Verrechnung der Anspruch der AOK, den diese als Treuhänder
für die Sozialversicherungsträger geltend macht, erlöschen. Die zur Verrechnung ermächtigte Beklagte trifft aber eine eigene
Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang sie der Verrechnungsermächtigung entsprechen will. Insbesondere ist die AOK
nicht gehindert, ihre Forderung gegenüber der Klägerin in anderer Weise durchzusetzen, ohne die Rechtsauffassung der Beklagten
oder des Gerichts berücksichtigen zu müssen (s. zum Vorstehenden LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. April 2009, L 3 R 379/07, juris Rnr. 22 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2015, L 2 R 148/13, juris Rnr. 42 f.).
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (vgl. §
151 Abs.
1 und §§
143,
144 SGG).
Die Berufung der Klägerin ist aber unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29. Januar 2015 ist nicht zu beanstanden.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2014 ist zu
Recht ergangen. Die Klägerin wird hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt. Die Verrechnung ist rechtmäßig.
Gemäß §
52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger vorliegend die Beklagte - mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers
- vorliegend die AOK - dessen Ansprüche gegen den Berechtigten vorliegend die Klägerin - mit der ihm obliegenden Geldleistung
verrechnen, soweit nach §
51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Gemäß §
51 Abs.
2 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Geldleistungen und mit Beitragsansprüchen
nach diesem Gesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte
nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) über die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 19, 27 ff. SGB XII) oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wird (§§ 20 ff. SGB II).
Die Verrechnungserklärung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Diese konnte die Verrechnung gegenüber der Klägerin durch
Bescheid vornehmen. Der Große Senat des BSG hat mit Beschluss vom 31. August 2011 die bis dahin offene Streitfrage entschieden hat, dass eine Verrechnung in Form eines
Verwaltungsaktes durchgeführt werden kann (GS 2/10, juris). Die Beklagte hat vorliegend durch Verwaltungsakt entschieden, diesen ordnungsgemäß bekanntgegeben und zuvor die
Klägerin zur beabsichtigten Verrechnung auch mit Schreiben vom 12. Dezember 2013 gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ordnungsgemäß angehört.
Eine Aufrechnungslage ist hier ebenfalls gegeben. Die Forderung der AOK auf Sozialversicherungsbeiträge nebst Säumniszuschlägen
war nach den Mitteilungen im Verrechnungsersuchen vom 2. Dezember 1998, erneuert durch das Schreiben der AOK vom 20. November
2013, fällig. Die Zahlungsansprüche der AOK gehen auf Beitragsforderungen aus dem Zeitraum vom 1. Juli 1994 bis 31. August
1994 zurück. Weder gegen den Grund noch die Höhe der Forderung der AOK sind von der Klägerin Einwendungen geltend gemacht
worden.
Auch die aufgelaufenen Säumniszuschläge können bei der Geltendmachung von Beitragsansprüchen im Sinne des §
51 Abs.
2 SGB I berücksichtigt werden. Diese sind als Nebenforderung Teil der Beitragsforderung (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. März
2015, L 1 R 425/14 B ER, juris Rnr. 35 m.w.N.).
Ferner lag der Beklagten eine wirksame Ermächtigungserklärung vor. Es handelt sich dabei um eine empfangsbedürftige Willenserklärung,
die zu der Befugnis des ermächtigten Leistungserbringers führt, im eigenen Namen dessen Forderung zu verrechnen. Als empfangsbedürftige
Willenserklärung muss die Ermächtigungserklärung hinreichend substantiiert sein. Sie muss Art und Umfang der Forderung so
genau bezeichnen, dass der Ermächtigte als Empfänger der Willenserklärung ohne weiteres eine substantiierte Verrechnungserklärung
abgeben kann (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003, B 4 RA 60/02 R, juris Rnr. 25 ff.). Das Verrechnungsersuchen der AOK vom 20. November 2013, das letztlich die Grundlage der weiteren Prüfung
der Beklagten geworden ist, enthält Angaben zur Zusammensetzung der Haupt- und Nebenforderungen mit Benennung des einbezogenen
Zeitraums. Insgesamt lag zum damaligen Zeitpunkt unter Berücksichtigung von Säumniszuschlägen bis 31. Juli 2011 eine bestandskräftig
festgestellte und fällige Forderung in Höhe von 9.224,67 Euro vor. Das Verrechnungsersuchen war daher auch hinreichend bestimmt.
Die Beklagte hat dieses auch mit dem Bescheid vom 16. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2014 korrekt
umgesetzt. Insbesondere hat sie die Forderung hinreichend dem Grunde und der Höhe nach bezeichnet.
Die Pfändungsfreigrenzen (§
54 Abs.
3 bis
5 SGB I i.V.m. der
ZPO) müssen bei der Verrechnung gemäß §
51 Abs.
2 SGB I nicht beachtet werden (s. dazu bereits Hessisches LSG, Urteil vom 17. Mai 2013, L 5 R 336/12, juris Rnr. 34). Damit ist der Gesetzgeber von der im bürgerlichen Recht bestehenden Verknüpfung von Aufrechenbarkeit und
Pfändbarkeit (§
394 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB)) abgewichen.
Die Aufrechnung bzw. Verrechnung der Beklagten ist auch nicht nach §§ 114 Abs. 1, Abs. 2,
95 Abs.
1 Satz 3,
96 Abs.
1 Nr.
1 Insolvenzordnung (
InsO) in der Fassung bis 30. Juni 2014 unwirksam. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, hier mit Beschluss des Amtsgerichts
Marburg vom 22. August 2011, verlor die Klägerin grundsätzlich die Möglichkeit, über die nach §
35 InsO zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände oder -werte zu verfügen. Allerdings sind nur pfändbare Forderungen Vermögensbestandteil
der Insolvenzmasse. Eine Erwerbsminderungsrente unterfällt wie eine Altersrente nur mit dem pfändbaren Anteil dem Insolvenzverfahren
(vgl. zur Altersente Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Oktober 2013, L 6 R 163/13, juris Rnr. 31; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. April 2013, L 20 R 819/09, Rnr. 20; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. März 2015, L 1 R 425/14 B ER, juris Rnr. 39). Denn nach §
36 Abs.
1 InsO sind lediglich pfändbare Forderungen der Klägerin Vermögensbestandteil der Insolvenzmasse. Nach §
36 Abs.
1 S. 2
InsO gilt §
850c ZPO entsprechend. Die von der Beklagten zu leistende monatliche Erwerbsminderungsrente lag in der ursprünglich gewährten Höhe
von 602,60 Euro durchgehend unter der Pfändungsfreigrenze des §
54 Abs.
4 SGB I i.V.m. §
850c ZPO, so dass sie von vornherein nicht insolvenzbefangen war. Die Verrechnungshindernisse nach §§
95,
96 InsO bzw. die übrigen von der Klägerin aufgeführten Vorschriften der
InsO finden somit mangels Zurechnung der Erwerbsminderungsrente zur Insolvenzmasse bereits keine Anwendung.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Vorschriften der §§
52,
51 Abs.
2 SGB I um besondere Regelungen handelt, die nur in zwei Ausnahmefällen, nämlich der Nichtentrichtung von Beiträgen oder bei zu Unrecht
bezogenen Sozialleistungen, einen erweiterten Zugriff der Sozialleistungsträger auf das nichtpfändbare Vermögen des Betroffenen
gestatten, unter dem weiteren Vorbehalt, dass der Betroffene dadurch nicht hilfebedürftig wird. Beide Fallkonstellationen
haben unmittelbare Auswirkungen auf die Finanzgrundlagen der gesetzlichen Sozialversicherungsträger, die durch die Aufrechnung
bzw. Verrechnung vom Gesetzgeber dazu ermächtigt wurden, wenigstens einen Teil der Beträge, nämlich max. bis zur Hälfte der
laufenden Sozialleistung, vom Betroffenen zurückzuholen. Dies stellt eine gewisse Privilegierung der Sozialleistungsträger
gegenüber "normalen" Gläubigern dar, die §
394 BGB zu beachten haben, die aber vom Gesetzgeber aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen so gewollt war (Landessozialgericht
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Oktober 2013, L 6 R 163/13, juris Rnr. 31; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. März 2015, L 1 R 425/14 B ER, juris Rnr. 38). Eine Änderung oder Einschränkung dieser Möglichkeit ist weder durch die am 1. Januar 1999 in Kraft
getretene
Insolvenzordnung noch durch spätere Änderungen vorgenommen worden (dazu auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008, IX ZB 51/07, juris Rnr. 28). Den wirtschaftlichen Interessen der Klägerin kann dabei ausreichend im Rahmen der Prüfung der Hilfebedürftigkeit
und der der Beklagten obliegenden Ermessensausübung im Rahmen der §§
52,
51 Abs.
2 SGB I Rechnung getragen werden (vgl. dazu Bayerisches LSG, Urteil vom 23. April 2013, L 20 R 819/09, juris Rnr. 22).
Die Klägerin kann sich zur Stützung ihrer Auffassung, wonach die Vorschriften der
InsO im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangten, auch nicht auf die von ihr angegebene Entscheidung des BSG stützen. Entgegen den Ausführungen der Klägerin wird darin gerade nicht festgestellt, dass die Vorschriften der
InsO auch dann zur Anwendung gelangen, wenn die Insolvenzmasse nicht betroffen ist. Vielmehr beziehen sich die Ausführungen des
BSG zur
Insolvenzordnung auf den pfändbaren Teil des im betreffenden Verfahren streitgegenständlichen Rentenauszahlungsanspruchs (s. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003, B 5 RJ 18/03 R, juris Rnr. 17: "Der Verrechnung der Beklagten steht schließlich nicht entgegen, dass der pfändbare Anteil des Rentenauszahlungsanspruchs
des Versicherten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen nach §§
35,
36 Abs.
1 InsO der Insolvenzmasse zuzurechnen ist. Dies ergibt sich aus § 114 Abs. 1 und 2 i.V.m. §§
94 und
95 sowie §
96 Abs.
1 Nr.
2 bis
4 InsO.").
Die Verrechnung nach den Vorschriften der §§
52,
51 Abs.
2 SGB I ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die AOK die offene Forderung an Sozialversicherungsbeiträgen in voller Höhe im
Insolvenzverfahren zur Tabelle angemeldet hat. Die Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle und die Verrechnungsmöglichkeit
nach den §§
52,
51 Abs
2 SGB I sind von einander unabhängig und schließen sich nicht gegenseitig aus. §
76 Abs.
1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) verpflichtet die Einzugsstelle, die Einnahmen und damit insbesondere die Beiträge rechtzeitig und vollständig zu erheben.
Bei Verletzung ihrer Pflichten nach den §§ 28d ff.
SGB IV kann die Einzugsstelle gegenüber den anderen beteiligten Sozialversicherungsträgern, an die sie die Beiträge anteilsmäßig
weiterzuleiten hat, durchaus auch zu Schadensersatz verpflichtet sein (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 12. Juni 2008, B 3 P 1/07 R, Rnr. 15 m.w.N.). Es ist deshalb legitim, die möglichen Rechte als Insolvenzgläubiger wahrzunehmen und durch Anmeldung der
Forderung zur Insolvenztabelle zumindest einen Teil der Forderung im Rahmen der quotenmäßigen Befriedigung aller Gläubiger
der verfügbaren Insolvenzmasse zu erhalten und parallel hierzu die weitere, gesetzlich eingeräumte Möglichkeit der Verrechnung
nach §§
52,
51 Abs.
2 SGB I zu nutzen, wobei selbstverständlich eine Anrechnung der Insolvenzquote auf die noch offene Forderung erfolgen muss (Bayerisches
LSG, Urteil vom 23. April 2013, L 20 R 819/09, juris Rnr. 21).
Eine Hilfebedürftigkeit der Klägerin i.S.d. §
51 Abs.
2 SGB I ist durch die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung in Höhe von 100,00 Euro monatlich nicht eingetreten. Die Hilfebedürftigkeit
ist nach den Vorschriften des SGB XII durch den zuständigen Sozialhilfeträger oder nach denen des SGB II durch den zuständigen SGB II-Träger anhand der gesetzlichen Vorschriften zu berechnen. Nach der vom zuständigen SGB II-Träger - hier des Landkreises Marburg-Biedenkopf - im Bescheid vom 11. Dezember 2014 vorgenommenen Berechnung tritt Hilfebedürftigkeit
nicht ein. Eine aktuellere Berechnung hat die Klägerin nicht vorgelegt (vgl. zu dieser Obliegenheit der Klägerin Hessisches
LSG, Urteil vom 8. April 2014, L 2 R 526/11, juris Rnr. 30 ff.) und auch sonst nichts hinsichtlich einer eventuellen Änderung der Verhältnisse vorgebracht, so dass nach
wie vor vom Fortbestand der Verhältnisse auszugehen ist, wie sie dem Bescheid vom 11. Dezember 2014 zugrunde gelegen haben.
Im Übrigen hat die Beklagte die Verrechnung auf einen Betrag von 100,00 Euro monatlich begrenzt, obwohl nach §
51 Abs.
2 SGB I ein Verrechnungsbetrag bis zur Hälfte der monatlichen Rente möglich gewesen wäre.
Anhaltspunkte für eine Verletzung der der Beklagten obliegenden Ermessensentscheidung, die im Übrigen gerichtlich nur eingeschränkt
überprüfbar wäre (vgl. §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG), liegen nicht vor. Insbesondere hat die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung nichts Weiteres vorgebracht, was über die von
der Beklagten angestellten Überlegungen hinaus im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen wäre.
Ebenso ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass bei der Bedürftigkeitsprüfung des Sozialhilferechts bzw. der Grundsicherung
das Einkommen des Lebenspartners mit herangezogen wird (vgl. Urteil des BSG vom 7. Februar 2012, B 13 R 85/09 R, juris Rnr. 79 ff.).
Aufgrund der fehlenden Pfändbarkeit der Erwerbsminderungsrente blieb die Klägerin auch stets Gläubigerin der Forderung gegen
die Beklagte, mit der eine Verrechnung erfolgen sollte, so dass der streitgegenständliche Bescheid vom 16. Januar 2014 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2014 auch ihr gegenüber erlassen und bekanntgegeben werden musste (§ 39 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X).
Nach alledem war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29. Januar 2015 als unbegründet
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht erfüllt sind.