Gründe
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe in einem Klageverfahren vor dem
Sozialgericht Wiesbaden. Im Hauptsacheverfahren ist streitig, ob der Rechtsstreit, in dem es inhaltlich um die Berechnung
der an die Klägerin zu erbringenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ging, durch sog. fiktive Klagerücknahme im Sinne des §
102 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) seine Erledigung gefunden hat.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin durch Bescheide vom 27. Oktober 2010 und vom 3. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11. Juli 2011 für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 30. April 2011 sowie für die Zeit vom 1. Mai 2011 bis zum 31.
Oktober 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und ging bei deren Berechnung davon aus, dass zwischen der Klägerin
und ihrem Mitbewohner C. eine Bedarfsgemeinschaft bestehe. Dies stellte die Klägerin in Abrede und erhob am 11. August 2011
Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden (Aktenzeichen S 24 AS 584/11). Durch Beschluss vom 31. August 2012 wurde ihr für dieses Verfahren unter Beiordnung ihres damaligen Prozessbevollmächtigten
(Rechtsanwalt D.) Prozesskostenhilfe bewilligt
Mit Schreiben vom 23. Juli 2013 teilte das Sozialgericht den Beteiligten mit, dass die Durchführung eines Erörterungstermins
beabsichtigt sei, in welchem die Tochter der Klägerin als Zeugin zu den Modalitäten des Zusammenlebens mit dem Mitbewohner
C. vernommen werden solle. Es werde um Bekanntgabe des Namens und der ladungsfähigen Anschrift der Tochter der Klägerin sowie
um Mitteilung gebeten, ob es insoweit weitere Zeugen gebe. Dieses Schreiben wurde von der anwaltlich vertretenen Klägerin
nicht beantwortet.
Mit weiterem, ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten per Postzustellungsurkunde am 16. September 2013 zugestellten Schreiben
vom 10. September 2013 erinnerte das Sozialgericht an die Erledigung des gerichtlichen Schreibens vom 23. Juli 2013 und wies
gleichzeitig darauf hin, dass die Klage gemäß §
102 Abs.
2 SGG als zurückgenommen gilt, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben wird.
Die entsprechende Verfügung wurde seitens der zuständigen Kammervorsitzenden in den Gerichtsakten mit vollem Namenszug unterzeichnet;
in der dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin übermittelten Ausfertigung ist der volle Name der Richterin wiedergegeben.
Nachdem auch dieses Erinnerungsschreiben unbeantwortet blieb, teilte das Sozialgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 18.
Dezember 2013 mit, dass die Klage gemäß §
102 Abs.
2 SGG als zurückgenommen gelte. Zugleich wurde die Streitsache im Verfahrensregister als erledigt ausgetragen.
Am 15. Januar 2014 zeigte der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Sozialgericht an, dass die Klägerin jetzt von
ihm vertreten werde, weil der bisherige Prozessbevollmächtigte (Rechtsanwalt D.) seine Zulassung zur Anwaltschaft aus Altersgründen
zurückgegeben habe. Er beantragte, nunmehr im Wege der Verfahrenskostenhilfe ihn (als den neuen Prozessbevollmächtigten) beizuordnen,
und teilte in Beantwortung der gerichtlichen Anfrage vom 23. Juli 2013 mit, dass der Klägerin derzeit eine ladungsfähige Anschrift
ihrer Tochter nicht bekannt sei, da sie keinen Kontakt mehr zur Tochter habe. Weitere infrage kommende Zeugen könnten von
der Klägerin nicht benannt werden.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2014 teilte das Sozialgericht dem neuen Prozessbevollmächtigten der Klägerin daraufhin mit, dass
das Verfahren seit Dezember 2013 gemäß §
102 Abs.
2 SGG erledigt sei.
Am 24. Januar 2014 beantragte der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin daraufhin die Fortsetzung des Verfahrens und
vertrat die Auffassung, dass die Klage mangels hinreichend konkreter Zweifel an einem Fortbestand des Rechtsschutzinteresses
nicht gemäß §
102 Abs.
2 SGG als zurückgenommen gelten könne.
Die Streitsache wurde daraufhin beim Sozialgericht unter dem neuen Aktenzeichen S 24 AS 77/14 erfasst.
Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2014 festgestellt, dass das Klageverfahren
mit ursprünglichem Aktenzeichen S 24 AS 584/11 durch Klagerücknahmefiktion gemäß §
102 Abs.
2 SGG in der Hauptsache erledigt sei, weil die Klägerin das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht
betrieben habe.
Die dem damaligen Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß zugestellte Betreibensaufforderung habe den zu beachtenden formellen
Anforderungen genügt. Sie sei von der zuständigen Richterin verfügt und mit vollständigem Namen unterschrieben worden. Auch
die dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellte Abschrift habe dies erkennen lassen und den vollständigen Namen der Kammervorsitzenden
enthalten.
Darüber hinaus hätten entgegen der Auffassung der Klägerin zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung sehr wohl begründete Anhaltspunkte
für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses bestanden. Es sei zu berücksichtigten gewesen, dass die Klägerin sich zum Zeitpunkt
der Betreibensaufforderung schon über einen Zeitraum von über zwei Jahren nicht mehr zum Verfahren geäußert gehabt habe. Allein
dies sei in Anbetracht der Tatsache, dass der Bevollmächtigte darauf verweise, dass der Rechtsstreit für die Klägerin von
erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sei, nicht nachvollziehbar und eher als Indiz dafür zu werten, dass die Klägerin und
der Mitbewohner C. gerade nicht getrennt wirtschafteten. Die bei der Klägerin vorliegende Bedarfsunterdeckung von monatlich
rund 170,00 € sei nach deren Angaben im Termin vom 27. Juli 2011 im früheren Verfahren mit dem Aktenzeichen S 15 AS 241/09 durch großzügige finanzielle Unterstützung ihrer Tochter ausgeglichen worden. Diese Option sei in Anbetracht der Tatsache,
dass die Klägerin nach ihrer jetzigen Einlassung nun keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter habe, anscheinend weggefallen, so
dass erst recht nicht nachvollziehbar sei, dass die Klägerin sich nicht zum Verfahren äußere. Der Klägerin sei darüber hinaus
durch die gerichtlichen Schreiben vom 23. Juli 2013 und vom 10. September 2013 bekannt gewesen, dass zur weiteren Beweisaufnahme
und Anberaumung eines Erörterungstermins von ihr eine Mitwirkungshandlung gefordert wurde, nämlich die Bekanntgabe von Name
und ladungsfähiger Anschrift ihrer Tochter. Dass die Klägerin eine Tochter habe, sei dem Gericht lediglich aus der Sitzungsniederschrift
vom 27. Juli 2011 im früheren Verfahren mit dem Aktenzeichen S 15 AS 241/09 bekannt. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass hier die bisher vorliegenden Indizien eher für als gegen das Vorliegen einer
Bedarfsgemeinschaft sprächen und eine Befragung der Klägerin und des Mitbewohners C. bereits in einem früheren Termin erfolgt
sei, habe es nahe gelegen, nunmehr auch weitere Familienmitglieder zum Sachverhalt zu befragen. Dies habe auch der Klägerin
bzw. ihrem Bevollmächtigtem bewusst gewesen sein müssen. Dass die Klägerin sich nach der diesbezüglichen Aufforderung nicht
mehr zum Verfahren gemeldet habe, habe für das Gericht eher den Schluss zugelassen, dass diese eine Befragung weiterer Dritter
nicht wünschte und demnach an der Fortführung des Verfahrens kein Interesse mehr bestand. Bezeichnenderweise habe die Klägerin
auch bis heute den Namen ihrer Tochter nicht mitgeteilt und keinerlei weitere Zeugen zur Bestätigung ihres Vortrages benennen
können.
Vor dem Hintergrund der wirksamen Betreibensaufforderung sei nach Ablauf der Drei-Monats-Frist die Rücknahmefiktion des §
102 Abs.
2 Satz 1
SGG eingetreten, ohne dass es einer weiteren Entscheidung des Gerichts bedurft habe. Insbesondere sei der Erlass eines Beschlusses
- wie der jetzige Bevollmächtigte anscheinend meine - nicht erforderlich und habe allenfalls gemäß §
102 Abs.
3 SGG auf Antrag eines Beteiligten zu erfolgen.
Eine Fortsetzung des Verfahrens könne nach alledem nicht in Betracht kommen.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 25. Juni 2014 zugestellten Gerichtsbescheid am 23. Juli 2014 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht
(Az. L 6 AS 562/14) eingelegt. In diesem Verfahren ist noch keine Entscheidung ergangen.
Durch den hier maßgeblichen Beschluss vom 1. August 2014 hat das Sozialgericht schließlich den Antrag der Klägerin auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe für das unter dem Aktenzeichen S 24 AS 77/14 geführte Verfahren abgelehnt. Ungeachtet der Frage, ob überhaupt eine erneute Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Betracht
kommen könne, scheitere die Bewilligung von Prozesskostenhilfe jedenfalls an der fehlenden Erfolgsaussicht. Insoweit werde
auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2014 verwiesen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die seitens der Klägerin fristgerecht am 8. September 2014 eingelegte Beschwerde, mit
der sie geltend macht, dass eine einmal bewilligte Prozesskostenhilfe im laufenden Verfahren bei Wechsel des Prozessbevollmächtigten
nicht wegen fehlender Erfolgsaussicht widerrufen werden könne.
II.
Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.
Der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. August 2014 ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat für das unter dem
Aktenzeichen S 24 AS 77/14 geführte Klageverfahren keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Nach §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO), der im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß §
73a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) entsprechend gilt, erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung
nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag nur dann Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Bewilligungsvoraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin verkennt, dass es vorliegend nicht darum geht, "einfach nur" in einem laufenden Rechtsstreit
im Rahmen der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe anstelle des zunächst beigeordneten Rechtsanwalts (hier: Rechtsanwalt
D.) dessen Kanzleinachfolger beizuordnen. Denn der ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 24 AS 584/11 geführte Rechtsstreit, in welchem der Rechtsanwalt D. im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe der Klägerin beigeordnet
gewesen ist, hat durch Klagerücknahmefiktion gemäß §
102 Abs.
2 SGG seine Erledigung gefunden. Die dem damaligen Prozessbevollmächtigten im Rahmen der Prozesskostenhilfe zustehenden Gebühren
sind - nach erfolgter Abtretung von dessen Gebührenanspruch an den jetzigen Prozessbevollmächtigten - im Übrigen auch bereits
am 24. September 2014 seitens der Staatskasse ausgeglichen worden.
Da der ursprüngliche Rechtsstreit, dessen Fortsetzung die Klägerin in dem nachfolgend unter dem Aktenzeichen S 24 AS 77/14 geführten Verfahren begehrte, bereits durch Klagerücknahmefiktion gemäß §
102 Abs.
2 SGG seine Erledigung gefunden hatte, konnte der hier maßgebliche (neue) Antrag auf Prozesskostenhilfe vom 15. Januar 2014 keinen
Erfolg haben. Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem
bereits in der Hauptsache erledigten Rechtstreit keine gesetzliche Grundlage gibt.
Die Feststellung des Sozialgerichts, dass der ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 24 AS 584/11 und nachfolgend unter dem Aktenzeichen S 24 AS 77/14 geführte Rechtsstreit durch eine sog. fiktive Klagerücknahme gemäß §
102 Abs.
2 SGG seine Erledigung gefunden hat, ist nicht zu beanstanden.
Wie sich aus §
102 Abs.
1 SGG ergibt, kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen; die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit
in der Hauptsache. Zusätzlich regelt §
102 Abs.
2 SGG, dass die Klage als zurückgenommen gilt (sog. fiktive Klagerücknahme), wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des
Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Kläger ist in der Aufforderung darauf hinzuweisen, dass in einem solchen
Fall der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist (§
102 Abs.
2 Satz 3
SGG).
Die Fiktion einer Klagerücknahme ist für diejenigen Fälle eingeführt worden, in denen Anhaltspunkte für ein Desinteresse der
klägerischen Partei an der Fortführung des Rechtsstreits bestehen. Bei der fingierten Klagerücknahme handelt es sich um einen
gesetzlich geregelten Fall des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses (Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum SGGArbGGÄndG,
Bundestags-Drucks. 16/7716 S. 19 zu Nr. 17 § 102; BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R). Die Vorschrift soll die Voraussetzungen für die Annahme eines weggefallenen Rechtsschutzbedürfnisses festlegen und gesetzlich
legitimieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BVR 2254/11; Bundestags-Drucks. 13/3993, S. 12 zu §
81 AsylVfG). Anwendung findet sie als vereinfachte Beendigung eines Verfahrens, an dessen Fortführung der Kläger erkennbar kein Interesse
mehr hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BVR 2254/11; Bundestags-Drucks 12/2062, S. 42).
Bei der Auslegung und Anwendung des §
102 Abs.
2 SGG ist der strenge Ausnahmecharakter der Norm zu beachten (Bundestags-Drucks. 16/7716 S. 19 zu Nr. 17 § 102; BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R = BSGE 106, 254-264 = SozR 4-1500 §
102 Nr. 1 = NJW 2011, 1992-1996). Die Regelung des §
102 SGG ist an §
92 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) angelehnt, der mit dem 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996 (BGBl. I 1996, 1626) eingefügt wurde und §
81 Asylverfahrensgesetz (AslyVfgG) nachgebildet ist (vgl. Bundesrats-Drucks. 820/07, S. 23). Der Regelungsgehalt der Parallelvorschrift des §
92 Abs.
2 VwGO sollte in das
SGG "übernommen" werden (BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, a.a.O). Auf die zur vergleichbaren Vorschrift des §
92 Abs.
2 VwGO ergangene Rechtsprechung kann folglich zurückgegriffen werden (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 - L 5 AS 217/10; Bayerisches LSG vom 12. Juni 2014 - L 20 R 249/12).
Vom Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzinteresses kann ein Gericht im Einzelfall regelmäßig nur dann ausgehen,
wenn das prozessuale Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten begründeten Anlass zu der Annahme bietet,
dass ihm an einer Sachentscheidung mangels eines Sachbescheidungsinteresses nicht mehr gelegen ist (BVerfG, Beschluss vom
27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95; BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BvR 2254/11). Als erste Voraussetzung ist demgemäß zu fordern, dass definitv zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung sachlich
begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers bestanden haben müssen (BVerfG, Beschluss
vom 27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95; BVerwG, Urteil vom 23. April 1985 - 9 C 48/84).
Ohne derartige Anhaltspunkte, also insbesondere in Fällen der sog. schlichten Untätigkeit bzw. des bloßen Nichtbetreibens
des Verfahrens, ist für eine fingierte Klagerücknahme kein Raum (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, a.a.O; Hessisches LSG, Urteil vom 28. April 2015 - L 3 U 205/14; Hessisches LSG - erkennender Senat -, Beschluss vom 22. Mai 2015 - L 6 AS 798/14 NZB). Denn die Vorschrift des §
102 Abs.
2 SGG ist weder ein Instrument zum Disziplinieren von unkooperativen Klägern bzw. oder zur Sanktionierung prozessleitender Verfügungen
(BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BVR 2254/11) noch zum Generieren von bequemen Erledigungen in lästigen Verfahren
(in diesem Sinne auch bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. Oktober 2005 - 1 L 40/05 zu §
92 VwGO; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 - L 5 AS 217/10, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. September 2014 - L 19 AS 1532/14 B).
Bestehen dagegen tatsächlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses, so kann eine Anwendung
des §
102 Abs.
2 SGG nur in Betracht kommen, sofern - als zweite Voraussetzung - der Kläger innerhalb der Drei-Monats-Frist tatsächlich das Verfahren
nicht mehr betrieben und insbesondere nicht substantiiert dargetan hat, dass und warum das Rechtsschutzbedürfnis trotz des
Zweifels an dessen Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (vgl. BVerwG, Urteil
vom 13. Januar 1987 - 9 C 259/86; BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2005 - 10 BN 1/05).
Wenn die Betreibensaufforderung die in §
102 Abs.
2 SGG genannten Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, ist als dritte Voraussetzung weitergehend zu fordern, dass sie vom
zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet worden sein muss (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, a.a.O). Ein den Namen abkürzendes Handzeichen (Paraphe) genügt als Unterschrift nicht (vgl. Krasney/Udsching,
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, Kap VII Rdnr. 170a; Leopold, SGb 2009, 458, 460; Bienert, NZS 2009, 554, 556, jeweils m.w.N.). Dies folgt schon aus den einschneidenden Rechtsfolgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung.
Erst die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters macht deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich
um einen Entwurf handelt und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht. Hierüber muss aber bei einer
Betreibensaufforderung auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen. Deshalb muss sie nicht nur vom zuständigen Richter verfügt
und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß §
63 Abs.
1 Satz 1
SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SGGArbGGÄndG, Bundestags-Drucks.
16/7716 S. 19 zu Nummer 17 <§ 102>; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, §
63 Rdnr. 3) muss diesen Umstand erkennen lassen, d.h. durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung
von ihm stammt.
Nur wenn alle drei Voraussetzungen vorliegen, kann von einer willkürfreien, durch sachliche Gründe gerechtfertigten Beschränkung
des Zugangs zum weiteren Verfahren gesprochen werden.
Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Sozialgericht vorliegend die Voraussetzungen einer Klagerücknahmefiktion gemäß §
102 Abs.
2 SGG zu Recht bejaht.
Es lagen im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung hinreichende Tatsachen vor, welche die Annahme rechtfertigten,
dass das Rechtsschutzinteresse der Klägerin an der Fortführung der Klage entfallen und dass ihr an einer Sachentscheidung
nicht mehr gelegen war.
In dem seit dem Jahre 2011 anhängigen Klageverfahren S 24 AS 584/11 hatte die Klägerin sich lediglich in ihrer Klageschrift vom 11. August 2011 zur Sache geäußert. Eine Replik auf die umfangreiche
Klageerwiderung vom 17. November 2011 war trotz entsprechender Aufforderung (vgl. Schreiben des Gerichts vom 22. November
2011) und Bewilligung von Prozesskostenhilfe (vgl. Beschluss vom 31. August 2012) nicht erfolgt, obwohl die Beklagte umfassend
zur Sache vorgetragen und insbesondere auch das Ergebnis einer im früheren Rechtsstreit S 15 AS 241/09 erfolgten Anhörung der Klägerin und des Mitbewohner C. in den Prozess eingeführt hatte. Seinerzeit war von der Klägerin zu
Protokoll erklärt worden, dass sie von ihrer Tochter, der es finanziell gut gehe, großzügig unterstützt werde.
Zwar muss es zweifelhaft erscheinen, ob die seit August 2011 im Verfahren bestehende fortgesetzte Untätigkeit der Klägerin
für sich genommen geeignet gewesen wäre, im Jahre 2013 (also nach Ablauf von zwei Jahren) die Annahme zu rechtfertigen, dass
das Rechtsschutzinteresse der Klägerin an der Fortführung der Klage entfallen und dass ihr an einer Sachentscheidung nicht
mehr gelegen war. Gerade bei Rechtstreitigkeiten im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist nämlich zu berücksichtigen,
dass wegen der existenzsichernden Bedeutung dieser Leistungen nur ausnahmsweise auf einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses
geschlossen werden kann (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 - L 5 AS 217/10; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 12. April 2001 - 8 B 2/01 zu vermögensrechtlichen Streitigkeiten).
Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht allerdings darin, dass das Sozialgericht die Beteiligten mit Schreiben vom
23. Juli 2013 nicht nur davon in Kenntnis gesetzt hat, dass die Durchführung eines Erörterungstermins beabsichtigt sei, in
welchem die Tochter der Klägerin als Zeugin zu den Modalitäten des Zusammenlebens mit dem Mitbewohner C. vernommen werden
solle, sondern dass die Klägerin darüber hinausgehend auch explizit aufgefordert worden ist, den Namen und die ladungsfähige
Anschrift ihrer Tochter anzugeben und mitzuteilen, ob es insoweit weitere Zeugen gebe. Es ist hier also von der Klägerin eine
ganz konkrete Mitwirkungshandlung eingefordert worden, ohne deren Erfüllung eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erkennbar
nicht möglich sein konnte. Denn weder der Name der Tochter noch deren ladungsfähige Anschrift (sind und) waren aktenkundig,
und es war für das Sozialgericht auch nicht erkennbar, welche Personen als Zeugen in Betracht kommen könnten, um die seitens
der Beklagten im Widerspruchsbescheid und in der Klageerwiderung für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zusammengetragenen
Indizien zu entkräften bzw. zu widerlegen.
Dass eine Verletzung der sich aus §
103 SGG ergebenden prozessualen Mitwirkungspflichten des Klägers Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses liefern
kann und dies in der Regel dann tut, wenn das Gericht konkrete Auflagen verfügt hat, ist allgemein anerkannt (BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2000 - 8 B 119/00). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kläger nicht substantiiert vorbringt, aus welchen Gründen er die eingeforderte Mitwirkungshandlung
nicht erbringen kann oder nicht vorzunehmen braucht (vgl. Breitkreuz/Fichte,
SGG, §
102 Rdnr. 9). Die Betreibensaufforderung muss sich dabei hinreichend konkret auf bestimmte verfahrensfördernde Handlungen beziehen,
die der Kläger vorzunehmen hat (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 8. Dezember 2009 - L 5 R 884/09). Genau dies ließ sich für die anwaltlich vertretene Klägerin dem gerichtlichen Schreiben vom 23. Juli 2013 allerdings unschwer
entnehmen. Sie ist jedoch untätig geblieben und hat in dieser Untätigkeit auch nach Erhalt der ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten
am 16. September 2015 per Postzustellungsurkunde zugestellten Betreibensaufforderung vom 10. September 2013 weiter verharrt.
Das Sozialgericht hat auch zu Recht angenommen, dass sich aus dieser Untätigkeit der Klägerin der Schluss auf den Wegfall
des Rechtsschutzinteresses, also auf ein Desinteresse der Klägerin an der weiteren Verfolgung ihres Begehrens ableiten lässt.
An einem solchen Desinteresse fehlt es, wenn die Motivation des Rechtsbehelfsführers, an der Verfolgung seines Rechtsschutzzieles
festzuhalten, eindeutig auf der Hand liegt (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BvR 2254/11). Hat der Rechtsbehelfsführer seine Klage bereits begründet und Beweis für die von ihm vorgebrachten Tatsachenbehauptungen
angeboten, so ist es Aufgabe des zur Amtsermittlung verpflichteten Gerichts, den Sachverhalt durch eine Beweisaufnahme aufzuklären
und danach zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BvR 2254/11). Der Weg, aufgrund einer vorweggenommenen Beweiswürdigung auf einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers zu schließen
und auf diese Weise das Verfahren ohne mündliche Verhandlung und gegebenenfalls ohne Beweisaufnahme zu beenden, ist dem Gericht
in einer solchen Fallkonstellation verwehrt (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BvR 2254/11).
Im vorliegenden Fall hat das Sozialgericht von der Klägerin allerdings nicht etwa Mitwirkungshandlungen verlangt, die sie
bereits erfüllt hatte oder ganz offenkundig nicht erfüllen konnte (so die Fallkonstellation bei LSG Sachsen-Anhalt, Urteil
vom 16. Juni 2010 - L 5 AS 217/10), sondern das Sozialgericht musste aufgrund der Einlassung der Klägerin im früheren Rechtsstreit S 15 AS 241/09 ("Meine Tochter, der es finanziell gut geht, unterstützt mich großzügig.") davon ausgehen, dass sie nicht nur - was auf der
Hand liegt - den nicht aktenkundigen Namen ihrer Tochter kennt, sondern im Rahmen der angegebenen Unterstützungsleistungen
auch Kenntnis von deren ladungsfähiger Anschrift hat. Bereits der Protest gegen die insoweit geforderte Mitwirkungshandlung
hätte ausgereicht, die Vermutungswirkung des §
102 Abs.
2 SGG auszuschließen (vgl. Breitkreuz/Fichte,
SGG, §
102 Rdnr. 12). Statt hier die nach Aktenlage begründete Vermutung des Sozialgerichts zu zerstreuen und mitzuteilen, dass kein
Kontakt mehr zur Tochter bestehe, ist die Klägerin indes weiter untätig geblieben.
Zumindest der damalige Prozessbevollmächtigte hätte im Übrigen wissen müssen, dass das Gericht insbesondere dann Anlass haben
kann, am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses ernsthaft zu zweifeln, wenn der Prozessgegner die Richtigkeit des Vorbringens
des Rechtsschutzsuchenden in Frage stellt und dieser sich dazu nicht äußert (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BvR 2254/11). Genau in diesem Sinne hat das Sozialgericht im angefochtenen Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2014 ausgeführt, dass die fortgesetzte
Untätigkeit der Klägerin den Schluss zugelassen habe, diese wünsche eine Befragung weiterer Dritter nicht mehr und habe -
auch im Hinblick auf die im Vorprozess behauptete großzügige finanzielle Unterstützung durch die Tochter - an der Fortführung
des Verfahrens kein Interesse mehr. Wer in einer solchen prozessualen Situation "sehenden Auges" die vom Gericht ganz konkret
eingeforderten Mitwirkungshandlungen unterlässt und - wie die Klägerin - auch nach Belehrung in Bezug auf die Klagerücknahmefiktion
des §
102 Abs.
2 SGG nichts unternimmt, statt sich zumindest gegen die Mitwirkungsverpflichtung zu verwahren, der erweckt in der Tat den Anschein,
das Interesse an einer Fortführung des Rechtsstreits verloren zu haben (in diesem Sinne auch Bayerisches LSG vom 12. Juni
2014 - L 20 R 249/12).
Die Betreibensaufforderung vom 23. Juli 2013 erfüllte im Übrigen auch die insoweit gebotenen formalen Anforderungen; die zugrunde
liegende Verfügung war von der Kammervorsitzenden mit vollem Namenszug unterschieben worden, die der Klägerin übermittelte
Ausfertigung trug den vollen Namenszug der zuständigen Richterin, und es handelte sich um einen schriftlichen Hinweis, dessen
Zugang beim damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch Postzustellungsurkunde vom 16. September 2013 belegt ist.
Die Drei-Monats-Frist war damit am 16. Dezember 2013 abgelaufen, ohne dass eine Reaktion der Klägerin erfolgt gewesen wäre.
Dass die Klägerin auch nach Erhalt der Erledigungsmitteilung des Sozialgerichts vom 18. Dezember 2013 zunächst nicht reagiert
und erst am 24. Januar 2014 den hier maßgeblichen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens gestellt hat, unterstützt die Einschätzung,
dass sie im Jahre 2013 kein Rechtsschutzinteresse für die Betreibung des bis dahin anhängigen Klageverfahrens gehabt hat.
Das Sozialgericht hat angesichts dessen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht mangels Erfolgsaussicht versagt.
Die Beschwerde konnte deshalb keinen Erfolg haben.