Anerkennung einer Berufskrankheit gem. BKV Anl. 1 Nr. 2109 in der gesetzlichen Unfallversicherung für einen Zimmermann mit bandscheibenbedingter Erkrankung der Halswirbelsäule
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) vorliegt und Anspruch auf Rentenzahlung aus der gesetzlichen Unfallversicherung besteht.
Der 1945 geborene Kläger arbeitete von März 1960 bis einschließlich Oktober 2003 als Zimmerer bei der Firma XY. Holzbau GmbH
in B-Stadt.
Seit 1998 befand sich der Kläger wegen schmerzhafter Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule in ambulanter orthopädischer
Behandlung. Die damalige Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen bescheinigte in ihrem Reha-Entlassungsbericht vom 24. April
2003, dass der Kläger unter einem chronisch-degenerativen Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom leide.
Am 21. Mai 2004 zeigte der Kläger gegenüber der Beklagten an, dass er seit Jahren unter erheblichen Einschränkungen des Bewegungsapparates
leide und beantragte, seine Erkrankung als BK im Sinne der
BKV anzuerkennen.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten sah die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Feststellung einer BK
Nr. 2108 der Anlage zur
BKV als gegeben an (Stellungnahme vom 13. Oktober 2004), nicht jedoch diejenigen für die Feststellung einer BK Nr. 2109 der Anlage
1 zur
BKV (Stellungnahme vom 15. Oktober 2004). Zur Begründung verwies der TAD darauf, dass Tätigkeiten, bei denen schwere Lasten auf
der Schulter - entsprechend dem Merkblatt von über 50 kg - mit gleichzeitig nach vorn und seitwärts erzwungener Kopfbeugehaltung
fortgesetzt zu tragen gewesen seien, nicht in ausreichendem Maße aufgetreten seien. Der Beratungsarzt der Beklagten, Facharzt
für Arbeitsmedizin Dr. NH., stellte in seiner Stellungnahme vom 18. November 2004 u.a. fest, der Kläger leide zwar an einem
Halswirbelsäulen(HWS-)Syndrom, einer HWS-belastenden Exposition im Sinne der Ziffer 2109 der Anlage zur
BKV, sei er aber nicht ausgesetzt gewesen. Die aktenkundigen bildtechnischen Befunde der HWS verwiesen in Höhe C5/6 und C6/7
neben den Bandscheibenschäden auf deutliche osteochondrotische und spondylotische Veränderungen.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2005 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aufgrund Anerkennung einer BK ab und führte
zur Begründung an, dass für eine BK Nr. 2108 der Anlage zur
BKV die medizinischen Voraussetzungen, für eine BK Nr. 2109 die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben seien.
Zur Begründung seines hiergegen gerichteten Widerspruchs vom 28. Februar 2005 legte der Kläger einen Befundbericht des Orthopäden
Dr. LM. vom 19. September 2003 vor, wozu die Beklagte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes NH. vom 7. April 2005 einholte.
Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2005 zurück.
Am 29. April 2005 hat der Kläger hiergegen vor dem Sozialgericht Gießen (Sozialgericht) Klage erhoben. Mit Beschluss vom 27.
Juli 2005 hat das Sozialgericht das Verfahren wegen einer BK Nr. 2109 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen S 1 U 168/05 weitergeführt. Bezüglich der Feststellung einer BK Nr. 2108 (Az.: S 1 U 99/05) ist mit Beschluss vom 10. März 2006 das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden.
Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 10. März 2006 Beweis erhoben zur Arbeitssituation des Klägers bei der Firma XY. Holzbau
durch Vernehmung des Zeugen V1. XY., Zimmermeister und Unternehmer. Wegen des Inhalts der Zeugenaussage wird auf die Sitzungsniederschrift
vom 10. März 2006 Bezug genommen. Hierzu hat die Beklagte Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes vom 19. Juni 2006 und vom
30. Oktober 2006 vorgelegt, wonach die vom Kläger erbrachte Tätigkeit die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme
einer BK Nr. 2109 der Anlage zur
BKV nicht erfülle.
Anschließend hat das Sozialgericht ein fachorthopädisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. A., Leiter der Gutachtenambulanz
im Orthopädischen Universitätsklinikum GR., vom 21. März 2007 eingeholt. Der Sachverständige hat bei dem Kläger mittelgradige
degenerative Veränderungen im Bereich der Bewegungssegmente zwischen dem 5. und 7. Halswirbelkörper in Form einer Verschmälerung
der Bandscheibenfächer sowie zwischen dem 2. und 5. Halswirbelkörper in Form nach vorne und hinten weisender knöcherner Randwülste
an den Grund- und Deckplatten und den Wirbelbogengelenken festgestellt. Wenn man die arbeitstechnischen Voraussetzungen für
eine BK Nr. 2109 annehme, dann müssten diese krankhaften Veränderungen im Bereich der HWS nach den Ausführungen des Gutachters
auch als Folgen der BK Nr. 2109 angesehen werden. Der Sachverständige äußerte Zweifel, ob tatsächlich so schematisch zwischen
der Belastung des Zimmermanns und der Belastung des Fleischträgers beim Tragen von Lasten auf den Schultern unterschieden
werden könne. Wenn man unterstelle, dass in der hinreichenden Zahl von Arbeitsschichten entsprechend ausreichende Lasten auf
den Schultern transportiert worden seien, dann erfordere das Tragen einer solchen Last eine Gegenspannung u.a. über andere
Muskeln, die sowohl an der HWS als auch an den Schultern ansetzten (z.B. Kapuzenmuskel). Hierdurch werde ein entsprechender
Druck auf die Bandscheiben der HWS ausgeübt. Prinzipiell erscheine es daher plausibel, dass unter diesen Bedingungen eine
vorzeitige Degeneration der Bandscheibe verursacht werden könne. Wenn man also ohne Berücksichtigung der durch den TAD angesprochenen
Kopfhaltung davon ausgehe, dass in einer ausreichenden Zahl von Arbeitsschichten entsprechende Gewichte auf den Schultern
getragen worden seien, dann erscheine die Annahme des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK Nr. 2109
medizinisch plausibel. Da eine mittelgradige Einschränkung der Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsebenen vorliege, sei von
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. auszugehen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. Juli 2007 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Februar 2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2005 verurteilt, bei dem Kläger eine BK nach Nr. 2109 der Anlage zur
BKV anzuerkennen und ihm Rente nach einer MdE von 20 v. H. zu zahlen. Das Gericht hat es als erwiesen angesehen, dass der Kläger
im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen sei, die geeignet gewesen seien, eine
Gesundheitsstörung im Bereich der HWS im Sinne einer BK Nr. 2109 der Anlage zur
BKV zu verursachen. Zwar habe der Verordnungsgeber der
BKV nicht alle beruflich verursachten Bandscheibenschäden im Bereich der HWS erfassen wollen; vorangegangen sein müsse vielmehr
eine lang andauernde, die HWS in spezifischer Weise besonders strapazierende Tätigkeit. Jedoch sei entgegen der Ansicht der
Beklagten davon auszugehen, dass diese Voraussetzungen im Fall des Klägers erfüllt seien. Das Sozialgericht ist zur Beurteilung
der arbeitstechnischen Voraussetzungen den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. gefolgt, der nachvollziehbar begründet
habe, dass auch das vom Kläger ausgeführte Tragen von Lasten auf der Schulter zu einer Belastung der HWS führe. Auch die haftungsausfüllende
Kausalität für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge der schädigenden Einwirkung sei gegeben. Prof. Dr. A. habe
nachvollziehbar begründet, dass die Bandscheibenschäden im Bereich der HWS des Klägers durch das Tragen schwerer Lasten auf
einer Schulter in einer Vielzahl von Arbeitsschichten verursacht worden seien. Aufgrund der durch die HWS-Schädigung des Klägers
verursachten mittelgradigen Einschränkung der Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsebenen sei von einer MdE von 20 v.H. auszugehen.
Gegen dieses ihr am 24. Oktober 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. Oktober 2007 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht
eingelegt.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass seitens des Klägers die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 nicht erfüllt
werden. Das Tragen von schweren Kanthölzern werde unstreitig mit geradem Kopf ausgeführt; nur beim Weiterschieben von schweren
Lasten und bei deren Aufnehmen und Absetzen komme es kurzzeitig zu einer Zwangshaltung des Kopfes. Die arbeitstechnischen
Voraussetzungen der BK Nr. 2109 seien nur gegeben, wenn im Rahmen einer mindestens zehnjährigen beruflichen Tätigkeit während
der überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten schwere Lasten (50 kg und mehr) auf der Schulter, einhergehend mit einer statischen
Belastung der zervikalen Bewegungssegmente und einer außergewöhnlichen Zwangshaltung (nach vorn und seitwärts erzwungene Kopfhaltung)
der HWS, in überdurchschnittlichem Maße getragen worden sei. Würden Lasten bei geradem Kopf auf der Schulter getragen, so
werde das Lastgewicht über das Schulterblatt auf den relativ starren Brustkorb und damit weiter auf die LWS abgeleitet. Nur
wenn, wie bei Fleischträgern durch Seitneigung des Kopfes aus HWS und Schulter eine Art Mulde gebildet werde, in der die Last
ruhe, damit sie nicht von der Schulter rutsche, nehme die HWS an der Lastaufnahme teil. Fehle es aber - wie im Fall des Klägers
- an einer Unförmigkeit der Last, welche die Zuhilfenahme des Kopfes zur Lastführung erfordere, wirke sich das Lastgewicht
nur noch auf die LWS aus, wie dies beim Tragen mit den Händen der Fall sei. Einer medizinischen Auseinandersetzung bedürfe
es daher nicht. Soweit jedoch erstinstanzlich medizinische Ermittlungen durchgeführt worden seien, stelle die Auffassung von
Prof. Dr. A. eine Mindermeinung dar, die sich anhand medizinisch-wissenschaftlicher Literatur nicht belegen ließe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Juli 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat den Kläger in einem Erörterungstermin am 30. März 2010 nochmals zu den Tragebelastungen im Rahmen seiner Tätigkeit
als Zimmermann gehört. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 30. März 2010 wird Bezug genommen.
Anschließend hat der Präventionsdienst der Beklagten unter Einbeziehung des Klägers, der Prozessbevollmächtigten der Beteiligten
sowie der früheren Arbeitgeber des Klägers, V2. und V1. XY., am Betriebssitz der Arbeitgeber Ermittlungen zu den relevanten
Tragebelastungen durchgeführt. Wegen der hierbei erhobenen Angaben zur Tragebelastung auf der Schulter bei den vom Kläger
ausgeübten Tätigkeiten wird auf die Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 11. August 2010 Bezug genommen. Die dort getroffenen
Feststellungen beziehen sich auf die Belastungen in den Jahren 1960 bis 1980; in den späteren Jahren war die Belastung geringer,
nachdem 1975 in der Zimmerhalle ein Kran eingebaut und ab 1980 auf den Baustellen ein firmeneigener Kran eingesetzt worden
war. Aus den Angaben der an den Gesprächen Beteiligten haben sich durchschnittlich 20 bis 25 Tragevorgänge pro Arbeitstag
mit Lastgewichten von 50 kg und mehr auf der Schulter ergeben. Die Dauer des Tragens auf der Schulter ist mit maximal 30 Minuten
pro Tag ermittelt worden. Abschließend wird in der Stellungnahme "Arbeitsplatzexposition" vom 11. August 2010 ausgeführt,
beim Tragen von schweren Kanthölzern auf der Schulter werde zwar der Kopf leicht zur Seite geneigt, diese Kopfhaltung sei
aber nicht vergleichbar mit der Forderung der BK Nr. 2109 im ärztlichen Merkblatt. Es könne beim Aufnehmen, Ablegen und Weiterreichen
von Lasten auf der Schulter kurzzeitig zu der geforderten Zwangshaltung kommen; beim Tragen über größere Strecken von Lastgewichten
über 50 kg seien die Voraussetzungen der BK Nr. 2109 nicht erfüllt.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten und in den medizinischen Unterlagen, wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist in dem im vorliegenden
Verfahren angefochtenen, die Anerkennung einer BK Nr. 2109 betreffenden Umfang rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf Feststellung seiner Gesundheitsstörungen im Bereich der HWS als BK Nr. 2109 der Anlage 1 zur
BKV. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit des Zimmerers erfüllt bereits nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung
einer solchen BK.
BKen sind nach §
9 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch -SGB- VII (bis zum Inkrafttreten des
SGB VII § 551 Abs. 1 Satz 2 Reichesversicherungsordnung -
RVO-) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die
Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach der
BKV gehören zu den BKen auch "bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter"
(Nr. 2109), sofern sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder
das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Voraussetzung für die Feststellung einer BK Nr. 2109 ist,
dass die versicherte Tätigkeit, die arbeitstechnischen Voraussetzungen (schädigende berufliche Einwirkungen) sowie die Erkrankung,
für die Entschädigungsleistungen geltend gemacht wird, im Vollbeweis (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) festgestellt
werden (BSGE 61, 127; 45, 285, 287). Für die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den schädigenden Einwirkungen und den Gesundheitsstörungen
genügt dagegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, die bloße Möglichkeit reicht jedoch nicht (vgl. Bundessozialgericht BSG-
in SozR 2200 § 581 Nr. 26). Ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei der Abwägung der für den Zusammenhang sprechenden
Erwägungen diese so stark überwiegen, dass darauf die Überzeugung der entscheidenden Stelle gegründet werden kann (vgl. BSGE
61, 127, 128; 58, 76, 78). Lassen sich unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht
nachweisen, so geht dies nach dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten,
wenn er hieraus eine ihm günstigere Rechtsfolge herleiten will (BSG in SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14; BSGE 58, 76, 79; 43, 110, 111; 41, 297, 300 und 6, 70, 72).
Dem Verordnungstext zur BK Nr. 2109 können zwar die einzelnen Tatbestandsmerkmale der arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser
BK (langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter) nicht genau entnommen werden. Insoweit handelt es sich um einen
auslegungsbedürftigen und -fähigen unbestimmten Rechtsbegriff, der jedoch noch nicht gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot
verstößt (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1999 - B 2 U 12/98 R - zur gleichgelagerten Problematik bei der BK Nr. 2108). Unter Berücksichtigung der in den Gesetzesmaterialien (Begründung
zur Änderung der
BKV, Abschnitt B zu Artikel 1 Nr. 4a) in BR-Drucks. 773/92, S. 9) und in dem vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) herausgegebenen Merkblatt
für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2109 (in Bundesarbeitsblatt 3/1993, S. 53) - im folgenden: Merkblatt zur BK 2109
- genannten arbeitstechnischen Kriterien, hält der Senat zur Bejahung einer beruflichen Exposition im Sinne der BK Nr. 2109
eine mindestens zehnjährige Tätigkeit mit dem Tragen von Lastgewichten von 50 kg und mehr auf der Schulter für erforderlich.
Die Lasten müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten getragen
worden sein. Hierbei sieht der Senat eine gewisse Regelmäßigkeit und Häufigkeit nur dann als gegeben an, sofern pro Arbeitsschicht
mindestens eine Stunde lang Lasten von 50 kg und mehr auf der Schulter getragen worden sind, und zwar bei gleichzeitig nach
vorn und seitwärts erzwungener Kopfhaltung (s. u.a. HLSG, Urteile vom 12. Februar 2008 - L 3 U 20/05 -, 3. Mai 2005 - L 3 U 71/04 -, 17. April 2004 - L 3 U 780/00 -, 20. August 2003 L 3 U 450/97 -, 28. Mai 2003 - L 3 U 785/00 -, 10. Dezember 2003 - L 3 U 981/00 ; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11. November 1998 - L 2 U 883/98 -). Denn nach dem Willen der Verordnungsgeberin (vgl. BR-Drucks. 773/92, S. 8 und 9) sollen von dieser BK nur die Berufsgruppen
erfasst werden, bei denen außergewöhnlich hohe Belastungen der Wirbelsäule durch Heben und Tragen von Lasten regelmäßig wiederkehrende
Tätigkeitsmerkmale sind. Als hierfür typische Tätigkeiten sind bezüglich der BK Nr. 2109 die Fleischträger in Schlachthäusern,
die Lasten auf der Schulter oder über Kopf unter Zwangshaltung im Bereich der HWS und maximaler Anspannung der Nackenmuskulatur
transportieren, sowie als Berufsgruppe mit vergleichbaren Belastungen die Lastenträger, die schwere Säcke auf der Schulter
tragen, genannt worden. Der Aufnahme der BK Nr. 2109 in die
BKV lagen die epidemiologischen Studien über das Verhältnis zwischen HWS-Veränderungen und der Tätigkeit von Fleischabträgern
von L. Hult von 1954 ("Cervical, dorsal and lumbar spinal syndromes, a field investigation of a non-selected material of 1
200 workers in different occupations with special reference to disc degeneration and so-called muscular rheumatism" in Acta
Orthop. Suppl. 17, 1954) sowie von G. Schröter und W. Rademacher von 1971 ("Die Bedeutung von Belastung und außergewöhnlicher
Haltung für das Entstehen von Verschleißschäden der Halswirbelsäule, dargestellt an einem Kollektiv von Fleischabträgern"
in Zeitschrift für die gesamte Hygiene und ihre Grenzgebiete 17 (1971) 11, S. 841 bis 843) zugrunde (vgl. Merkblatt zur BK
2109 S. 5). Danach war die Arbeit der Fleischabträger durch das Tragen von Tierhälften oder -vierteln von 50 kg und mehr auf
dem Kopf bzw. dem Schultergürtel geprägt. Die hierbei nach vorn und seitwärts erzwungene Kopfbeugehaltung und das gleichzeitige
maximale Anspannen der Nackenmuskulatur führten zu einer Hyperlordosierung und auch zu einer Verdrehung der HWS. Das im Vergleich
zu dem im vom BMA herausgegebenen Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 2108 (in Bundesarbeitsblatt 3/1993,
S. 50) genannte höhere Lastgewicht begründet sich mit dem Umstand, dass auf der Schulter bzw. dem Kopf die getragene Last
achsennah einwirkt und der Hebelarm, der bei der Belastung der LWS durch Heben und Tragen schwerer Lasten zu berücksichtigen
ist, entfällt. Zwar sind zur Frage der Häufigkeit oder zum Zeitanteil der Tragevorgänge je Arbeitsschicht weder den Gesetzesmaterialien
noch dem Merkblatt zur BK Nr. 2109 konkrete Hinweise zu entnehmen, auch sind nach den Erkenntnissen des Senats bisher keine
epidemiologischen Studien bekannt, in denen eine statistisch abgesicherte Korrelation zwischen der Häufigkeit der Tragevorgänge
auf der Schulter und einer Erkrankung der HWS aufgestellt wurde. Gleichwohl sieht der Senat es als sachgerecht an, als Mindestkriterium
einen täglichen Zeitanteil pro Arbeitsschicht von einer Stunde (netto) für die spezifische Tragetätigkeit zu fordern. Denn
nach dem Willen der Verordnungsgeberin sollen von der BK Nr. 2109 nur Tätigkeiten, die mit einer außergewöhnlich hohen spezifischen
Tragebelastung verbunden sind, erfasst werden. Orientiert man sich an den in den Gesetzesmaterialien genannten Berufsgruppen,
den vollschichtig als Fleischabträger oder Lastenträger eingesetzten Versicherten, und berücksichtigt man weiterhin, dass
die zugrunde liegenden Studien aus den Jahren 1954 und 1971 noch auf Arbeitsbedingungen beruhen, die seit Ende der 1960er
Jahre wegen der massiv eingetretenen Mechanisierung des Lastentransportes durch Einführung von Kränen, Lastenaufzügen, Förderbändern,
Rohrbahnen, Gabelstaplern u.ä. kaum noch anzutreffen sind, so muss die spezifische Tragetätigkeit einen deutlichen Teil der
täglichen Arbeitszeit ausmachen, um sie als gefährdend im Sinne der BK Nr. 2109 ansehen zu können.
Der Kläger leidet zwar an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS, gemessen an den zuvor genannten Kriterien steht
zur Überzeugung des Senats jedoch nicht fest, dass diese mit Wahrscheinlichkeit durch langjähriges Tragen schwerer Lasten
auf der Schulter verursacht worden ist, da die von dem Kläger zwischen 1960 und 1980 ausgeführten beruflichen Tätigkeiten
nicht den tatbestandlichen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 entsprechen. Die diesbezügliche Überzeugung des Senats gründet
sich auf alle im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen Erkenntnisse (§
128 SGG), insbesondere die Angaben des Klägers sowie des Zeugen V1. XY. und des Seniorchefs des Arbeitgeberbetriebs des Klägers,
V2. XY., zu den Tragebelastungen sowie auf den in der Arbeitsplatzanalyse des Präventionsdienstes der Beklagten vom 11. August
2010 dokumentierten Sachverhalt. Hiernach steht fest, dass der Kläger maximal 30 Minuten pro Arbeitsschicht schwere Lasten
auf der Schulter tragen musste. Diese Feststellung wird nach den arbeitstechnischen Ermittlungen auch von Seiten des Klägers
nicht in Frage gestellt, der vielmehr lediglich bestreitet, dass mit der Angabe eines täglichen Zeitlimits von 30 Minuten
das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 abgelehnt werden könne.
Selbst wenn man eine Tragebelastung von 30 Minuten als ausreichend im Sinne der BK Nr. 2109 erachten würde, ist vorliegend
aber im Rahmen dieser Gesamttragebelastung allenfalls für wenige Minuten eine dem Belastungsmuster, wie es dem Merkblatt zur
BK Nr. 2109 zu entnehmen ist, vergleichbare Tätigkeit feststellbar. Nach dem dort zugrunde gelegten wissenschaftlichen Kenntnisstand
ist ein erheblich häufigeres Vorkommen von Verschleißschäden der HWS beim Tragen schwerer Lasten auf der Schulter von statischer
Belastung und abnormer Haltung der Wirbelsäule abhängig. Der Arbeitsvorgang beim Fleischabträger ist (früher) von dieser besonderen
Belastung geprägt gewesen. Das Belastungsprofil des Klägers in seiner Tätigkeit als Zimmerer unterscheidet sich hiervon deutlich.
Die Arbeit der Fleischabträger ist durch das Tragen von Tierhälften oder -vierteln von 50 kg und mehr auf Kopf und Schultergürtel
geprägt, wobei der Kopf durch die Last nach vorn oder seitwärts gedrückt wird. Die räumliche Orientierung der Fleischträger
erfordert das Andrücken des Kopfes gegen die Last. Dabei wird die Nackenmuskulatur maximal angespannt und die HWS in Hyperlordosierung
gebracht. Wird der Kopf durch die Last seitwärts gedrückt, wird daneben auch eine Drehung der HWS zur Seite der Last hin erforderlich.
Die Tätigkeit des Klägers umfasste dagegen abwechslungsreiche Aufgaben, bei denen es sich zwar um körperlich schwere Arbeiten
handelte, es bestand aber - schon in zeitlicher Hinsicht - keine auch nur annähernd vergleichbare Belastung durch das Tragen
von Lasten auf der Schulter. Beim Tragen starrer Gegenstände ist zudem allenfalls eine seitliche Abkippung der HWS festzustellen,
nicht aber die bei den Fleischträgern erforderliche abnorme Haltung der Wirbelsäule (vgl. auch Landessozialgericht Niedersachsen,
Urteil vom 29. April 1999 L 6 U 206/98 - in HVBG Rundschreiben VB 100/99). Eine entsprechende Zwangshaltung der HWS ergibt sich im Rahmen der Tätigkeit des Klägers nur für
die Bewegungsabläufe beim Aufnehmen, Ablegen und Weiterreichen von Lasten auf der Schulter und damit allenfalls in einem untergeordneten
Anteil der mit maximal 30 Minuten pro Arbeitsschicht anzunehmenden Gesamttragebelastung. Demgegenüber vermögen auch die Ausführungen
des Sachverständigen Prof. Dr. A. eine abweichende Bewertung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 nicht
zu begründen. Dem Sachverständigen kann nicht darin gefolgt werden, wenn dieser eine Kopfzwangshaltung, wie sie im Merkblatt
zur BK Nr. 2109 in Kombination mit dem Tragen schwerer Lasten vorausgesetzt wird, nicht für erforderlich hält. Dabei wird
der von Prof. Dr. A. angenommene Umstand einer Gegenspannung u.a. über Muskeln, die an der HWS und an den Schultern ansetzen,
und eines hierdurch entstehenden Drucks auf die Bandscheiben der HWS nicht in Abrede gestellt. Für die positive Feststellung
der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 genügt es jedoch nicht, wenn der Sachverständige zu diesen Muskelanspannungen
ausführt, es erscheine ihm prinzipiell plausibel, dass unter diesen Bedingungen eine vorzeitige Degeneration der Bandscheibe
verursacht werde. Dass es auch für andere - auch weitere denkbare - Belastungen prinzipiell plausibel erscheint, dass diese
zu einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS führen, vermag den Umstand, dass der Kläger im Rahmen der von ihm ausgeübten
Tätigkeit nicht in vergleichbarem Maße und Umfang belastet war, wie dies dem Belastungsmuster der BK Nr. 2109 entspricht,
nicht zu beseitigen. Der Sachverständige übersieht dabei auch, dass das Merkblatt nicht nur im Rahmen der Gefahrenquellen
eine solche kombinierte Belastung der HWS, wie sie bei Fleischträgern typisch ist, als Voraussetzung anführt, sondern dass
auch das festzustellende Schadensbild gerade als Folge der Tragebelastung unter der außergewöhnlichen Kopfhaltung begründet
wird. Im Rahmen der Pathophysiologie wird ausgeführt, dass die Zug- und Kompressionskräfte im Bereich der Wirbelgelenkfacetten
in Verbindung mit Seitverbiegung und Verdrehung dazu beitragen, dass insbesondere oberhalb von C5/6 degenerative Bandscheibenveränderungen
beobachtet wurden, die in der Allgemeinbevölkerung weniger häufig anzutreffen sind. Auch dies zeigt, dass die Kopfzwangshaltung,
wie sie beim Kläger allenfalls äußerst kurzzeitig und keineswegs als das Tätigkeitsbild des Zimmerers prägend beobachtet werden
kann, notwendiger Bestandteil der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 ist.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich auch an der arbeitsmedizinischen Bewertung durch den Sachverständigen
Prof. Dr. A. Zweifel aufdrängen. Bandscheibenbedingte Veränderungen ergeben sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. A. in den
Segmenten C5/6 und C6/7. Dies ergab bereits die Kernspintomographie der HWS vom 15. Juni 1999. Der im Rahmen der Begutachtung
durch Prof. Dr. A. am 14. März 2007 erhobene Röntgenbefund ergab entsprechende Verschmälerungen der Bandscheibenfächer in
ebendiesen Segmenten, außerdem mittlerweile mittelgradige degenerative Veränderungen an den Wirbelbogengelenken im darüberliegenden
Bereich vom zweiten bis fünften Halswirbelkörper; Bandscheibenveränderungen in diesem Bereich werden aber auch weiterhin nicht
beschrieben. Der Sachverständige hat ausgeführt, die pathomorphologischen Veränderungen insbesondere im Bereich zwischen dem
5. und 7. Halswirbelkörper erfüllten die Kriterien, die auch für die Lendenwirbelsäule genannt worden seien; damit seien insbesondere
die belastungsadaptiven Veränderungen und das belastungskonforme Schadensbild angesprochen. Zu den Verhältnissen an der Lendenwirbelsäule
hat der Sachverständige mit Blick auf die Frage der Anerkennung bandscheibenbedingter Erkrankungen dargelegt, dass wegen der
relevanten Druckkräfte ein von oben nach unten zunehmender Ausprägungsgrad der belastungsadaptiven Veränderungen zu erwarten
sei. Wenn der Sachverständige dies nun auf die BK Nr. 2109 überträgt, übersieht er, dass hier eine ganz andere Belastungsform
als bei den LWS-Erkrankungen, nämlich die oben beschriebene kombinierte Belastung, vorliegt. Während aufgrund der Druckkraftverhältnisse
im Bereich der LWS von einer Schädigung schwerpunktmäßig im unteren LWS-Bereich ausgegangen wird, tragen bei den Berufsbildern,
die im Sinne der BK Nr. 2109 belastet sind, nach dem Merkblatt die Zug- und Kompressionskräfte im Bereich der Wirbelgelenkfacetten
in Verbindung mit Seitverbiegung und Verdrehung dazu bei, dass insbesondere oberhalb von C5/6 bis zu C2/3 degenerative Veränderungen
beobachtet werden, die in der Allgemeinbevölkerung weniger häufig anzutreffen sind. Dem entspricht das bei dem Kläger festgestellte
Bild einer bandscheibenbedingten Erkrankung im Bereich der HWS-Segmente C5/6 und C6/7 aber gerade nicht.
Vor dem Hintergrund der bereits nicht im Vollbeweis festzustellenden arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 können
vorliegend jedoch weitergehende medizinische Sachermittlungen unterbleiben.
Das Urteil des Sozialgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf §
160 Abs.
2 SGG.