Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung seiner Lendenwirbelsäulen-(LWS-)Erkrankung
als bzw. wie eine Berufskrankheit (BK) hat.
Mit Eingang bei der Beklagten am 14. Mai 1998 beantragte der Kläger sinngemäß die Anerkennung und Entschädigung seiner LWS-Erkrankung
als BK. Er machte einen Strahlenschaden durch Mikrowellenstrahlen geltend, den er sich während einer ca. 6 monatigen Tätigkeit
im Prüflabor der Firma X. Küchentechnik in H. zugezogen habe. Der Kläger führte hierzu am 2. Juni 1998 aus, erstmals im Februar
1995 starke Schmerzen im Wirbelsäulenbereich verspürt zu haben. Diese führe er auf Arbeiten im Entwicklungsprüflabor in unmittelbarer
Nähe von Prototypen-Mikrowellenherden im Dauertest mit erheblicher Leckstrahlung zurück. 1988/1989 sei er innerhalb der Entwicklungsabteilung
umgesetzt worden und habe zur Aufgabe gehabt, Verdrahtungsmuster der unterschiedlichen Herdmodelle zu erstellen sowie in unmittelbarer
Nähe zu seinem Arbeitsplatz zwei Mikrowellendauertestgeräte zu betreuen. Diese seien täglich acht Stunden bei voller Mikrowellenleistung
und einer zugeschalteten konventionellen Heizart in Betrieb gewesen. Nachdem er über einige Monate in unmittelbarer Nähe (weniger
als 1 m Abstand) zu diesen Geräten gearbeitet habe, sei durch Messungen festgestellt worden, dass die Geräte Undichtigkeiten
mit der Folge von Leckstrahlung gehabt hätten. Die eingesetzten Messinstrumente hätten Werte ausgewiesen, die die Grenzwerte
weit überschritten hätten. Erst danach seien die Geräte aus seinem Arbeitsbereich entfernt worden.
Der behandelnde Hausarzt Dr. C. erstattete im Juni 1998 eine dementsprechende ärztliche Anzeige über eine BK. Er berichtete
von einem zunehmenden und therapieresistenten LWS-Syndrom mit erheblichen Einschränkungen im Alltagsleben mit erstmaligem
Auftreten in 4/92 und dann zunehmendem und gehäuftem Auftreten seit 2/95. Beim Kläger lägen weit über die Altersnorm hinausgehende
Veränderungen im Bereich der LWS vor, insbesondere eine fortgeschrittene Osteochondrose mit erheblicher Bandscheibendegeneration
und Bandscheibenvorwölbungen in den Segmenten LWK 4 und 5 und SWK 1 sowie eine teils muskulär bedingte schmerzhafte Bewegungseinschränkung,
die zwischenzeitlich zu einer weitgehenden Einsteifung der LWS mit erheblichen Einschränkungen im Alltagsleben geführt habe.
Therapieversuche seien erfolglos verlaufen mit Verdacht auf psychogene Überlagerung. Der Orthopäde Dr. I. erhob aufgrund von
Röntgenaufnahmen vom 23. Februar 1995 folgenden Befund: Zwischenwirbelraum L 5/S1 fast komplett aufgehoben, rechtskonvexe
Torsionsskoliose ca. 20 Grad, schräger Aufsatz von L 5, Asymmetrie der Bogenwurzel, beginnende ventrale Spondylose. Er diagnostizierte
eine akute Lumbago sowie eine Torsionsskoliose der LWS. Diese führte er in einer Äußerung vom 18. Juni 1998 auf eine Haltungsschwäche
zurück.
Die Beklagte zog u. a. ein Vorerkrankungsverzeichnis der zuständigen Krankenkasse des Klägers, der BKK Mittelhessen, bei und
holte eine Stellungnahme der früheren Arbeitgeberin des Klägers, der Fa. X.-Y. Küchentechnik GmbH, vom 18. Dezember 1998 ein.
Hierin hieß es, Messprotokolle aus dem relevanten Zeitraum seien nicht mehr verfügbar.
Im Rahmen einer "Arbeitsplatzbeschreibung" führte der Kläger ergänzend aus, dass er während seiner Tätigkeit in der Nähe der
vorgenannten Mikrowellenherde oft innere Hitzewallungen verspürt habe, unter Kopfschmerzen und Nasenbluten gelitten und sich
häufig schlapp gefühlt habe. Ein Kollege namens J. habe mit einer Messsonde der Firma festgestellt, dass die Grenzwerte weit
überschritten seien. Danach seien die Geräte im Flur betrieben worden. Zum Jahreswechsel 1989/1990 sei die komplette Entwicklungsabteilung
in ein anderes Gebäude umgezogen, es sei ein extra Raum für Dauerlaufprüfungen eingerichtet worden. Im Februar 1995 sei seine
Wirbelsäulenerkrankung akut aufgetreten, im Dezember 1995 sei er aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten traf nach Anhörung einer Reihe von Mitarbeitern der Firma Y. X. einschließlich
des Klägers folgende Feststellungen (Stellungnahme vom 25. Mai 1999): Der Kläger sei von Juli 1988 bis Juni 1993 im Prüflabor
und in der Entwicklung der Musterverdrahtung der Firma X. tätig gewesen. Wie vom Kläger beschrieben, seien sechs Monate im
Jahre 1988 zwei Mikrowellengeräte im Dauertest ohne Messungen an den Geräten betrieben worden. Der mittlere Abstand des Klägers
zu den Öfen habe ca. 50 cm betragen. Im Höchstfall seien die Geräte nach Aussage der Betriebsangehörigen sechs bis acht Monate
im Bereich des Rückens des Klägers täglich betrieben worden. Dann habe der Mitarbeiter Herr J. ein Messgerät (Dosimeter?)
mitgebracht, welches am Arbeitsplatz des Klägers über die Anzeigengröße hinaus ausgeschlagen habe. Daraufhin seien die Geräte
in den vorderen Bereich des Gebäudes verbracht und dort weiter betrieben worden. Messungsergebnisse seien nicht mehr zu beschaffen.
Grenzwerte würden bei 50 mW/m² an Leistungsdichte in 5 cm Abstand liegen, das heißt, dieser Wert gelte für die gemessene Leckstrahlung
als Grenzwert bei sachgemäßem Gebrauch. Unter Last könnten bei unsachgemäßem Gebrauch auch 100 mW/m2 austreten.
Aktenkundig ist des Weiteren ein Artikel aus der Zeitschrift "Sicherheitsingenieur 1/99", "Elektromagnetische Felder" von
Dr. I., Technischer Aufsichtsbeamter der Berufsgenossenschaft der Chemischen Industrie). Dieser gab im Hinblick auf thermische
Wirkungen eine Gefährdung des Auges an bei einer langzeitigen Exposition gegenüber einer Strahlungsdichte von 80 mW/cm². Auch
andere thermisch besonders empfindliche Organe wie das Gehirn oder die Keimdrüsen könnten geschädigt werden. Athermische Wirkungen
zielten besonders auf Reizwirkungen an Muskel- und Nervenzellen, das Zentralnervensystem, die Gerinnungsfaktoren (erhöhtes
Infarkt- und Embolierisiko), die Zellteilungsfrequenz und die Hormonproduktion ab. In einigen Fällen seien auch Änderungen
der Gehirnströme und des Herzschlages oder sehr unspezifische Wirkungen wie Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, leichte Reizbarkeit
oder Konzentrationsstörungen beobachtet worden. Einen statistischen Nachweis dieser Wirkungen gebe es bis heute nicht. Zu
mittelbaren Einwirkungen würden Gefährdungen durch das Versagen elektronischer Einrichtungen, Funktionsstörungen an Herzschrittmachern
oder Insulinpumpen, hohe Berührungsspannungen an Empfangsgebilden, Aufheizen von Implantaten durch Wirbelströme und Funkentladungen
und Entladeströme gehören. Hinsichtlich der Grenzwerte würden im nationalen Bereich die Neuentwürfe der DIN VDE 0848 "Sicherheit
in elektromagnetischen Feldern" angewendet. Diese Normenreihe enthalte in mehreren Teilen detaillierte Angaben über Mess-
und Berechnungsverfahren sowie Grenzwerte und Schutzmaßnahmen für verschiedene Frequenzbereiche.
In dem von der Beklagten zur Zusammenhangsfrage eingeholten Gutachten vom 22. November 1999 führte der Leiter des Instituts
für Arbeits- und Sozialmedizin der ZH. Universität ZX., Professor Dr. M., aus, dass beim Kläger zusammenfassend ein lumbales
Wurzelreizsyndrom bei Bandscheibenvorfall L 5/S 1 medial gesichert sei. Die Kreuzschmerzen des Klägers hätten (akut) erst
im Februar 1995 begonnen, also sieben Jahre nach einem beschwerdefreien Intervall. Sie seien klinisch durch einen Bandscheibenprolaps
ausreichend geklärt. Dass ein solcher Bandscheibenprolaps auch durch Mikrowellen hervorgerufen werden könnte, sei auszuschließen.
Die Ursache dürfte in erster Linie genetisch minderwertiges Bandscheibenmaterial sein. Zusätzliche Ursachen könnten schweres
Heben, Tragen und Ganzkörpervibrationen sein. Von derartigen Belastungen sei am Arbeitsplatz des Klägers nichts bekannt. Mikrowellen
würden in erster Linie zu einer Gewebsüberwärmung führen. Dass aus einer solchen Gewebsüberwärmung auch eine Degeneration
des Gewebes auftreten könne, sei nur für ausgedehnte Verbrennungen anzunehmen, von denen der Kläger aktuell etwas bemerkt
haben müsste. Spätfolgen, wie sie für ionisierende Strahlen beschrieben worden seien, seien bei Mikrowellen bisher nicht beobachtet
worden und auch aufgrund tierexperimenteller Ergebnisse biologisch nicht plausibel. Zusammenfassend sei es unwahrscheinlich,
dass der beim Kläger festgestellte Bandscheibenvorfall auf eine sieben Jahre zurückliegende Mikrowellenbestrahlung zurückzuführen
sei. Eine BK nach den Vorgaben des Berufskrankheitenrechts liege beim Kläger nicht vor. Der Landesgewerbearzt schloss sich
in seiner Stellungnahme vom 6. Dezember 1999 den Ausführungen des Gutachters an.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. April 2000 einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung seiner Wirbelsäulenerkrankung
ab, da sie weder als BK noch wie eine BK zu entschädigen sei. Die Erkrankung des Klägers führe die BK-Liste nicht an. Die
Voraussetzungen des §
9 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung -
SGB VII -, wonach eine bestimmte Personengruppe infolge ihrer versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung
besonderen Einwirkungen ausgesetzt sein müsse, die Einwirkungen nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet
sein müssten, Krankheiten solcher Art zu verursachen, und der ursächliche Zusammenhang der Erkrankung mit der versicherten
Tätigkeit im Einzelfall wahrscheinlich sein müsse, lägen ebenfalls nicht vor.
Den hiergegen mit Eingang bei der Beklagten am 3. Mai 2000 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 18. Oktober 2000 als unbegründet zurück. Zur Begründung wies sie nochmals darauf hin, dass derzeit keine neuen gesicherten
medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen, wonach der Kläger einer Personengruppe angehöre, "die durch ihre Arbeit
in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sei, sich eine wie beim Kläger vorliegende
Wirbelsäulenerkrankung infolge Mikrowellenbestrahlung zuzuziehen".
Hiergegen hat der Kläger am 26. Oktober 2000 Klage beim Sozialgericht Marburg (Sozialgericht) erhoben.
Das Sozialgericht hat diverse Behandlungs- und Befundberichte über die LWS-Erkrankung des Klägers beigezogen, darunter Berichte
des Dr. N. aufgrund einer Computertomographie der LWS vom 7. Dezember 1995, des Neurologen und Psychiaters Dr. O. vom 2. September
1996, des Dr. P. vom 18. Februar 1997, des Allgemeinmediziners Dr. C. vom 12. November 1998 und des Orthopäden Dr. A. vom
29. November 2000 sowie ein MDK-Gutachten vom 20. Dezember 1996 (Gutachter: Psychologe Z.).
Der Kläger hat im Klageverfahren unter Datum vom 9. November 2001 eine beglaubigte Abschrift einer Erklärung der Mitarbeiter
der früheren Arbeitgeberin, Herrn Q. (Direktor der Abteilung Einwicklung), Herrn R. (Abteilung Konstruktion/Leiter Bereich
Herde), Herrn S. (Leiter des Elektrolabors) und Herrn J. (Laborant) vom 21. August 2001 über den Arbeitsplatz des Klägers
vorgelegt. Danach sei die vom Kläger erstellte Arbeitsanamnese inhaltlich zutreffend. Der Kläger hat im Rahmen dieser Arbeitsanamnese
u. a. ausgeführt, dass der Kollege J., der festgestellt hatte, dass eine erhebliche Leckstrahlung in seinem Arbeitsbereich
aufgetreten war, ein Leckmessstrahlengerät mit dem Messbereich 20 bis 200 mW/cm² sowie ein Gerät der Firma K. Elektronik benutzt
habe, die jeweils bis zum Anschlag ausgeschlagen hätten.
Außerdem ist vom Kläger ist eine Stellungnahme des praktischen Arztes T. vom 5. Dezember 2001 zu den Akten gereicht worden,
der unter Berufung auf Prof. U., Universitätsklinik V., die Auffassung vertreten hat, dass in Bezug auf die Bandscheiben eine
Erhitzung durch Mikrowellen mangels ausreichender Durchblutung nicht rasch genug abgeführt werden könne, weshalb irreversible
Schäden an den Bandscheiben entstünden. Wissenschaftlich nachgewiesen sei eine Trübung der Augenlinse durch Mikrowellen. Chemisch
sei die Augenlinse ähnlich wie Bandscheiben- oder Knorpelgewebe zusammengesetzt.
Der Kläger hat unter Datum vom 27. Februar 2002 auf Beispielfälle verwiesen, in denen aufgrund einer Einwirkung von Hochfrequenzfeldern
Berufskrankheiten nach §
9 Abs.
2 SGB VII anerkannt worden waren.
Sodann hat das Sozialgericht auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz SGG - ein Gutachten bei dem Sachverständigen Dr. E., Fachkrankenhaus W., vom 25. September 2002 eingeholt. Dieser ist im Ergebnis
davon ausgegangen, dass in Bezug auf die von ihm beim Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen (schmerzhafte Funktionseinschränkungen
der LWS-Funktionen bei degenerativen Veränderungen der LWS, anamnestisch Erschöpfbarkeit, Infektanfälligkeit, Magen-Darm-Beschwerden,
Ekzeme, Kopfschmerzen, Sonnenlichtempfindlichkeit) eine BK vorliege. Nach seiner Einschätzung sei es zwar wahrscheinlich,
dass die degenerativen Veränderungen im Bereich der LWS als Spätschäden der Exposition zu sehen seien, dies könne zurzeit
jedoch wissenschaftlich weder bewiesen noch verneint werden. Mikrowellentechniker erkrankten vermehrt an Grauem Star. Mikrowellen
würden tief in das Augengewebe eindringen und es von innen erwärmen, ohne dass dort ein optimaler Wärmeabtransport erfolge,
wie etwa in stark durchblutetem Muskelgewebe oder an der Körperoberfläche. Eine lokale Überhitzung der hinteren Linse mit
entsprechend degenerativen Prozessen sei die Folge. Hier könne auch an andere wenig durchblutete Gewebe wie z.B. Gelenke,
Bandscheiben oder andere Körperteile mit hohen Knorpel- und Sehnenanteilen gedacht werden. Er schätze die Folgen der Exposition
gegenüber Mikrowellen am Arbeitsplatz vor dem Hintergrund eigener klinischer Erfahrungen und verschiedener Literaturhinweise
ein. Während der Exposition habe es systemische (akute) Reaktionen bzw. Symptome gegeben, die über Monate nach Sistieren der
Strahlenbelastung abgeklungen seien. Die wirbelsäulenbedingten Funktionseinschränkungen seien schon Anfang der 90er Jahre
aufgetreten und rückten den degenerativen WS-Prozess in einen näheren zeitlichen Zusammenhang zur Exposition.
Darüber hinaus hat der Kläger eine Stellungnahme des praktischen Arztes Dr. D. vom 6. Mai 2003 zu den Akten gereicht worden,
der die Auffassung vertreten hat, dass die vorzeitige Degeneration der geschädigten Knorpelmasse beim Kläger viel plausibler
als durch genetisch minderwertiges Bandscheibenmaterial durch eine Entartung zellulärer Strukturen und Funktionen infolge
einer Strahlungsschädigung der Knorpelzellen erklärt werden könne. Der Kläger hat außerdem von ihm und Ing. X. R. unter dem
25. April 2002 verfasste "Bemerkungen zur Entwicklung von Mikrowellengeräten bei der Fa. W.-Y. in H." vorgelegt.
Das Sozialgericht hat zwei Anfragen an den Ärztlichen Sachverständigenbeirat, Sektion "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium
für Gesundheit und soziale Sicherung gerichtet. Von dort ist unter Datum vom 18. Februar 2004 und 8. November 2004 mitgeteilt
worden, dass dem Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung zur Frage der Verursachung der bei dem Kläger vorliegenden
Wirbelsäulenerkrankung als Folge der Einwirkung von Mikrowellenbestrahlung keine neuen medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse
vorlägen, da der beim Ministerium gebildete Ärztliche Sachverständigenbeirat, Sektion "Berufskrankheiten" diese Fragestellung
bisher nicht geprüft habe. Eine Prüfung sei derzeit auch nicht beabsichtigt. Darüber, ob in der gesamten nationalen und internationalen
Wissenschaft entsprechende Erkenntnisse vorliegen, sei eine Aussage nicht möglich. Es ist darüber hinaus der Hinweis erfolgt,
dass eine so genannte generelle Geeignetheit im Sinne des §
9 Abs.
2 SGB VII voraussetze, dass neue wissenschaftliche epidemiologische Erkenntnisse über die überhäufige Erkrankung bestimmter gegenüber
der Einwirkung exponierter Personengruppen vorliege.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Januar 2005 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine Entschädigung
der LWS-Erkrankung des Klägers als BK nach §
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII bzw. § 551 Abs. 1 Satz 2
Reichsversicherungsordnung RVO- komme bereits nicht in Betracht, da hiernach nur solche Krankheiten anerkannt werden könnten, die die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet habe, "LWS-Erkrankungen durch Mikrowellenstrahlung"
jedoch nicht in der entsprechenden Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) als Berufskrankheit bezeichnet seien. Auch eine Anerkennung als "Wie-BK" nach §
9 Abs.
2 SGB VII bzw. 551 Abs. 2
RVO scheide aus. So lasse sich vorliegend bereits ein Nachweis über den genauen Expositionsumfang sowie über eine ständige Grenzwertüberschreitung
mangels Aufzeichnungen über regelmäßige Messungen nur schwer führen. Selbst wenn man aber eine entsprechende Grenzwertüberschreitung
unterstelle, könne nach derzeitigem Sachstand nicht von einem wissenschaftlichen Beweis von degenerativen Veränderungen im
Bereich der LWS als Spätfolgen einer Exposition gegenüber Mikrowellenstrahlen ausgegangen werden kann. So seien die Ausführung
des Sachverständigen Prof. Dr. M. nachvollziehbar, dass Mikrowellen in erster Linie zu einer Gewebsüberwärmung führen, und
dass aus einer solchen Gewebsüberwärmung nur dann eine Degeneration des Gewebes auftreten könne, wenn ausgedehnte Verbrennungen
eingetreten sind, von denen der Kläger aktuell etwas hätte bemerken müssen. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass nach herrschender
Auffassung der Fachwissenschaftlicher neue medizinische Erkenntnisse vorliegen, wonach die besonderen beruflichen Belastungen
bei Personen in Berufen wie dem des Klägers (hier: Mikrowellenexposition gegebenenfalls mit Grenzwertüberschreitung) geeignet
seien, die beim Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen hervorzurufen (degenerative Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule
und Bandscheibenvorfälle), seien auch aktuell nicht ersichtlich. Dies ergebe sich aus den gerichtlichen Anfragen beim Ärztlichen
Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung. Für die von den Ärzten T. unter Datum
vom 5. Dezember 2001 und Dr. D. vom 6. Mai 2003, beide praktische Ärzte, vertretene Auffassung, wonach die Degeneration von
geschädigter Knorpelmasse bzw. von Bandscheibengewebe durch Strahlungsschädigung der Knorpelzellen und des Bandscheibengewebes
im Sinne irreversibler Schäden erklärt werden könne, fehle eine entsprechende wissenschaftliche Absicherung. Dies ergebe sich
auch eindeutig aus dem Sachverständigengutachten von Dr. E. vom 25. September 2002. Auch in den Veröffentlichungen in "Sicherheitsingenieur
1/1999" und "VDI nachrichten Nr. 13/01. April 1988" fänden sich keine Hinweise auf eine Schädigung von Knorpel- und Bandscheibengewebe
im Sinne von Langzeitwirkungen. Vielmehr werde eine Gefährdung des Auges durch thermische Wirkungen sowie bei athermischen
Wirkungen Reizwirkungen an Muskeln- und Nervenzellen, Zentralnervensystem und Gerinnungsfaktoren angegeben sowie in einigen
Fällen Änderungen der Gehirnströme, des Herzschlages, unspezifische Wirkungen, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, leichte
Reizbarkeit oder Konzentrationsstörungen. Allerdings wurde für die letzten genannten Gesundheitsstörungen ein statistischer
Nachweis der Wirkungen verneint. Nach alledem habe eine Prüfung des Zusammenhangs im Einzelfall dahingestellt bleiben können.
Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 26. Januar 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 18. Februar 2005 bei
dem Sozialgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt.
Der Kläger ist der Auffassung, dass das von Professor Dr. M. erstellte Gutachten unverwertbar sei, da bei einer anzunehmenden
Überschreitung der Grenzwerte der DIN/VDE 0848 davon auszugehen sei, dass Gesundheitsschädigungen wahrscheinlich seien. Aufgrund
der Umorganisation des Prüflabors nach der Tätigkeit des Klägers in unmittelbarer Nähe zu den Mikrowellengeräten spreche der
Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers. Es obliege der Beklagten, den Nachweis für die Einhaltung der Grenzwerte der DIN/VDE
0848 zu erbringen; selbst bei Einhaltung der Grenzwerte seien jedoch die Gesundheitsschädigungen des Klägers durch Mikrowellenexposition
aller Wahrscheinlichkeit nach verursacht. Hier sei ein additiver Effekt durch Mikrowellenstrahlung und Wärmeabstrahlung der
Herde eingetreten. Es habe unstreitig eine abstrakte Gefahrenlage bestanden, als er in 50 cm Entfernung von zwei in der Entwicklung
befindlichen Mikrowellenöfen durch eine Leckstrahlung über einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr exponiert gewesen sei,
die deutlich oberhalb der unstreitig geltenden Grenzwerte gelegen hätten. Auch sei er bereits während seiner Tätigkeit sehr
schwerwiegend erkrankt; es liege insoweit ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang vor. Dies könne von einer Reihe Zeugen
aus dem beruflichen und privaten Umfeld des Klägers bestätigt werden. Vorliegend bewege man sich nicht im Bereich der Spekulation
oder hypothetischer Schädigungswirkungen, sondern im Bereich valider Daten, die wissenschaftlich allgemein anerkannt seien.
Auch habe das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 22. September 2004, L 17 U 27/02, ausgeführt, dass trotz des Listenprinzips und der Rechtsprechung des BSG zu dem Erfordernis des Vorliegens neuer wissenschaftlicher
Erkenntnisse gleichwohl auch BKen nach §
9 Abs.
2 SGB VII anzuerkennen seien, wenn sich der Bundesverordnungsgeber aufgrund der geringen Fallzahl entsprechender Schädigungen mit der
Anerkennung einer Listenkrankheit und der Durchführung entsprechender epidemiologischer Forschungen nicht befasst habe. Bei
äußerst selten vorkommenden Krankheiten solle dann auch ein herabgestuftes Maß an wissenschaftlicher Erforschung genügen,
etwa durch Erkenntnisse aus Einzelfallstudien, aus tierexperimenteller Forschung, Erkenntnisse und Anerkennungen aus anderen
Ländern etc., die für die Feststellung der generellen Geeignetheit ausreichten. Zur weiteren Begründung hat der Kläger eine
Vielzahl von Unterlagen aus den unterschiedlichsten Quellen zu den Gesundheitsgefahren von Mikrowellen und elektromagnetischen
Strahlen vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Die erforderlichen
wissenschaftlichen Erkenntnisse ergäben sich bereits aus den entsprechenden Grenzwerten und Arbeitsschutzbestimmungen der
DIN/VDE 0848 und dem Immissionsschutzrecht. Ein Anspruch auf Feststellung durch Mikrowellen verursachter Erkrankungen jedenfalls
als Wie-BK ergebe sich zudem aus dem Merkblatt zur BK Nr. 2104 der Anlage zur
BKV, wo darauf hingewiesen werde, dass Erkrankungen durch Hochfrequenzfelder nicht in der
BKV erfasst seien und ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass im Einzelfall eine Entschädigung "wie eine BK in Betracht"
komme.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.
April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2000 zu verurteilen, seine LWS-Erkrankung als Berufskrankheit,
hilfsweise
wie eine Berufskrankheit anzuerkennen und im gesetzlichen Umfang zu entschädigen,
äußerst hilfsweise
1. zur Frage der Strahlenbelastung am Arbeitsplatz des Klägers in dem relevanten Zeitraum von 1988 bis 1989 und den hierzu
durchgeführten Messungen als Zeugen
Herrn Y., Herrn Q., Herrn R., Herrn S. und Herrn J.
zu hören,
2. die Einholung einer Auskunft beim zuständigen Bundesamt für Strahlenschutz bzw. beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales
einzuholen zur Frage der Plausibilität bzw. Wahrscheinlichkeit eines entsprechenden Zusammenhanges zwischen der Exposition
des Klägers gegenüber elektromagnetischen Strahlenfelder bei Testungen von Mikrowellenöfen und den bei ihm eingetretenen Gesundheitsschäden,
insbesondere auch zu dem Umstand, dass gerade im Bereich der hier eingesetzten elektromagnetischen Strahlenfelder davon ausgegangen
werden könne, dass die äußerste Hautschicht "robuster" ist als das darunterliegende wasserhaltige, weiche Knorpelgewebe, das
beim Kläger zerstört worden sei, und dass die Wirkungsweise von elektromagnetischen Strahlenfeldern auf die Augelinse und
das Knorpelgewebe vergleichbar ist,
3. die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dem Umstand, dass bei vergleichbarem Gewebe entsprechende Schädigungsabläufe
im Zellgewebe eintreten und dass eine zeitliche Distanz zwischen der Exposition und dem Auftreten der Beschwerden nicht gegen
einen Kausalzusammenhang spricht,
4. die Einholung einer Auskunft beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hinsichtlich der Frage, warum trotz der Arbeitsschutzgrenzwertregelung
in der DIN/VDE 0848 bis heute keine Listen-BK nach der
BKV erlassen worden ist,
5. zum relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisstand ein Sachverständigengutachten bei Fr. Dr. Z., Bundesamt für Arbeitsschutz,
einzuholen,
6. zur Frage der Wirkungsweise der hier relevanten Mikrowellenstrahlung auf Bandscheibengewebe ein Sachverständigengutachten
bei einem Medizinphysiker einzuholen,
7. die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass es sich bei der hier streitige Schädigung
der Wirbelsäule sowie des umliegenden Gewebes durch thermische/subthermische Einwirkungen von Mikrowellenstrahlung um eine
selten vorkommende berufliche Schädigung handelt, die in keiner Weise mit sonstigen Wirbelsäulenerkrankungen vergleichbar
ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig.
Der Senat hat zunächst einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. A. vom 27. Oktober 2005 sowie die Krankenunterlagen
der behandelnden Ärzte Dr. D. und Dr. C. angefordert sowie die Rentenakte des Klägers. Anschließend ist ein orthopädisches
Sachverständigengutachten des Prof. Dr. B., Gutachtenambulanz der Orthopädischen Universitätsklinik B-Stadt, vom 19. Juli
2006 eingeholt worden. Hierin wird eine deutlich ausgeprägte Chondrose im Segment L5/S1 und geringer auch zwischen L4/L5 mit
Höhenminderung der Zwischenwirbelräume, Randkantenausziehungen der Deck- und Bodenplatten nach vorn hin betont sowie eine
Arthrose der Facettengelenke diagnostiziert. Daneben hat der Sachverständige geringfügige Randkantenausziehungen der Deck-
und Randplatten im Bereich der mittleren Hals- und Brustwirbelsäule festgestellt. Zur Frage der Kausalität hat Prof. Dr. B.
ausgeführt hat, es sei bisher keine wissenschaftliche Arbeit bekannt, die einen Zusammenhang zwischen Bandscheibenleiden und
Mikrowellenexposition habe nachweisen können. Es sei zwar möglich, aber als eher unwahrscheinlich zu erachten, dass es durch
die fragliche Exposition mit Mikrowellen zu einer Bandscheibenschädigung gekommen sei. Gegen einen Zusammenhang spreche auch
das Zeitintervall von über einem Jahr zwischen der Exposition und dem erstmaligen Auftreten von Beschwerden im Bereich der
Lendenwirbelsäule. Der Sachverständige hat angeregt, ggf. einen Physiker zu befragen, inwieweit eine Schädigung von Gewebe
ohne eine entsprechende Wärmeentwicklung vorstellbar sei und ob dies auch Gewebeanteile betreffen könne, die unter einem zentimeterdicken
Weichteilmantel liegen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 18. Oktober 2006 hat Prof. Dr. B. an seiner Beurteilung festgehalten.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG hat der Senat anschließend eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. E. vom 27. Dezember 2007 (Bl. 744 GA) eingeholt, der ausgeführt
hat, es existierten weder plausible Tiermodelle noch liege eine Statistik über entsprechende Schäden vor. Insoweit habe er
schon in seinem Gutachten auf die mögliche Singularität des Schadens hingewiesen. Beim Kläger seien akute Symptome/Reaktionen
im Laufe der Exposition aufgetreten. Es habe sich dabei um Störungen der Gesamtbefindlichkeit (Erschöpfung, Infektanfälligkeit
und Sonnenlichtempfindlichkeit) verbunden mit Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Ekzemen u. a. gehandelt. Dies seien bekannte
Phänomene im Zusammenhang mit anhaltender Mikrowellenexposition. Diese Symptomatik sei als direkte Folge der Mikrowellenbelastung
anzusehen. Nach Beendigung der Belastung im Februar 1989 sei es innerhalb von ca. zwei Jahren zu einem Rückgang der Symptome
geführt. Diese Symptomatik sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Exposition gegenüber Mikrowellenstrahlung
am Arbeitsplatz zuzuschreiben. Es müsse auch keinesfalls der Fall sein, dass eine sofortige Wärmereaktion in den oberen Hautschichten
auftrete; Experimente mit Mikrowellen hätten gezeigt, dass sich keine Rötungen oder Hautreaktionen gezeigt hätten, während
die Thermokamera eine Erhöhung der Hauttemperatur von 2°C angezeigt. Bekanntermaßen diene die Mikrowelleneinstrahlung wegen
ihrer spezifischen Absorptionseigenschaften und der damit verbundenen hohen Eindringtiefe dem Erwärmen und Garen von Lebensmitteln.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung nach §
124 Abs.
2 SGG einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten und in den medizinischen Unterlagen wird auf den Inhalt
der Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.
Diese Voraussetzungen der BK Nrn. 2108 und 2110 liegen hier offensichtlich nicht vor.
Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass die von ihm behaupteten Einwirkungen durch Mikrowellenstrahlung
in den Jahren 1988/1989 über eine Zeit von sechs bis acht Monaten, für die es bislang an dem erforderlichen Vollbeweis fehlt,
sowie die sonstigen von ihm beschriebenen Arbeitsplatzbedingungen so vorgelegen haben. Auf eine Einvernahme der vom Kläger
diesbezüglich benannten Zeugen kann daher verzichtet werden.
1. Es muss eine bestimmte Personengruppe bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung bestimmten
Einwirkungen ausgesetzt sein.
2. Diese Einwirkungen müssen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sein, Krankheiten solcher Art
hervorzurufen.
4. Der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdenden Arbeit muss im konkreten Fall hinreichend wahrscheinlich
sein.
Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.