Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die rückwirkende Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (
OEG).
Die 1963 in C-Land geborene Klägerin wurde am 12. März 1992 Opfer eines Überfalls, bei dem sie mehrere Schusswunden am Bein
bzw. am Knie erlitt.
Auf den Antrag der Klägerin vom 24. Mai 2001 erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 20. April 2004 folgende Gesundheitsstörungen
als Schädigungsfolgen an:
1. Mehrfache, zum Teil flächige Narbenbildungen der Gesäß-, Knie- und Unterschenkelregion rechts nach Knochenfissur der äußeren
Oberschenkelrolle und einem mit einem äußeren Spanner versorgten Stückbruch des körpernahen Schienbeins infolge einer Geschossverletzung
sowie Spaltung eines Compartement-Syndroms am Unterschenkel mit sekundärer Spalthautdeckung. Ausgedehnte Faszienlücke der
Tibialis anterior-Loge rechts. Muskelminderung des rechten Beines. Noch belassener Antibiotikaträger (PMMA-Kette) im Bereich
des rechten Kniegelenks. Feinste staubkornförmig eingesprengte Geschossreste innenseits in den Weichteilen des Unterschenkels
neben der etwas vergröberten Kallusspindel nach Tibiaschussbruch.
2. Beginnende außenseits betonte Arthrose des rechten Kniegelenks mit Reizzeichen und beginnender Beugekontraktur.
3. Spitzfußstellung rechts.
4. Chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung.
5. Großzehenheberparese und Sensibilitätsstörungen am rechten Unterschenkel nach Compartementsyndrom.
Wegen dieser Schädigungsfolgen stellte der Beklagte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H. fest und gewährte
der Klägerin Beschädigtenversorgung ab dem 1. Mai 2001 (Antragsmonat). Weitergehende Ansprüche der Klägerin lehnte er ab.
Den Widerspruch der Klägerin vom 23. Juni 2004, mit dem diese Versorgungsleistungen nicht erst ab Mai 2001, sondern bereits
ab dem 1. März 1992 begehrte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2005 zurück. Eine rückwirkende Anerkennung
sei nicht zu begründen. Die Klägerin sei bereits im März 1992 in der Lage gewesen, sich einer polizeilichen Vernehmung zu
unterziehen. Auch sei sie aufgrund der psychischen Folgen der Gewalttat an einer normalen Lebensführung nicht gehindert gewesen.
Dagegen hat die Klägerin am 17. März 2005 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und vorgetragen, nach der Tat
und den anschließenden Krankenhausbehandlungen habe sie den gesamten Vorfall verdrängt und versucht, ein normales Leben zu
führen. Sie leide jedoch aufgrund des Vorfalls an einer massiven posttraumatischen Belastungsstörung, welche es ihr unmöglich
gemacht habe, frühzeitig einen Antrag nach dem
OEG zu stellen.
Das Sozialgericht hat Ermittlungen zum Gesundheitszustand der Klägerin in den Jahren ab 1992 durchgeführt, die Akten der Deutschen
Rentenversicherung Bund sowie der Stadt A-Stadt - Jugend- und Sozialamt - beigezogen und nach persönlicher Anhörung der Klägerin
mit Urteil vom 18. Februar 2010 die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Erbringung von Versorgungsleistungen
nach § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG seien nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht ohne Verschulden an einer früheren Antragstellung gehindert gewesen sei. Auch
wenn die Klägerin durch ihre schädigungsbedingte psychische Erkrankung in ihrer allgemeinen Lebensführung erheblich eingeschränkt
gewesen sei, habe dies einer Antragstellung bei dem Beklagten nicht entgegengestanden. Die Biographie der Klägerin nach der
Tat zeige, dass sie trotz Erkrankung in der Lage gewesen sei, ihre Angelegenheiten zu regeln. So sei sie eine neue Partnerschaft
eingegangen, habe mehrere Umzüge bewältigt, sich um die Erziehung ihrer beiden Kinder gekümmert, Anträge nach dem Bundessozialhilfegesetz gestellt und verschiedene Erwerbstätigkeiten aufgenommen. Der von der Klägerin geschilderte Versuch, die Tat zu verdrängen,
erkläre nicht das Unterlassen der Antragstellung bereits im Jahr 1992, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt durch die polizeilichen
Ermittlungen ohnehin mit dem Geschehen konfrontiert gewesen sei. Im Gesamtergebnis, insbesondere aufgrund der Befragung der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung, sei die späte Antragstellung nicht auf die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin,
sondern auf ihre Unkenntnis von Entschädigungsansprüchen nach dem
OEG zurückzuführen; erst infolge eine Fernsehsendung im Jahr 2001 habe sie Kontakt zum "D. E." aufgenommen und sei dort auf mögliche
Entschädigungsansprüche hingewiesen worden. Rechtsunkenntis stelle jedoch keinen Anwendungsfall des § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG dar (Hinweis u.a. auf BSG, Urteil vom 15. August 2000, B 9 VG 1/99 R).
Gegen das am 5. März 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31. März 2010 Berufung eingelegt.
Sie verweist darauf, dass sie infolge des Überfalls erhebliche körperliche als auch seelische Verletzungen erlitten habe,
welche sie auch in den Jahren nach der Tat erheblich belastet hätten. Selbst die Bewältigung ihres Alltags sei ihr nur mit
Schwierigkeiten und erheblicher Hilfe von dritter Seite möglich gewesen. Insoweit habe das Sozialgericht es unterlassen, gezielte
medizinische Ermittlungen insbesondere durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens zu der Frage durchzuführen, ob sie aufgrund
ihrer posttraumatischen Belastungsstörung in Verbindung mit ihren subjektiven Parametern, insbesondere ihrem Bildungsgrad
und ihrer (fehlenden) Geschäftsgewandtheit, überhaupt in der Lage gewesen sei, sich nach der Tat um die mit dem Überfall in
Verbindung stehenden Dinge, wie die Stellung eines Antrags nach dem
OEG, zu kümmern.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. Februar 2010 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 20. April
2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin
ab 1. März 1992 Beschädigtenversorgung nach den Bestimmungen des Opferentschädigungsgesetzes i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des
Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung des Rechtsstreits
durch Beschluss der Berufsrichter des Senats ohne mündliche Verhandlung gehört worden.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung durch Beschluss der Berufsrichter des Senats ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil
er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden.
Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen
Anspruch auf einen früheren Beginn der Versorgungsleistungen nach dem
OEG.
Das Sozialgericht hat mit ausführlicher Beweiswürdigung und unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
nachvollziehbar begründet, dass die Klägerin nicht unverschuldet im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG daran gehindert war, den Antrag nach dem
OEG bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu stellen. Der Senat schließt sich dem in vollen Umfang an und sieht zur Vermeidung
von Wiederholungen von einer weiteren Begründung ab (§
153 Abs.
2 SGG). Aufgrund der eigenen Erklärungen der Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung durch das Sozialgericht ist davon auszugehen,
dass die Klägerin vor dem Jahr 2001 an einer Antragstellung nach dem
OEG dadurch gehindert war, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt von den entsprechenden Entschädigungsansprüchen nichts wusste und
erst durch die Beratung bei dem Opferhilfeverein "D. E." hierauf aufmerksam gemacht wurde, sie also den erforderlichen Antrag
aus Rechtsunkenntnis nicht gestellt hat. Eine derartige Rechtsunkenntnis ist jedoch nicht unverschuldet im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG (BSG, Urteil vom 15. August 2000, B 9 VG 1/99 R - Juris -).
Soweit die Klägerin demgegenüber auf die gesundheitlichen Einschränkungen durch den Überfall vom 12. März 1992 verweist und
insoweit das Unterlassen weiterer medizinischer Ermittlungen durch das Sozialgericht beanstandet, kann dies der Berufung nicht
zum Erfolg verhelfen. Bereits erstinstanzlich hatte die Klägerin vorgetragen, sie habe in den Jahren ab 1992 unter massiven
psychosomatischen Beschwerden gelitten, die sie daran gehindert hätten, sich um ihre Rechtsansprüche in Zusammenhang mit der
Gewalttat zu kümmern. Das Sozialgericht hat sich daraufhin um eine Aufklärung der Lebensumstände der Klägerin in der Zeit
ab 1992 in alle Richtungen bemüht und auch versucht, ärztliche Unterlagen aus dieser Zeit beizuziehen. Die Klägerin war jedoch
nicht in der Lage, für die behaupteten psychosomatischen Beschwerden Ärzte zu benennen, die sie deswegen behandelt hätten;
vielmehr hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie nur wegen üblicher körperlicher Beschwerden bei namentlich nicht bekannten
Ärzten in Behandlung gewesen sei. Eine psychotherapeutische Behandlung hat erst nach 2001 stattgefunden. Damit fehlt es bereits
an medizinischen Befunden als Beurteilungsgrundlage für die sinngemäße Behauptung der Klägerin, die verspätete Antragstellung
bei dem Beklagten sei nicht bzw. nicht in erster Linie auf die Unkenntnis hinsichtlich möglicher Entschädigungsansprüche,
sondern auf gesundheitlich bedingte Einschränkungen infolge der Gewalttat zurückzuführen. Deshalb kam auch die von der Klägerin
begehrte weitere Sachaufklärung durch Einholung eines Gutachtens nicht in Betracht, da ein medizinischer Sachverständiger
mangels jedweder Vorbefunde keine tatsächliche Grundlage für entsprechende rückwirkende Feststellungen hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.