Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung des sog. Herstellerrabatts gemäß §
130a Abs.
1 S. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) in Höhe von 1.374.778,07 € zzgl. Zinsen.
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz in A-Stadt/Niederlande. Sie betreibt eine Apotheke,
die insbesondere im Wege des Versandhandels Arzneimittel an Versicherte der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
abgibt. Die Beklagte ist ein als GmbH geführtes Pharmaunternehmen.
In den Jahren 2003 bis 2008 belieferte die Klägerin Versicherte der GKV mit Arzneimitteln, die diese Versicherten unter Vorlage
ärztlicher Verordnungen bei ihr bestellten. Die Arzneimittel erwarb die Klägerin bei deutschen Großhändlern, die die Ware
an den Sitz der Klägerin in den Niederlanden sandten. Die Verordnungen hatten Vertragsärzte nach den Vorgaben des Leistungserbringungsrechts
des
SGB V ausgestellt. Die Kosten für die Arzneimittellieferungen stellte die Klägerin den jeweiligen gesetzlichen Krankenkassen der
Versicherten in Rechnung. Hierzu bediente sie sich einer der Datenverarbeitungsgesellschaften, die die Abrechnung zwischen
Apotheken und gesetzlichen Krankenkassen nach dem sogenannten automatisierten Verfahren gemäß §
300 SGB V durchführen. Die Vergütungsabwicklung zwischen der Klägerin und den gesetzlichen Krankenkassen erfolgte also in den technisch-administrativen
Strukturen, die für die Leistungserbringung von Apotheken innerhalb Deutschlands normativ und technisch entwickelt worden
waren.
Als rechtliche Grundlage dieser Belieferungs- und Vergütungsstruktur schloss die Klägerin mit nahezu allen gesetzlichen Krankenkassen
Verträge ab. Gesetzliche Grundlage für diese Verträge war der zum 01.01.2004 eingeführte §
140e SGB V, der Krankenkassen erlaubt, mit Leistungserbringern aus anderen Staaten der Europäischen Union nach Maßgabe des Dritten Kapitels
des
SGB V Verträge zu schließen. In diesen Verträgen vereinbarten die Vertragsparteien die Abrechnung der von der Klägerin erbrachten
Leistungen "analog der nach §
129 SGB V mit den deutschen Apothekerverbänden geschlossenen Rahmenregelung eines Arzneimittelliefervertrages".
Bei der Abrechnung der Arzneimittellieferungen wurde §
130a SGB V in der jeweils geltenden Fassung in die Preisberechnung eingestellt. Die Klägerin reduzierte daher den jeweiligen Rechnungsbetrag
für Fertigarzneimittel um 6 von Hundert (im Jahr 2004 um 16 von Hundert) des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmens.
Von der Beklagten forderte die Klägerin sodann die Erstattung dieser Abschläge, soweit sie auf die Lieferung von Arzneimitteln
entfielen, die von der Beklagten hergestellt worden waren. Dabei berief sich die Klägerin auf §
130a Abs.
1 S. 2
SGB V (a.F., heute S. 3). Er bestimmt, dass pharmazeutische Unternehmer verpflichtet sind, Apotheken den Abschlag zu erstatten,
den diese gemäß §
130a Abs.
1 S. 1 (und heute S. 2)
SGB V den Krankenkassen zu gewähren haben.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr dieser Erstattungsanspruch gemäß §
130a Abs.
1 S. 2
SGB V (a.F.) zusteht. Dafür beruft sie sich darauf, dass sie seit 2003 am Sachleistungsprinzip der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung
teilnehme. Das Unionsrecht garantiere ihr den Zugang zu diesem Sachleistungssystem. Der deutsche Gesetzgeber habe mit Wirkung
zum 01.01.2004 deshalb durch §
140e SGB V die Möglichkeit geschaffen, dass die gesetzlichen Krankenkassen Einzelverträge mit einem Leistungserbringer aus einem Mitgliedstaat
der Europäischen Union schließen können. Dies habe sie genutzt und entsprechende Verträge abgeschlossen. Deshalb sei sie auch
berechtigt, die im
SGB V für (Sach-)Leistungserbringer vorgesehenen Ansprüche geltend zu machen.
Da die Beklagte sich der Forderung widersetzte, erhob die Klägerin am 16.12.2003 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am
Main auf Erstattung des Betrages, den sie in der Vergangenheit auf die Arzneimittel der Beklagten gegenüber den Krankenkassen
als Abschlag gewährt hatte. In der Folgezeit erhöhte die Klägerin immer wieder die Klageforderung um die Beträge, die durch
die weitere Gewährung des Abschlags gegenüber den Krankenkassen bis einschließlich im Jahr 2008 entstanden.
Mit Urteil vom 06.11.2014 wies das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch gegenüber
der Beklagten, da die Verträge zwischen ihr und den Krankenkassen gemäß §
140e SGB V keine Verpflichtungen Dritter begründen könnten. Die Klägerin könne sich auch nicht auf §
130a Abs.
1 S. 2
SGB V (a.F.) berufen, da diese gesetzliche Norm nur die Apotheker berechtige, die dem Rahmenvertrag nach §
129 SGB V unterworfen seien. Dies sei die Klägerin im Zeitraum zwischen 2003 und 2008 nicht gewesen. Denn sie habe von der Möglichkeit
des Beitritts zu dem Rahmenvertrag gemäß §
129 Abs.
3 Nr.
2 SGB V erst mit Wirkung zum 01.01.2010 Gebrauch gemacht.
Gegen das am 04.12.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Januar 2015 Berufung eingelegt.
Die Klägerin wendet sich gegen dieses Urteil mit der Begründung, die rechtliche Einschätzung des Sozialgerichts Frankfurt
am Main gehe fehl. Bereits durch die tatsächliche Sachleistungserbringung ab 2003, jedenfalls aber aufgrund der Verträge gemäß
§
140e SGB V, die sie mit den Krankenkassen geschlossen habe, sei sie derart in das Sachleistungssystem der deutschen GKV einbezogen gewesen,
dass ihr der Anspruch gemäß §
130a Abs.
1 S. 2
SGB V (a.F.) gegenüber der Beklagten zustehe. Die gegenteilige Auffassung verstoße gegen Unionsrecht, namentlich werde ihre Warenverkehrsfreiheit
gemäß Art. 34 AEUV verletzt. Daher regt die Klägerin eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV an und verweist insoweit auch auf ihre Verfassungsbeschwerde in einem Parallelverfahren gegen einen anderen pharmazeutischen
Hersteller (2 BvR 1546/13). Außerdem hätte im fraglichen Zeitraum zwischen 2003 und 2008 ein Versuch des Beitritts zum Rahmenvertrag gemäß §
129 Abs.
3 Nr.
2 SGB V keinen Erfolg haben können, da hierfür zunächst die Modalitäten hätten geklärt werden müssen. Diesen Prozess habe sie unmittelbar
nach der Zustellung der Entscheidung des BSG vom 28.07.2008 - B 1 KR 4/08 - in Gang gesetzt und damit den Beitritt mit Wirkung zum 01.01.2010 erzielt. Hilfsweise stehe
ihr ein bereicherungsrechtlicher Ausgleichsanspruch gemäß §
69 S. 3
SGB V i.V.m. §
812 BGB zu.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 06. November 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin
1.374.778,07 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der X-bank seit dem 16.12.2003 auf 38.311,91
€, seit Rechtshängigkeit der Klagerhöhung mit Schriftsatz vom 08.07.2004 auf 130.788,51 €, seit Rechtshängigkeit der Klagerhöhung
mit Schriftsatz vom 30.10.2006 auf 85.600,23 €, seit Rechtshängigkeit der Klagerhöhung mit Schriftsatz vom 12.12.2007 auf
307.764,68 €, seit Rechtshängigkeit der Klagerhöhung mit Schriftsatz vom 09.12.2008 auf 211.562,67 €, seit Rechtshängigkeit
der Klagerhöhung mit Schriftsatz vom 15.12.2010 auf 565.957,04 € und seit Rechtshängigkeit der Klagerhöhung mit Schriftsatz
vom 20.12.2011 auf 34.793,13 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
Sie beruft sich hierbei auf die Begründung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main sowie im Ergebnis gleichlautende
Entscheidungen des Bundessozialgerichts in Verfahren gegenüber anderen pharmazeutischen Herstellern, gegen die die Klägerin
ebenfalls Ansprüche auf Erstattung gemäß §
130a Abs.
1 S. 2
SGB V (a.F.) geltend gemacht hatte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, der Gegenstand
der Entscheidung war. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Beschluss der Berufsrichter/innen des Senats ohne mündliche
Verhandlung gehört worden.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die
Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung des Betrages i.H.v. 1.374.778,07 €, den sie gegenüber den gesetzlichen
Krankenkassen als Preisnachlass in Höhe von 6 von Hundert auf den Herstellerabgabepreis gewährt hat. Auf die Anspruchsgrundlage
des §
130a Abs.
1 S. 2
SGB V in der jeweils geltenden Fassung (heute S. 3), der Apotheken einen solchen Erstattungsanspruch gewährt, wenn sie als Sachleistungserbringer
dem Rahmenvertrag des §
129 SGB V unterliegen, kann sich die Klägerin nicht berufen. Denn im streitigen Zeitraum der Jahre 2003 bis 2008 war sie diesem Rahmenvertrag
nicht gemäß §
129 Abs.
3 Nr.
2 SGB V beigetreten. Unmöglich war dies zu diesem Zeitpunkt nicht, vielmehr hat die Klägerin diesen Weg erst später gewählt. Die
Preisnachlässe gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen hatte die Klägerin vielmehr in Einzelverträgen mit den jeweiligen
Krankenkassen gemäß §
140e SGB V vereinbart. Die Geltung des gesetzlichen Anspruchs gemäß §
130a Abs.
1 S. 2
SGB V gegenüber Dritten - wie der Beklagten - konnten die Vertragsparteien dieser Einzelverträge nicht vereinbaren. Das hat das
Sozialgericht unter Darlegung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen, unter Berücksichtigung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts
und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zutreffend dargelegt. Der Senat nimmt hierauf Bezug und sieht
zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Begründung ab (§
153 Abs.
2 SGG).
Das Berufungsvorbringen der Klägerin sowie ihre Schriftsätze vom 01., 11. und 12.04. 2016 geben zu einer abweichenden Beurteilung
keinen Anlass.
Die Verfassungsbeschwerde der Klägerin gegen das Urteil des BSG vom 24.01.2013 - B 3 KR 11/11 R - hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschluss vom 24.03.2016 - 2 BvR 1546/13). Die Annahme eines Grundrechtsverstoßes sei fernliegend (BVerfG aaO Rn. 23). Auch der Senat kann keinen Anhaltspunkt für
eine Grundrechtsverletzung erkennen.
In seinem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art.
267 Abs. 3 AEUV zu der Frage, ob Art. 34 AEUV der vom Bundessozialgericht vorgenommenen Auslegung des §
130a Abs. 1
SGB V widerspricht, nicht geboten ist (Rn. 18-22). Dem schließt sich der Senat an. Die Ansicht der Klägerin, dass es auch weiterhin
einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedürfe, beruht auf einer Fehlvorstellung über den Regelungsgehalt des §
130a Abs.
1 SGB V. Die Norm schließt entgegen der Auffassung der Klägerin ausländische Apotheken nicht von der Abwicklung des Herstellerrabattes
und damit auch dem Erstattungsanspruch gegenüber den Arzneimittelherstellern aus. Vielmehr ist die Norm in Bezug auf den Sitz
der Apotheke neutral. Allerdings setzt sie voraus, dass die Apotheke dem Rahmenvertrag gemäß §
129 SGB V unterfällt. Ausländische Apotheken können dies durch Beitritt gemäß §
129 Abs.
3 Nr.
2 SGB V erreichen. Da dies für die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht zutrifft, kann sie sich auf §
130a Abs.
1 S. 2
SGB V (a.F.) nicht berufen. Auf ihren Sitz im Ausland kommt es an dieser Stelle nicht an.