Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Hänge- bzw. Schiebebeschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die vorläufige
Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende im sozialgerichtlichen Verfahren
1. Gegen einen sog. Hängebeschluss des Sozialgerichts (auch: Schiebeschluss oder Zwischenverfügung) steht dem als Antragsgegner
beteiligten Träger von Leistungen nach dem SGB II die Beschwerde zum Landessozialgericht dann zu, wenn er nicht lediglich als prozessleitende Maßnahme den Fortgang des Verfahrens
gestaltet, sondern unmittelbar in Rechte des unterlegenen Antragsgegners eingreift.
2. Ein solcher Beschluss ist aufzuheben, wenn das durch die erforderliche Klärung komplexer Sach- und Rechtsfragen folgende
Hinausschieben einer gerichtlichen Entscheidung für den Antragsteller nicht mit existenziellen oder ähnlich schwerwiegenden
Rechtsfolgen verbunden ist und sich der Beschluss sowohl vom zeitlichen Rahmen als auch vom Inhalt her nicht auf dringlichste
Maßnahmen beschränkt.
1. Die im
SGG wie auch in anderen Gerichtsverfahrensordnungen nicht geregelte verfahrensgestaltende Zwischenregelung durch einen Hängebeschluss
(auch: Schiebebeschluss) wird zwar nach ganz herrschender Meinung wegen des aus Art.
19 Abs.
4 GG verfassungsrechtlichen Gebots effektiver Rechtsschutzgewährung für ausnahmsweise zulässig gehalten; dies allerdings nur dann,
wenn der Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz nicht offensichtlich aussichtslos ist und ein sich aus der erforderlichen
Klärung einer komplexen Sach- und Rechtslage verbundenes Hinausschieben einer gerichtlichen Entscheidung für den Antragsteller
mit existentiellen oder ähnlich schwerwiegenden Nachteilen verbunden ist.
2. Die Beschwerde gegen einen Hängebeschluss ist zulässig, wenn er nicht lediglich als prozessleitende Maßnahme den Fortgang
des Verfahrens gestaltet, sondern unmittelbar in materielle Rechte eines Verfahrensbeteiligten eingreift.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 10. Juni 2016 ist zulässig und begründet.
Die Antragsteller haben vorliegend bei dem SG am 19. April 2016 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit dem der Antragsgegner vorläufig zur unverzüglichen
Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) verpflichtet werden soll. Das SG hat den Antragsgegner sodann mit dem streitgegenständlichen Beschluss, da eine abschließende Entscheidung über das Verfahren
noch nicht möglich sei, unter Beiladung des bremischen Sozialhilfeträgers "bis zu einer abschließenden Entscheidung über das
Eilverfahren" vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin zu 1) für die Zeit ab dem 19. April 2016 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen zu gewähren.
Die Beschwerde gegen einen solchen sog. Hängebeschluss (auch: "Schiebebeschluss" oder "Zwischenverfügung") ist zulässig, wenn
er nicht lediglich als prozessleitende Maßnahme den Fortgang des Verfahrens gestaltet, sondern unmittelbar in materielle Rechte
eines Verfahrensbeteiligten eingreift (so auch Hessischer Verwaltungsgerichtshof - VGH -, Beschluss vom 7. Oktober 2014 - 8 B 1686/14 -; Oberverwaltungsgericht - OVG - Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 10. März 2010 - 11 S 11/10 - und vom 17. April 2007 - 3 S 33/07 ; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. November 2008 - 8 B 1631/08 - m.w.N.; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 31. Mai 2001 - 4 M 38/01 - [alle: juris]; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 14 m.w.N.; Kopp/Schenke,
VwGO, 22. Auflage 2016 § 146 Rn. 11). Sofern die hiervon abweichende Rechtsprechung (Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 1994 - 1 TG 2086/94 - juris -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. September 2003 - 2 M 417/03 - juris [dem entgegen tretend Dombert in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren,
6. Auflage 2011, Rn. 382]) und Literatur (Binder in: HK-
SGG, 4. Auflage 2012, §
86b Rn. 72; Wehrhahn in: Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Auflage 2014, §
86b Rn. 98) eine Beschwerde gegen Hängebeschlüsse allein wegen ihres unselbständigen Charakters als eine die Klärung des Streitstoffes
ermöglichende prozessleitende Zwischenverfügung bzw. mangels Vorliegen einer endgültigen Entscheidung für unstatthaft hält,
folgt der Senat dem nicht. Jedenfalls in Fällen inhaltlich und zeitlich weitgreifender substantieller Eingriffe des Gerichts
in die Rechtsstellung von Verfahrensbeteiligten gebietet es die Rechtsordnung, auch hiergegen Rechtsschutz zu ermöglichen.
Hiervon ist vorliegend im Falle des Antragsgegners, der von dem SG wenn auch vorläufig, so doch in zeitlicher Hinsicht nur durch die abschließende Entscheidung des SG über das Eilverfahren auflösend bedingten Gewährung von (regelmäßig nur schwer wieder rückholbaren) Geldleistungen nach dem
SGB II an die Antragstellerin zu 1) verpflichtet worden ist und vor einer Auszahlung von Leistungen - mangels Konkretisierung des
Zahlungsanspruches durch das SG - noch einen sog. Ausführungsbescheid zu erlassen hat, auszugehen.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der streitgegenständliche Beschluss des SG ist aufzuheben, da er weder die Voraussetzungen zum Erlass eines sog. Hängebeschlusses erfüllt noch die rechtlich zulässige
Tragweite einer solchen Entscheidung einhält. Die im
SGG wie auch in anderen Gerichtsverfahrensordnungen nicht geregelte verfahrensgestaltende Zwischenregelung durch einen Hängebeschluss
(auch: Schiebebeschluss) wird zwar nach ganz herrschender Meinung wegen des aus Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) verfassungsrechtlichen Gebots effektiver Rechtsschutzgewährung für ausnahmsweise zulässig gehalten (Bundessozialgericht,
Beschluss vom 5. Juni 2016 - B 6 KA 4/13 B - juris - ; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Auflage 2012, Rdn. 462 ff. [zulässig sowohl in Anfechtungs- als
auch in Vornahmesachen]; Dombert, a.a.O, Rn. 296 ff. [zulässig nur in Rechtspositionen nicht erweiternden Verfahren nach §
123 Abs. 1 S. 1 VwGO]; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rn. 14 m.w.N.; Kopp/Schenke, a.a.O, § 80 Rn.
170); dies allerdings nur dann, wenn der Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz nicht offensichtlich aussichtlos
ist und ein sich aus der erforderlichen Klärung einer komplexen Sach- und Rechtslage verbundenes Hinausschieben einer gerichtlichen
Entscheidung für den Antragsteller mit existentiellen oder ähnlich schwerwiegenden Nachteilen verbunden ist. Der Inhalt des
Hängebeschlusses ist zudem auf dringlichste Maßnahmen beschränkt und zeitlich auf das unabdingbare Maß zu beschränken (Binder,
a.a.O, § 86b Rn. 72; Wehrhahn, a.a.O., § 86b Rn. 98). Von beidem kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
Das SG hat den Antragsgegner mit seinem streitgegenständlichen Beschluss vom 16. Juni 2016, obgleich der Antragstellerin zu 1) unstreitig
im April 2016 noch Einkommen in Form einer Lohnzahlung für den Monat März 2016 i.H.v. 761,74 EUR zugeflossen war und ihr der
Antragsgegner mit Bescheid vom 2. Juni 2016 für den Monat Mai 2016 noch Grundsicherungsleistungen i.H.v. 668,29 EUR bewilligte,
zur Gewährung von der Höhe nach nicht bezifferten Leistungen nach dem SGB II an die Antragstellerin zu 1) verpflichtet, die in zeitlicher Hinsicht, ohne dass ein dringender Bedarf hierfür ersichtlich
geworden ist, zum einen auf den Tag der Beantragung der einstweiligen Anordnung zurückwirkt und zum anderen in der Zukunft
nur durch die - nach wie vor ausstehende - abschließende erstinstanzliche Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung begrenzt ist. Vom Regelungsgehalt und Ausmaß her greift ein derart weitgehender Hängebeschluss in für eine prozessleitende,
Rechte eines Beteiligten sichernde Zwischenentscheidung nicht mehr vereinbarender Weise einer das Verfahren des einstweiligen
Rechtschutzes beendenden Anordnung nach §
86b SGG vor und steht dieser - rechtlich nicht mehr vertretbar - nahezu gleich. Der Beschluss war daher aufzuheben, ohne dass hiermit
eine rechtliche Bewertung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund)
im Falle der Antragsteller verbunden ist.
Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die durch vorliegende, nicht als Nebenverfahren zu qualifizierende Beschwerdeverfahren
entstandenen Kosten unterfallen den Kosten des Eilverfahrens nach §
86b SGG (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 7. Oktober 2014, a.a.O, m.w.N.).
Dieser Beschluss ist gem. §
177 SGG unanfechtbar.