Rentenrechtliche Bewertung von Kinderziehungszeiten
Versäumung der Berufungsfrist
Übermittlung von Rechtsmittelschriften im elektronischen Rechtsverkehr
Verknüpfungsdatei
Anwaltliche Sorgfaltspflichten
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine bessere Bewertung der ihr rentenrechtlich für die Erziehung ihrer beiden Kinder zuerkannten Kinderziehungszeiten.
Die Beklagte bewilligte der am 27. März 1953 geborenen Klägerin dem Grunde nach antragsgemäß mit Bescheid vom 1. Oktober 2014
eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Bei der Ermittlung der dieser Rentenberechnung zugrunde liegenden 31,0213
Entgeltpunkte (zzgl. 0,0036 Punkte Zuschlag für Entgelt aus geringfügiger nicht versicherungspflichtiger Beschäftigung, vgl.
Anlage 6 S. 1 des Bescheides) berücksichtigte die Beklagte zugunsten der Klägerin für die Erziehung ihrer beiden 1980 und
1984 geborenen Kinder in Anwendung des §
249 SGB VI (in der zum 1. Juli 2014 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung
(RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23. Juni 2014, BGBl. I, 787) jeweils 24 Kalendermonate Kinderziehungszeit, beginnend
jeweils nach Ablauf des Monats der Geburt, und zwar für die Zeiträume Dezember 1980 bis November 1982 und August 1984 bis
Juli 1986. Unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 0,925 wurden bei den weiteren Berechnungen 28,6980 Entgeltpunkte
berücksichtigt. Es ergab sich ein anfänglicher monatlicher Rentenzahlbetrag von 736,90 EUR.
Für diese Kinderziehungszeiten berücksichtigte die Beklagte entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des §
70 Abs.
2 SGB VI für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte, wobei sie jedoch diese zusätzlichen Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten
so begrenzt hat, dass auch unter Einbeziehung anderweitig bereits erfasster weiterer Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten
in dem jeweiligen Kalendermonat die Höchstwerte nach der Anlage 2b zum
SGB VI, d.h. die sog. Beitragsbemessungsgrenze, nicht überschritten worden sind. Angesichts dessen, dass die Klägerin in Teilen
der Kinderziehungszeiträume auch versicherungspflichtige Beschäftigungszeiten bzw. sonstige Beitragszeiten zurückgelegt hat,
bezüglich derer die Entgeltpunkte die Differenz zwischen der jeweils maßgeblichen Beitragsbemessungsgrenze und dem o.g. Wert
von 0,0833 Entgeltpunkten je Monat überschritten haben, wurden im Ergebnis für die o.g. insgesamt 4 Jahre ausmachenden Kindererziehungszeiten
zusätzlich zu den aufgrund anderweitiger Beitragszahlungen bereits erfassten Entgeltpunkten in Anwendung der §§
56,
249,
70 Abs.
2 SGB VI nicht insgesamt vier weitere, sondern lediglich weitere 2,6192 Entgeltpunkte zugunsten der Klägerin berücksichtigt (vgl.
Anlage 6 S. 1 des Bescheides vom 1. September 2014, auf den wegen der weiteren Einzelheiten der Berechnung Bezug genommen
wird).
Im September 2014 war die 1978 von der Klägerin und ihrem Ehemann geschlossene Ehe mit Beschluss des Amtsgerichts I. (13 F 1138/13 S) geschieden worden, im Rahmen des Versorgungsausgleichs wurde u.a. zugunsten der Klägerin ein Anrecht in Höhe von 23,4024
Entgeltpunkten auf deren Versicherungskonto bei der Beklagten übertragen, wobei zugleich zugunsten des Ehemanns und zulasten
der Klägerin ein weiteres Anrecht von 11,4207 Entgeltpunkten übertragen wurde, so dass im Ergebnis eine Differenz von 11,9817
Entgeltpunkten zugunsten der Klägerin verblieb.
Dieser Beschluss wurde am 16. Oktober 2014 rechtskräftig. In Umsetzung dieses Beschlusses nahm die Beklagte zugunsten der
Klägerin mit Bescheid vom 19. Dezember 2014 eine Neuberechnung der Rente vor. Die zuvor bereits ermittelte Entgeltpunktzahl
von 31,0213 Entgeltpunkte (zzgl. 0,0036 Punkte Zuschlag für Entgelt aus geringfügiger nicht versicherungspflichtiger Beschäftigung,
vgl. Anlage 6 S. 1 des Bescheides) wurde nunmehr um die im Rahmen des Versorgungsausgleichs zuerkannten weiteren 11,9817 Entgeltpunkte
erhöht, so dass sich zugunsten der Klägerin im Ausgangspunkt 43,0066 Entgeltpunkte ergaben. Gemindert um den Zugangsfaktor
(von 0,925 bezogen auf 31,0249 Entgeltpunkte und 0,928 bezogen auf 11,9817 Entgeltpunkte) verblieben 39,8170 Entgeltpunkte
(von denen 2,6216 auf Kindererziehungszeiten entfielen), entsprechend einem monatlichen Rentenzahlbetrag von 1.018,98 EUR.
Mit ihrem Widerspruch vom 3. Januar 2015 hat die Klägerin gerügt, dass ihr für die Erziehung ihrer beiden Kinder insgesamt
vier und nicht nur ca. 2,6 zusätzliche Entgeltpunkte gutgeschrieben werden müssten. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit
Bescheid vom 29. April 2015 unter Erläuterung der gesetzlichen Vorgaben zurück.
Zur Begründung der am 1. Juni 2015 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass berufstätige Eltern einen doppelten
Beitrag zur Rentenversicherung in Form einerseits der mit der Berufstätigkeit verbundenen Beitragsentrichtung und andererseits
in Form der Erziehung der Kinder und damit der künftigen Beitragszahler aufbringen würden. Beide Beiträge seien auch dann
vollumfänglich zu berücksichtigen, wenn in der Summe die Beitragsbemessungsgrenze für den jeweiligen Monat überschritten werde.
Die sich aus den gesetzlichen Vorgaben ergebende Begrenzung stelle eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2015, der Klägerin zugestellt am 17. November 2015, hat das Sozialgericht Lüneburg die
Klage abgewiesen. Die gesetzlichen Vorgaben sähen vor, dass auch unter Einbeziehung der Beiträge für Kindererziehungszeiten
die jeweils maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze nicht überschritten werden dürfe; verfassungsrechtliche Bedenken seien diesbezüglich
nicht festzustellen.
Am 17. Dezember 2015 nach Dienstschluss, und zwar um 17.25 Uhr, hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Wege des elektronischen
Rechtsverkehrs eine sog. Verknüpfungsdatei mit dem Dateinamen "J. DRV Berufung.pdf-Verknüpfung" übermittelt. Am frühen Morgen
des Folgetages hat die Gerichtsverwaltung die Prozessbevollmächtigte davon in Kenntnis gesetzt, dass die übermittelte Nachricht
nicht geöffnet werden könne. Daraufhin hat diese die Berufungsschrift am 18. Dezember 2015 um 8.27 Uhr per Telefax übermittelt.
Bezüglich der Versäumung der Berufungsfrist beantragt die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ihre Bevollmächtigte
habe bei der Signatur ohne eigenes Verschulden nicht erkannt, dass ein "Hinweis auf eine lediglich vorliegende Verknüpfung
mit dem eigentlichen Schriftsatz" vorgelegen habe.
In der Sache ist die Klägerin weiterhin der Auffassung, dass die gesetzgeberischen Vorgaben über die Bewertung von Kinderziehungszeiten
eine unangemessene Benachteiligung von erwerbstätigen Eltern beinhalteten. Eltern, die im Kinderziehungszeitraum gearbeitet
hätten, würden im Vergleich zu solchen Eltern, die ihre Berufstätigkeit seinerzeit jedenfalls überwiegend aufgegeben hätten,
benachteiligt.
Sie beantragt,
1. ihr wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, 2. den Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. November 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2014 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 29. April 2015 aufzuheben und 3. die Beklagte zur Neuberechnung der mit Bescheid vom 19. Dezember
2014 gewährten Altersrente unter Berücksichtigung weiterer 1,3784 Entgeltpunkte für die dem Grunde nach anerkannten Kindererziehungszeiten
zu verpflichten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zu verwerfen, da die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung die einmonatige Berufungsfrist
des §
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) nicht eingehalten hat.
Die angefochtene Entscheidung ist ihrer anwaltlichen Bevollmächtigten am 17. November 2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt
worden. Bis zum Ablauf der Monatsfrist am 17. Dezember 2015 um 24 Uhr ist beim hiesigen Gericht lediglich eine im Wege des
elektronischen Rechtsverkehrs übermittelte sog. Verknüpfungsdatei mit dem Dateinamen "J. DRV Berufung.pdf-Verknüpfung" eingegangen.
Eine solche Verknüpfungsdatei ermöglicht auf dem Ursprungsrechner, hier also auf dem Computer der Prozessbevollmächtigten
der Klägerin, einen Zugriff auf ein anderes Dokument. Sie enthält ihrerseits aber nicht dieses andere Dokument, sondern zeichnet
lediglich für die EDV-Anlage den Speicherort des in Bezug genommenen weiteren Dokuments auf. Für Außenstehende, die an anderen
EDV-Anlagen arbeiten, enthält eine solche Datei keinen lesbaren Inhalt.
Dementsprechend war auch bei Eingang der Datei am Abend des 17. Dezember 2015 auf der gerichtlichen EDV-Anlage lediglich der
o.g. Dateiname, nicht jedoch ein darüber hinausgehender Dateiinhalt lesbar. Abgesehen davon, dass Verknüpfungsdateien als
solche von vornherein keines der nach § 2 Abs. 3 der Niedersächsische Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in
der Justiz (Nds. ERVVO-Justiz vom 21. Oktober 2011, Nds. GVBl. 2011, 367) für die Übermittlung von Dateien im elektronischen
Rechtsverkehrs nach §
65a SGG allein zulässigen Dateiformate aufweisen, enthalten sie abgesehen von ihrem eigenen Dateinamen überhaupt keinen für Außenstehende
lesbaren Inhalt.
Insbesondere hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Berufungsschrift, wie sie dann nach dem Hinweis des Gerichts
am Folgetag - und damit erst nach Ablauf der Berufungsfrist - per Telefax übermittelt worden ist, nicht bereits am Abend des
17. Dezember 2015 als elektronisches Dokument übermittelt. Die übermittelte Datei enthielt gar nicht diese Berufungsschrift,
sondern lediglich einen (für die EDV-Anlage der Prozessbevollmächtigten) maschinenlesbaren Hinweis, an welchem Speicherort
die Berufungsschrift auf dem eingesetzten PC im Büro der Bevollmächtigten gespeichert war.
Die Übermittlung des Dateinamens als des allein lesbaren Inhalts der noch fristgerecht am Abend des 17. Dezember 2015 vorgenommenen
Datenübermittlung beinhaltete für sich allein noch keine rechtswirksame Berufungseinlegung. Rechtsmittelschriften müssen klar
und bestimmt sein. Wesentlich ist insbesondere eine eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelklägers und des Rechtsmittelbeklagten.
Die Pflicht, in einer Rechtsmittelschrift jedenfalls eindeutig festzulegen, wer der Rechtsmittelkläger ist, ergibt sich aus
der Natur einer fristgebundenen Rechtsmitteleinlegung. Innerhalb der gesetzlichen Frist zur Einlegung des Rechtsmittels muss
feststehen, ob sich die Beteiligten des Rechtsstreites mit der vorliegenden und anfechtbaren Entscheidung zufrieden geben
oder sie anfechten wollen. Das Erfordernis der Bezeichnung jedenfalls des Rechtsmittelklägers ist deshalb unabhängig davon,
ob das angefochtene Urteil näher zu bezeichnen ist oder nicht (BSG, Urteil vom 26. November 1987 - 2 RU 42/87 -, SozR 1500 § 151 Nr 11).
Klarheit und Bestimmtheit der Rechtsmittelschrift müssen sich aus ihr selbst - gegebenenfalls zusammen mit rechtzeitig innerhalb
der Berufungsfrist eingehenden Akten und Urkunden - ergeben; und es reicht folglich nicht aus, wenn das Gericht sie durch
eigene Ermittlungen zur Kenntnis bekommt (BSG, Urteil vom 26. November 1987, aaO.). Aus der Berufungsschrift allein oder jedenfalls mit Hilfe weiterer Unterlagen, etwa
dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil, muss bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger
ist und wer Berufungsbeklagter sein soll (BGH, Beschluss vom 13. März 2007 - XI ZB 13/06 -, Rn. 7, juris).
Im vorliegenden Fall lag bis zum Ablauf der Berufungsfrist lediglich die o.g. Dateibezeichnung vor, weitergehende Unterlagen
oder Akten waren für den Senat seinerzeit nicht vorhanden. Auch wenn die vermittels des Dateinamens übermittelte Angabe "J.
DRV Berufung" noch den Willen zur Einlegung einer Berufung zum Ausdruck brachte, so blieben doch die Personen von Berufungskläger
und Berufungsbeklagter offen. Diese Angabe ließ zudem nicht einmal ansatzweise erkennen, auf welches erstinstanzliche Verfahren
sich die Berufung beziehen sollte. Auch anderweitig waren dem Berufungsgericht bei Ablauf der Berufungsfrist keine näheren
Anhaltspunkte erkennbar, die Rückschlüsse darauf ermöglicht hätten, welche konkrete Person mit dem - nicht ungebräuchlichen
- Namen "Riemer" gemeint war. Auch der betroffene Rentenversicherungsträger war nicht hinreichend konkretisiert.
Die erst nach Ablauf der Berufungsfrist nachträglich eingegangene - die Beteiligten konkret ausweisende - Berufungsschrift
kann nach den erläuterten höchstrichterlichen Vorgaben in diesem Zusammenhang nicht herangezogen werden. Ebenso wenig reicht
die Möglichkeit aus, dass seinerzeit eine (angesichts der Ausschöpfung der Berufungsfrist bis zum Abend des letzten Tages
vor Fristablauf erst nach Ablauf der Berufungsfrist einzuleitende) Rückfrage bei allen niedersächsischen Sozialgerichten nach
dort jeweils in den vorausgegangenen Wochen entschiedenen Verfahren, in denen eine Person namens "Riemer" und ein Träger der
deutschen Rentenversicherung beteiligt waren, möglicherweise nähere Aufschlüsse im Sinne einer Auffindung des vorliegenden
Verfahrens hätte ergeben können.
Allein die Möglichkeit weiterer Ermittlungsmöglichkeiten trägt nicht dem sich aus der Natur einer fristgebundenen Rechtsmitteleinlegung
ergebenden Erfordernis (vgl. BSG, aaO.) Rechnung, dass in der Rechtsmittelschrift als solcher (jedenfalls unter Einbeziehung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist
verfügbarer ergänzender Unterlagen) eindeutig festgelegt sein muss, welche konkrete Person der bzw. die Rechtsmittelkläger(in)
ist.
Der Klägerin, die sich ein Verschulden ihrer Bevollmächtigten nach §
51 Abs.
2 ZPO i.V.m. §
202 SGG zurechnen lassen muss, kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist in Anwendung
des §
67 Abs.
1 SGG gewährt werden. Auch unter Berücksichtigung der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages ist davon auszugehen, dass die Bevollmächtigte
die Fristversäumnis verschuldet hat.
Diese räumt im Ergebnis ein, dass sie letztlich nicht die Datei mit der Berufungsschrift, sondern lediglich die o.g. Verknüpfungsdatei
(also einen "Hinweis auf eine lediglich vorliegende Verknüpfung", wie in diesem Schriftsatz vorgetragen wird) signiert habe.
Mangels eines näheren substantiierten Vortrages muss diesbezüglich davon ausgegangen werden, dass diese Verwechselung bei
Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte vermieden werden können.
Die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehört wegen der Bedeutung dieser Tätigkeit und wegen der inhaltlichen Anforderungen
an einen solchen Schriftsatz zu den Geschäften, die der Rechtsanwalt nicht seinem Büropersonal überlassen darf, ohne das Arbeitsergebnis
auf Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen. Von dieser Verpflichtung entbindet den Rechtsanwalt auch
die Verwendung eines speziell für die Rechtsmitteleinlegung erarbeiteten Computer-Programms nicht. Dessen richtiges Funktionieren
setzt im konkreten Fall voraus, dass die Daten zutreffend eingegeben und bei der jeweiligen Maßnahme die richtigen Befehle
erteilt werden (BGH, Beschluss vom 20. Februar 1995 II ZB 16/94 -, NJW 1995, 1499).
Diese ihr persönlich obliegende Pflicht zur sorgfältigen Prüfung hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin augenscheinlich
unterlassen. Ihrer Sorgfalt genügte sie insbesondere nicht bereits damit, dass sie sich davon, wie von ihr vorgetragen wird,
davon vergewissert hat, dass auf dem Bildschirm des für die Signatur gebrauchten Computers die richtige Datei, d.h. die Berufungsschrift,
angezeigt wurde. Übermittelt wird im elektronischen Rechtsverkehr nicht der Bildschirminhalt als solcher, sondern eine elektronische
Datei. Die von der Bevollmächtigten zu erwartende Sorgfalt umfasste mithin auch die gewissenhafte Prüfung, ob der Name der
auf dem Bildschirm angezeigten Datei mit dem Namen derjenigen Datei übereinstimmt, die sie signiert und damit zur Übermittlung
an das Gericht freigibt. Gerade vor dem Hintergrund, dass EDV-Anlagen mehrere Programme und Dateien gleichzeitig bearbeiten
können, muss ein gewissenhafter Bevollmächtigter die Möglichkeit einbeziehen, dass mehrere Programme bzw. Programmschritte
(die gleichzeitig oder nacheinander in einem oder ggfs. auch mehreren Bildschirmfenstern ablaufen, Einzelheiten erschließen
sich diesbezüglich anhand des ungeachtet der Aufklärungsverfügungen des Senates unsubstantiiert gebliebenen Vortrages der
Klägerin und ihrer Bevollmächtigten nicht) auf unterschiedliche Dateien zugreifen.
Die Bevollmächtigte der Klägerin weist jedoch selbst darauf hin, dass sie den Namen der von ihr jeweils zu signierenden Dateien
grundsätzlich nicht kontrolliere (vgl. S. 3 des Schriftsatzes vom 15. Februar 2016). Damit räumt sie letztlich selbst ein
sorgfaltswidriges Verhalten ein.
Darüber hinaus ist ein weiteres Verschulden der Bevollmächtigten in der Form zu konstatieren, dass sie nicht für eine wirksame
Ausgangskontrolle in ihrer Kanzlei Sorge getragen hat. Die von Rechts wegen gebotene wirksame Ausgangskontrolle erfordert
insbesondere, dass Rechtsmittelfristen erst dann im Fristenkalender gelöscht werden, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich
abgesandt worden ist oder zumindest sichere Vorsorge dafür getroffen ist, dass es tatsächlich rechtzeitig hinausgeht. Für
die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax bedeutet dies, dass die Pflicht des Anwalts zur Ausgangskontrolle
erst dann endet, wenn feststeht, dass der Schriftsatz wirklich übermittelt worden ist. Mit Rücksicht auf die Risiken beim
Einsatz eines Telefaxgerätes kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, nur
dann nach, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen,
auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Not- bzw. Rechtsmittelfrist erst nach Kontrolle
des Sendeberichts zu löschen (BGH, Beschluss vom 19. November 1997 - VIII ZB 33/97 -, NJW 1998, 907).
Bezogen auf die Übermittlung von Rechtsmittelschriften im elektronischen Rechtsverkehr bedeutet dies, dass ein Bevollmächtigter
seinen MitarbeiterInnen klar und unmissverständlich die Anweisung erteilen (und deren Einhaltung stichprobenartig auch zu
überprüfen) hat, dass die Rechtsmittelfrist im Fristenkalender erst dann gelöscht wird, wenn das fristwahrende Schriftstück
tatsächlich abgesandt worden ist. Dies darf erst dann angenommen werden, wenn sich der/die zuständige Mitarbeiter/in von der
Vollständigkeit der Übermittlung anhand eines entsprechenden Ausdrucks des Sendeprotokolls jedenfalls in der Form vergewissert
hat, dass gewissenhaft die Übereinstimmung des Namens der tatsächlich übermittelten Datei mit dem Dateinamen der (vollständigen)
Rechtsmittelschrift überprüft worden ist. Nach dem eigenen Vortrag der Bevollmächtigten ist jedoch davon auszugehen, dass
diese keine entsprechenden Dienstanweisungen erlassen hat. Da der vorgelegte sog. Screenshot verdeutlicht, dass auch die EDV-Anlage
der Klägerin klar angezeigt hat, dass lediglich eine Verknüpfungsdatei (und gerade nicht die selbst die Rechtsmittelschrift
beinhaltende Datei) übermittelt worden ist, wäre bei der gebotenen sachgerechten Vorgehensweise der Fehler noch rechtzeitig
entdeckt worden.
Im Ergebnis verbleibt umso weniger Raum für die Annahme einer unverschuldeten Fristversäumnis, als ein Rechtsanwalt, der -
wie im vorliegenden Fall - die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen
des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos sogar noch erhöhte Sorgfalt aufzuwenden hat, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen
(BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - XII ZB 257/14 -, NJW 2015, 171); im vorliegenden Fall hat die Bevollmächtigte aus den bereits aufgezeigten Gründen aber ohnehin bereits die allgemeine Sorgfalt
missachtet.
Angesichts der damit zu konstatierenden Versäumung der Berufungsfrist ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass materiell-rechtlich
eine Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin nicht erkennbar ist. §
70 Abs.
2 Satz 2
SGB VI schreibt vor, dass für mit sonstigen Beitragszeiten zeitlich zusammentreffende Kindererziehungszeiten zusätzliche Entgeltpunkte
mit der Maßgabe zu berücksichtigen sind, dass die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 je Monat erhöht werden,
höchstens jedoch um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze nach Anlage 2b zum
SGB VI. Diesen Vorgaben hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid, mit dem seinem verlautbarten Regelungsgehalt nach eine umfassende
- wenngleich tatsächlich allein durch die Rechtskraft der Entscheidung über den Versorgungsausgleich veranlasste - Neuberechnung
der Rente vorgenommen worden ist, korrekt umgesetzt. Auf die zutreffenden Begründungen der angefochtenen Bescheide wird Bezug
genommen.
Verfassungsrechtliche Bedenken sind diesbezüglich nicht erkennbar. Die von §
70 Abs.
2 Satz 2
SGB VI in Bezug genommenen Höchstwerte nach Anlage 2b zum
SGB VI stellen sicher, dass auch nach Hinzurechnung von Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten die Summe der Entgeltpunkte insgesamt
auf die Zahl begrenzt wird, die bei einer Beitragszahlung bis zur Beitragsbemessungsgrenze höchstens erreichbar ist (vgl.
BTDrucks 13/8011, S. 67). Die Begrenzung der Beitragspflicht gehörte von Beginn an zu den Grundprinzipien der gesetzlichen
Rentenversicherung. Der Gesetzgeber hat mit der Heranziehung dieser Grenzen auch im vorliegend zu beurteilenden Zusammenhang
die Grenzen seines nicht unerheblichen Gestaltungsrahmens nicht überschritten (BVerfG, Beschluss vom 29. August 2007 - 1 BvR 858/03 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), sind nicht gegeben.