Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe
Zuordnung von Kindergeld
Rechtsfehlerhafte Annahme einer Bedarfsgemeinschaft
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das von ihr vor dem Sozialgericht
(SG) Hannover geführte und durch Gerichtsbescheid abgeschlossene Klageverfahren S 16 AS 1823/19. Die dagegen eingelegte Berufung wird unter dem Aktenzeichen (Az.) L 9 AS 623/20 geführt. In dem zugrundeliegenden Klageverfahren stritten die Beteiligten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens um höhere
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum Januar bis Juni 2018, weil die Klägerin für diesen Zeitraum einem Rückforderungsanspruch der Familienkasse
ausgesetzt ist.
Die 1997 geborene Klägerin lebt mit ihrer im September 2017 geborenen Tochter in einer Bedarfsgemeinschaft. Beide wohnen nach
den Angaben der Klägerin im mütterlichen Haushalt. Bis zur Geburt ihres eigenen Kindes bildete die Klägerin nach ihren Angaben
eine Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter I., die – soweit ersichtlich – schon seit längerem im Leistungsbezug nach dem SGB II beim Beklagten gestanden hat. Ab August 2016 befand sich die Klägerin nach ihrem Vortrag in einem Ausbildungsverhältnis und
ihre Mutter bezog für sie (als Kindergeldberechtigte, vgl. Rückforderungsbescheid der Familienkasse vom 28. August 2018, Bl.
84 ff. des Ausdrucks der elektronischen Verwaltungsakte – eVA) das Kindergeld von der Familienkasse, ab Januar 2018 in Höhe
von 194 Euro monatlich. Allerdings bezog die Klägerin nach ihren Angaben nach der Geburt der Tochter Elterngeld und führte
die Ausbildung bis zum Sommer 2018 nicht aktiv fort. Ihr wurde für ihre Tochter ebenfalls Kindergeld gewährt. Der Beklagte
bewilligte der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin auf ihren erstmalig für sich und ihre Tochter gestellten Antrag die Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 6. September 2017 bis 31. August 2018 unter Anrechnung von Kindergeldeinkommen
auf ihren sowie nochmals auf den Bedarf der Tochter (Bescheid vom 25. Oktober 2017, Bl. 36 ff. der Verwaltungsakte des Beklagten
– VA; Regelbedarfsanpassung mit Änderungsbescheid vom 25. November 2017).
Im September 2018 meldete sich die Klägerin beim Beklagten und bat um Neuberechnung der Leistungen für den Zeitraum Dezember
2017 bis Juni 2018, weil die Kindergeldkasse, von ihr Leistungen für den o.g. Zeitraum in Höhe von insgesamt 1.356 Euro zurückverlangen
würde (Antrag vgl. Bl. 83 eVA; Rückforderungsbescheid der Familienkasse Niedersachsen-Bremen vom 28. August 2018 gegenüber
der Mutter der Klägerin im Hinblick auf das ihr gezahlte Kindergeld für die Klägerin: Bl. 84 ff. eVA). Daraufhin erließ der
Beklagte den Änderungsbescheid vom 27. September 2018, mit dem ab Juli 2018 die SGB II-Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen (Kindergeld) auf den Bedarf der Klägerin bewilligt wurden. Der Bescheid hob die
in diesem Zusammenhang ergangenen Bescheide vom 25. Oktober 2017, 25. November 2017, 11. Juni 2018 (Anrechnung von Elterngeld),
13. Juni 2018 (Anrechnung einer Nachzahlung von Unterhaltsvorschussleistungen für Juli 2018), 24. Juli 2018 (Anrechnung von
Betriebskostenguthaben für August 2018) insoweit auf. Mit einem Bescheid desselben Datums wurden der Klägerin zudem auf ihren
Weiterbewilligungsantrag Leistungen für den Folgezeitraum (September 2018 bis August 2019) ohne Anrechnung von Kindergeld
auf ihren Bedarf gewährt. In beiden Bescheiden erfolgte lediglich die Anrechnung von Kindergeld auf den Bedarf der Tochter
der Klägerin.
Der Beklagte lehnte mit weiterem Bescheid vom 27. September 2018 zudem den Überprüfungsantrag der Klägerin auf Rücknahme/Änderung
der Bewilligung für den Zeitraum Dezember 2017 bis Juni 2018 ab und führte aus, dass Kindergeld rückwirkend nicht aus der
Berechnung genommen werden könne, da ihr das Kindergeld in den betreffenden Monaten tatsächlich zugeflossen sei (Bl. 10 der
Gerichtsakte - GA).
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch (Bl. 11 GA), den sie – nachdem die Familienkasse ihre Rückforderung für Dezember 2017
nicht mehr aufrecht erhielt – auf den Zeitraum Januar bis Juni 2018 beschränkte (nach Bl. 11 GA, laut Klägerin wurden zuletzt
1.164 Euro gefordert). Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2019 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den
den Überprüfungsantrag ablehnenden Bescheid vom 27. September 2018 als unbegründet zurück (Bl. 12 ff. GA).
Gegen den Bescheid des Beklagten vom 27. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2019 hat die
Klägerin am 22. Juli 2019 (einem Montag) vor dem SG Hannover Klage erhoben und gleichzeitig PKH beantragt. Sie hat in der
Sache vorgetragen, dass eine Anrechnung von Kindergeld nicht erfolgen könne, weil das Kindergeld zu Unrecht gewährt worden
sei und von der Familienkasse zurückgefordert werde. Weder ihr noch ihrer Mutter sei bekannt gewesen, dass sie keinen Anspruch
mehr auf Kindergeld gehabt habe, zumal das Ausbildungsverhältnis fortbestanden habe und nur durch die Elternzeit unterbrochen
gewesen sei. Erst nach Rückforderung des Kindergeldes durch die Familienkasse sei sie darauf aufmerksam geworden, dass ihr
das Kindergeld nicht zugestanden habe und die Leistungen nach dem SGB II falsch berechnet worden seien. Dem Beklagten seien alle Tatsachen bekannt gewesen, so dass es bei fachkundiger Beratung möglich
gewesen wäre, zu erkennen, dass ihr kein Kindergeld mehr zugestanden habe. Es liege eine unbillige Härte vor, weil sie Kindergeld
zurückzahlen müsse, ohne einen Ausgleich zu erhalten.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Es würden sich aus dem Vortrag der Klägerin keine rechtserheblichen Gesichtspunkte
ergeben. Die Ablehnung der Überprüfung sei zu Recht erfolgt. Die Rückzahlungsverpflichtung sei erst nach dem Monat des Zuflusses
entstanden, so dass es bei der Berücksichtigung von Einkommen im Zuflussmonat verbleiben müsse.
Die Mutter der Klägerin führt – soweit erkennbar – vor dem Nds. Finanzgericht unter dem Aktenzeichen (Az.) 15 K 120/19 einen Rechtsstreit gegen die Familienkasse.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2020 die Klage abgewiesen und gleichzeitig die Bewilligung von PKH für die Klägerin
abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das von der Klägerin bezogene Kindergeld als laufendes Einkommen zu berücksichtigen
sei, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Familienkasse
die Bewilligung des Kindergeldes aufgehoben und die gezahlten Leistungen zurückverlangt habe. Nach der Rechtsprechung verbleibe
es bei der Berücksichtigung von Einkommen im Zuflussmonat, wenn die Rückzahlungsverpflichtung erst nach dem Monat des Zuflusses
entstanden sei. Dies sei vorliegend der Fall. Der Klägerin würde bis zur Aufhebungsentscheidung der Familienkasse ein Rechtsgrund
für das Behalten des Kindergeldes zur Seite stehen. Es komme allein auf den Zahlungsanspruch, dh. auf den Zufluss der Einnahme
an. Entgegen der Ansicht der Klägerin könne dem Beklagten kein Beratungsverschulden vorgeworfen werden, das einen sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch begründen könnte. PKH sei abzulehnen, weil die Klage aus den o.g. Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht
habe.
Gegen den ihr am 15. Oktober 2020 zugestellten Gerichtsbescheid und die ablehnende PKH-Entscheidung wendet sich die Klägerin
mit den am 13. November 2020 beim SG eingegangenen Rechtsmitteln (Berufung und Beschwerde). Sie bezieht sich auf den bisherigen Vortrag und trägt ergänzend vor,
dass das SG nicht berücksichtigt habe, dass der Beklagte vorliegend seine Beratungs- und Auskunftspflichten verletzt habe. Sie habe dem
Beklagten durchgehend sämtliche erforderlichen Informationen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erteilt.
Es sei insbesondere bekannt gewesen, dass sie eigenes Kindergeld bezogen und einen Antrag auf Elterngeld gestellt habe, also
ihre Ausbildung nicht aktiv wahrgenommen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte sowie elektronische
Akte des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die Klägerin hat Anspruch auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten, weil sie nicht in der Lage
ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen und ihre Rechtsverfolgung im für die PKH-Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt
hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des §
73a SGG i.V.m. §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) hatte.
Nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
114 Satz 1
ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung
des §
114 ZPO dem aus Art
3 Abs.
1, Art
19 Abs.
4 und Art
20 Abs.
3 Grundgesetz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung
des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden
(Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl., §
73a Rn. 7b unter Hinweis auf die Rspr. des BVerfG).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das SG die für die Bewilligung von PKH erforderliche Erfolgsaussicht der Klage zu Unrecht verneint. Es bestehen erhebliche Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des Gerichtsbescheides.
Mit ihrer Klage wendete sich die Klägerin gegen den Bescheid vom 27. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 18. Juni 2019, mit dem ihr Überprüfungsantrag aus September 2018 auf Änderung der den Leistungszeitraum Dezember 2017
bis Juni 2018 betreffenden Bescheide (Bewilligungsbescheid vom 25. Oktober 2017 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom
25. November 2017) abgelehnt worden war. Im Widerspruchsverfahren hatte die Klägerin den Überprüfungszeitraum auf Januar bis
Dezember 2018 beschränkt.
Das so verstandene Begehren der Klägerin bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin hat nach summarischer Prüfung
Anspruch auf Aufhebung der die Überprüfung ablehnenden Entscheidung. Die angefochtene Ablehnung ihres Überprüfungsantrags
nach § 44 SGB X erweist sich nach derzeitigem Sach- und Streitstand als rechtswidrig, weil bei der Klägerin zu Unrecht das von der Mutter
an sie weitergegebene Kindergeld als Einkommen berücksichtigt worden war. Das für sie an die Mutter gezahlte Kindergeld bleibt
bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin unberücksichtigt, so dass es auch zu einem höheren Leistungsanspruch als
in den zur Überprüfung gestellten Bescheiden führt.
Die Zuordnung des Kindergelds bei der im Haushalt der kindergeldberechtigen Mutter lebenden Klägerin erfolgte unzutreffend
als Einkommen bei ihr.
Der Beklagte hat eine Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit ihrer Tochter angenommen (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 4 SGB II). Ausgehend hiervon ist eine Berücksichtigung des der Mutter der Klägerin ausgezahlten und an diese als im selben Haushalt
lebendes, aber einer anderen Bedarfsgemeinschaft angehörendes Kind weitergegebenen Kindergeldes bei der Klägerin ausgeschlossen
(BSG, Urteil vom 17. Juli 2014 – B 14 AS 54/13 R, Rn. 34; Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 53/15 R, Rn. 23 ff.). Die Zuordnungsregelung des § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II (in der ab 1. August 2016 geltenden Fassung) greift nicht, weil die Klägerin in dieser Variante nicht zur Bedarfsgemeinschaft
ihrer Mutter gehört. Kindergeld für volljährige, nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörende, aber im Haushalt lebende Kinder
ist in diesem Regelungszusammenhang nach ständiger Rechtsprechung des BSG normativ dem Kindergeldberechtigten (hier der Mutter) zugeordnet und bei diesem nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 9/09 R, Rn. 16; Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 53/15 R, Rn. 32; Schmidt in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl, § 11 Rn. 29). Eine Anrechnung kommt auch nicht aufgrund der bestehenden Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Abs. 5 SGB II in Betracht, weil dem vorliegend § 9 Abs. 3 SGB II entgegensteht (BSG, Urteil vom 17. Juli 2014 – B 14 AS 54/13 R, Rn. 35), der auf die unter 25-jährige Klägerin, die ihr unter sechsjähriges Kind betreut, Anwendung findet.
Selbst wenn die Klägerin eine Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter oder sie mit dieser und ihrer Tochter eine Drei-Generationen-Bedarfsgemeinschaft
bilden würde (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 2 und 4 SGB II), ist die Berücksichtigung des Kindergeldes zulasten der ihre Tochter betreuenden Klägerin durch die Schutzvorschrift des
§ 9 Abs. 3 SGB II ausgeschlossen. Zwar wäre dann nach der besonderen Zuordnungsregelung in § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder dem jeweiligen Kind als Einkommen normativ zuzurechnen, soweit
es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Allerdings schließt § 9 Abs. 3 SGB II diese normative Zurechnung des Kindergeldes als Einkommen der Klägerin aus, wenn und weil diese ihr unter sechsjähriges Kind
betreut hat (BSG, Urteil vom 17. Juli 2014 – B 14 AS 54/13 R, Rn. 32; Schmidt in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl, § 9 Rn. 68).
Unerheblich ist es, dass die Mutter der Klägerin – nach ihrem Vorbringen – dieser das Kindergeld tatsächlich weitergegeben
hatte (vgl. Schmidt in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl, § 11 Rn. 30). Denn ist das der kindergeldberechtigten Mutter für die Klägerin gezahlte Kindergeld wegen § 9 Abs. 3 SGB II oder Nichteingreifens der besonderen Zuordnungsregelung in § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II nicht als Einkommen der Klägerin normativ zuzurechnen, handelt es sich bei dessen Weitergabe durch die Mutter an die Klägerin
schlicht um die Verwendung des nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II der Mutter normativ zugeordneten und bei ihr zu berücksichtigenden Kindergeldeinkommens, die keine neue Einkommenszuordnung
begründet (BSG, Urteil vom 17. Juli 2014 – B 14 AS 54/13 R, Rn. 36).
Auf die spätere Rückforderung des der Mutter ausgezahlten nicht bei der Klägerin zu berücksichtigenden Kindergeldes durch
die Familienkasse kommt es danach von vornherein bei der Prüfung der Höhe des Leistungsanspruchs der Klägerin nicht an.
Die Beiordnung der Rechtsanwältin beruht auf §
121 Abs.
2 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nach Maßgabe des §
177 SGG unanfechtbar.