Tatbestand:
Streitig ist die Zahlung von Überbrückungsgeld für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Facharzt.
Der 1964 geborene Kläger war seit 1994 als angestellter Arzt beschäftigt und ist Facharzt für Psychiatrie (seit 2000) und
Neurologie (seit 2004). Das letzte, seit 2000 bestehende Beschäftigungsverhältnis mit einem Krankenhaus in I. beendete er
am 18.8.2005 durch Aufhebungsvertrag zum 30.9.2005, nachdem er bereits am 6.7.2005 zwecks Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit
vertraglich die Übernahme einer Arztpraxis vereinbart hatte.
Mit einem am 30.9.2005 bei der Beklagten eingegangenen Formular beantragte der Kläger, der sich deswegen zuvor schon bei der
Beklagten hatte beraten lassen, Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab 1.10.2005 und legte als Stellungnahme
der fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung eine Stellungnahme seines Steuerberaters J. vom 27.9.2005 mit
einer Kurzbeschreibung des Existenzgründungsvorhabens und einer Umsatz- und Rentabilitätsvorschau vor, wonach der Gewinn bis
zum 31.3.2006 mit 0,00 EUR, für das gesamte Jahr 2006 jedoch mit 51.500,00 EUR angegeben wurde. Einen ebenfalls gestellten
Antrag auf Arbeitslosengeld ab 1.10.2005 lehnte die Beklagte mit - bestandskräftig gewordenem - Bescheid vom 13.10.2005 ab,
da der Kläger wegen der Ausübung der selbständigen Tätigkeit nicht arbeitslos sei.
Mit Bescheid vom 31.10.2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Überbrückungsgeld ab. Die gesetzliche Voraussetzung der Beendigung
oder Vermeidung der Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit sei nicht gegeben. Vermeidung von Arbeitslosigkeit
liege nur vor, wenn die Fortdauer eines Beschäftigungsverhältnisses aus Gründen, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten habe,
gefährdet sei und der Arbeitnehmer das Risiko der Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit abmildere.
Eine eigenständige Kündigung zum Zweck der Gründung einer selbständigen Existenz führe dagegen das Risiko der Arbeitslosigkeit
erst herbei. Den dagegen eingelegten, nicht weiter begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
22.11.2005 zurück. Es sei hier davon auszugehen, dass der Kläger durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages sein Arbeitsverhältnis
zum 30.9.2005 selbst gelöst habe. Damit habe er das Risiko der Arbeitslosigkeit selbst herbeigeführt. Die im Gesetz geforderte
Beendigung oder Vermeidung von Arbeitslosigkeit liege damit nicht vor.
Am 16.12.2005 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben und geltend gemacht, er habe einen gesetzlichen Anspruch auf die Gewährung von Überbrückungsgeld.
Wenn die Beklagte sich auf zwischenzeitlich geänderte interne Weisungen berufe, berühre das den gesetzlichen Anspruch nicht.
Er habe durch die im Anschluss an den Aufhebungsvertrag nahtlos aufgenommene selbständige Tätigkeit seine Arbeitslosigkeit
im Sinne des §
57 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) "vermieden". Durch Einfügung dieser Variante in das Gesetz habe klargestellt werden sollen, dass eine vorherige Arbeitslosigkeit
nicht Voraussetzung für den Bezug von Überbrückungsgeld sei. Im Übrigen genieße er in jedem Fall Vertrauensschutz, da er "bei
Antragstellung im Mai 2005" dahingehend beraten worden sei, dass Überbrückungsgeld auch dann zu gewähren sei, wenn das vorangegangene
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis aufgrund von Eigenkündigung oder Aufhebungsvertrag beendet worden sei.
Entsprechend habe er sein Verhalten und seine Finanzplanung ausgerichtet. Maßgeblich sei insoweit der Zeitpunkt der Erstberatung
am 24.5.2005. Auf dieser Grundlage habe er am 6.7.2005 den Praxisübernahmevertrag abgeschlossen. Über die im Juni geänderte
Weisungslage der Beklagten sei er erst am 21.7.2005 informiert worden.
Die Beklagte hat sich auf die Gründe ihrer ablehnenden Entscheidung bezogen und eingeräumt, dass ihre Auffassung auf im Juni
2005 geänderten Durchführungsanweisungen beruhe. Auch eine Zusicherung im Sinne von § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), dem Kläger Überbrückungsgeld zu bewilligen, sei nicht abgegeben worden.
Mit Urteil vom 20.7.2006 hat das SG die Klage aus den in dem angegriffenen Bescheid genannten Gründen abgewiesen. Auch eine wirksame Zusicherung, die der schriftlichen
Form bedürfe, liege nicht vor.
Gegen diese ihm am 16.8.2006 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 30.8.2006 Berufung beim Landessozialgericht (LSG)
eingelegt und seine bisherige Argumentation wiederholt und vertieft.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 20.7.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 31.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 22.11.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.10.2005 bis 31.3.2006 Überbrückungsgeld
in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten
zum Überbrückungsgeld und zum Antrag auf Arbeitslosengeld. Diese Unterlagen haben dem Gericht vorgelegen und sind zum Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist zum Teil auch begründet. Der Kläger hat entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten einen Anspruch auf Überbrückungsgeld für die Zeit vom 24.12.2005 bis 31.3.2006. Für die Zeit vom 1.10.
bis zum 23.12.2005 scheitert sein Anspruch indes daran, dass insoweit die Voraussetzungen für eine Sperrzeit vorliegen.
Zutreffend hat die Beklagte dem Anspruch des Klägers §
57 SGB III in der - soweit hier maßgeblich - vom 1.1.2005 bis 31.7.2006 geltenden Fassung (a.F.) des Vierten Gesetzes zur Änderung des
SGB III und anderer Gesetze vom 19.11.2004 (BGBl. I, 2902) zugrunde gelegt. Danach haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen,
hauptberuflichen Tätigkeit ihre Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen
Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld (heute: Gründungszuschuss) nach Maßgabe der
weiteren, in §
57 Abs.
2-5
SGB III a.F. genannten Voraussetzungen (§
57 Abs.
1 SGB III a.F.). Zu diesen Voraussetzungen zählt - soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung - u.a. auch, dass der Arbeitnehmer
im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit Entgeltersatzleistungen nach dem
SGB III bezogen hat oder einen Anspruch darauf hätte (§
57 Abs.
2 Nr.
1 SGB III a.F.).
Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen. Er war vor Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit als niedergelassener Neurologe
und Psychiater unstreitig Arbeitnehmer im Sinne des
SGB III (vgl. §
25 Abs.
1 SGB III). Die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit erfolgte auch zur Vermeidung der Arbeitslosigkeit (hierzu sogleich unter 1.),
darüber hinaus hätte er im engen zeitlichen Zusammenhang mit dieser auch einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem
SGB III gehabt (hierzu unter 2.). Allerdings kann er den Anspruch auf Überbrückungsgeld nur für die Zeit nach Ablauf einer mit der
Regeldauer von zwölf Wochen festzustellenden Sperrzeit bis zum Ende der gesetzlichen Förderungsdauer geltend machen, mithin
nur für die Zeit vom 24.12.2005 bis 31.3.2006 (hierzu unter 3.).
1. Durch die Aufnahme der selbständigen Vertragsarzttätigkeit zum 1.10.2005 hat der Kläger "Arbeitslosigkeit" vermieden. Daran,
dass der Kläger ohne die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ab dem 1.10.2005 als arbeitslos im Sinne von §
119 Abs.
1 SGB III anzusehen gewesen wäre, bestehen im Ergebnis keine Zweifel. Zwar war der Kläger schon vor diesem Datum entschlossen, sich
ab dem 1.10.2005 durch Eröffnung einer Praxis selbständig zu machen. Das ergibt sich mit aller Deutlichkeit u.a. aus dem am
6.7.2005 geschlossenen Praxisübernahmevertrag und dem zwecks Eröffnung der eigenen Praxis zum 30.9.2005 geschlossenen Aufhebungsvertrag
vom 18.8.2005. Angesichts dessen könnte die objektive und subjektive Verfügbarkeit des Klägers im Sinne von §
119 Abs.
5 Nrn. 1-4
SGB III als Voraussetzung der Arbeitslosigkeit zum 1.10.2005 bezweifelt werden. Diese Voraussetzungen müssen aber, soweit sie gerade
durch die Planung der Existenzgründung in Zweifel stehen, für den fiktiven Anspruch ebenso unterstellt (fingiert) werden wie
die Arbeitslosmeldung und der Antrag auf Arbeitslosengeld. Anderenfalls gäbe es für den Tatbestand des §
57 Abs.
1 SGB III a.F. in der Variante des "Vermeidens" von Arbeitslosigkeit (2. Alt.) keinen sinnvollen Anwendungsbereich, da nicht unterstellt
werden kann, dass die Vorschrift nur "ungeplante", "spontane", zugunsten einer abhängigen Beschäftigung jederzeit wieder aufzugebende
Existenzgründungen erfassen will. Die Arbeitslosigkeit des Klägers wurde durch die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit auch
"vermieden". Dieser Umstand wird nicht dadurch berührt, dass der Kläger die Arbeitslosigkeit durch den Aufhebungsvertrag über
sein bisheriges Beschäftigungsverhältnis zunächst selbst herbeigeführt hätte. Zwar hat der Senat in Übereinstimmung mit Teilen
der Rechtsprechung (vgl. u.a. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 28.4.2006 - L 8 AL 4150/05; SG Aachen, Urt. v. 25.5.2007 - S 9 AL 5/07 - zit. jew. nach juris) in einem Urteil gem. §
155 Abs.
3,
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) vom 10.7.2008 - L 12 AL 88/07 - und einer Prozesskostenhilfe-Entscheidung vom 3.5.2007 - L 12 B 17/06 AL - bislang selbst zugrunde gelegt, dass ein Anspruch auf Überbrückungsgeld ausscheidet, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitslosigkeit
durch eine Eigenkündigung seines bisherigen Beschäftigungsverhältnisses erst begründet bzw. eine Situation herbeiführt, die
ohne die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf (weitere) Entgeltersatzleistungen nach dem
SGB III hätte begründen können. Hierzu ist u.a. ausgeführt worden, es sei mit Sinn und Zweck der Überbrückungsgeldregelung nicht
vereinbar, im Ergebnis ein Verhalten zu fördern, das eine Belastung der Solidargemeinschaft zwar vermeide, diese Belastung
jedoch zunächst überhaupt erst begründet habe (so Urt. d. Senats v. 10.7.2008, aaO., sowie ausdrücklich auch LSG Baden-Württemberg,
aaO.). Auch in Teilen der Literatur wird, wenn auch ersichtlich zu früheren Fassungen des §
57 SGB III und ohne weitere Begründung, dieselbe Auffassung vertreten (vgl. Bernard, in: Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts,
München 2003, §
9 Rn. 106, unter Verweis auf Estelmann, in: Hennig u.a.,
SGB III - Arbeitsförderung, Stand: 4/2000, §
57 Rn. 45). Dieser Auffassung vermag sich der Senat nach erneuter Überprüfung jedoch nicht weiter anzuschließen: Der Wortlaut
des §
57 Abs.
1 SGB III a.F. enthält für eine derartige einschränkende Auslegung keine Anhaltspunkte. Die Vorschrift räumt vielmehr jedem Arbeitnehmer,
der durch die Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beendet oder vermeidet (bei Vorliegen
der weiteren Voraussetzungen) einen Anspruch auf Überbrückungsgeld ein. Eine Unterscheidung danach, auf welchen Gründen oder
Motiven der Eintritt der Arbeitslosigkeit beruhen würde, ist der Bestimmung nicht zu entnehmen. Der Wortlaut erlaubt insbesondere
keine einschränkende Auslegung dahingehend, dass eine "Vermeidung" von Arbeitslosigkeit begrifflich nur vorliegt, wenn der
Arbeitnehmer zur Entstehung der Arbeitslosigkeit durch früheres Tun nicht selbst beigetragen hat. Ebenso besteht nach dem
Wortlaut keine Möglichkeit, für die "Vermeidung" von Arbeitslosigkeit auf einen früheren Zeitpunkt, vor Aufnahme der selbständigen
Tätigkeit, abzustellen. Die Kausalität zwischen Aufnahme der selbständigen Tätigkeit und Vermeidung der Arbeitslosigkeit kann
nicht bereits durch Heranziehung im Gesetz selbst nicht genannter, wertender Gesichtpunkte verneint werden (so auch LSG Baden-Württemberg,
Urt. v. 20.9.2007 - L 7 AL 4584/05). Vielmehr wird die Arbeitslosigkeit auch dann durch Aufnahme der selbständigen Tätigkeit "vermieden", wenn sie zuvor von
dem Arbeitnehmer selbst herbeigeführt wurde. Für das Merkmal der "Vermeidung der Arbeitslosigkeit" ist daher die Frage nach
ihrer "Verursachung" unbedeutend; maßgeblich ist vielmehr allein die bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit gegebene Situation
(so auch SG Osnabrück, Urt. v. 9.11.2007 - S 16 AL 200/06). Für eine derartige Auslegung spricht auch die Systematik der gesetzlichen Regelung. §
57 Abs.
3 Satz 4
SGB III in der bis 30.12.2005 bzw. §
57 Abs.
3 Satz 3
SGB III in der anschließend bis 31.7.2006 geltenden Fassung sieht vor, dass sich, wenn die Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs
bei Sperrzeit nach §
144 SGB III vorliegen, die Dauer der (Überbrückungsgeld) Förderung entsprechend der Dauer der Sperrzeit unter Berücksichtigung der bereits
verstrichenen Dauer der Sperrzeiten verkürzt. Eine Sperrzeit tritt aber nach §
144 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 SGB III u.a. auch bei eigenverantwortlicher Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitslosen ein (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe).
Wenn daher die gesetzliche Regelung des Überbrückungsgeldes auch für den Fall der eigenverantwortlichen Lösung eines zuvor
bestehenden Beschäftigungsverhältnisses bereits eine Sanktion vorsieht (Verkürzung der Bezugsdauer), spricht einiges dafür,
dass in einem solchen Fall der Anspruch jedenfalls dem Grunde nach entstehen soll. Anderenfalls würde der Verweis in §
57 Abs.
3 Satz 4 (bzw. Satz 3)
SGB III a.F. zwar nicht für alle Sperrzeitfälle, aber doch für einen praktisch nicht unerheblichen Teil keinen Sinn machen. Auch
die Gesetzgebungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien bestätigen letztlich dieses Verständnis der Norm. Der Senat nimmt
hierzu Bezug auf die dies im Einzelnen darstellenden, umfänglichen Ausführungen des 7. Senats des LSG Baden-Württemberg in
dessen Urteil vom 20.9.2007 (aaO.), denen er sich vollumfänglich anschließt. Zweck der verschiedenen Ausgestaltungen des Überbrückungsbeihilfe-
bzw. Überbrückungsgeldrechts in der Vergangenheit war es demnach, die Aufnahme einer (tragfähigen) selbständigen Tätigkeit
zur Verkürzung von Arbeitslosigkeitszeiten, zur Entlastung des Arbeitsmarktes, aber auch zur eventuellen Schaffung weiterer
Arbeitsplätze durch den Selbständigen, nach Möglichkeit zu fördern. Den Leistungen kamen und kommen daher - ebenso wie dem
heutigen Gründungszuschuss - neben einer Entgeltersatzfunktion, die nicht zuletzt u.a. auch auf den Versicherungsbeiträgen
des Arbeitnehmers beruht, auch eine Förderfunktion im Hinblick auf selbständige Existenzgründungen zu. Hätte der Gesetzgeber
einen Anspruch auf Überbrückungsgeld bei eigenverantwortlicher Herbeiführung der Arbeitslosigkeit ausschließen wollen, hätte
er dies im Zuge der zahlreichen Änderungen der Vergangenheit ausdrücklich regeln können. Stattdessen ist mit Wirkung ab 1.1.2002
("JOB-AQTIV"-Gesetz vom 10.12.2001, BGBl. I, 3443) ausdrücklich die parallele Anwendbarkeit (u.a.) der Sperrzeitregelungen
im Rahmen des Überbrückungsgeld eingeführt worden (seinerzeit §
57 Abs.
3 Satz 2
SGB III a.F.). Auch mit der Beschränkung auf Leistungen bei Beendigung der Arbeitslosigkeit ab dem 1.8.2006 (§
57 Abs.
1 SGB III i.d.F.d. Gesetzes v. 20.7.2006, BGBl. I, 1706) hat der Gesetzgeber eine Klarstellung zur (möglichen) Vermeidung von unerwünschten
Mitnahmeeffekten vornehmen wollen (vgl. dazu und zur Kritik daran Winkler, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 57 Rn. 14). Keiner
dieser Neuregelungen ist jedoch zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Anspruch auf Überbrückungsgeld bei Arbeitsaufgabe im
Sinne von §
144 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1, 1. Alt.
SGB III gänzlich ausschließen wollte. Die historische Auslegung führt daher jedenfalls nicht zu einer Einschränkung im Sinne der
von der Beklagten vertretenen Position. Ein anderes Ergebnis kann auch im Hinblick auf Sinn und Zweck der Regelung nicht begründet
werden. Der im Gesetzeswortlaut anklingende Sinn der sozialen Sicherung (des Lebensunterhalts) nach Existenzgründung ist dabei
keine Tatbestandsvoraussetzung. Er wäre im vorliegenden Fall allerdings auch nicht in Frage zu stellen; vielmehr spricht bereits
die - plausible - Rentabilitätsvorschau, die für das erste halbe Jahr nach Existenzgründung kein Einkommen des Klägers ausweist,
dafür, dass das Überbrückungsgeld auch bei ihm diese Sicherungsfunktion erfüllen sollte. Angesichts des eindeutigen Wortlauts,
nach dem ein entsprechender Anspruch unabhängig von der vorhergehenden Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitnehmer
gegeben ist, käme im Übrigen eine Einschränkung nach Sinn und Zweck, nach der "immanenten Teleologie des Gesetzes", nur in
Betracht, wenn die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion bzw. der Ausfüllung einer verdeckten Lücke vorlägen (vgl.
Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 391 ff.). Sinn und Zweck des Gesetzes müssten dann wegen relevanter
Besonderheiten gegenüber der "an sich" gemeinten Fallgruppe nicht auf die vorliegende Fallgruppe "passen" (vgl. hierzu u.a.
BSG, Urt. v. 6.10.1977 - 7 RAr 82/76 - = SozR 4100 § 112 Nr. 6 sowie BVerfG, Beschl. v. 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 - = NJW 1997, 2230). Eine solche Reduktion erfordert indes, dass der Wortlaut eindeutig über den Normzweck hinausgeht und von einer vergleichbaren
Interessenlage nicht mehr die Rede sein kann, wenn sich die Subsumtion einer - untypischen - Fallgruppe unter den Tatbestand
also verbietet, weil wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist (Larenz, aaO.). Dieser Schluss kann hier jedoch nicht
gezogen werden. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass das Überbrückungsgeld typischerweise für Arbeitslose vorgesehen ist,
die ohne eigenes Zutun beschäftigungslos geworden sind und sich aufgrund dessen (schließlich) zur Aufnahme einer selbständigen
Tätigkeit entschließen. Demgegenüber ist der Förderungszweck weniger klar bei beabsichtigter, "ohne Not" erfolgender Aufgabe
einer (hochqualifizierten, langjährigen) abhängigen Beschäftigung in der Absicht, sich - einem vorgezeichneten (und auch ohne
Förderung vielfach eingeschlagenen) Berufsweg entsprechend - selbständig zu machen. Jedoch verfehlt die Regelung auch für
diesen zweitgenannten Personenkreis ihren Sinn und Zweck nicht in der Weise, dass nach Abwägung der Interessenlage nur deren
Ausgrenzung aus der Förderung in Betracht käme: Mit den Zwecken der Arbeitsförderung ist es jedenfalls nicht unvereinbar,
auch die planmäßig und unter Aufgabe eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses angestrebte Aufnahme einer Selbständigkeit
zu fördern. Denn das Freimachen eines Arbeitsplatzes sowie die Aussicht auf später durch den Selbständigen ggf. entstehende
weitere Arbeitsplätze entlasten den Arbeitsmarkt ebenfalls und dienen der Arbeitsförderung wie den Zwecken der Versichertengemeinschaft
daher genauso. Inwieweit in diesen Fällen - etwa auch im Hinblick auf schwieriger gewordene Rahmenbedingungen für die Existenzgründung
- ein arbeitsmarktpolitisch sinnvoller Förderbedarf besteht, mag zwar unterschiedlich beurteilt werden. Der Senat hat hierüber
jedoch nicht selbst zu entscheiden; die Entscheidung ist vielmehr dem Gesetzgeber vorbehalten. Selbst wenn der Förderbedarf
in Fällen wie dem vorliegenden kritisch beurteilt würde, könnte dies auf der Basis des hier zugrunde zu legenden Rechts nicht
dazu führen, die Förderung als absolut sinn- und zweckwidrig einzustufen und entgegen dem Wortlaut aus dem Anwendungsbereich
der Vorschrift auszuschließen. Das gilt umso mehr, als es sich um eine leistungsrechtliche Vorschrift handelt, die verhaltenssteuernde
Wirkung hat, sodass im Interesse des Vertrauensschutzes ein vorrangiges Interesse an Rechtssicherheit besteht. Dies macht
die strikte Einhaltung der Grenze des möglichen Wortsinns umso eher erforderlich (vgl. erneut Larenz, aaO.).
Die - kurz vor der hier fraglichen Entscheidung geänderten - Durchführungsanweisungen Nr. 57.14 der Beklagten stehen dem hier
gefundenen Ergebnis schließlich ebenfalls nicht entgegen. Als interne Handlungsanweisungen der Beklagten können sie ohnehin
keine Verbindlichkeit zu Lasten des Klägers beanspruchen. Ihr Regelungsgehalt entspricht aus den dargestellten Gründen zudem
nicht den gesetzlichen Vorgaben (vgl. ebenso erneut LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.9.2007, aaO.).
2. Der Kläger hätte in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme seiner selbständigen Vertragsarzttätigkeit auch einen
Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem
SGB III gehabt (§
57 Abs.
2 Nr.
1a 2. Alt.
SGB III a.F.). Dass, wie noch unter 3. darzulegen sein wird, die Voraussetzungen einer Sperrzeit vorliegen und deshalb ein Anspruch
auf Arbeitslosengeld geruht hätte, steht der Anspruchsfiktion nicht entgegen. Könnte Überbrückungsgeld grundsätzlich nicht
gezahlt werden, wenn die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit in einen Ruhenszeitraum fällt, wäre die gesetzliche Regelung
des Ausschlusses von Leistungen für Zeiten, in denen Ruhenstatbestände vorliegen (§
57 Abs.
3 Satz 2
SGB III a.F.), nicht erforderlich und sinnlos. Auch die Verkürzung des Leistungszeitraums nach §
57 Abs.
3 Satz 4
SGB III a.F. käme dann kaum in Betracht, da auch nach Ablauf der (sperrzeitbedingten) Ruhenszeit kein Überbrückungsgeld mehr zu zahlen
wäre und ein neuer Sperrzeitsachverhalt nicht mehr eintreten kann (vgl. dazu erneut LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.9.2007,
aaO., m.w.N.).
Auch die weiteren Voraussetzungen für einen (fiktiven) Arbeitslosengeld-Anspruch des Klägers liegen vor. Aus dem Regelungszusammenhang
ist dabei zunächst unschwer zu entnehmen, dass die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit selbst, die der Arbeitslosigkeit entgegenstehen
würde (§
118 Abs.
1 Nr.
1, Abs.
3 Satz 3
SGB III), unberücksichtigt bleiben muss. Dies gilt ohne weiteres auch für die Arbeitslosmeldung (§
118 Abs.
1 Nr.
2 SGB III) und das Antragserfordernis (§
323 Abs.
1 SGB III). Denn würden diese Voraussetzungen auch im Rahmen von §
57 Abs.
2 Nr.
1a, 2. Alt.
SGB III verlangt, käme es in keinem Fall zu einem Anspruch auf Überbrückungsgeld bzw. würden funktionslose, rein formale Anforderungen
gestellt. Alle sonstigen Voraussetzungen müssen indes erfüllt sein. Das gilt zunächst für die Erfüllung der Anwartschaftszeit
(§
118 Abs.
1 Nr.
3 SGB III) und die objektive Verfügbarkeit (ohne Berücksichtigung der aufgenommenen Selbständigkeit). Auch das Überbrückungsgeld kann
daher nur gezahlt werden, wenn der Antragsteller in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis
gestanden hat (§
123 SGB III) und - etwa - nicht voll erwerbsgemindert oder rechtlich oder tatsächlich zur Aufnahme einer Beschäftigung nicht in der Lage
ist. Der Kläger erfüllt diese Anforderungen jedoch unzweifelhaft. Schließlich muss auch insoweit die subjektive Verfügbarkeit
gegeben sein; §
57 Abs.
2 Nr.
1a, 2. Alt.
SGB III a.F. lässt dieses Erfordernis nicht entfallen, verlangt jedoch auch keinen strengeren Maßstab als zur Beurteilung der Frage,
ob die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Beendigung oder Vermeidung von "Arbeitslosigkeit" verstanden werden kann.
Anderenfalls würde auf dem (Um-)Weg über §
57 Abs.
2 Nr.
1a, 2. Alt.
SGB III a.F. genau der Anspruchsausschluss bei "planmäßig" angestrebter Selbständigkeit bewirkt, den der Grundtatbestand des §
57 Abs.
1 SGB III a.F. nach dem Gesagten gerade nicht vorsieht. Für die subjektive Verfügbarkeit als Voraussetzung eines (fiktiven) Anspruchs
auf Entgeltersatzleistungen nach §
57 Abs.
2 Nr.
1a, 2. Alt.
SGB III muss daher davon ausgegangen werden, dass der Arbeitslose ohne die Aufnahme der Selbständigkeit zur Aufnahme einer abhängigen
Beschäftigung im Sinne von §
119 Abs.
5 Nr.
1 SGB III bereit gewesen wäre. Das kann beim Kläger nach dem Gesagten (oben 1.) zugrunde gelegt werden.
Der Kläger hat somit grundsätzlich Anspruch auf Überbrückungsgeld für die Aufnahme seiner Tätigkeit als niedergelassener Vertragsarzt.
Dass er eine der weiteren Voraussetzungen nicht erfüllt hätte, ist weder ersichtlich noch von der Beklagten behauptet worden.
Insbesondere hat der Kläger auch eine entsprechende - schlüssige - Stellungnahme einer fachkundigen Stelle nach §
57 Abs.
2 Nr.
2 SGB III a.F. vorgelegt.
3. Der Kläger hat allerdings keinen Anspruch auf Überbrückungsgeld für die gesamte gesetzliche Förderungshöchstdauer von sechs
Monaten (§
57 Abs.
3 Satz 1
SGB III a.F.), beginnend ab dem 1.10.2005. Denn gemäß §
57 Abs.
3 Satz 3
SGB III a.F. verkürzt sich die Dauer der Förderung, wenn die Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs durch Sperrzeit vorliegen,
"entsprechend" der Dauer der Sperrzeit unter Berücksichtigung der bereits verstrichenen Dauer der Sperrzeiten. Im gerichtlichen
Verfahren ist mithin auch ohne etwaige entsprechende Feststellungen der Beklagten zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein
Ruhen des Anspruchs bei Sperrzeit nach §
144 SGB III in einer Weise vorliegen, die sich auf die Bezugsdauer des Überbrückungsgeldes auswirken könnten. Hier liegen die Voraussetzungen
für ein Ruhen des Anspruchs bei Sperrzeit nach §
144 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 SGB III vor, da der Kläger das Beschäftigungsverhältnis gelöst und - die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit hinweggedacht - dadurch
die Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt hätte. Ein "wichtiger Grund" für die Aufgabe der bisherigen Beschäftigung
im Sinne von §
144 Abs.
1 Satz 1
SGB III liegt nicht vor; insbesondere kann der Wunsch, sich selbständig zu machen und damit das System der Arbeitslosenversicherung
zu verlassen, nicht als solcher angesehen werden. Somit verkürzt sich die Förderungsdauer entsprechend der Dauer der Sperrzeit,
d.h. hier um das gesetzliche Normalmaß der Sperrzeit von zwölf Wochen, da eine bereits verstrichene Dauer der Sperrzeit nicht
vorliegt. Umstände, die eine Verkürzung dieser Sperrzeit rechtfertigen könnten, wie etwa das Vorliegen einer besonderen Härte
nach §
144 Abs.
3 Satz 2 Nr.
2b SGB III, sind nicht ersichtlich. In Anwendung des §
144 Abs.
2 Satz 1
SGB III beginnt die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet hat; das ist hier der Tag nach Ende des
Beschäftigungsverhältnisses, so dass Überbrückungsgeld erst nach Ablauf von zwölf Wochen seit dem Ereignis, also ab dem 24.12.2005
bis zum 31.3.2006, zu zahlen ist.
Auch die (mögliche) anderslautende Beratung durch die Beklagte vor der Änderung der Durchführungsanweisung Nr. 57.14 führt
nicht zu einem weitergehenden Anspruch des Klägers auf Überbrückungsgeld trotz der Sperrzeit. Unabhängig davon, dass der Kläger
nicht im Einzelnen vorgetragen hat, ob und inwieweit die Frage der Sperrzeit überhaupt Gegenstand der Beratung gewesen ist,
könnte er einen Anspruch auf weiteres Überbrückungsgeld (für den Zeitraum vom 1.10. bis 23.12.2005) aus einer insoweit ggf.
falschen oder lückenhaften Beratung auch nicht herleiten. Eine Zusicherung der Beklagten hätte gem. § 34 SGB X zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedurft. Aber auch unter dem Gesichtspunkt eines (möglichen) sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
kann die Beklagte nicht zu einem Verwaltungshandeln verpflichtet werden, dass mit den gesetzlichen Vorschriften nicht übereinstimmen
würde. Die die Sperrzeit auslösende Arbeitsaufgabe des Klägers stellt vielmehr eine Tatsache dar, deren Vorliegen auch im
Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht übergangen werden kann.
Damit war der Berufung des Klägers in dem aufgezeigten Umfang zu entsprechen, im Übrigen war sie zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG; sie berücksichtigt den Umfang des anteiligen Obsiegens bzw. Unterliegens der Beteiligten.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG) zugelassen. Zwar ist §
57 SGB III in der hier maßgeblichen Fassung zwischenzeitlich außer Kraft getreten; der Gründungszuschuss richtet sich nunmehr nach §
57 SGB III in der Fassung des Art. 2 Nr. 4a des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl. I, 1706), zuletzt geändert
durch Gesetz vom 15.7.2009 (BGBl. I, 1939). Auch wenn sich danach die Frage der "Vermeidung" der Arbeitslosigkeit nicht mehr
stellt, berührt die Auffassung, bei eigenverantwortlicher Arbeitsaufgabe widerspreche die Gewährung von Förderleistungen für
die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift, weiterhin das geltende Recht (vgl.
dazu auch das vom Senat gleichzeitig entschiedene Parallelverfahren - L 12 AL 4/07).