Anspruch auf Nachteilsausgleich im Schwerbehindertenrecht bei Kriegsbeschädigung außerhalb der beiden Weltkriege
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen aG, RF und "1.Kl." ("außergewöhnlicher
Gehbehinderung", "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht" sowie "Berechtigung zur Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweis
für die 2. Klasse").
Der 1970 geborene Kläger ist britischer Staatsangehöriger und war Anfang der 1990er Jahre Angehöriger der britischen Rheinarmee.
Zur Vorbereitung auf einen möglichen Einsatz im seinerzeitigen (ersten) "Golfkrieg" erhielt der Kläger dort verschiedene Impfungen,
u.a. gegen diverse biologische Kampfstoffe. Zu einer tatsächlichen Kriegsverwendung des Klägers kam es jedoch nicht mehr.
Seit Mitte der 1990er Jahre traten beim Kläger u.a. verstärkte Rückenschmerzen und neurologische Ausfallsymptomatiken auf,
die in einem Urteil des Pensions Appeal Tribunal in F./Großbritannien vom 19.12.2002 u.a. zur Feststellung einer Osteoporose
und einer depressiven Störung als kriegsdienstbedingte Erkrankungen führten.
Bereits im März 1999 hatte der Kläger erstmals bei dem Beklagten - Versorgungsamt G. - die Feststellung einer Behinderung,
des Grades der Behinderung (GdB) sowie der Voraussetzungen für das Merkzeichen RF wegen diverser Erkrankungen des Stütz- und
Bewegungsapparates, unklarer zentraler und peripherer neurologischer Funktionsstörungen sowie einer chronischen Antrumgastritis
beantragt. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 2.2.2000 stellte der Beklagte daraufhin einen (Gesamt-)GdB von 50 ab dem 22.3.1999
wegen wiederkehrender Sensibilitäts- und Bewegungsstörungen (Einzel-GdB 40) sowie wegen wiederkehrenden Lendenwirbelsäulensyndroms
mit Nervenwurzelreizungen/Osteoporose (Einzel-GdB 30) fest. Das chronische Magenleiden wirke sich nicht erhöhend auf den (Gesamt-)GdB
aus. Eine Entscheidung über das beantragte Merkzeichen enthält der Bescheid nicht, wurde vom Kläger aber auch nicht weiter
verfolgt.
Auf den Neufeststellungsantrag des Klägers vom Juli 2001 stellte der Beklagte einen (Gesamt-)GdB von 100 ab dem 23.7.2001
wegen psychischer Störungen (Einzel-GdB 80) sowie wiederkehrender Sensibilitäts- und Bewegungsstörungen (Einzel-GdB 40) fest.
Weitere Funktionsbeeinträchtigungen bewirkten keine Erhöhung des (Gesamt-)GdB. Auch die Voraussetzungen für die vom Kläger
ebenfalls beantragten Merkzeichen G ("erhebliche Gehbehinderung") und (erneut) RF lägen nicht vor (Bescheid v. 27.6.2002/Widerspruchsbescheid
v. 7.4.2003). Die vom Kläger zunächst dagegen vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück (S 7 SB 180/03) erhobene Klage nahm er später zurück.
Eine erneute, von Amts wegen eingeleitete Überprüfung im Mai 2004 brachte keine weiteren, für den Kläger günstigeren Feststellungen
(bestandskräftiger Bescheid v. 6.8.2004).
Am 8.2.2005 beantragte der Kläger die ergänzende Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen aG, RF und "1. Kl.".
Zur Begründung stützte er sich vor allem auf ein Urteil des Pensions Appeal Tribunal in H./Großbritannien vom 21.10.2004 sowie
eine Bescheinigung der Veterans Agency beim britischen Verteidigungsministerium vom 5.1.2005, wonach ihm ab dem 2.5.2003 in
Ergänzung zu einer Kriegsbeschädigtenrente das "War Pension[er]s Mobility Supplement" auf Lebenszeit zugebilligt wurde. Ferner
stützte sich der Kläger auf eine Bestätigung des britischen Generalkonsulats I. vom 3.2.2005, wonach er Schwerkriegsbeschädigter
sei und unter einer außergewöhnlichen Gehbehinderung leide. Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht des Neurologen
und Psychiaters Dr. J. vom 22.2.2005 sowie des Arztes Dr. K. vom 3.7.2005 ein. Beide Berichte ließ er durch seinen Ärztlichen
Dienst (Dr. L.) in Stellungnahmen vom 11.3. bzw. 17.8.2005 auswerten. Mit Bescheid vom 23.8.2005 stellte der Beklagte daraufhin
das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B ("Notwendigkeit ständiger Begleitung") fest, lehnte aber den
Antrag auf Feststellung der Merkzeichen aG, RF und "1. Kl." ab. Der Kläger gehöre trotz einer "erheblichen Gehbehinderung"
nicht zu dem Personenkreis der "außergewöhnlich Gehbehinderten", da seine Gehfähigkeit nicht auf das Schwerste eingeschränkt
sei. Darüber hinaus sei der Kläger behinderungsbedingt auch nicht von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen allgemein
und umfassend ausgeschlossen. Schließlich komme die Benutzung der 1. Wagenklasse mit Fahrausweisen der 2. Klasse nur für Schwerkriegsbeschädigte
und Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von wenigstens
70 v.H. nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Betracht.
Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch verwies der Kläger erneut auf die vorgelegten Unterlagen der britischen Stellen.
Diese Feststellungen seien auch von dem Beklagten zu akzeptieren. Er sei dem Personenkreis der "außergewöhnlich Gehbehinderten"
zumindest gleichzustellen. Darüber hinaus sei ihm auch "alleine wegen der psychischen Probleme" die Teilnahme an öffentlichen
Veranstaltungen allgemein und umfassend unmöglich. Schließlich enthielten die Bescheinigungen aus Großbritannien auch eine
Bestätigung darüber, dass er als Schwerkriegsbeschädigter anzuerkennen und ihm der Anspruch auf Benutzung der 1. Klasse mit
Fahrausweisen der 2. Klasse zuzusprechen sei.
Nach erneuter Bewertung durch seinen Ärztlichen Dienst (Dr. M.; Stellungnahme vom 3.10.2005) wies der Beklagte den Widerspruch
mit Widerspruchsbescheid vom 3.11.2005 aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 21.11.2005 Klage vor dem SG Osnabrück erhoben und zur Begründung sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren
bekräftigt. Insbesondere seien die Feststellungen der britischen Stellen auch von dem Beklagten zu akzeptieren. Sie seien
jedoch von dem Beklagten weder berücksichtigt noch gewürdigt worden. Alleine hierdurch fühle er sich in seinen Menschenrechten
verletzt. Aber auch ungeachtet der "englischen Feststellungen" lägen bei ihm die Voraussetzungen für die Merkzeichen aG, RF
und "1. Kl." vor.
Der Beklagte ist der Klage unter Bezug auf seine bisherige Beurteilung entgegengetreten. Der Schwere der beim Kläger bestehenden
Funktionsbeeinträchtigungen werde durch die Feststellung des (Gesamt-)GdB von 100 sowie der Voraussetzungen für die Merkzeichen
G und B angemessen Rechnung getragen. Der Beklagte hat sich hierzu auf weitere Stellungnahmen seines Ärztlichen Dienstes (Dr.
N.) vom 16.3.2007, 9.5.2007, 6.7.2007, 8.1.2008, 15.8.2008 und 27.1.2009 bezogen.
Das SG hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts zunächst Befundberichte von dem Arzt für physikalische und rehabilitative
Medizin Dr. O. vom 19.12.2006 sowie von Dr. J. vom 28.12.2006 und von Dr. K. vom 15.2.2007 eingeholt. Auf Antrag des Klägers
nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat es sodann ein Gutachten von Dr. J. vom 30.11.2007 eingeholt. Darin gelangte der Sachverständige zusammenfassend zu der
Beurteilung, dass beim Kläger von einer wechselnd auftretenden, zeitweilig aber "erheblichen" Gehbehinderung auszugehen ist,
die im Durchschnitt zwei bis drei Mal täglich auftrete und dem Kläger dann nur ermögliche, "an den Wänden entlanghangelnd
und mit Hilfsmitteln sich etwa 50 Meter zu bewegen". Zu anderen Zeiten könne er sich auch ohne Stock, wenn auch mit jeweils
längeren Pausen, fortbewegen. Zudem sei der Kläger durch wiederholte Stuhlinkontinenzen und kurzzeitige "Hechelatmungszustände"
bei der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen beeinträchtigt. Es habe sich für ihn eine "massive Bindung an das Haus"
entwickelt. Die Beeinträchtigungen träten allerdings intermittierend auf, sodass es auch längere Phasen gebe, in denen sich
der Kläger ohne Probleme in Menschenmengen, wie etwa bei englischen Veteranenversammlungen, die jedenfalls zeitweilig vom
Kläger besucht würden, bewegen könne. Der Kläger sei auch in erheblichem Maße beeinträchtigt, "unter den Abläufen der 2. Wagenklasse
im Zug eine ruhige Sitzposition einzunehmen und länger durchzuhalten", selbst wenn er dies gelegentlich - jedenfalls in "England"
- bewältigt habe. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 17.6.2008 hat Dr. J. seine Beurteilung unter Bekräftigung des intermittierenden
Charakters der beim Kläger auftretenden Störungen bestätigt und abschließend ausgeführt, es sei "aus gutachterlicher Sicht
vertretbar", dem Kläger das Merkzeichen "1. Kl." "ggf. nicht zu geben", da er faktisch mit der "deutlich schlechteren Wagenklasse
in England in den dortigen Eisenbahnwaggons zurechtgekommen ist". Auch wenn für das Merkzeichen aG "ein aktuell deutlich gestörtes
Gangbild zu jedem Zeitpunkt gefordert wird, kann dieses ggf. auch nicht zugeordnet werden". Die Voraussetzungen für das Merkzeichen
RF lägen aber "mit Sicherheit" vor, "da diesbezüglich deutliche Unsicherheiten bestehen und reproduzierbar nachgewiesen wurden".
Das SG hat im Anschluss daran von Amts wegen eine weitere Begutachtung des Klägers durch den Neurologen und Psychiater Dr. P., Q.,
veranlasst. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 1.12.2008 zusammenfassend zu der Beurteilung, dass beim Kläger keine außergewöhnliche
Gehbehinderung vorliege, da der Kläger ohne Pause auf jeden Fall eine Strecke von 100 Metern auf ebener Erde mit einem Einhandstock
sicher zurücklegen könne. Der Kläger sei darüber hinaus auch nicht in einem Maße behindert, dass er an öffentlichen Veranstaltungen
jeglicher Art ständig nicht teilnehmen könne. Es sei lediglich darauf zu achten, dass ihm eine Sitzgelegenheit zur Verfügung
stehe.
Der Beurteilung durch den Sachverständigen Dr. P. ist der Kläger in seinem weiteren Klagevorbringen entgegengetreten. Entgegen
der Auffassung des Sachverständigen handele es sich bei seinen Beschwerden nicht teilweise um "somatoforme (eingebildete)
Störungen", sondern um organisch nachweisbare Beschwerden. Dies bestätigten auch die Ausführungen des Sachverständigen Dr.
P. selbst, da Anhaltspunkte für Simulation, Dissimulation oder Aggravation nicht festgestellt werden konnten. Zudem leide
er unter einer Heuschnupfen- und Hausstauballergie. Auch die Angaben zu der bei ihm von Dr. P. festgestellten Gehstrecke träfen
nicht zu. Die genannte Wegstrecke habe er nur mit einer Pause und aufgrund vorheriger Einnahme starker Schmerzmittel bewältigen
können. Er sei nicht darauf hingewiesen worden, ohne Einnahme von Medikamenten zum Untersuchungstermin zu erscheinen. Normalerweise
sei ihm die Bewältigung einer Strecke von 100 Metern nicht möglich. Der Sachverständige habe darüber hinaus keine Ausführungen
zu der bei ihm bestehenden Osteoporose und dem vor allem in den Feststellungen der britischen Stellen dokumentierten "Golfkriegssyndrom"
gemacht; mit den "Ergebnissen in England" habe sich der Gutachter nicht auseinandergesetzt. Auch die Fähigkeit, öffentliche
Veranstaltungen zu besuchen, sei vom Sachverständigen nicht angemessen beurteilt worden: Die Empfehlung, an öffentlichen Veranstaltungen
nur sitzend und auf ggf. gepolsterten Sitzkissen teilzunehmen, sei praktisch so gut wie nicht durchführbar und für ihn mit
psychischen Belastungen verbunden. Abschließend hat der Kläger noch einmal darauf hingewiesen, dass er "in Großbritannien
grundsätzlich einen Ausweis erhalten würde, der ihm die entsprechenden Merkmale zugesteht". Sie seien daher auch in Deutschland
festzustellen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27.3.2009 abgewiesen. Die Klage sei "eindeutig unbegründet", wie sich aus den Ergebnissen der
gerichtlichen Beweiserhebungen ergebe. Auch aus dem Gutachten von Dr. J. nebst ergänzender Stellungnahme ergäben sich im Ergebnis
keine Anhaltspunkte für eine auf das Schwerste ausgeprägte (dauerhafte) Einschränkung des Gehvermögens (Merkzeichen aG) oder
einen permanenten, allgemeinen und umfassenden Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen (Merkzeichen RF). Gleichermaßen
rechtfertigten die Aspekte einer eventuellen Geruchsbelästigung infolge von Inkontinenzproblemen sowie eventuelle Geräuschbelästigungen
infolge von Atembeschwerden keine andere Beurteilung: Vielmehr sei der Allgemeinheit im Interesse der Integration behinderter
Menschen gerade ein hohes Maß an Toleranz abzuverlangen, dem nicht durch die Vergabe von Nachteilsausgleichen entgegengewirkt
werden dürfe. Auf das Merkzeichen "1. Kl." habe der Kläger ebenfalls keinen Anspruch; der Kläger gehöre bereits ohne Berücksichtigung
seiner gesundheitlichen Verhältnisse nicht zu dem berechtigten Personenkreis, da er ausschließlich Schwerkriegsbeschädigte
der beiden Weltkriege umfasse. Eine extensive Auslegung des insoweit berechtigten Personenkreises sei bewusst nicht gewollt.
Erst recht scheide "unter Heranziehung supranationaler Erwägungen" eine extensive Handhabung des Nachteilsausgleichs "1.Kl."
auf geschädigte Angehörige "ausländischer Wehrmächte und Armeen" aus.
Gegen dieses ihm am 11.5.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5.6.2009 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt
und zunächst erneut seine von den britischen Stellen festgestellten Gesundheitsstörungen dargestellt. Zudem hat er erneut
darauf hingewiesen, dass "die dortige Behörde in England" ihm "das dort in etwa dem Merkzeichen aG in Deutschland gleichzustellende
Merkzeichen" zuerkannt habe. Die Feststellung der Voraussetzungen für dieses Merkzeichen auch in Deutschland seien daher im
Wege der Gleichbehandlung geboten: Die Beklagte habe "ihre entsprechenden Entscheidungen auf europäisches Recht auszuweiten
und daher die in England gefällte Entscheidung zu akzeptieren und entsprechend umzusetzen". Die Kenntnisse des sogenannten
"Golfkriegssyndroms" seien in "England" auch wesentlich umfangreicher. Es könne nicht sein, dass für "einen Europäer", der
in der Bundesrepublik lebe, zwei unterschiedliche Maßstäbe gelten würden. Ferner könne "wohl nicht bestritten werden, dass
aufgrund der EU-Verordnungen klar ist, dass eine Vereinheitlichung auf allen Rechtsgebieten erfolgen soll". Im Übrigen hat
der Kläger erneut gegen das Gutachten von Dr. P. gewandt: Bereits Dr. J. habe festgestellt, dass nicht lediglich somatoforme
Schmerzstörungen bei ihm vorlägen. Darüber hinaus habe er auch kein chronisches Augenleiden.
Der Kläger beantragt nach dem schriftsätzlichen Vortrag seines Prozessbevollmächtigten sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 27.3.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23.8.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 3.11.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen
aG, RF und "1. Kl." festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege nicht vor: Aus Artikel
3 Abs.
1 des Grundgesetzes (
GG) folge nicht, dass inländische Behörden an die auf jeweils anderer Rechtsgrundlage ergehenden Entscheidungen ausländischer
Behörden gebunden seien. Ein gesamteuropäisches Schwerbehindertenrecht, das ein europäisches Land verpflichten würde, die
Entscheidungen von Behörden anderer europäischer Länder umzusetzen, existiere nicht. Auch aus §
69 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) ergebe sich nichts anderes, da diese Bestimmung nur für den Geltungsbereich des
SGB IX gelte.
Mit Verfügung vom 19.5.2010 sind die Beteiligten auf die Absicht des Senats hingewiesen worden, über den Rechtsstreit gemäß
§
153 Abs.
4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte
und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über den Rechtsstreit gem. §
153 Abs.
4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung
einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu vorher
gehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der von ihm begehrten Merkzeichen
aG, RF und "1. Kl.". Das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden.
Der Beklagte und das SG haben in den angefochtenen Entscheidungen bereits die für die Beurteilung des klägerischen Begehrens anzuwendenden rechtlichen
Maßstäbe eingehend und zutreffend dargestellt. Sie sind ferner ohne erkennbare Rechtsfehler zu der Bewertung gelangt, dass
die Voraussetzungen der vom Kläger begehrten Feststellungen nicht vorliegen. Der Senat macht sich die Ausführungen in den
angefochtenen Entscheidungen daher zunächst zu eigen und sieht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen insoweit von einer
weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§
136 Abs.
3, §
153 Abs.
1,
2 SGG).
Das Vorbringen des Klägers und die Prüfung der Sach- und Rechtslage im Berufungsverfahren führen zu keiner anderen Beurteilung:
I. Für die Auslegung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen RF und "1. Kl." kann zwar nicht mehr direkt auf
die in den Nrn. 33, 34 der (früheren) "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht
und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2
SGB VII)" (AHP; zuletzt hrsgg. 2008 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales) niedergelegten Kriterien abgestellt werden (vgl.
zu Rechtscharakter und Bindungswirkung der (früheren) AHP die ständige Rechtsprechung, u.a. Bundessozialgericht (BSG) SozR
4-3250 § 69 Nr. 9 m.zahlr.w.N.). Die AHP sind vielmehr mit Wirkung ab dem 1.1.2009 durch die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung
vom 10.12.2008 (BGBl. I, 2412) ergangenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) ersetzt worden, ohne dass sie den früheren
Nrn. 33, 34 AHP entsprechende Festlegungen enthalten würden. Der Senat wendet jedoch die bisherigen Grundsätze bei seiner
Beurteilung der Merkzeichen "RF" und "1. Kl." weiterhin an, weil nur dies einen gleichmäßigen Maßstab im gesamten Bundesgebiet
gewährleistet (vgl. ebenso aus jüngerer Vergangenheit LSG Berlin-Brandenburg v. 30.4.2009 - L 11 SB 348/08). Danach rechtfertigen die beim Kläger bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Feststellung der streitigen Merkzeichen
nicht. Der Senat stützt sich hierzu ebenfalls auf die Ergebnisse der bereits vom SG veranlassten umfangreichen medizinischen Sachverhaltsaufklärung und schließt sich deren Beurteilungen durch den Ärztlichen
Dienst der Beklagten (Dr. N.), insbesondere in den Stellungnahmen vom 9.5.2007, 6.7.2007, 8.1.2008 und 15.8.2008, an. Eine
Relevanz der vom Kläger ergänzend geltend gemachten Heuschnupfen- und Hausstauballergie für die hier in Rede stehenden Merkzeichen
vermag der Senat nicht zu erkennen. Auch die noch im Klageverfahren vom Kläger vorgebrachte Kritik an den Feststellungen des
Sachverständigen Dr. P. führt zu keiner anderen Bewertung. Soweit der Kläger darin rügt, Dr. P. habe ihm in seinem Gutachten
vom 1.12.2008 unterstellt, dass "somatoforme (eingebildete) Störungen" vorliegen, geht der Kläger zunächst augenscheinlich
von einem fehlerhaften Begriff "somatoformer Störungen" aus (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 262. Aufl., 2010, Stichwort:
Somatisierungsstörung). Ferner hat auch sein behandelnder Neurologe und Psychiater Dr. J. bereits im Befundbericht an das
SG vom 28.12.2006 v.a. auf ein chronisches Schmerzsyndrom mit gestörter Beschwerdeverarbeitung sowie "nicht sicher abklärbare
sensible Störungen" hingewiesen. Darüber hinaus hat Dr. P. die weiteren, nach Aktenlage dokumentierten "somatischen" Beschwerden
in keiner Form in Frage gestellt. Im Übrigen hat der Kläger bereits im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 14.7.2007
an das SG selbst eingeräumt, dass nach der im Schwerbehindertenrecht maßgeblichen finalen Betrachtungsweise ausschließlich das Ausmaß
der bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen, nicht aber deren Ursachen entscheidend sind. Die weiteren Kritikpunkte des Klägers
an einzelnen Feststellungen im Gutachten von Dr. P. und der übrigen Beweiserhebung des SG überzeugen den Senat aus den nachfolgend genannten Gründen ebenfalls nicht.
Hinsichtlich des Merkzeichens aG ist der Kläger darauf zu verweisen, dass auch Dr. J. - jedenfalls - in seiner ergänzenden
Stellungnahme vom 17.6.2008 zum Gutachten vom 30.11.2007 sowie die weiteren, den Kläger behandelnden Ärzte übereinstimmend
zu der Beurteilung gelangen, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer "außergewöhnlichen Gehbehinderung" nach Nr. 31
AHP bzw. Ziff. D.3 VMG nicht vorliegen. Dr. O. hat im Befundbericht vom 19.12.2006 angegeben, der Kläger sei gehfähig, ohne
dass eine Gehbehinderung vorliege. Er könne sich normal ohne Hilfsmittel fortbewegen. Auch nach dem Bericht von Dr. K. vom
15.2.2007 kann der Kläger eine Gehstrecke zwischen 50 Metern und "einigen hundert Metern" ohne Hilfsmittel bewältigen. Dr.
J. hat in seinem Befundbericht vom 28.12.2006 bereits ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Gehfähigkeit des Klägers wechselnd
ausgeprägt sei und nur in extremen Zeiten auf "20 bis 50 Meter" beschränkt sei. Vor diesem Hintergrund kann von einer "außergewöhnlichen
Gehbehinderung", die über das durch die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen G bereits gewürdigte Ausmaß hinausgeht,
nicht ausgegangen werden. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF liegen ebenfalls nicht vor. Eine dieses Merkzeichen rechtfertigende
Unmöglichkeit, an öffentlichen Veranstaltungen jedweder Art und allgemein teilzunehmen, kann nach der ständigen Rechtsprechung
des BSG (vgl. u.a. bereits BSG SozR3870 § 3 Nr. 25 sowie Urt. d. Senats v. 11.6.2009 - L 12 SB 48/08) nur dann bejaht werden, wenn der behinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der
Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und behinderungsbedingt an das Haus gebunden ist. Mit dieser sehr
engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der aus Sicht des BSG ohnehin problematische Nachteilsausgleich RF nur den
Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Rundfunkgebühren-Staatsvertrages ausdrücklich
genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar
sind (s.a. zuletzt LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.4.2010 - L 10 SB 22/09 m.w.N.). Dies ist beim Kläger nicht der Fall. Sowohl nach der Beurteilung des Sachverständigen Dr. P. als auch nach den Beurteilungen
von Dr. O. im Bericht vom 19.12.2006 und von Dr. K. im Bericht vom 15.2.2007 ist der Kläger in der Lage ist, öffentliche Veranstaltungen
zu besuchen. Soweit Dr. J. in seinen nach §
109 SGG erstatteten Beurteilungen zu einem anderen Ergebnis gelangt, vermag dies den Senat nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Dr.
J. hat noch in seinem Befundbericht an das SG vom 28.12.2006 selbst ausgeführt, dass der Kläger an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, soweit die Wegstrecke
für ihn kurz ist, die er nach Verlassen des PKW zurückzulegen hat. Soweit sich nach dem gleichen Bericht Einschränkungen auf
die Steh- und Sitzdauer bei öffentlichen Veranstaltungen aus der Schmerzsymptomatik beim Kläger ergeben, beschränkt sich dies
nach den Angaben desselben Arztes im Gutachten vom 30.11.2007 auf einzelne Phasen und lässt keinen grundsätzlichen und allgemeinen
Ausschluss von Veranstaltungen jedweder Art erkennen. Auch nach seiner eigenen Darstellung im Schreiben seines Prozessbevollmächtigten
vom 7.1.2009 war es dem Kläger anlässlich der Untersuchung bei Dr. P. möglich, der Untersuchung im Umfang von ca. 1,5 Stunden
auf dem Stuhl sitzend zu folgen und lediglich dreimal zwischendurch aufzustehen, um seine Beine zu strecken. Demnach ist nicht
erkennbar, dass der Kläger nicht in gleichem Maße an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könnte. Soweit Geruchsbelästigungen
durch die zeitweise bestehende Inkontinenzproblematik oder Geräuschbelästigungen durch zeitweise "Hechelatemanfälle" in Rede
stehen, hat bereits Dr. J. darauf hingewiesen, dass diese nicht regelhaft seien. Im Übrigen hat Dr. P. zu Recht darauf hingewiesen,
dass sich der Kläger insoweit ggf. mit entsprechenden Einlagen behelfen könne (zur Zumutbarkeit vgl. u.a. LSG Mecklenburg-Vorpommern
v. 3.12.1998 - L 3 Vs 40/07).
Die Voraussetzungen des Merkzeichens "1. Kl." haben die Beklagte und das SG ebenfalls zu Recht verneint. Die nach §
3 Abs.
1 Nr.
6 der gem. §
70 SGB IX ergangenen Schwerbehindertenausweis-Verordnung maßgeblichen Tarifbestimmungen sehen vor, dass lediglich Schwerkriegsbeschädigte
- bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - u.a. die 1. Wagenklasse mit Fahrscheinen der 2. Wagenklasse benutzen dürfen (vgl.
u.a. die Beförderungsbedingungen für besondere Personengruppen - Tfv 600/D - der Deutschen Bahn AG v. 13.12.2009, dort Nr.
2.4). Kriegsbeschädigter ist jedoch nach § 1 Abs. 1, §§ 2-5 BVG - jedenfalls - nur, wer durch Einwirkungen eines der beiden Weltkriege geschädigt wurde. Schädigungen von Angehörigen anderer
Streitkräfte aus oder im Zusammenhang mit anderen kriegerischen Auseinandersetzungen fallen weder hierunter noch ist für sie
eine Anerkennung gem. § 6 BVG oder nach anderen Rechtsnormen ersichtlich.
II. Der Kläger kann seinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für die streitigen Merkzeichen schließlich auch nicht
auf höherrangiges Recht stützen.
Für einen Verstoß der vorgenannten Regelungen oder ihrer Auslegung und Anwendung durch den Beklagten gegen das Verbot der
Benachteiligung Behinderter (Art.
3 Abs.
3 Satz 2
GG) oder gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art.
3 Abs.
1 GG) ist nichts erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger wegen seiner Behinderung gegenüber anderen behinderten Menschen
oder gegenüber nicht behinderten Menschen benachteiligt würde oder in sonstiger Weise gegenüber einer Personengruppe mit den
gleichen Voraussetzungen ohne sachliche Gründe ungleich behandelt würde. Der Kläger hat hierzu auch nichts Konkretes vorgebracht.
Auch überstaatliches Recht begründet die Ansprüche des Klägers nicht. Zu seiner Behauptung, die Versagung der beantragten
Merkzeichen trotz der Feststellungen britischer Stellen verstoße gegen "EU-Verordnungen", vermochte der Prozessbevollmächtigte
des Klägers auf ausdrückliche Nachfrage des Senats ebenfalls nichts Konkretes darzulegen. Es sind allerdings auch keine Bestimmungen
des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts ersichtlich, die - ungeachtet der Vorgaben des nationalen Rechts der Bundesrepublik
Deutschland - eine Feststellung der Voraussetzungen für die begehrten Merkzeichen allein aufgrund der in Großbritannien getroffenen
Feststellungen gebieten würden. Insbesondere ergeben sich die Ansprüche des Klägers nicht aus der (früheren) VO (EWG) Nr.
1408/71 vom 14.6.1971 bzw. der Durchführungs-VO (EWG) Nr. 574/72 vom 21.3.1972 oder der seit dem 1.5.2010 an ihre Stelle getretenen
VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29.4.2004. Die Europäische Sozialcharta (ESC) vom 18.10.1961 (BGBl. 1964 II, 1262) und das Übereinkommen
der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BehRÜbk) vom 13.12.2006 (BGBl. 2008 II, 1419) enthalten
ebenfalls keine für den Kläger günstigeren Bestimmungen; ihre jeweiligen Vorschriften können im Übrigen vom Kläger auch nicht
unmittelbar gerichtlich geltend gemacht werden (vgl. ESC, Anhang Teil III, dazu BSG SozR 3-6935 Allg Nr. 1, bzw. Art. 33 UN-BehRÜbk).
Weitere einschlägige Bestimmungen des überstaatlichen Rechts sind nicht ersichtlich.
Der Senat hatte vor diesem Hintergrund auch keinen Anlass, das Verfahren auszusetzen und zunächst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(Art.
100 Abs.1
GG) oder des Europäischen Gerichtshofs (Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV) einzuholen.
Demnach musste die Berufung erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den Vorschriften der §§
183,
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, §
160 Abs.
2 SGG.