Übernahme der Kosten für eine Guard2me Uhr
Orientierungslosigkeit und Weglauftendenz eines am Down-Syndrom erkrankten Versicherten
Mittelbarer Behinderungsausgleich
Grundbedürfnis auf Mobilität
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Versorgung mit einer Guard2me Uhr.
Der N. geborene Kläger leidet infolge eines als Trisomie 21 bezeichneten Gendefektes (auch als Down Syndrom bekannt) an einer
stark ausgeprägten geistigen Behinderung, die mit Weglauftendenz und Orientierungslosigkeit einhergeht. Er ist mit Pflegegrad
5 eingestuft. Dem Kläger sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 % zuerkannt sowie die Merkzeichen H, B und G. Er lebt
bei seiner Mutter. Der Kläger hat die Schule (Schule an der O.) beendet und besucht wochentäglich von 8.00 bis 13.00 Uhr die
Tagesförderstätte P. in Q ... Er wird morgens von einem Fahrdienst abgeholt und mittags von einem Betreuer wieder nach Hause
gebracht. An einem Nachmittag in der Woche wird er nach dem Besuch der Förderstätte im Rahmen der Eingliederungshilfe bis
gegen 16.00 Uhr in der R. GmbH, einer Einrichtung zur Entlastung von Familien mit behinderten Angehörigen, und an einem anderen
Nachmittag drei Stunden von einem Mitarbeiter der Lebenshilfe betreut.
Im Februar beantragte der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Dr S., Klinikum T., bei der Beklagten die Kostenübernahme
für eine GPS Notfalluhr für den Kläger im Rahmen des §
33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V). Das beantragte Gerät mildere die Folgen der Gesundheitsschäden. Aufgrund seiner geistigen Behinderung infolge des Down
Syndroms zeige der Kläger Weglauftendenzen. Er gefährde sich selbst und sei bereits zweimal orientierungslos aufgefunden worden.
Die beantragte GPS- Notfalluhr sei in der Lage, Alarm zu schlagen, wenn sich der Kläger aus einem vorher begrenzten Areal
entferne. Eine andere Art Notrufsystem werde von ihm nicht toleriert und eigenständig entfernt. Als Anlage wurde der Kostenvoranschlag
für eine Guard2me Uhr zum Preis von 1.189,50 Euro beigefügt sowie die ärztliche Verordnung einer Guard2me Uhr vom 9. Februar
2015 vom Facharzt für Kinderheilkunde U ... In seiner Stellungnahme vom 2. März 2015 kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung
(MDK) zu der Beurteilung, dass es sich bei dem beantragten GPS System um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele
und sprach keine Empfehlung aus.
Mit Bescheid vom 10. März 2015 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die begehrte GPS-Uhr ab. Nach dem Gutachten des
MDK handele es sich dabei um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Mit seinem Widerspruch wandte der Kläger ein,
die Uhr diene mittels der GPS Funktion der jederzeitigen Auffindbarkeit von dementen oder verwirrten Personen und zitierte
Passagen aus der Herstellerinformation. Er leide krankheitsbedingt unter Verwirrtheitszuständen mit Orientierungslosigkeit
und Weglauftendenz. Gleichzeitig diene die Guard2me Uhr einer Pflegeerleichterung. Der Kläger müsse rund um die Uhr überwacht
werden. Sobald man ihn aus den Augen lasse, stelle er Dinge mit Gefahrenpotential an, wie den Herd oder den Ofen anmachen,
die Badewanne einlaufen lassen oder das Haus zu verlassen. Er könne Gefahren nicht einschätzen und sich auch nicht richtig
artikulieren. In seiner Stellungnahme vom 15. Mai 2015 stellte der MDK fest, dass es sich bei dem Guard2me System nicht um
ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung handele, da es weder die Krankenbehandlung sichere, noch einer
schon bestehenden Behinderung vorbeuge noch die Behinderung bei der Befriedung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens ausgleiche.
Zur Verhinderung des Gefahrenpotentials bei Weglauftendenz müssten zunächst andere Mechanismen ergriffen werden wie abgeschlossene
Türen, ständige Begleitung bei Gängen außer Haus. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2015 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Die beantragte GPS Uhr erfülle nicht die Voraussetzungen eines Hilfsmittels nach §
33 SGB V. Nur informationshalber sei anzumerken, dass gemäß den sozialmedizinischen Ausführungen im Gutachten des MDK vom 15. Mai
2015 auch eine Versorgung zu Lasten der Pflegeversicherung nicht in Betracht komme.
Der Kläger hat am 26. August 2015 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben und ergänzend vorgetragen, über die GPS Funktion könne der Kläger jederzeit lokalisiert und aufgefunden
werden. Die GPS Uhr könne an seinem Handgelenk fixiert werden, so dass er diese nicht eigenständig entfernen könne. Anderer
Geräte mit Ortungsfunktion habe er sich regelmäßig entledigt. Da seine Einsichts- und Orientierungsfähigkeit krankheitsbedingt
stark eingeschränkt sei, diene die beantragte GPS Uhr dem Ausgleich der Folgen seiner geistigen Behinderung. Zu den Grundbedürfnissen
des täglichen Lebens gehöre ein Mindestmaß an Orientierungsfähigkeit sowie der Ausschluss von Selbstgefährdung und damit die
eigene körperliche Integrität. Da sich der Katalog anerkannter Grundbedürfnisse lediglich auf körperliche Behinderungen beziehe,
müsse er für geistige Behinderungen entsprechend erweitert werden.
Mit Beschluss vom 29. Juli 2016 hat das SG die Stadt Q. beigeladen (Beigeladene zu 1). Während des Klageverfahrens hat die Beigeladene zu 1) mit Bescheid vom 10. September
2015 eine Kostenübernahme für die Guard2me Uhr abgelehnt. Durch die beantragte Guard2me Uhr werde eine Teilhabe des Klägers
am Leben in der Gemeinschaft weder gesichert noch ermöglicht. Insbesondere werde eine Teilnahme an Freizeitaktivitäten nicht
durch den Einsatz der Uhr plötzlich möglich, da der Kläger trotzdem eine Begleitperson benötige, die ihn davon abhalte, Unfug
anzustellen. Zudem sei es mit den herkömmlichen, wesentlich kostengünstigeren GPS Uhren ebenfalls möglich, den Aufenthaltsort
des Klägers zu ermitteln.
Mit Beschluss vom 9. Januar 2017 hat das SG die Pflegekasse beigeladen (Beigeladene zu 2). Sie hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Guard2me Uhr nicht
um ein Pflegehilfsmittel nach §
40 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) handele, weil die Patientenüberwachung und nicht die Erleichterung der Pflege im Sinne des §
40 Abs
1 SGB XI im Fokus stehe.
Mit Gerichtsbescheid vom 18. April 2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage habe weder gegen die Beklagte noch gegen die Beigeladenen Erfolg. Ein Anspruch bestehe weder
unter kranken- noch unter pflegeversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten. Ein Anspruch auf Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich,
wozu die Guard2me Uhr zu rechnen sei, bestehe nach §
33 SGB V nur, soweit Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betroffen seien. Das sei hier jedoch nicht der Fall. Insbesondere ermögliche
die begehrte GPS Uhr im Falle des Klägers nicht das Erschließen eines weiteren oder größeren Freiraums. Die Uhr solle ausschließlich
dazu dienen, den Kläger leichter aufzufinden, wenn er weggelaufen sei. Da der Kläger selbst von der Funktion der Uhr somit
nicht profitiere, könnte schon zweifelhaft sein, ob überhaupt ein Behinderungsausgleich vorliege. Auch in Bezug auf die geistige
Behinderung des Klägers finde kein Ausgleich statt, denn die begehrte Guard2me Uhr gleiche weder seine mangelnde Orientierungsfähigkeit
aus noch seine Tendenz zur Selbstgefährdung. Der Nutzen stelle sich auf Seiten der pflegenden Personen ein, da sie den Kläger
besser überwachen und leichter auffinden könnten. Allerdings seien auch die Voraussetzungen für einen Anspruch nach §
40 Abs
1 SGB XI nicht erfüllt. Denn durch das Tragen der Guard2me Uhr finde keine Erleichterung der Pflege statt. Der Gesetzgeber wolle nicht
jede Erleichterung der Pflege bezuschusst wissen, sondern den Leistungsanspruch ausdrücklich auf erhebliche Pflegeerleichterungen
begrenzen. Daher müsse es sich um eine deutliche und spürbare Erleichterung handeln. Dazu müsse entweder der Zeitaufwand für
häufig anfallende Hilfeleistungen abnehmen oder sich die erforderliche Kraftanstrengung der Pflegeperson signifikant verringern.
Beide Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Das Auffinden des Klägers nach einem Weglaufversuch stelle keine Pflegeleistung
dar; auch eine Gefahrensituation könne nicht verhindert werden. Die begehrte GPS Uhr ermögliche dem Kläger auch keine selbstständige
Lebensführung, da sich die Funktionen der Guard2me Uhr nicht auf Lebensbetätigungen im häuslichen Bereich bezögen und der
Kläger nicht unabhängiger von der Unterstützung durch Dritte werde. Schließlich scheide auch ein Anspruch gegen die Beigeladene
zu 1) aus, denn der ablehnende Bescheid vom 10. September 2015 sei bestandskräftig geworden. Allein die Stellung eines Überprüfungsantrags
nach § 44 SGB X führe nicht zu einer Durchbrechung der Rechtskraft. Nach den vorstehenden Ausführungen lägen im Übrigen auch die materiell-rechtlichen
Voraussetzungen nicht vor.
Gegen den ihm am 20. April 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24. April 2018 Berufung beim Landessozialgericht
(LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt und vorgetragen, auch die Folgen einer geistigen Behinderung könnten grundsätzlich gemäß
§
33 SGB V ausgeglichen werden. Die geistige Behinderung des Klägers äußere sich ua in Orientierungslosigkeit und Weglauftendenz, deren
Folgen deutlich abgemildert werden könnten. Folglich diene die Guard2me Uhr dem mittelbaren Behinderungsausgleich einer geistigen
Behinderung. Das betroffene Grundbedürfnis liege in der körperlichen Unversehrtheit des Klägers und der Erschließung eines
gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Durch das schnellere Auffinden des Klägers mit der GPS Uhr könnten Unfall-
und sonstige Schadenshergänge kurzfristig vermieden werden. Aufgrund seiner kognitiven Defizite könne der Kläger eine Behindertenwerkstatt
nicht sinnvoll aufsuchen. Er besuche die Tagesförderungsstätte wochentäglich von 8:30 bis 13:00; eine ganztägige Betreuung
sei in der Einrichtung wegen der zu dünnen Personaldecke am Nachmittag nicht möglich. Ohne die begehrte GPS Uhr müsse der
Kläger engmaschig überwacht werden, dh er müsse eingesperrt werden, damit er nicht weglaufen könne. Der Kläger werde im Straßenverkehr
zu einer Gefahr für sich und andere.
Außerdem bestünde ein Anspruch auf die GPS Uhr nach §§
14,
40 SGB XI als Pflegehilfsmittel. Die Erleichterung der Pflege könne sich auf die neuen gesetzlich definierten Pflegebereiche beziehen.
Die ständige Hintergrundbeaufsichtigung des Klägers zum Weglaufschutz durch seine Mutter sei extrem kräftezehrend und belastend.
Der Überprüfungsantrag sei von der Beigeladenen zu 2) bislang nicht beschieden worden.
Der Kläger hat seine Zeugnisse aus der 11. Jahrgangsstufe vorgelegt sowie die Stellungnahme der gemeinnützigen R. GmbH vom
4. September 2019, wonach sich seine Weglaufneigung besonders in Gruppen oder unübersichtlichen Situationen zeige. Zudem hat
er die Stellungnahme des P. vom 26. August 2019 und den Entwicklungsbericht der Lebenshilfe vom 4. Juli 2018 beigebracht.
Der Kläger beantragt
den Gerichtbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 18. April 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2015 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2015 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger mit einer Guard2me Uhr zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Urteil des SG hält einer rechtlichen Überprüfung durch den Senat nicht stand; die Versorgung des Klägers mit der begehrten GPS Uhr mit
Alarmfunktion ist zu Unrecht abgelehnt worden.
1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß §
54 Abs
1 und 4
SGG statthaft und zulässig. Sie ist auch begründet. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides
erweist sich als rechtswidrig.
2. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit der begehrten GPS Uhr als Hilfsmittel im Rahmen des
mittelbaren Behinderungsausgleichs.
a) Die Guard2me Uhr ist eine GPS Uhr mit Alarmfunktion, die ausgelöst wird bei Verlassen des zuvor definierten, einprogrammierten
Bewegungsareals. Die Uhr kann am Arm des Klägers fixiert werden, so dass ein selbstständiges Abstreifen verhindert wird.
Nach der Herstellerinformation ist die Guard2me Uhr speziell für Demenzkranke entwickelt worden, um deren Eigenständigkeit
so lange wie möglich zu erhalten. Das System besteht aus einer Armbanduhr mit integrierter Ortung und SIM-Karte, sowie einem
Webportal oder einer App für das Smartphone. Via GPS wird der genaue Aufenthaltsort des Trägers der Armbanduhr ermittelt und
über das Mobilfunknetz an das Webportal übertragen. Die Besonderheit des Systems ist, dass auch eine Ortung innerhalb von
Gebäuden möglich ist, sodass der Aufenthalt auch dort genau bestimmt werden kann, wo nur schwache oder keine GPS Signale empfangen
werden. Zudem kann der Computer zur Einstellung einer Sicherheitszone (Sicherheits- oder Gefahrenzone) genutzt werden. Ein
Alarm wird dann ausgelöst, wenn ein vorher festgelegter Radius, etwa die Wohnung oder das Pflegeheim verlassen wird (www.guard2me.com/presse).
b) Anspruchsgrundlage für die Versorgung mit der begehrten GPS Uhr ist §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V. Nach dieser Norm können Hilfsmittel drei unterschiedlichen Zielrichtungen dienen: der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung
(1. Alt), dem Vorbeugen vor Behinderung (2. Alt) oder dem Behinderungsausgleich (3. Alt). Vorliegend kommt allein ein Anspruch
nach der 3. Alternative im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs in Betracht.
aa) Dem Anspruch auf Versorgung mit einer GPS Uhr steht nicht entgegen, dass dieses im Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) nicht aufgeführt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) schon zur Rechtslage nach §
128 SGB V in der durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) begründeten und bis zur Außerkraftsetzung durch
Art 1 Nr 94 des GKV-WSG zum 1. April 2007 insoweit im Wesentlichen unveränderten Fassung verkörpert das Hilfsmittelverzeichnis (HMV) keine abschließende, die Leistungspflicht der Kranken- und Pflegekassen im Sinne einer "Positivliste" beschränkende Regelung.
Es handelt sich vielmehr um eine reine Auslegungs- und Orientierungshilfe für die medizinische Praxis und hat für die Gerichte
nur die Qualität einer unverbindlichen Auslegungshilfe. Einerseits steht deshalb dem Leistungsbegehren eines Versicherten
nicht entgegen, dass ein von ihm beanspruchtes Hilfsmittel (noch) nicht im HMV eingetragen ist. Andererseits vermag aus diesem Grund umgekehrt allein die Aufnahme eines Gegenstands in das HMV den Leistungsanspruch eines Versicherten nicht zu stützen, wenn sich die Aufnahmeentscheidung gemessen an den Voraussetzungen
des §
33 SGB V als fehlerhaft darstellt. Anspruch auf Versorgung hat ein Versicherter ungeachtet der Fassung des HMV nur, wenn die beanspruchte Hilfe tatsächlich als Hilfsmittel im Sinne des §
33 Abs
1 S 1
SGB V zu qualifizieren ist (BSG vom 24. Januar 2013, B 3 KR 22/11 R mwN, juris Rn 13).
bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der beantragten GPS Uhr mit Alarmfunktion auch nicht um einen
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der vollständig von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
ausgenommen wäre. Der Ausschluss betrifft nach §
33 Abs
1 S 1
SGB V, §
47 Abs
1 Nr
3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) in der Fassung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) (BGBL I 3234) (§ entspricht §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX aF) nur solche Gegenstände, die als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens allgemein auch von Gesunden im täglichen Leben
verwendet werden. Maßgeblich hierfür ist die jeweilige Zweckbestimmung, ausgehend von Funktion und Gestaltung des Gegenstands,
wie er konkret beansprucht wird und beschaffen ist. Danach ist ein Gegenstand trotz geringer Verbreitung und trotz hohem Verkaufspreis
als allgemeiner Gebrauchsgegenstand einzustufen, wenn er von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte
gedacht ist. Keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind dagegen für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter
Menschen entwickelte und so benutzte Gegenstände, selbst wenn sie - wie bei Brillen und Hörgeräten - millionenfach verbreitet
sind. Eine solche Anpassung an die speziellen Bedürfnisse hat das BSG für ein GPS-System für Blinde angenommen, weil es sich von den handelsüblichen Geräten zur Orientierung nicht behinderter
Menschen deutlich unterscheidet. Das gilt schon für den Zweck, bei Fußwegen Angaben über den jeweiligen Standort und Hinweise
auf nahegelegene Einkaufsmöglichkeiten und andere Orte von Interesse zu erhalten; eine solche technische Unterstützung benötigen
Menschen ohne Sehbehinderung bei Wegen zu Fuß gerade nicht (BSG Urteil vom 25. Juni 2009, - B 3 KR 4/08 R, Rn 11).
Ebenso verhält es sich mit der streitgegenständlichen GPS Uhr mit Alarmfunktion für geistig behinderte Menschen mit Weglaufneigung.
Die technische Unterstützung in Form der Alarmfunktion bei Verlassen eines definierten Bewegungsareals und permanenter Lokalisierbarkeit
des Standortes benötigen Menschen ohne geistige Behinderung und Weglauftendenz nicht. Ausweislich der Herstellerbeschreibung
ist die begehrte GPS Uhr mit Alarmfunktion nach Zweckbestimmung und Funktionsweise speziell für Demenzkranke entwickelt worden.
Auch im Verlauf einer Demenzerkrankung kommt es unweigerlich zur Orientierungslosigkeit des Patienten und Weglauftendenzen,
Symptome, die der Kläger infolge seiner geistigen Behinderung teilt. Kein gesunder Mensch bedarf eines am Arm fixierten GPS-Systems,
das Alarm schlägt, wenn er ein Gebäude verlässt oder sich aus einem zuvor im Computer programmierten Bewegungsradius entfernt.
Bei einem gesunden Menschen würde die Konzeption der Guard2me Uhr keine (hilfreiche) Unterstützung bewirken, sondern im Gegenteil
eine Einschränkung bedeuten und unter Umständen grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrechte verletzen, weil schon die
ständige Lokalisierbarkeit des Standorts in die Nähe einer freiheitsentziehenden Maßnahme rücken würde.
cc) Die Krankenkasse hat für die mit der begehrten GPS Uhr angestrebten Gebrauchsvorteile aufzukommen, weil sie zum Ausgleich
der Folgen der geistigen Behinderung des Klägers in dem Sinne erforderlich ist, als sie deren Auswirkungen im täglichen Leben
zwar nicht beseitigt, aber jedenfalls abmildert und ihm damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens eröffnet.
Bei dem hier anzunehmenden mittelbaren Behinderungsausgleich ersetzt das Hilfsmittel nicht die ausgefallenen oder beeinträchtigten
Körperfunktionen - hier die Hirnfunktionsdefizite infolge des Down Syndroms - sondern gleicht nur die direkten und indirekten
Behinderungsfolgen aus. Damit bleibt der vom Regelfall abweichende Körper- und Geisteszustand als solcher trotz Einsatzes
des Hilfsmittels im Wesentlichen unverändert. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gleicht das Vorgehen beim Einsatz von
Hilfsmitteln vielmehr hauptsächlich die Funktionsbeeinträchtigung aus oder ersetzt die beeinträchtigte Funktion, um dem Versicherten
wieder eine vollständige oder zumindest weniger beeinträchtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen. Es setzt mithin
- selbst wenn es dem mittelbaren Behinderungsausgleich zuzurechnen ist - vorrangig erst an den Folgen des medizinisch dann
häufig schon austherapierten regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands an und dient nicht (mehr) dessen Behandlung oder gar
Wiederherstellung (BSG Urteil vom 15. März 2018, B 3 KR 18/17 R, juris, Rn 34). Diese Anknüpfungspunkte verkennt das SG, wenn es im Zuge einer Anspruchsablehnung argumentiert, dass durch die beanspruchte Guard2me Uhr kein Ausgleich der geistigen
Behinderung - weder in Bezug auf die Orientierungslosigkeit noch auf die Selbstgefährdung - stattfinde.
Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit
ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören das Gehen,
Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige
Wohnen sowie das Erschließens eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (stRechtspr, vgl. BSG, Urteil vom 15. März 2018, B 3 KR 12/17 R Rn 43 f mwN).
Betroffen von den Folgen der geistigen Behinderung ist im Falle des geistig behinderten Klägers das Grundbedürfnis auf Mobilität,
das ohne die begehrte GPS Uhr mit Alarmfunktion faktisch aufgehoben ist. Räumlich bezieht sich das Grundbedürfnis im Bereich
der Mobilität nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auf den Bewegungsradius, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß
erreicht. Dazu ist der Versicherte nach Möglichkeit zu befähigen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu
verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die Luft zu kommen oder um üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegende
Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG, Urteil vom 25. Juni 2009, B 3 KR 4/08 R Rn 16). Dem Gegenstand nach besteht für den so definierten räumlichen Bewegungsradius Anspruch auf die im Einzelfall für
den gebotenen Behinderungsausgleich ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch für
eine Optimalversorgung (st Rspr zB BSG, Urteil vom 15. März 2018, B 3 KR 12/17 R, Rn 44). Dabei ist der Ausgleich nicht auf Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates beschränkt. Ob ein Hilfsmittel der Lebensbetätigung
im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse dient, beurteilt sich bei Blindheit oder Sehbehinderung nicht anders als die Beeinträchtigung
des Bewegungsapparates (BSG Urteil vom 25. Juni 2009, B 3 KR 4/08 R, Rn 18 ).
Überträgt man die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Wesentlichen für den Ausgleich körperlicher Behinderungen
entwickelten Maßstäbe auf die vorliegend in Rede stehende geistige Behinderung infolge des beim Kläger stark ausgeprägten
Down Syndroms ist für die Versorgung mit der GPS Uhr an die Milderung der Folgen von Weglauftendenz, Orientierungslosigkeit
und der Tendenz zu gefährdendem Verhalten anzuknüpfen.
In der Vergangenheit musste der Kläger nach Weglaufversuchen polizeilich gesucht und aufgegriffen werden. Erschwerend kommt
hinzu, dass er ausweislich des Entwicklungsberichts der Lebenshilfe unter massiven Artikulationsstörungen leidet (er spricht
überwiegend Ein-Wort-Sätze bei stark eingeschränktem Wortschatz) und aufgrund mangelnder Einsichtsfähigkeit in keiner Weise
verkehrstüchtig ist. Aufgrund des Gesamtbildes der geistigen Behinderung mit Weglauftendenz und Orientierungslosigkeit muss
der Aufenthalt des Klägers streng überwacht werden, was in der Praxis dazu führt, dass sein Bewegungsradius auf verschlossene
Räume beschränkt wird, kurz der Kläger wird jedenfalls zeitweise eingesperrt. Auch der MDK empfiehlt in seiner Stellungnahme
vom 15. Mai 2015 als geeigneten Mechanismus gegen die Weglauftendenz abgeschlossene Türen, was ein Ein- oder Wegsperren bedeutet.
Wegen des hohen Überwachungsaufwands kann der Kläger im P. - einer grundsätzlich geöffneten Einrichtung - auch nur halbtags
betreut werden. Da eine engmaschige Überwachung des Klägers nicht immer gelingt, ist er mehrfach auf der Schaukel im offenen
Außenbereich des Geländes aufgefunden worden, dessen Zugang ihm wegen seiner Weglauftendenz verwehrt ist. Auch zu Hause befindet
sich der Kläger nach Empfangnahme durch die Mutter ausschließlich in einem verschlossenen Bereich. Da es dem Kläger dennoch
gelingt, an Schlüssel zu kommen, ist die Haustür zusätzlich mit einer Kuhglocke gesichert. Dennoch kommt es zu Weglaufversuchen.
Dass ein Einsperren des Klägers in erheblichem Umfang stattfindet, erklärt sich schon aus dem Umstand, dass weder die prinzipiell
geöffnete Tageseinrichtung über eine entsprechende Personaldecke verfügt noch die Mutter, die auch ihren Haushalt bewirtschaften
muss, mehr als eine Hintergrundbeaufsichtigung leisten kann.
Damit ist das Grundbedürfnis des Klägers auf Mobilität im Nahbereich aus Sicherheitsgründen derzeit aufgehoben. Hinzukommt,
dass das Einsprerren als die schärfste aller freiheitsentziehenden Maßnahmen zwangsläufig in die Isolation führt, und dem
Kläger als Heranwachsendem jegliche Entwicklungsmöglichkeit für sein weiteres Leben abschneidet.
Die beanspruchte GPS Uhr mit Alarmfunktion kann dem Kläger Mobilität in einem gewissen Areal eröffnen, indem ein Bewegungsradius
außerhalb von Gefahrenzonen räumlich definiert wird. Beim Verlassen des definierten Bewegungsradius wird zuverlässig Alarm
ausgelöst, sodass Gefahrensituationen frühzeitig erkannt und weitgehend abgefangen werden können. Der Gebrauchsvorteil der
GPS Uhr liegt darin, dem Kläger eine begrenzte räumliche - allerdings digital überwachte - Freiheit zu erschließen. Insofern
geht die Auffassung des MDK fehl, darin eine Freiheitsentziehung zu sehen, weil Maßstab nicht die Bewegungsfreiheit eines
gesunden Menschen sein kann, sondern nur die Isolation des ansonsten weggeschlossenen Klägers. Unter den gegebenen Umständen
gibt es für ihn keine selbstbestimmte räumliche Freiheit, die durch digitale Überwachung eingeschränkt werden könnte, vielmehr
erlaubt es die Ortungsfunktion des GPS-Systems überhaupt erst, dem geistig behinderten Kläger einen gewissen räumlichen Bewegungsradius
bei abschätzbarem und damit vertretbarem Gefährdungspotential zu teil werden zu lassen. Damit ist das begehrte Hilfsmittel
für den Kläger notwendig, zweckmäßig und unter Abwägung von Kosten und Nutzen wirtschaftlich (§
12 Abs
1 SGB V).
Diese Betrachtung trägt auch dem neugefassten Behinderungsbegriff in §
2 SGB IX Rechnung.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist für den Versorgungsanspruch nach §
33 SGB V nunmehr zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Behinderungsbegriff in §
2 SGB IX neu gefasst hat und dabei dem Wechselwirkungsansatz noch mehr Gewicht beigemessen hat als nach bisher geltendem Recht. Danach
kommt es nicht allein auf die wirklichen oder vermeintlichen gesundheitlichen Defizite an. Im Vordergrund stehen vielmehr
das Ziel der Teilhabe (Partizipation) an den verschiedenen Lebensbereichen sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer - hier
nur in sehr engen Grenzen möglichen - Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraums (BSG, Urteil vom 15. März 2018 aaO). Im Rahmen der danach verstärkt geforderten Partizipation ist zu berücksichtigen, dass der
Kläger trotz seiner geistigen Retardierung und den damit einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten durchaus Interesse an seiner
Umwelt zeigt und Freude an neuen Erfahrungen und Eindrücken empfindet. Ausweislich seines Zeugnisses der 11. Klasse weckte
ein Gartenprojekt seine Aufmerksamkeit, bei dem ihm kleine regelmäßige Dienste übertragen wurden, die einen gewissen Bewegungsradius
voraussetzten. Auch bei Klassenfahrten und Spaziergängen beobachtete er Tiere und genoss die Natur. Ausweislich des Entwicklungsberichtes
der Lebenshilfe interessiert er sich für Fahrzeuge, zB deren Wartung, und wünscht sich Teilhabe an Aktivitäten außerhalb der
alltäglichen Abläufe. Derartige Aktivitäten und gemeinsame Erfahrungen sind ihm jedoch wegen befürchteter Gefahrensituationen
derzeit weitestgehend verschlossen. So bestätigt auch der Betreuer der gemeinnützigen R. GmbH, der den Kläger an Nachmittagen
in der Woche betreut, dessen Weglauftendenz besonders in Gruppen oder unübersichtlichen Situationen. Das führt zwangsläufig
dazu, dass der Kläger zu Ausflügen oder besonderen Aktivitäten nicht mitgenommen wird. Damit wird ihm nicht nur eine Teilhabe
verwehrt, gleichsam wird ihm die - wenn auch begrenzte - Chance auf eine günstige Verhaltensentwicklung und Integration genommen.
Die Integration von Behinderten - und das gilt für geistig behinderte Menschen in gleichem Maße wie für Menschen mit körperlichen
Handicaps - ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die im Rahmen der Möglichkeiten und unter Beachtung der Würde des geistig
behinderten Menschen im Sozialraum zu erfüllen ist.
Die Ausrüstung des Klägers mit einer am Arm fixierten GPS Uhr mit Alarmfunktion gestaltet die Aufsicht bei Ausflügen und Aktivitäten
verantwortbarer und erweitert und stärkt auf diese Weise auch seine Teilhabemöglichkeiten in verschiedenen Lebensbereichen.
Dazu gehören auch der Nahbereich der Wohnung oder der Außenbereich des V ... Dabei verkennt der Senat jedoch nicht, dass die
Ausrüstung mit der begehrten GPS Uhr eine engmaschige Betreuung/Überwachung des Klägers nicht ersetzen kann. Der Kläger bedarf
weiterhin einer engen Betreuung. Es werden aber seine Teilhaberechte an Gruppenveranstaltungen gestärkt und das Verhalten
eines noch jungen Menschen in der Gemeinschaft gleichsam trainiert.
3. Eine Sachleistungspflicht kann nicht auf §
40 Abs
1 S 1
SGB XI gestützt werden. Allerdings hat die Beklagte es als erstangegangener Versicherungsträger versäumt, auch in pflegeversicherungsrechtlicher
Hinsicht abschließend zu entscheiden.
a) Trotz einer grundsätzlichen Leistungszuständigkeit der sozialen Pflegeversicherung ist ausnahmsweise die Krankenkasse und
damit die Beklagte selbst - und nicht die bei ihr errichtete Pflegekasse (§
46 Abs
1 S 2
SGB XI) - für die Versorgung mit einem Pflegehilfsmittel zuständig. Nach §
40 Abs
5 S 1
SGB XI idF des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz
(GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl 2983) gilt nunmehr: Für Hilfsmittel und Pflegemittel, die sowohl den in §
23 und §
33 SGB V als auch den in Absatz
1 genannten Zwecken dienen können, prüft der Leistungsträger, bei dem die Leistung beantragt wird, ob ein Anspruch gegenüber
der Krankenkasse oder der Pflegekasse besteht und entscheidet über die Bewilligung der Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel.
Die Guard2me Uhr ist gleichzeitig ein dem mittelbaren Behinderungsausgleich zuzuordnendes Hilfsmittel nach §
33 SGB V und ein der selbstständigeren Lebensführung des Pflegebedürftigen zu dienen bestimmtes Pflegehilfsmittel nach §
40 Abs
1 S 1 Alt 2
SGB XI. Damit hatte die Beklagte die Pflicht, den Leistungsantrag sowohl in krankenversicherungsrechtlicher als auch in pflegeversicherungsrechtlicher
Hinsicht zu prüfen und abschließend zu entscheiden (BSG Urteil vom 16. Juli 2014, - B 3 KR 1/14 R-, juris, Rn 46).
b) Vorliegend kommt die Guard2me Uhr als Pflegehilfsmittel nicht in Betracht. Nach §
40 Abs
1 S 1
SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung
der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbstständigere Lebensführung ermöglichen. Bei der begehrten
GPS Uhr handelt es sich nicht um ein Pflegehilfsmittel im eigentlichen Sinne, weil die Patientenüberwachung im Fokus steht
und nicht die Erleichterung der Pflege. Darauf hat die Beigeladenen zu 2) bereits zutreffend hingewiesen. Daran anknüpfend
hat das SG plausibel ausgeführt, dass die Guard2me Uhr nach Funktion und Zielrichtung für die Pflegeperson weder den Zeitaufwand der
häuslichen Pflege reduziert noch den zu leistenden Kraftaufwand signifikant verringert. Auch stellt die Suche nach dem Kläger
infolge seiner Weglaufneigung keine Pflegeleistung im eigentlichen Sinne dar. Schließlich ist auch das Tatbestandsmerkmal
einer selbstbestimmten Lebensführung nicht erfüllt. Zum einen ist für den Kläger aufgrund der ausgeprägten geistigen Defizite,
die auch mit Verständigungsschwierigkeiten einhergehen, eine selbstständige Lebensführung auch bei Ausrüstung mit der begehrten
GPS Uhr unmöglich. Er wird - wie sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - immer zusätzlich einer engmaschigen
Betreuung bedürfen. Zum anderen ist die Zielrichtung eines Pflegehilfsmittels "zur selbstständigen Lebensführung" eine andere.
§
40 SGB XI gehört innerhalb des Vierten Kapitels des
SGB XI ("Leistungen der Pflegeversicherung") zu dessen Drittem Abschnitt ("Leistungen") und dort zum Ersten Teil, der mit "Leistungen
bei häuslicher Pflege" überschrieben ist. Die Pflegemittel müssen dabei geeignet sein, den Bedürftigen in die Lage zu versetzen,
möglichst lange in der häuslichen Umgebung bleiben zu können und vollstationäre Pflege zu vermeiden. Dies legt aber nach seinem
Ansatz einen zu erwartenden Progress der Erkrankung des Versicherten zu Grunde und versucht (nur) die Eigenständigkeit des
Betroffenen noch für einen gewissen Übergangszeitraum zu erhalten. Im Gegensatz dazu geht es bei dem Kläger nicht um ein fortschreitendes
Leiden, sondern um die Abmilderung eines Zustands - einer geistigen Retardierung -, der austherapiert ist, aber nicht notwendig
fortschreitet. Im Fokus steht die Teilhabe eines geistig behinderten Heranwachsenden - also eines noch jungen Menschen - an
den verschiedenen Lebensbereichen durch Eröffnung einer - wenn auch digital überwachten Mobilität.
4. Ein Anspruch auf Kostenübernahme gegen die Beigeladene zu 1) kann sich auch nicht im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens
nach § 44 SGB X ergeben, denn es ist weder ersichtlich, dass die Beigeladene zu 1) bei ihrem Ablehnungsbescheid von einer falschen Tatsachengrundlage
ausgegangen ist, noch dass ihre Entscheidung rechtsfehlerhaft ist. Wie bereits ausgeführt, kann auch eine Ausrüstung mit der
begehrten GPS Uhr keine selbstständige Teilhabe des Klägers am Leben in der Gemeinschaft bewirken, da die schweren geistigen
Einschränkungen eine Selbstständigkeit schon im Grundsatz ausschließen. Ausweislich des Entwicklungsberichts der Lebenshilfe
sind die Verständigungsmöglichkeiten des Klägers stark eingeschränkt auch zeigt er ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten.
Mit diesen Einschränkungen ist eine selbstständige Teilhabe nicht darstellbar.
5. Der Senat lässt die Revision nach §
160 Abs
2 SGG zu, da dem Fall grundsätzliche Bedeutung zukommt und, soweit ersichtlich, die Frage eines Versorgungsanspruchs mit einer
GPS Uhr mit Alarmfunktion bei geistiger Behinderung mit Weglauftendenz und Orientierungslosigkeit noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher
Entscheidung war.