Anspruch des hinterbliebenen eingetragenen Lebenspartners auf Zuschlag bei Zugangsrenten in der Alterssicherung der Landwirte
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die erstinstanzlich ausgesprochene Verpflichtung zur Neuberechnung der dem
Kläger gewährten Hinterbliebenenrente. Am 28. August 2008 begründete der am 29. April 1955 geborene Kläger mit dem am 2. April
1934 geborenen Versicherten vor dem Standesbeamten in I. eine Lebenspartnerschaft. Als langjähriger Landwirt hatte der Versicherte
bis 1999 insgesamt 22 Beitragsjahre in der landwirtschaftlichen Alterssicherung zurückgelegt; seit September 1999 stand er
im Bezug der Regelaltersrente. Die Rente war in Anwendung des § 97 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte um einen Zuschlag erhöht worden. Am 10. Juni 2010 verstarb der Versicherte. Dem im Juli 2010 gestellten Antrag des Klägers
auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 4. Oktober 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 1. Dezember 2010 dem Grunde nach und bewilligte dem Kläger eine nach Maßgabe des § 23 ALG berechnete Hinterbliebenenrente in Höhe (ab Oktober 2010) eines monatlichen Bruttobetrages von 154,22 EUR. Die tatbestandlichen
Voraussetzungen für eine Erhöhung dieser Rente um einen Zuschlag nach § 97 ALG sah die Beklagte hingegen nicht für gegeben an. Die Gesetzgeber habe die Nichtanwendung des § 97 ALG auf Hinterbliebenenrenten der vorliegend zu berechnenden Art dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er von einer redaktionellen
Anpassung der §§ 97, 99 ALG abgesehen habe. Vertrauensschutzerwägungen ständen diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen. § 97 ALG verfolgte das Ziel, in dem dort beschriebenen Umfang das Vertrauen in den Bestand von Rentenanwartschaften zu stützen, die
bereits vor dem Inkrafttreten des ALG zum 1. Januar 1995 nach Maßgabe der früheren Regelungen des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) begründet
worden seien. Das GAL habe aber noch gar keine Hinterbliebenenrente für Lebenspartner vorgesehen. Mit der am 28. Dezember
2010 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er bei der Berechnung der Hinterbliebenenrente einen Anspruch auf
Gleichstellung mit den Hinterbliebenenrentenansprüchen eines verheirateten Ehegatten habe. Mit Urteil vom 15. Juli 2013, der
Beklagten zugestellt am 25. September 2013, hat das Sozialgericht Braunschweig die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen
Bescheide zur Neuberechnung der dem Kläger gewährten Hinterbliebenenrente unter Berücksichtigung eines Zuschlages nach § 97 ALG und eines "Verheiratetenzuschlages" verpflichtet. Nach seiner Auffassung ist in diesem Sinne eine verfassungskonforme Norminterpretation
geboten. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber Lebenspartner von einer Rentenberechnung in Anwendung des §
97 ALG habe ausnehmen wollen. Mit der am 14. Oktober 2013 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, dass eine Berechnung
der Hinterbliebenenrente an Lebenspartner ohne Berücksichtigung eines Zuschlages nach § 97 ALG zu erfolgen habe. § 97 ALG habe lediglich das Vertrauen in den bis zum 31. Dezember 1994 bestehenden Rechtszustand schützen wollen; jener historische
Rechtszustand habe aber noch keine Hinterbliebenenrente an Lebenspartner gekannt. Auf Aufforderung des Senates hat die Beklagte
eine Probeberechnung vorgelegt, wonach unter der Annahme einer Anwendbarkeit des § 97 ALG der sich aus § 23 ALG ergebende Hinterbliebenenrentenanspruch im vorliegenden Fall um rund 57 % (entsprechend einer Erhöhung der nach § 23 ALG maßgeblichen Steigerungszahl von 22,3244 um einen Zuschlag nach § 97 ALG im Umfang von 12,7580) erhöhen würde. Die Beklagte beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 15.
Juli 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Seiner Auffassung nach hat
die Beklagte auch im Berufungsverfahren keinen Umstand aufgezeigt, der seine Benachteiligung im Vergleich zu einer hinterbliebenen
Ehefrau rechtfertigen könnte.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Zustimmung beider Beteiligten (vgl. Schriftsatz des Klägers vom
19. Februar 2014 und Schriftsatz der Beklagten vom 13. Februar 2014) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Auch nach Auffassung des Senates ist bei der Rentenberechnung zugunsten des Klägers ein Zuschlag nach § 97 ALG zu berücksichtigen.
1. Zutreffend hat die Beklagte dem Grunde nach den Anspruch des Klägers auf eine Hinterbliebenenrente nach Maßgabe der im
Zeitpunkt des Todes des Versicherten noch anzuwendenden (vgl. demgegenüber die heute maßgebliche Regelung des § 1a ALG) früheren Regelung des § 14a ALG bejaht. Nach Absatz 1 dieser Norm galten die leistungsrechtlichen Vorschriften über Renten wegen Todes nach diesem Kapitel entsprechend für hinterbliebene
Lebenspartner. Eine Lebenspartnerschaft hatten der Versicherte und der Kläger nach Maßgabe des § 1 des Gesetzes über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz - LPartG) am 28. August 2008 begründet. Aus den Anwartschaften des Versicherten bestand auch kein Anspruch auf eine Witwenrente oder
Witwerrente für einen Ehegatten im Sinne des § 14a Abs. 2 ALG.
2. Da die Altersrente des Versicherten bereits 1999 begonnen hatte und da dieser bereits vor dem 1. Juli 1995 für mindestens
fünf Jahre anrechenbare Beitragszeiten als Landwirt zurückgelegt hatte, war bei ihrer Berechnung nach § 97 ALG ein Zuschlag zu berücksichtigen. Hiervon ist im Ausgangspunkt auch die Beklagte stets ausgegangen.
Daraus ergibt sich jedoch nach Maßgabe der Regelung des § 97 Abs. 5 Satz 1 ALG zugleich der Anspruch des Klägers, dass auch die ihm gewährte Hinterbliebenenrente ebenfalls um einen solchen Zuschlag zu
erhöhen ist.
Hat der verstorbene Versicherte einen Zuschlag bezogen und beginnt spätestens innerhalb von 24 Kalendermonaten nach Ende des
Bezugs dieser Rente eine Rente an Hinterbliebene, wird nach dieser Vorschrift zu der Hinterbliebenenleistung ein entsprechend
den Absätzen 1 und 3 berechneter Zuschlag gezahlt; dabei ist für die Bestimmung des Abschmelzungsfaktors das Jahr maßgebend,
in dem erstmals ein Zuschlag zu ermitteln war.
Auch der Kläger zählt zu den Hinterbliebenen im Sinne dieser Vorschrift. Bezeichnenderweise hat ihm gerade die Beklagte eine
"Hinterbliebenenrente" bewilligt. § 97 Abs. 3 ALG sieht auch keine Ausnahmen für hinterbliebene Lebenspartner vor.
Eine gesetzgeberische Entscheidung, hinterbliebene Lebenspartner von einer Anwendung des § 97 Abs. 5 ALG auszunehmen, lässt sich auch anderweitig nicht erkennen.
Vielmehr hat § 14a Abs. 1 ALG ausdrücklich "die leistungsrechtlichen Vorschriften über Renten wegen Todes nach diesem Kapitel" (d.h. dem 2. Kapitel des
ALG) entsprechend auch für hinterbliebene Lebenspartner anwendbar erklärt. Schon nach diesem Wortlaut verfolgte der Gesetzgeber
das Ziel, dass "Renten wegen Todes nach diesem Kapitel" (d.h. die in § 14 ALG und damit im 2. Abschnitt des 2. Kapitels des ALG normierte Witwen- bzw. Witwerrente) auch hinterbliebenen Lebenspartnern zu gewähren sind. Es lässt sich nichts dafür objektivieren,
dass der Gesetzgeber mit dieser Norm nur einen Teil der für Witwen bzw. Witwer maßgeblichen "leistungsrechtlichen Vorschriften"
des ALG auf die Berechnung einer Hinterbliebenenrente für Lebenspartner angewandt wissen wollte.
Vielmehr brachte diesbezüglich die Gesetzesbegründung den Willen des Gesetzgebers zu einer Gleichbehandlung zum Ausdruck.
In der Begründung des Gesetzesentwurfs (BR-Drs 15/3445, zu Abs. 30 Nr. 2) ist ausdrücklich als Ziel festgehalten worden, dass
die Begründung bzw. Auflösung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft "dieselben Auswirkungen" auf Ansprüche Hinterbliebener
haben sollte wie die Schließung bzw. Auflösung einer Ehe.
Ausgehend von diesem Ansatz bestand für den Gesetzgeber auch kein Anlass, jede einzelne Detailregelung im ALG über die Bemessung einer Hinterbliebenenrente redaktionell entsprechend anzupassen; mit dem in § 14a ALG normierten Gebot einer "entsprechenden" Anwendung der (d.h. aller) leistungsrechtlichen Vorschriften hat der Gesetzgeber
vielmehr die Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die Rentenversicherungsträger eine sinnentsprechende Anwendung aller leistungsrechtlichen
Vorgaben gewährleisten würden.
Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren auf einen nach ihrem Verständnis erforderlichen "realen Besitzstand" im Sinne des
§ 97 ALG verweisen will, so hatte der nach langjährigen Beitragszahlungen im Altersrentenbezug stehende Versicherte den Anforderungen
des § 97 ALG genügende Anwartschaften auch nach Auffassung der Beklagten augenscheinlich erworben. Auf Seiten eines bzw. einer Hinterbliebenen
konnte bei Inkrafttreten des ALG im Jahr 1995 schon deshalb unter der Annahme einer erst nachfolgenden Begründung der Ehe bzw. Partnerschaft im Jahre 2008
noch kein "realer Besitzstand" vorhanden gewesen sein, weil die nachfolgend einen Hinterbliebenenanspruch begründende Ehe
bzw. Lebenspartnerschaft seinerzeit noch gar nicht bestand; letzteres gilt unabhängig von der Frage, ob in der Folgezeit eine
Ehe geschlossen oder eine Partnerschaft begründet worden ist. Insbesondere hat der Gesetzgeber keinen Anlass gesehen, die
Gewährung eines Zuschlages auf eine Hinterbliebenenrente nach Maßgabe des § 97 Abs. 5 ALG davon abhängig zu machen, ob die den Hinterbliebenenrentenanspruch begründende Ehe bzw. Lebenspartnerschaft bereits vor 1995
bestanden hat. Der Gesetzgeber hat damit in diesem Zusammenhang gerade davon abgesehen, bezogen auf die individuelle Person
des Hinterbliebenen einen bereits bei Außerkrafttreten des GAL bestehenden Vertrauenstatbestand zu verlangen. Dementsprechend
kann es aber auch hinterbliebenen Partnern einer Lebenspartnerschaft nicht entgegengehalten werden, dass diese für ihre Person
vor 1995 noch keinen entsprechenden Vertrauensbestand aufweisen können.
Die von der Beklagten befürwortete Differenzierung zwischen Ehegatten und Lebenspartnern widerspricht damit im Ergebnis bereits
den gesetzlichen Vorgaben und den Zielvorstellungen des Gesetzgebers. Es sei daher nur ergänzend angemerkt, dass es ohnehin
auch an den von Verfassungs wegen erforderlichen besonderen Rechtfertigungsgründen für eine Differenzierung in dem von der
Beklagten befürworteten Sinne fehlen würde. Die Anforderungen an die Rechtfertigung einer ungleichen Behandlung von Personengruppen
sind umso strenger, je mehr sich die zur Unterscheidung führenden personenbezogenen Merkmale den in Art.
3 Abs.
3 GG genannten Merkmalen annähern, das heißt je größer die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung
einer Minderheit führt (BVerfG, Beschluss vom 07. Mai 2013 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, NJW 2013, 2257).
Soweit das Sozialgericht in den Gründen des angefochtenen Urteils auch darauf abgestellt hat, dass der Familienstand des Versicherten
als "verheiratet" im Sinne des § 97 Abs. 2 ALG zu betrachten sei, worauf offenbar auch der im Urteilstenor gebrauchte Hinweis auf einen "Verheiratetenzuschlag" sich beziehen
soll, ist vorsorglich Folgendes klarzustellen: Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 ALG liegen im vorliegenden Zusammenhang nicht vor. Nach dieser Vorschrift gilt ein Landwirt bei der Ermittlung einer Rente nach
dem am 31. Dezember 1994 geltenden Recht als unverheiratet, wenn er verheiratet ist und sein Ehegatte Anspruch auf eine Rente
hat. § 97 Abs. 2 ALG betrifft Fallgestaltungen eines eigenständigen Rentenanspruchs des Ehegatten (bzw. im Anwendungsbereich des § 14a ALG: des Lebenspartners) nach Maßgabe des ALG (vgl. dazu auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2013 - L 1 LW 23/12 -, juris). Der Kläger hat jedoch keinen eigenständigen Rentenanspruch aus eigener Versicherung in der landwirtschaftlichen
Alterssicherung erworben, er verfügt lediglich über den aus den Anwartschaften seines Partners herrührenden Hinterbliebenenrentenanspruch.
Die Berechnung dieser Hinterbliebenenrente hat daher nicht nach Maßgabe des § 97 Abs. 2 ALG, sondern nach § 23 ALG in Verbindung insbesondere mit § 97 Abs. 1, 3, 5 und 11 ALG sowie § 99 ALG zu erfolgen. Dabei ist die im Rahmen dieser Berechnung mit zu berücksichtigende nach dem am 31. Dezember 1994 geltenden Recht
(vor Anwendung von Ruhens-, Kürzungs- oder Anrechnungsvorschriften) festzustellende Rente nach Maßgabe des § 99 Abs. 1 Satz 1 ALG dergestalt zu ermitteln, indem der für die bis zum Rentenbeginn auf Seiten des Versicherten zurückgelegte Anzahl an vollen
Beitragsjahren maßgebende Umrechnungsfaktor entsprechend den Vorgaben der Anlage 2 zum ALG mit dem allgemeinen Rentenwert vervielfältigt wird; der sich ergebende Betrag ist auf fünf Cent aufzurunden.
Die insoweit in Bezug genommene Anlage 2 unterscheidet zwischen "Umrechnungsfaktoren für Unverheiratete (Ledige, Geschiedene
und Verwitwete)" (vgl. A.I.) und (günstigeren) "Umrechnungsfaktoren für Verheiratete" (vgl. A.II.). In diesem Zusammenhang
gebietet die durch § 14a Abs. 1 ALG vorgeschriebene entsprechende Anwendung der leistungsrechtlichen Vorschriften eine Gleichstellung der Partner einer Lebenspartnerschaft
mit Verheirateten; auch für diese Partner sind die genannten "Umrechnungsfaktoren für Verheiratete" maßgeblich. In diesem
Sinne ist die vom Sozialgericht ausgesprochene Verpflichtung Berücksichtigung eines "Verheiratetenzuschlages" zu verstehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), sind bezogen auf das vorliegend zu beurteilende Übergangsrecht nicht gegeben.