Vertragsärztliche Honorarkürzung
Verpflichtender Einsatz des VSDM durch vertragsärztliche Leistungserbringer
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin <AG> wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts <SG> Hannover, mit dem der Eintritt der aufschiebenden
Wirkung <aW> der dort gegen ihren Bescheid vom 25. März 2020 anhängigen Klage (Aktenzeichen S 35 KA 11/20) festgestellt worden ist.
Der Antragsteller ist bei der AG zur vertragszahnärztlichen Versorgung zu- und mit Praxissitz in F. niedergelassen. Mit Datum
25. März 2020 erließ die AG den Jahreshonorar- und Degressionsbescheid für 2019 (Bl 8 des von der AG zur Verfahrensakte S 35 KA 11/20 übersandten Verwaltungsvorgangs <VV>). Der Bescheid enthält für sämtliche Quartale des Jahres 2019 eine Kürzung des Honoraranspruchs
(insgesamt 158.727,60 Euro) iHv 1 % wegen der Nichtdurchführung der sog Online-Versichertenstammdaten<VSD>-Prüfung. Der Kürzungsbetrag
beläuft sich auf insgesamt 1587,27 Euro. Hiergegen erhob der Antragsteller am 2. April 2020 (Schreiben vom 1. April 2020 =
Bl 13 VV) erfolglos Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2020 = Bl 17 VV). Die AG begründete ihre Entscheidung mit
den gesetzlichen Vorgaben (Hinweis auf § 291 Abs 2b S 14 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch <SGB V>), zu deren Umsetzung sie bei
Vorliegen der Voraussetzungen verpflichtet sei. Die von dem Antragsteller vorgebrachten verfassungs- und datenschutzrechtlichen
Einwände beträfen allein die Rechtmäßigkeit des geltenden Rechts, deren Überprüfung durch die AG nicht in Betracht komme.
Hiergegen hat der Antragsteller am 4. August 2020 Klage bei dem SG Hannover erhoben und umfangreich (insbesondere datenschutzrechtliche)
Bedenken vorgetragen (Schriftsatz vom 27. Juli 2020). Die Telematikinfrastruktur <TI> gefährde die Sicherheit der Patientendaten,
indem die komplette EDV der Praxis online gestellt werde und von Mitarbeitern ohne wirkliche digitale Kompetenz gesichert
werden müsse. Der Datenschutz der Praxis werde durch den Anschluss an die TI korrumpiert, weil für den störungsfreien Betrieb
der Komponenten Sicherheitsfunktionen wie Firewall und Portsysteme abgeschaltet oder ohne weitere Schutzfunktionen geöffnet
werden müssten. Dadurch entständen unzulässige Sicherheitslücken. Es entstehe die Gefahr des Eindringens in die Praxissoftware
mit Datenverlusten, krimineller Datenverschlüsselung oder mit Softwareveränderung. Es fehlten Untersuchungen, ob und wie viele
angeschlossene Praxen entsprechenden Gefährdungen unterlägen. Er habe die Patientendaten seiner Praxis im Wissen um diese
Gefahren nie online gestellt und keinerlei Vertrauen in einen TI-Anschluss. Er unterliege als Zahnarzt außerdem höherrangigen
Gesetzen wie
Grundgesetz, Heilberufsgesetz,
Strafgesetzbuch, Datenschutz-Grundverordnung, die alle im Konflikt zu den Telematikgesetzen ständen. Diese griffen auch in seine Berufsausübungsfreiheit ein. Die AG habe
die Praxen weder angemessen noch ausgewogen informiert. Es habe keine Informationen über die Risiken und Nebenwirkungen des
Online-Stellens des gesamten Praxisdatensystems gegeben, sondern lediglich einseitige Infos mit Drohbriefcharakter. Die TI
arbeite nicht zuverlässig; es komme zu wiederholten oder dauerhaften Systemausfällen, insbesondere bei den Konnektoren. Eine
Haftung der Hersteller und Betreiber der TI für solche Ausfälle bestehe nicht. Der für die Praxen anfallende Aufwand für die
TI werde nur unvollständig erstattet und sei insbesondere für kleine und ältere Praxen unverhältnismäßig. Die Sanktionierung
schränke die „keineswegs üppige Honorierung unserer Kassenbehandlung auf unlautere und unverantwortliche Weise weiter“ ein.
Das wirke sich unmittelbar negativ auf die Behandlungsqualität aus und sei damit zum Schaden der Kassenpatienten.
Der Antragsteller hat sich am 16. November 2020 unter Hinweis auf den durch die sog Covid-19-Krise verursachten enormen Zusatzaufwand
und deutlich verringerte Einnahmen mit der Bitte um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes an das SG gewandt und eine einstweilige Aussetzung der Sanktionen begehrt. Anders, als von der AG eingewandt, sei die derzeitige Lage
insbesondere für Zahnarztpraxen durchaus problematisch. Er werde auf gut drei Monatsgehälter verzichten müssen. Außerdem wende
er sich nicht nur gegen die AG als Kassenzahnärztliche Vereinigung <KZV>, sondern gegen die zugrunde liegenden Telematik-Sanktionsgesetze.
Die AG ist dem Begehren entgegengetreten (Schriftsatz vom 4. Dezember 2020 = Bl 11 dA). Der Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift
(Hinweis auf §
291 Abs
2b S 14
SGB V) sei eindeutig. Im Falle der fehlenden Durchführung des VSD-Managements <VSDM> sei die Vergütung ab 1. Januar 2019 pauschal
um 1 % zu kürzen. Es handele sich um eine gebundene Entscheidung; Ermessen komme ihr nicht zu. Sie sei darüber hinaus auch
nicht befugt, die Rechtmäßigkeit der Norm zu prüfen und diese ggf zu verwerfen. Anwendungsfehler rüge der Antragsteller nicht.
Unabhängig davon habe er nicht glaubhaft gemacht, dass eine persönliche finanzielle Notlage vorliege. Der bloße Hinweis auf
die Covid-19-Krise reiche insoweit nicht aus.
Das SG Hannover hat mit Beschluss vom 11. Dezember 2020 die aW der (unter dem Aktenzeichen S 35 KA 11/20) anhängigen Klage gegen den Bescheid vom 25. März 2020 festgestellt und den Antrag im Übrigen abgewiesen (Bl 14 dA). Das
Vorbringen des Antragstellers sei dahin auszulegen, dass er einerseits eine Entscheidung über die aW seiner Klage begehre
und andererseits eine Verpflichtung der AG zum künftigen Unterlassen vergleichbarer Honorarabzüge. Danach sei die aW seiner
Klage festzustellen gewesen, weil diese von Gesetzes wegen aW entfalte (Hinweis auf §
86a Abs
1 S 1 des
Sozialgerichtsgesetzes <SGG>). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz liege nicht vor. Die im Streit stehende Honorarkürzung falle nicht unter §
86a Abs
2 Nr
4 SGG iVm §
85 Abs
4 S 6
SGB V, weil kein Fall einer Honorarfestsetzung oder deren Änderung oder Aufhebung vorliege. Die maßgebliche Vorschrift für die
Honorarkürzung setze die Honorarverteilung voraus, gestalte diese jedoch nicht. Eine Sicherungsanordnung hinsichtlich künftiger
Honorarkürzungen sei wegen der aW der Klage weder geboten noch erforderlich. Eine beglaubigte Abschrift der Entscheidung ist
der AG am 18. Dezember 2020 zugestellt worden (Empfangsbekenntnis unter Bl 19d dA).
Hiergegen richtet sich die von der AG am 28. Dezember 2020 bei dem SG Hannover eingelegte Beschwerde (Schriftsatz vom 21.
Dezember 2020 = Bl 25 dA). Die Honorarkürzung im Zusammenhang mit dem VSDM falle als Sonderform der sachlich-rechnerischen
Richtigstellung unter §
85 Abs
4 S 6
SGB V. Eine andere Auslegung widerspreche sowohl Gesetzeswortlaut als auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Zum einen sei diese Honorarkürzung
strukturell mit einer Honorarkürzung im Zusammenhang mit der Verletzung der Pflicht zur fachlichen Fortbildung (Hinweis auf
§
95 Abs
3 S 3
SGB V) vergleichbar. Hier sei anerkannt, dass sie unter §
85 Abs
4 S 6
SGB V falle. Auch die vorliegende Honorarkürzung sei eine Sonderform der sachlich-rechnerischen Richtigstellung und dementsprechend
unter die Vorschrift zu subsumieren. Zum anderen werde der Sanktionscharakter der Honorarkürzung unterlaufen, wenn die aW
nicht entfalle. Der Gesetzesbegründung lasse sich entnehmen, dass bei Einführung der Vorschrift noch weitere, sehr viel einschneidendere
Maßnahmen (Abrechnungsverbot) denkbar gewesen seien. Da bis zur gerichtlichen Klärung von Streitigkeiten mitunter Jahre vergingen,
wäre die Wirkung der Honorarkürzung (Sanktion) für einen (Zahn-)Arzt erst lange nach Einführung der TI spürbar geworden. Das
liefe der beabsichtigten Schaffung eines starken Anreizes zur Prüfung der VSD stark entgegen.
Die Antragsgegnerin begehrt ihrem Vorbringen nach,
den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 11. Dezember 2020 aufzuheben, soweit darin die aufschiebende Wirkung der unter
dem Aktenzeichen S 35 KA 11/20 anhängigen Klage festgestellt worden ist und den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auch insoweit abzulehnen.
Der Antragsteller begehrt seinem Vorbringen nach,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die AG sei nicht einfach der verlängerte Arm des Gesetzgebers, sondern habe ihre Maßnahmen und Mitteilungen an die Leistungserbringer
stets auf eine eventuelle Patientenschädlichkeit zu überprüfen. Sie müsse die Ärzte auch über patientenschädliche Verfügungen
und Gesetze aufklären und ggf dagegen Klage führen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der
Verfahrensakte sowie die vom SG Hannover beigezogene Verfahrensakte S 35 KA 11/20 und den zu diesem Verfahren übersandten Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung
und Entscheidungsfindung.
II.
Die Beschwerde der AG gegen den Beschluss des SG Hannover vom 11. Dezember 2020 ist zulässig und begründet. Die Entscheidung
des SG ist zu ändern und der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auch hinsichtlich der aW der in der Hauptsache anhängigen
Klage abzulehnen.
A. Die Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig.
1. Nach §
172 Abs
1 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser
Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht <LSG> statt, soweit nicht im
SGG anderes bestimmt ist. Eine andere Bestimmung in diesem Sinne enthält – unter anderem – §
172 Abs
3 Nr
1 SGG. Danach ist eine Beschwerde ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung
der Zulassung bedürfte. Die Berufung ist gegen Urteile der Sozialgerichte statthaft (§
143 Halbs 1
SGG ) , soweit sich nicht aus den (weiteren) Vorschriften des Ersten Unterabschnitts zum Zweiten Abschnitt des
SGG etwas anderes ergibt (§
143 Halbs 2
SGG). Zu den Vorschriften, aus denen sich etwas anderes ergibt, zählt §
144 SGG. Danach bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst-
oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt <VA> betrifft, 750 Euro nicht übersteigt (§
144 Abs
1 S 1 Nr
1 SGG); das gilt nicht, wenn es um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr geht (§
144 Abs
1 S 2
SGG). Eine Klage auf Geldleistungen liegt nicht nur bei Sozialleistungen iS von §
11 S 1 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch <SGB I> vor, sondern umfasst bspw auch Klagen auf Zahlung ärztlichen Honorars (Keller
in: Meyer-Ladewig ua,
SGG, 13. Aufl 2020, §
144 Rn 9 mwN) . Damit betrifft das maßgebliche Verfahren in der Hauptsache (S 35 KA 11/20) eine Leistung iS von §
144 Abs
1 S 1 Nr
1 SGG, weil der Antragsteller dort letztlich (über die Anfechtung der Honorarkürzung) die Zahlung (weiteren) vertragszahnärztlichen
Honorars iHv 1587,27 Euro begehrt.
2. Die Beschwerde ist bei dem SG innerhalb der vorgesehenen Frist von einem Monat (§
173 S 1 Halbs 1
SGG) und damit fristgerecht eingelegt worden.
B. In der Sache hat die Beschwerde der AG Erfolg. Das als Antrag auf Anordnung der aW seiner gegen die Honorarkürzung in dem
Bescheid vom 25. März 2020 gerichteten Klage auszulegende Begehren (hierzu 1.) des Antragstellers ist zwar zulässig (hierzu
2.), aber unbegründet (hierzu 3.).
1. Nach §
123 SGG, der in allen sozialgerichtlichen Verfahren und allen Instanzen zu beachten ist (Keller, aaO, § 123 Rn 2), ist das Gericht
an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Maßgeblich ist das aus dem Gesamtvorbringen durch Auslegung zu ermittelnde Rechtsschutzziel
(vgl Keller, aaO, Rn 3) . Geleitet durch Art
19 Abs
4 des
Grundgesetzes <GG> ist die Auslegung grds wohlwollend am erkennbaren Rechtsschutzanliegen zu orientieren (Bundesverfassungsgericht <BVerfG>,
3. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 29. Oktober 2015 – 2 BvR 1493/11, NVwZ 2016, 238 = juris, jeweils Rn 33 ff; 1. Kammer des 1. Senats, Beschluss vom 25. Januar 2014 – 1 BvR 1126/11, NJW 2014, 991 = juris, jeweils Rn 23) . Davon ausgehend hat das SG den Satz
„Setzen Sie diese unseligen Sanktionen bitte einstweilig aus!“
in dem Schriftsatz des Antragstellers vom 16. November 2020 zu Recht als Antrag auf Anordnung der aW seiner Klage ausgelegt.
Ob bei der Auslegung des Begehrens über die bereits vorliegenden und mit der Hauptsache angefochtenen Honorarkürzungen hinaus
auch etwaige künftige Honorarkürzungen einzubeziehen waren, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Der Antragsteller hat gegen
die abweisende Entscheidung des SG keine Beschwerde eingelegt, und die AG ist durch den Beschluss insoweit (Ablehnung des Antrags) nicht beschwert. Der Senat
hat allerdings Zweifel, ob sich der Antragsteller auch gegen etwaige künftige Kürzungen wenden und sich einem Kostenrisiko
aussetzen wollte (insoweit hat es das SG versäumt, ein solches Begehren im Streitwert abzubilden).
2. Das dergestalt in einen Antrag gekleidete Begehren ist zulässig, insbesondere besteht ein rechtlich geschütztes Interesse
des Antragstellers an der Anordnung der aW. Die vor dem SG unter dem Aktenzeichen S 35 KA 11/20 anhängige Klage gegen die Honorarkürzung in dem Bescheid der AG vom 25. März 2020 entfaltet nicht von Gesetzes wegen aW.
Soweit §
86a Abs
1 S 1
SGG den Grundsatz aufstellt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, enthält §
85 Abs
4 S 6
SGB V idF von Art 1 Nr
20 Buchst f des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz
– GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl I 2983) für entsprechende Rechtsbehelfe der Vertragszahnärzte (für Vertragsärzte gilt §
87b Abs
2 S 6
SGB V) gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung eine der von §
86a Abs
2 Nr
4 SGG zugelassenen bundesgesetzlichen Ausnahmen. Hierunter fallen entgegen der Auffassung des SG auch Widersprüche und Klagen eines Vertrags(zahn)arztes gegen Honorarkürzungen aufgrund fehlender Teilnahme bei der Online-VSD-Prüfung
gem § 291 Abs 2b S 14 (bis 18. Dezember 2019) bzw S 9 (vom 19. Dezember 2019 bis 19. Oktober 2020)
SGB V bzw seit 20. Oktober 2020 §
291b Abs
5 S 1
SGB V in der Fassung von Art 1 Nr.
24 des Gesetzes zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur (Patientendaten-Schutz-Gesetz – PDSG)
vom 14. Oktober 2020 (BGBl I 2115).
Das folgt aus Sinn und Zweck der Regelung, aber auch bereits aus deren Wortlaut. Das Gesetz ordnet eine Kürzung der Vergütung
vertrags(zahn)ärztlicher Leistungen der an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer an. Es
bezieht sich damit, wenn auch in leicht abgewandelter sprachlicher Gestaltung, ebenso wie §
95d Abs
3 S 3
SGB V auf das quartalsweise – bzw hier jahresweise – festzusetzende Honorar des Leistungserbringers (zum Fehlen der aW gegen Honorarkürzungen
wegen fehlenden Fortbildungsnachweises s bspw Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2010 – L 3 KA 91/10 B ER; Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2010 – L 3 KA 99/10 B ER) und wirkt infolge der von der K(Z)V festzusetzenden Kürzung unmittelbar auf die Höhe des zur Auszahlung gelangenden
Honorars ein. Damit ist sie sowohl inhaltlich als auch nach der von der AG gewählten Form (einheitlicher Bescheid) integraler
Bestandteil der Honorarfestsetzung.
Der Gesetzgeber bezweckt mit der Sanktion die flächendeckende Einführung der den Leistungserbringern gem §
291 Abs
2b S 2 bzw §
291b Abs
2 SGB V auferlegten Pflicht zur Nutzung des von den Krankenkassen <KK> gem §
291 Abs
2b S 1 bzw §
291b Abs
1 SGB V anzubietenden VSDM. Diese Zielsetzung liefe ins Leere, wenn durch prozessuale Maßnahmen mit aW einerseits die Sanktionierung
und damit verbunden andererseits der Einsatz des VSDM verzögert werden könnte.
3. Der Antrag auf Anordnung der aW ist indes unbegründet und abzulehnen. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die aW
in den Fällen ganz oder teilweise anordnen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage – wie vorliegend (Ziff 2) – keine aW
haben (§
86b Abs
1 S 1 Nr
2 SGG). Über das „Ob“ einer Anordnung entscheidet das Gericht dabei auf der Grundlage einer Interessenabwägung, wobei das private
Interesse des belasteten Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung eines VA abzuwägen ist (Keller, aaO, § 86b Rn 12 ff mwN) . Die Privatinteressen überwiegen regelmäßig, wenn ernsthafte
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn die Vollziehung des angefochtenen Bescheids zu
einer unbilligen Härte für den Antragsteller führen würde. Damit lehnt sich der Senat in den Fällen der Festsetzung von Honorarrück-
oder sonstigen Regressforderungen bei der hier zu treffenden Abwägung wegen der insoweit grds vergleichbaren Interessenlage
an die Kriterien des §
86a Abs
3 S 2
SGG an.
Eine auf dieser Grundlage vorgenommene Abwägung führt nicht zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses. Die in der Hauptsache
angefochtene Honorarkürzung (als selbstständig anfechtbarer Teil des Bescheids vom 25. März 2020) erweist sich als rechtmäßig.
Für die Kürzung besteht eine Ermächtigungsgrundlage, deren Voraussetzungen vorliegen und deren Rechtsfolgenseite der AG kein
Ermessen einräumt (hierzu a). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschrift bestehen nicht (hierzu b). Die durch eine
Vollziehung des Bescheids drohende Rechtsverletzung wäre auch nicht von einer Intensität, die ungeachtet des zu erwartenden
Ausgangs des Hauptsacheverfahrens und der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise die Anordnung der aW gebietet
(hierzu c).
a) Rechtsgrundlage für die Berechtigung der AG, das vertragszahnärztliche Honorar wegen fehlender Teilnahme an der Online-VSD-Prüfung
zu kürzen, ist der zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids geltende §
291 Abs
2b S 9
SGB V in der bis 19. Oktober 2020 geltenden Fassung. Davor galt (bis 18. Dezember 2019) seit 29. Dezember 2015 wortgleich §
291 Abs
2b S 14
SGB V (zunächst mit der Frist 1. Juli 2018, ab 1. Januar 2019 mit der Frist 1. Januar 2019). Die Frage nach der Zulässigkeit einer
Rückwirkung stellt sich damit nicht. Danach war den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten, Einrichtungen
und Zahnärzten, die die Prüfung nach §
291 Abs
2b S 2
SGB V (dh die VSD-Prüfung) ab dem 1. Januar 2019 nicht durchführen, die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen pauschal um 1 %,
ab dem 1. März 2020 um 2,5 %, so lange zu kürzen, bis sie die Prüfung durchführen (zum geltenden Recht s §
291b Abs
2 SGB V). Der Antragsteller hat die Prüfung unstreitig in den von der Kürzung betroffenen vier Quartalen des Jahres 2019 nicht durchgeführt.
Von der Kürzung war bis zum 30. Juni 2019 abzusehen, wenn der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt oder
Zahnarzt oder die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Einrichtung gegenüber der jeweils zuständigen KV nachwies,
bereits vor dem 1. April 2019 die Anschaffung der für die Prüfung erforderlichen Ausstattung vertraglich vereinbart zu haben
(§
291 Abs
2b S 10
SGB V in der bis 19. Oktober 2020 geltenden Fassung; seit 20. Oktober 2020 gilt §
291b Abs
5 S 3
SGB V). Einen solchen Nachweis hat der Antragsteller nicht erbracht. Von einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung ist bei
seinem Vorbringen gegen das VSDM auch nicht auszugehen.
Die AG war deshalb nach dem Gesetzeswortlaut verpflichtet, bei ihm eine Honorarkürzung iHv 1 % vorzunehmen. Rechenfehler macht
der Antragsteller soweit nicht geltend; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der Ermächtigungsgrundlage bestehen nicht. Die von dem Antragsteller
in sehr allgemeiner und pauschaler Form vorgebrachten Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit von §
291 Abs
2b S 9
SGB V greifen nicht durch. Der Antragsteller hält nicht die Honorarkürzung selbst für verfassungsrechtlich problematisch, sondern
die durch sie sanktionsbewährte Verpflichtung zur Teilnahme am VSDM gem §
291 Abs
2b S 2
SGB V. Er hält die Online-VSD-Prüfung durch die an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer für
unzulässig, insbesondere – aber nicht nur – mit Blick auf den Datenschutz.
(1) Anlass zu Bedenken sieht er hinsichtlich der Patientendaten, ohne genauer auszuführen, was er damit meint. Das VSDM ist
die erste Anwendung der TI (Schifferdecker in: KassKomm-
SGB V, §
291 – Stand EL 110 Juli 2020 – Rn 53) . Bei der vorliegend interessierenden Online-VSD-Prüfung wird abgefragt, ob die von den
KK gem §
284 Abs
1 S 1 Nr
2 SGB V auf der elektronischen Gesundheitskarte <eGK> gespeicherten Daten (§
291 Abs
2 SGB V aF und §
291a Abs
2 SGB V idF des PDSG) noch aktuell sind. Dazu werden die Informationen auf der eGK beim Arztbesuch des Versicherten mit den Informationen
abgeglichen, die bei der KK hinterlegt sind. Stimmen die Angaben nicht überein, werden veraltete Daten auf der eGK überschrieben.
Hierbei handelt es sich um einen überschaubaren Datenverarbeitungsprozess (Buchner, MedR 2016, 660, 663) . Betroffen sind damit ausschließlich Daten, die zuvor bereits von den KK erhoben worden sind und die auf die eGK übertragen
werden. Es geht nicht um Daten, die durch den Vertrags(zahn)arzt erhoben worden sind. Im subjektiv-rechtlich geprägten Sozialgerichtsverfahren
kann sich der Antragsteller grundsätzlich nicht auf die (vermeintliche) Verletzung von Rechten Dritter, hier seiner über die
gesetzliche Krankenversicherung <gKV> versicherten Patienten berufen (vgl §
54 Abs
1 S 2
SGG) . Unabhängig von diesem prozessualen Aspekt hätte der Senat jedenfalls in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
weder Bedenken gegen die Zulässigkeit der Online-VSD-Prüfung als solcher noch gegen deren konkrete Ausgestaltung. Das Bundessozialgericht
<BSG> hat in seinem (in schriftlicher Form noch nicht vorliegenden) Urteil vom 20. Januar 2021 (Aktenzeichen: B 1 KR 7/20 R) entschieden (s Terminsbericht 2/21 Nr 1) , dass der Gesetzgeber mit den durch das PDSG vom 14. Oktober 2020 neu gefassten
Regelungen des
SGB V zur eGK und zur TI ausreichende Vorkehrungen zur Gewährleistung einer angemessenen Datensicherheit getroffen hat. Dabei ist
er auch seiner Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht nachgekommen, indem er unter anderem auf die in der Praxis zu Tage
getretenen datenschutzrechtlichen Defizite und Sicherheitsmängel reagiert und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen hat.
Die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben im Zusammenhang mit der eGK und der TI ist durch die zuständigen Aufsichtsbehörden
zu überwachen. Die Versicherten können im Rahmen der speziellen datenschutzrechtlichen Rechtsbehelfe eine Verletzung ihrer
Rechte gerichtlich überprüfen lassen. Die gesetzliche Obliegenheit zur Nutzung der eGK und deren Verfassungsmäßigkeit werden
hierdurch nicht tangiert.
(2) Soweit der Antragsteller eine Betroffenheit in eigenen Rechten geltend macht, weil er Nachteile um die Sicherheit seiner
Praxis-EDV (bspw durch Hackerangriffe) fürchtet, gelten für die Zeit ab Inkrafttreten des PDSG (20. Oktober 2020, Art 9 PDSG) unmittelbar die ausgeführten Aussagen des BSG in seinem Urteil vom 20. Januar 2021: Die gesetzlichen Regelungen sind verfassungsgemäß. Ergänzend und mit Blick auf die
Zeit vor Inkrafttreten des PDSG gilt, was das BSG bereits in seinem Urteil vom 18. November 2014 ausgeführt hat (B 1 KR 35/13 R, BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1 = juris, jeweils Rn 34) : Zweifel an der Datensicherheit im Zusammenhang mit eGK und – der damals
im Aufbau befindlichen – TI vermögen keine Grundrechtsverletzung zu begründen. Das BSG hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die Rechtsordnung die betroffenen Daten vor unbefugtem Zugriff Dritter
und vor missbräuchlicher Nutzung schützt. Die Rechtsordnung stellt zudem unberechtigte Zugriffe auf die Sozialdaten auf der
eGK unter Strafe. Dies schützt zusammen mit einem Bußgeldtatbestand das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Ungeachtet
aller Vorkehrungen trifft den Gesetzgeber eine Beobachtungspflicht, um auf sich künftig zeigende Sicherheitslücken zu reagieren.
Dieser Beobachtungspflicht ist der Gesetzgeber, wie sich dem Terminsbericht zum Urteil vom 20. Januar 2021 entnehmen lässt,
mit dem PDSG nachgekommen.
(3) Eine von dem Antragsteller gerügte Verletzung der Berufsausübungsfreiheit ist nicht ersichtlich. Durch Art
12 Abs
1 GG ist dem Einzelnen das Recht gewährt, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen und zur Grundlage
seiner Lebensführung zu machen. Die Vorschrift konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich
der individuellen Leistung und Existenzerhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab. Sie
formuliert ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit, dessen verschiedene Gewährleistungen allerdings insofern Bedeutung
haben, als an die Einschränkungen der Berufswahl höhere Anforderungen gestellt werden als an die Einschränkung der Berufsausübung
(BVerfG, Beschluss vom 20. März 2001 – 1 BvR 491/96, BVerfGE 103, 172, 182 f = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 25 = juris Rn 36 f <Altersgrenze für Kassenärzte>) . Der Antragsteller wird durch die Regelungen
zur Online- VSD-Prüfung (allenfalls) in seiner Berufsausübung eingeschränkt, weil diese ihm das Vorhalten und die Nutzung
der TI vorschreiben. Derartige Berufsausübungsregelungen sind zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen
(Art
12 Abs
1 S 2
GG), mit ihnen ein legitimer Zweck verfolgt wird und der Eingriff zur Zweckerreichung geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig
ieS ist. Daran hat der Senat nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Entscheidungen des BSG und des pauschalen Vorbringens des Antragstellers keinen Zweifel und sieht von einer eingehenderen Prüfung ab.
(4) Soweit der Antragsteller rügt, er sei von der AG weder angemessen noch ausgewogen informiert worden, ist ein Zusammenhang
zu Grundrechtsverletzungen infolge der Honorarkürzung nicht zu erkennen.
Der Einwand, die TI arbeite nicht zuverlässig, es komme zu wiederholten oder dauerhaften Systemausfällen, insbesondere bei
den Konnektoren, und hierfür bestehe keine Haftung der Hersteller und Betreiber der TI, steht auch in keinem relevanten Zusammenhang
zu der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Honorarkürzung. Die behauptete Unzuverlässigkeit kann kein Argument dafür sein,
wie der Antragsteller überhaupt nicht an der Online-VSD-Prüfung teilzunehmen, sondern wäre ggf eine Erklärung dafür, Online-Prüfungen
bei grundsätzlicher Teilnahme nicht durchgeführt haben zu können. Auch Haftungsfragen wären ggf als solche zu klären und können
keinen Grund dafür liefern, eine Teilnahme von vornherein grds abzulehnen.
Das Gleiche gilt für das Vorbringen, der für die Praxen anfallende Aufwand für die TI werde nur unvollständig erstattet und
er sei insbesondere für kleine und ältere Praxen unverhältnismäßig hoch. Unabhängig davon, dass der Antragstelle bislang noch
überhaupt keinen Aufwand gehabt haben dürfte, weil er an der Online-VSD-Prüfung nicht mitwirkt, wäre er ggf gehalten, höhere
Aufwandsentschädigung als vorgesehen gerichtlich geltend zu machen. Eine Möglichkeit, die Teilnahme von einer aus Sicht des
Antragstellers angemessenen Entschädigung abhängig zu machen, besteht jedenfalls nicht.
c) Der Antragsteller hat nichts dafür vorgetragen, dass ungeachtet der generellen gesetzgeberischen Grundentscheidung in §
85 Abs
4 S 6
SGB V und des zu erwartenden Ausgangs des Hauptsacheverfahrens in seinem Einzelfall dennoch ausnahmsweise das Aussetzungsinteresse
überwiegen könnte. Anhaltspunkte dafür sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere kann bei der festgesetzten Honorarkürzung
(1587,27 Euro) nicht von einer unbilligen Härte (Existenzvernichtung oder Insolvenz, hierzu bspw Senatsbeschluss vom 9. Dezember
2010 – L 3 KA 91/10 B ER; Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2010 – L 3 KA 99/10 B ER) ausgegangen werden.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von §
197 Abs
1 S 1
SGG iVm §
154 Abs
1 der
Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO>. Der Antragsteller hat als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
D. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Halbs 1
SGG iVm §§ 47 Abs 1, 52 Abs 1, 53 Abs 2 Nr 4 des Gerichtskostengesetzes <GKG>. Dabei legt der Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in stRspr ein Viertel der streitbefangenen Honorarkürzung
(1587,27 Euro) zugrunde (s zuletzt Beschluss vom 3. Februar 2021 – L 3 U 4/20 B ER) . Soweit das SG Hannover in seinem Streitwertbeschluss vom 11. Dezember 2020 ohne nähere Begründung einen Betrag iHv
793,64 Euro (hierbei dürfte es sich um den halbierten Betrag der Honorarkürzung handeln) festgesetzt hat, ist diese Entscheidung
eigenständig ergangen und von der AG nicht angegriffen worden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG; §
197a Abs
1 S 1 Halbs 1
SGG iVm §§ 68 Abs 1 S 5, 66 Abs 3 S 3 GKG).