Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß BKV Anl. 1 Nr. 2112 in der gesetzlichen Unfallversicherung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Kniebeschwerden als Berufskrankheit (BK).
Der 1950 geborene Kläger arbeitete von 1966 bis zum Eintritt in den Ruhestand im August 2014 als Maler. Dabei entfiel seit
1970 ein Viertel seiner Arbeitszeit auf das Verlegen von Bodenbelägen (Teppich, PVC, Linoleum).
Im Februar 1970 erlitt er einen Arbeitsunfall, bei dem er sich eine Fraktur des rechten Unterschenkels zuzog. Wegen der Folgen
dieses Unfalls - lt Bescheid vom 26. August 2010: Wackelsteifigkeit des unteren Sprunggelenks, endgradige Bewegungseinschränkungen
des oberen Sprunggelenks, arthrotische Veränderungen im Bereich des Sprunggelenks, Muskelminderung des Ober- und Unterschenkels
nach knöchern unter leichter Verkürzung fest verheiltem Unterschenkelbruch rechts und Innenknöchelbruch rechts - gewährt ihm
die Beklagte seit November 2009 eine Verletztenrente iHv 30 vH der Vollrente.
Etwa seit 1972 traten bei ihm auch Beschwerden im rechten Kniegelenk auf, die 2002 und 2005 zu arthroskopischen Operationen
führten. Der behandelnde Chirurg Dr. E. diagnostizierte im Jahr 2010 insoweit eine Gonarthrose vom Grad I - II nach Kellgren
(Bericht vom 5. Oktober 2010). Seit 2009 bestanden auch Kniebeschwerden links, die schließlich im Jahr 2012 zu einer Arthroskopie
führten.
Nachdem Dr. E. der Beklagten unter dem 17. August 2010 eine aktivierte Gonarthrose beiderseits als BK angezeigt hatte, zog
die Beklagte medizinische Unterlagen bei und holte eine Stellungnahme ihres beratenden Chirurgen F. ein. Dieser kam zu dem
Ergebnis, dass beim Kläger rechts das radiologische Bild einer Gonarthrose im Stadium I - II nach Kell-gren vorliege, während
links radiologisch keine Gonarthrose nachweisbar sei. Eine Gonarthrose iSd BK-Nr 2112 (der Anl 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV)) liege nicht vor. Außerdem bestehe rechts eine sekundäre Meniskopathie, die aber nicht als BK nach der Nr 2102 anzusehen
sei.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2011 entschied die Beklagte, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach den Nrn
2102 oder 2112 der Anl 1 zur
BKV nicht vorlägen. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2011).
Hiergegen hat der Kläger am 11. August 2011 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben, mit der er die Anerkennung von BKen nach Nr 2102 und Nr 2112 der Anl 1 zur
BKV und die Gewährung von "Leistungen nach dem
SGB VII in rechtmäßiger Höhe" begehrt hat. Durch den Wegeunfall 1970 habe er eine Vorschädigung des rechten Kniegelenks erlitten.
Infolge der jahrzehntelangen Kniebelastung als Maler und Lackierer sei es neben dieser Schädigung auch zum Verschleiß im linken
Kniegelenk gekommen. Daher sei die Kniegelenkserkrankung beiderseits als BK anzuerkennen und zu entschädigen.
Auf Anforderung des SG hat die Beklagte durch ihre Abteilung Prävention Ermittlungen zur beruflichen Kniebelastung des Klägers durchgeführt, die
im Hinblick auf die geltend gemachte Gonarthrose eine Gesamtstundenzahl kniebelastender Tätigkeiten von 18.812 ergeben haben
(Bericht vom 14. Dezember 2011). Der vom SG als Sachverständiger beauftragte Orthopäde Dr. G. ist in seinem Gutachten vom 3. April 2012 (ergänzt am 4. Juni 2012 und
am 28. Januar 2013) zum Ergebnis gekommen, eine BK 2102 liege nicht vor. Dagegen liege - neben einer posttraumatischen Gonarthrose
im rechten Kniegelenk - beiderseits eine Gonarthrose iSd BK-Nr 2112 vor, die zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
iHv 10 vH führe. Demgegenüber hat die Chirurgin Dr. H. als Beratungsärztin der Beklagten die Auffassung vertreten, eine Gonarthrose
im linken Kniegelenk sei nicht belegt (Stellungnahme vom 17. August 2012).
Mit Urteil vom 17. Oktober 2013 hat das SG den Bescheid vom 23. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2011 abgeändert und festgestellt, dass
beim Kläger am linken Kniegelenk eine BK nach Nr 2112 der Anl 1 zur
BKV vorliege, und zwar seit dem 22. Mai 2008. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, ihm ab dem 27. Juli 2012 eine Stützrente
nach einer MdE iHv 10 vH zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zwar liege eine Meniskopathie iSd Nr 2102 nicht
vor und die rechtsseitigen Kniebeschwerden des Klägers seien nicht Folge der beruflichen Tätigkeit des Klägers, sondern des
Ereignisses vom 27. Februar 1970. In Hinblick auf das linke Kniegelenk habe der Sachverständige Dr. G. dagegen gut nachvollziehbar
begründet, dass eine Gonarthrose Grad II - IV der Klassifikation von Kellgren beim Kläger vorliege, und den erforderlichen
Kausalzusammenhang schlüssig und gut nachvollziehbar bejaht. Wenn sich demgegenüber Dr. H. in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme
darauf berufen habe, dass die festzustellenden Osteophyten nicht mindestens 2 mm mäßen, ergäben sich derartige Anforderungen
aus den Originalpublikationen von Kellgren nicht.
Gegen das ihr am 21. November 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4. Dezember 2013 Berufung bei dem Landessozialgericht
(LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sofern Dr. G. sowie das SG Braunschweig von einer Gonarthrose nach Kellgren II im linken
Kniegelenk ausgingen, liege eine seitendifferente Gonarthrose vor, die für eine BK-Anerkennung untypisch sei. Durch die als
Folge der Unterschenkelfraktur von 1970 aufgetretene Beinachsenfehlstellung wäre im Übrigen auch ein altersvoranschreitender
Befund in dem durch den Arbeitsunfall nicht betroffenen linken Kniegelenk zu erwarten. Außerdem seien im linken Kniegelenk
lediglich Kellgren I-Veränderungen nachzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 17. Oktober 2013 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für überzeugend. Der fortgeschrittene Knorpelschaden im linken Kniegelenk sei durch
seine Arbeitsbelastung als Maler verursacht worden. Die iSd BK-Nr 2112 erforderliche Kniebelastung habe er um 5.812 Stunden
überschritten.
Der Senat hat ein Sachverständigengutachten des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. I. (vom 12. November 2014) eingeholt, der
zu dem Ergebnis gekommen ist, der beginnende degenerative Kniescheibenschaden links deute nach Art und Umfang nicht auf eine
berufliche Genese hin.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der
Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Frage, ob im linken Kniegelenk des Klägers eine Gonarthrose als BK iSd Nr
2112 der Anl 1 zur
BKV vorliegt. Soweit das SG die Anerkennung einer BK Nr 2112 im rechten Kniegelenk bzw das Vorliegen einer BK Nr 2102 (Meniskopathie) abgelehnt hat,
hat der hierdurch beschwerte Kläger keine Berufung eingelegt, sodass die erstinstanzliche Entscheidung insofern rechtskräftig
geworden ist (§
141 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Die so verstandene Berufung ist zulässig und auch begründet. Zu Unrecht hat das SG eine BK nach Nr 2112 der Anl 1 zur
BKV festgestellt und die Beklagte verurteilt, dem Kläger hierfür eine Verletztenrente zu zahlen.
1. Soweit der Kläger - nach der Sitzungsniederschrift vom 17. Oktober 2013: auf Anraten des Kammervorsitzenden - beantragt
hat, ihm "Leistungen nach dem
SGB VII in rechtmäßiger Höhe zu gewähren", ist die Klage bereits unzulässig. Eine solche Leistungsklage ist nicht statthaft, weil
sie - entgegen §
54 Abs
4 SGG - nicht auf konkrete Leistungen gerichtet ist, sondern (im Ergebnis) allgemein auf die unzulässige Feststellung einer Leistungspflicht
der Beklagten. Über sie könnte auch nicht durch Grundurteil iSv §
130 SGG entschieden werden, weil dies nur möglich wäre, wenn der Leistungsanspruch dem Grunde nach besteht und nur die Höhe vom Gericht
offen gelassen wird (zu alledem Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-2700 § 8 Nr 6; Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 6/06 R - juris). Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden auch noch nicht über konkrete Leistungsansprüche entschieden;
mit der Formulierung: "Ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen besteht nicht" ist nur die Rechtsfolge umschrieben worden,
die sich aus der Ablehnung der BK-Feststellung ergibt (vgl hierzu BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 6). Erst recht war es rechtswidrig, wenn das SG die Beklagte zur Zahlung einer Verletztenrente iHv 10 vH verurteilt hat, weil die Gewährung dieser Leistung vom Kläger gar
nicht beantragt worden war (Verstoß gegen die Dispositionsmaxime, §
202 S 1
SGG iVm §
308 Abs
1 S 1
Zivilprozessordnung (
ZPO)).
2. Im Übrigen ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§
54 Abs
1 iVm §
55 Abs
1 Nr
3 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind insgesamt nicht zu beanstanden. Es kann nicht festgestellt werden,
dass die Beschwerden im linken Knie des Klägers Folgen einer BK sind.
a) BKen sind gem §
9 Abs
1 S 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet (Listen-BK)
und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Insoweit ist die Regierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen
zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen
bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann
dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann BKen sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht worden
sind.
Aus diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf bei einzelnen
BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang)
muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen
müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall
auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität; hier: in Form gesundheitlicher Leistungseinschränkungen
des Klägers), ist keine Bedingung für die Feststellung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung",
die "Einwirkungen" und die "Krankheit" iSd Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für
die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit,
nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl hierzu BSGE 103, 54 mwN).
Die Nr 2112 der Anl 1 zur
BKV bezeichnet die hier allein noch streitgegenständliche BK als "Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare
Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer
von insgesamt einer Stunde pro Schicht". Die Voraussetzungen dieser BK liegen aber nicht vor.
b) Der Kläger hat bei seiner beruflichen Tätigkeit als Maler allerdings eine Tätigkeit ausgeführt, die gem §
2 Abs
1 Nr
1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat.
c) Dabei war er auch den in der Nr 2112 genannten Einwirkungen ausgesetzt, nämlich einer Kniebelastung mit einer kumulativen
Einwirkungsdauer von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht. Dies
ergibt sich aus den im Klageverfahren nachgeholten arbeitstechnischen Ermittlungen der Beklagten, die - bei Zugrundelegung
von Arbeiten mit einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht - zu einer Gesamteinwirkungsdauer kniebelastender
Tätigkeiten iHv 18.812 Stunden gekommen sind.
d) Es kann jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass im linken Knie des Klägers
eine Gonarthrose als Krankheit vorliegt, die von der Nr 2112 der Anl 1 zur
BKV erfasst wird.
Die Frage, was unter "Gonarthrose" in diesem Sinne zu verstehen ist, ist unter Heranziehung der zur BK-Nr 2112 vorliegenden
Materialien, insbesondere des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) herausgegebenen Merkblatts für die
ärztliche Untersuchung (Bekanntmachung vom 30. Dezember 2009, GMBl 2010, 98) zu klären (Becker in:
SGB VII-Komm, Stand: März 2016, § 9 Anm 2 zu Nr 2112 unter Hinweis auf BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2; vgl auch BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1). In Abschn III. des genannten Merkblatts (GMBl aaO., S 100) ist ausgeführt, dass die Diagnose
einer Gonarthrose iSd BK-Nr 2112 folgende Voraussetzungen hat: (1) chronische Kniegelenksbeschwerden, (2) Funktionsstörungen
bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und (3) die röntgenologische
Diagnose einer Gonarthrose entsprechend Grad II - IV der Klassifikation von Kellgren et al. Die wissenschaftliche Stellungnahme
des ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" beim BMAS aus dem Jahr 2011 (GMBl 2011, 983) hat ergänzend hierzu
fünf weitere Funktionsstörungen angeführt, die anstelle der unter (2) angeführten Streck- und Beugeeinschränkungen treten
können.
Im Fall des Klägers fehlt es aber bereits an einer röntgenologischen Diagnose entsprechend II - IV der Kellgren-Klassifikation.
Dies ergibt sich bereits aus der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H., die die Beklagte im Klageverfahren vorgelegt
hat und die im Ergebnis von den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. I. im Gutachten vom 12. November 2015
bestätigt wird.
Eine Gonarthrose von Grad II der Klassifikation nach Kellgren et al setzt nach dem Merkblatt zur BK-Nr 2112 voraus, dass im
Röntgenbild oder im Ergebnis anderer bildgebender Verfahren "definitive Osteophyten" und eine mögliche Verschmälerung des
Kniegelenkspalts festgestellt werden können. Was unter "definitiven Osteophyten" zu verstehen ist, ist zwar im Merkblatt und
- nach den Angaben des erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Dr. G. - möglicherweise auch in den Originalpublikationen
von Kellgren et al nicht näher beschrieben. Nähere Aussagen hierzu sind jedoch der "Begutachtungsempfehlung für die Berufskrankheit
Nr 2112 (Gonarthrose)" mit Stand vom 3. Juni 2014 zu entnehmen. Diese beruht auf dem Konsens von Vertretern verschiedener
Fachgesellschaften und Organisationen und ist - wie zB die Konsensempfehlung zu den BKen Nrn 2108 und 2109 - bei der Beurteilung
des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands zugrunde zu legen, der - wie hier - für die Beantwortung wissenschaftlicher
(insbesondere medizinischer) Fachfragen maßgeblich ist (vgl hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6).
Als Osteophyten sind nach der Begutachtungsempfehlung knöcherne Randausziehungen anzusehen, die am Gelenkrand lokalisiert
sind. Als "definitive" Osteophyten gelten dabei nur solche Randausziehungen, die eine Größe von mindestens 2 mm ab ursprünglicher
Knochenform aufweisen. Dabei sind Osteophyten an der Kniescheibe für die Begutachtung der BK-Nr 2112 nur dann bedeutsam, wenn
sie sich seitlich an der Patella (Kniescheibe) befinden (zu alledem: Begutachtungsempfehlung S 26).
Veränderungen in diesem Ausmaß liegen im linken Knie des Klägers aber nicht vor. Dies ergibt sich sowohl aus der Stellungnahme
der beratenden Ärztin Dr. H. als auch aus dem Sachverständigengutachten von Dr. I ... Bereits Dr. H. hat dargelegt, dass die
im Jahr 2012 (und damit zeitnah vor der Aufgabe der belastenden Berufstätigkeit) gefertigten Röntgenaufnahmen Osteophyten
zeigen, die kleiner als 2 mm sind. Außerdem liegen sie nicht an den Seiten, sondern am oberen und unteren Rand der Patella.
Diese Einschätzung wird vom Sachverständigen Dr. I. bestätigt. Auch er hat (S 17 f und 28 f des Gutachtens) linksseitig lediglich
osteophytäre Randausziehungen des oberen und unteren Kniescheibenpols festgestellt, die überdies nur in diskretem Umfang vorhanden
sind.
Nach der Begutachtungsempfehlung (dort S 26) kann beim Fehlen von Osteophyten ein Kellgren-Grad II zwar auch angenommen werden,
wenn ausschließlich eine Verschmälerung des Kniegelenkspalts gegeben ist. Eine definitive Gelenkspaltverschmälerung kann dabei
aber nur vorliegen, wenn die Gelenkspaltweiten in bestimmtem Umfang gemindert sind. Der Abstand der Gelenkflächen im Kniehauptgelenk
muss hierfür lateral auf 5 mm oder weniger und medial auf 4 mm oder weniger verringert sein. Dies ist beim Kläger aber nicht
der Fall. Dr. G. hat auf der Grundlage der von ihm 2012 gefertigten Röntgenaufnahmen lateral eine Gelenkspaltweite von 9 mm
und medial von 5 mm festgestellt (S 18 seines Gutachtens vom 3. April 2012). Auch Dr. I. hat die Verschmälerungen als "allenfalls
geringgradig" bezeichnet.
Wenn Dr. I. zusammenfassend eine Gonarthrose II. Grades nach Kellgren annimmt, ist dies allerdings nicht schlüssig. Denn auf
der Grundlage der von ihm selbst erhobenen Befunde ist bei Heranziehung der Begutachtungsempfehlung allenfalls von einem Grad
I auszugehen. Bei Zugrundelegung der hier maßgeblichen Begutachtungsempfehlung ist nach alledem die Einschätzung von Dr. H.
zutreffend, wonach ein Kellgren-Grad II und damit eine Gonarthrose iSd BK-Nr 2112 im linken Kniegelenk des Klägers nicht vorliegt.
e) Unabhängig hiervon kann nicht wahrscheinlich gemacht werden, dass eine Gonarthrose links durch die beruflichen Einwirkungen
verursacht worden ist. Entscheidend hierfür ist, dass im rechten Knie unstreitig eine deutlich stärker ausgeprägte Gonarthrose
vorliegt, ohne dass die Differenz der Befunde durch eine einseitige berufliche Mehrbelastung der rechten Seite erklärt werden
könnte. Sowohl Dr. H. als auch Dr. I. führen dies als Gesichtspunkt an, der gegen einen Ursachenzusammenhang mit den beruflichen
Einwirkungen spricht, wobei Dr. I. darauf hinweist, dass die Gonarthrose bei beidseitigem Knien und vergleichbarer Kniebelastung
in der Regel auch beidseitig auftritt. Dies steht mit den Ausführungen im ärztlichen Merkblatt zur BK-Nr 2112 (Abschn III,
vorletzter Abs (GMBl 2010, 100)) in Übereinstimmung. Auch in der Rspr ist anerkannt, dass eine asymmetrische Ausprägung gonarthrotischer
Veränderungen grundsätzlich gegen eine berufliche Verursachung spricht (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Mai 2015 - L 6 U 4974/13; Sächsisches LSG, Urteil vom 4. November 2015 - L 6 U 200/13 - beide juris).
Es besteht im vorliegenden Verfahren auch kein Streit darüber, dass die Gonarthrose im rechten Kniegelenk des Klägers wesentlich
durch die Folgen des 1970 erlittenen Arbeitsunfalls verursacht ist. Dies nimmt insbesondere auch der erstinstanzlich gehörte
Sachverständige Dr. G. an. Wenn er demgegenüber in seinem Gutachten ausführt, der beruflichen Belastung komme die wesentliche
Rolle für das Entstehen der Gonarthrose links zu, kann dies aber nicht überzeugen. Dr. G. führt dies zum einen darauf zurück,
dass im Bereich des linken Knies deutlichere klinische Auswirkungen bestünden als rechts und dass andererseits der Hauptmanifestationsort
der Veränderungen die Kniescheibenrückflächen seien. Beide Umstände können seine Einschätzung indes nicht stützen. Weder Dr.
I. im Berufungsverfahren noch die Ärzte, die den Kläger vor Dr. G. untersucht hatten, konnten die von Dr. G. mitgeteilten
Bewegungseinschränkungen im linken Kniegelenk feststellen. Es kann zurzeit auch nicht als gesichert angesehen werden, dass
sich eine beruflich bedingte Gonarthrose typischerweise an den Kniescheibenrückflächen manifestiert. Aus der Begutachtungsempfehlung
(S 11) ergibt sich vielmehr, dass zwar die biomechanische Evidenz in diesem Fall eine Betonung der Knorpelschäden im Retropatellargelenk
erwarten lässt. Die bisher vorliegenden Studien konnten aber keine signifikanten Unterschiede in der Verteilung der Knorpelschäden
zwischen den exponierten und nichtexponierten Personen nachweisen. Deshalb muss gegenwärtig davon ausgegangen werden, dass
ein belastungstypisches Verteilungsmuster bei arbeitsbedingt exponierten Fällen mit Gonarthrose im Vergleich zu arbeitsbedingt
nicht belasteten Fällen mit Gonarthrose nicht existiert (Begutachtungsempfehlung S 12).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 Abs
1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs
2 SGG), sind nicht ersichtlich.