LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.09.2016 - 14 R 573/16
Altersrente
Fehlendes Vorverfahren
Unzulässigkeit einer Klage
Konkludente Widerspruchserhebung
1. Die Durchführung eines Vorverfahrens ist unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung.
2. Eine konkludente Widerspruchserhebung durch eine Klage setzt voraus, dass ein Kläger in der Klage einen zu überprüfenden
Bescheid benennt; zudem muss er deutlich machen, dass er dessen Überprüfung durch die Behörde wünscht, was daraus folgt, dass
das Vorverfahren der Selbstkontrolle der Verwaltung und der Entlastung der Gerichte dient, so dass es Sachurteilsvoraussetzung
ist.
3. Eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens mit dem Ziel, den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das Widerspruchsverfahren
nachzuholen, kommt nur dann in Betracht, wenn die Widerspruchsfrist bei Klageerhebung nicht verstrichen war.
Vorinstanzen: SG Köln 17.05.2016 S 25 R 607/15
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 17.05.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer höheren Altersrente. Der 1949 in Polen geborene Kläger polnischer Staatsangehörigkeit
ist nach seinen Angaben 1985 in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) eingereist. Sein Versicherungskonto bei der Beklagten
weist für die Jahre 1968 bis 1987 ausschließlich Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) sowie für die Folgezeit bis zum 31.03.2009 ausschließlich sog. AFG-Zeiten (von der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Zeiten) bzw. in 2002 / 2003 sog. Sozl-Zeiten (Zeiten des Bezugs von Kranken-
oder Übergangsgeld und vergleichbare Geldleistungen eines Sozialleistungsträgers) aus. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV)
Rheinland bewilligte dem Kläger im Jahr 2009 rückwirkend ab August 2004 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
in Höhe von rund 76,- EUR monatlich; dies ohne Anrechnung polnischer Versicherungszeiten und als Vorschussrente, da zur Feststellung
der genauen Leistungshöhe noch weitere Ermittlungen erforderlich waren (Bescheid vom 04.03.2009). Die weiteren Ermittlungen
fokussierten sich in der Folgezeit auf die Frage, ob sich der Kläger seit 1985 gewöhnlich in der BRD oder in Polen aufgehalten
hat, nachdem bei der Beklagten 2008 ein anonymes Schreiben eingegangen war, nach dem sich der Kläger durchgehend, auch seit
1987, bei seiner Familie in Polen aufgehalten und dort auch gearbeitet habe und gezielt nur dann in die BRD gereist sei, wenn
er beim Arbeitsamt einen Termin gehabt habe. Zum 10.09.2009 meldete sich der Kläger nachweislich in Polen ab. 2009 erfolgte
die Übernahme der Rentenzahlung von der DRV Rheinland durch die Beklagte. Aufgrund Antrags des Klägers von März 2009 auf Altersrente
für schwerbehinderte Menschen ab April 2009 wandelte die Beklagte die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
mit Bescheid vom 30.08.2011 für die Zeit ab April 2009 in eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen um mit einem Zahlbetrag
von rund 218,- EUR monatlich unter Berücksichtigung polnischer Versicherungszeiten. Die Rente wurde dabei nicht nach dem Deutsch-Polnischen-Sozialversicherungsabkommen
von 1975 - DPSV-Abkommen - (als Inlandsrentenanspruch) berechnet, was mit der Begründung erfolgte, dass der durchgehende Aufenthalt
des Klägers in Deutschland seit dem 02.04.1985 nicht als zweifelsfrei bewiesen angesehen werden könne,- was erst im Altersrentenverfahren
aufgefallen sei,- nachdem sich der Kläger erst am 10.09.2009 in Polen abgemeldet habe. Überprüfungsanträge des Klägers von
2011 und 2013 wegen weiterer zu berücksichtigender Zeiten der Arbeitslosigkeit und wegen der Zugrundelegung des DPSV-Abkommens
1975 für seine Renten führten zur Neufeststellung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit rückwirkend
ab Rentenbeginn im August 2004 mit einem Zahlbetrag von monatlich nunmehr rund 233,- EUR netto (Bescheid vom 19.04.2013);
außerdem erfolgte eine endgültige Feststellung der Altersrente rückwirkend ab Rentenbeginn im April 2009 mit einem Zahlbetrag
von monatlich nunmehr rund 448,- EUR netto (Bescheid vom 29.04.2013). Erneute Überprüfungsanträge des Klägers von 2013 wegen
weiterer zu berücksichtigender Zeiten in Polen führten zur erneuten Neufeststellung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
bei Berufsunfähigkeit rückwirkend ab August 2004 mit einem Zahlbetrag von monatlich nunmehr rund 274,- EUR netto (Bescheid
vom 21.10.2013) sowie zur Neufeststellung der Altersrente rückwirkend ab April 2009 mit einem Zahlbetrag von monatlich nunmehr
rund 520,- EUR netto (Bescheid vom 23.10.2013). Mit weiterem Überprüfungsantrag vom 14.02.2014 begehrte der Kläger die Überprüfung
der Höhe seiner Altersrente mit der Begründung, seines Erachtens stehe ihm eine volle Altersrente von mindestens 1100,- EUR
monatlich zu. Mit Bescheid vom 19.09.2014 stellte die Beklagte nach § 44 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) die Altersrente für Schwerbehinderte rückwirkend für die Zeit ab April 2009 - insoweit unter Rücknahme des Bescheides vom
30.08.2011 sowie der Folgebescheide - der Höhe nach neu fest mit einem Zahlbetrag von monatlich nunmehr rund 548,- EUR netto,
weil nach erneuter Prüfung festgestellt worden sei, dass bei Berechnung der Altersrente für Schwerbehinderte die besitzgeschützten
Entgeltpunkte aus der vorherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht berücksichtigt worden seien; die monatliche
laufende Rente für die Zeit ab November 2014 berechnete die Beklagte mit monatlich nunmehr rund 590,- EUR netto. Der Bescheid
enthielt folgende Rechtsbehelfsbelehrung: "Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb einen Monats nach seiner Bekanntgabe
schriftlich Widerspruch erheben. Den Widerspruch richten Sie bitte an die DRV Berlin-Brandenburg, , Berlin. Sie können uns
auch aufsuchen und Ihren Widerspruch schriftlich aufnehmen lassen." Gegen den Bescheid vom 19.09.2014 legte der Kläger keinen
Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 20.04.2015 (Eingang beim Sozialgericht Köln am 24.04.2015) erhob der Kläger Klage vor dem
Sozialgericht Köln mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, seine Rente neu und nach geltenden und für seine Situation
zutreffenden Gesetzen zu berechnen. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, er sei als Aussiedler aus Polen in die
BRD eingereist und habe sich danach nie dauerhaft in Polen aufgehalten. Fälschlicherweise sei seine Rente nach dem Rentengesetz
vom 14.06.1971 abgerechnet worden und sei aufgrund dessen sehr niedrig ausgefallen (586,76 EUR), was mit irgendwelchen Vermutungen
zu tun habe, er habe sich über Jahre in Polen aufgehalten und sich dort nie abgemeldet; bei ihm sei aber das Rentengesetz
vom 09.10.1975 anzuwenden. Nach Beantragung der Altersrente ab dem 60. Lebensjahr, d.h. ab April 2009, sei die Rente in der
Höhe immer gleich geblieben. Man habe ihm keine volle Altersrente berechnet, sondern eine für schwerbehinderte Menschen. Er
sei aber nicht mehr krank und auch nicht behindert. Seine Klageschrift schloss der Kläger mit den Worten: "Ich bitte Sie um
positive Entscheidung meiner Angelegenheit und bedanke mich bei Ihnen im Voraus." Das Sozialgericht hat den Kläger daraufhin
um Prüfung und Klarstellung gebeten, was er mit seiner Klage erreichen wolle. Der Kläger hat hierauf geantwortet, er wolle,
dass seine Rente nach dem DPSV-Abkommen von 1975 berechnet werde; er sei mit der Berechnung seiner Rente nach dem Recht von
1971 nicht einverstanden; ab April 2009 stehe ihm eine Frühaltersrente zu, die um etwa 100 % höher liegen müsse; ab Juli 2014
stehe ihm eine Vollrente zu; nach seiner Dokumentation sei seine jetzige Altersrente für schwerbehinderte Menschen ca. 50
% seiner Basisaltersrente; absurd sei, dass seine jetzige Rente als Altersrente für schwerbehinderte Menschen berechnet sei;
er betone, dass ihn die Altersrente für Schwerbehinderte nicht betreffe. Das Sozialgericht hat den Kläger darauf hingewiesen,
es gehe aufgrund seiner Erklärungen nun davon aus, dass er mit den Regelungen des Bescheides vom 19.09.2014 nicht einverstanden
sei; diesen Bescheid könne er jedoch gegenwärtig zulässigerweise mit einer Klage nicht angreifen; vor einer Klage müsse er
fristgerecht Widerspruch einlegen, dann ergehe Widerspruchsbescheid und im Anschluss sei eine Klage möglich; an diesen Voraussetzungen
fehle es in seinem Fall; die Klage sei daher nicht zulässig und habe keine Erfolgsaussichten; es werde daher die Rücknahme
angeregt; freigestellt bleibe ihm aber, betreffend des Bescheides vom 19.09.2014 einen sog. Überprüfungsantrag zu stellen,
was auch nach Ablauf der Widerspruchsfrist möglich sei; sollte die Klage nicht zurückgenommen werden, sei beabsichtigt, über
die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden; rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten bestünden
nicht; es bestehe Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger hat daraufhin im Wesentlichen mitgeteilt, seine Erwerbsminderungsrente
sei zum 30.06.2014 beendet worden, trotzdem bekomme er sie weiterhin in gleicher Höhe weiter gezahlt. Die Beklagte hat ausgeführt,
der Kläger habe dem letzten Neuberechnungsbescheid vom 19.09.2014 nicht widersprochen, so dass es am erforderlichen Widerspruchsverfahren
für die Klage mangele. In der Sache hat die Beklagte im Übrigen im wesentlichen vorgetragen, eine Anwendung des DPSV-Abkommens
von 1975 komme nicht in Betracht; die Folgerente ab April 2009 werde zu Recht aus den besitzgeschützten Entgeltpunkten der
Vorrente (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) geleistet; weitere Umwandlungen von Altersrenten seien von Gesetzes wegen
grundsätzlich ausgeschlossen; das deutsche Recht kenne im Übrigen eine Frührente nicht. Durch Gerichtsbescheid vom 17.05.2016
hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: "Die Kammer konnte nach Anhörung der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid (§ 105 Sozialgerichtsgesetz ( SGG)) entscheiden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt
geklärt ist. Die Klage - die als Anfechtungs- und Leistungsklage i.S.v. § 54 Abs. 1 und 4 SGG zu verstehen ist - bleibt ohne Erfolg, da sie nicht zulässig ist. Es mangelt an dem nach § 78 SGG erforderlichen Vorverfahren. Der letzte Altersrentenbescheid vom 19.09.2014 ist mangels (fristgerechtem) Widerspruch des
Klägers bestandskräftig geworden und damit nach § 77 SGG für die Beteiligten bindend. Weitere Bescheide, gegen die sich der Kläger (zulässigerweise) hätte wenden können, sind nicht
ersichtlich. Die Zulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage setzt voraus, dass der angefochtene Verwaltungsakt
zuvor in einem Widerspruchsverfahren überprüft worden ist. Die Durchführung dieses Vorverfahrens ist eine unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung
für die Anfechtungsklage. Diese vorherige Überprüfung soll der Verwaltung die Gelegenheit bieten, Fehlentscheidungen selbst
zu korrigieren, und damit zugleich i.S. einer Filterfunktion dem Interesse der Entlastung der Gerichte dienen. An dieser Sachentscheidungsvoraussetzung
mangelt es, da ein Widerspruchsbescheid nicht ergangen ist. Anlass, das gerichtliche Verfahren in analoger Anwendung des §
114 SGG auszusetzen, um den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das Widerspruchsverfahren nachzuholen, bestand nicht, da der Kläger
einen Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.09.2014 gegenüber der Beklagten nicht erhoben hat. Selbst wenn in der Klageschrift
vom 20.04.2015 (konkludent) ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.09.2014 zu sehen sein sollte - was allerdings zweifelhaft
ist, weil der Kläger den Bescheid nicht einmal benennt - so wäre dieser Widerspruch weit außerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist
des § 84 SGG erhoben und damit verfristet. Eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens mit dem Ziel, den Beteiligten Gelegenheit zu geben,
das Widerspruchsverfahren nachzuholen, kommt nur dann in Betracht, wenn die Widerspruchsfrist nicht verstrichen ist (SG Berlin,
Urteil vom 16. Mai 2012, Az: S 205 AS 11726/09, [...] Rdn. 45 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG." Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 18.05.2016 zugegangen. Mit seiner am 20.06.2016 beim Sozialgericht Köln eingegangenen
Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Seine Klage sei mit der Begründung, er habe keinen Widerspruch gegen den Rentenbescheid
vom 19.09.2014 eingelegt, abgewiesen worden. Dieser Rentenbescheid betreffe nicht eine Rentenberechnung, sondern eine Rentenerhöhung.
Allen anderen, vorherigen Rentenbescheiden habe er erfolglos widersprochen. Er unterliege dem DPSV-Abkommen von 1975 und nicht
dem von 1971. Er bitte, die Beklagte zu verpflichten, seine Rente gerecht und in Einklang mit den geltenden Gesetzen neu zu
berechnen. Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Verwaltungsakten des Klägers von der Beklagten beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den weiteren Inhalt
der Gerichts- und Verwaltungsakte sowie der beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte die Sache verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger nicht zum Termin erschienen ist. Der Kläger ist mit
der ordnungsgemäß erfolgen Ladung (Postzustellurkunde vom 31.08.2016) auf diese zulässige Verfahrensweise (§§ 124 Absatz 1, 153 Absatz 1 SGG) hingewiesen worden. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 18.09.2016 (Eingang bei Gericht am 26.09.2016) mitgeteilt hat,
er könne den Verhandlungstermin nicht wahrnehmen, da er sich in Polen befinde, ernsthaft erkrankt und nicht reisefähig sei
und den Senat bitte, die gerichtliche Verhandlung ohne seine Anwesenheit durchzuführen, wobei er um ein gerechtes Urteil bitte,
hat der Senatsvorsitzende die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers im Termin aufgehoben. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Das Ende der Berufungsfrist fiel auf Samstag, den 18.06.2016, so dass
der Eingang der Berufung beim Sozialgericht am Montag, den 20.06.2016, fristwahrend war, §§ 64 Absatz 3, 151 Absatz 2 Satz 1 SGG. Die Berufung ist unbegründet, weil das Sozialgericht die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen hat. Gemäß seinem Klageziel,
bei ihm eine höhere Altersrente festzustellen, begehrt der Kläger mit der Klage sinngemäß, die Beklagte unter Abänderung des
zuletzt ergangenen Altersrentenbescheides vom 19.09.2014 zur Neufeststellung seiner Altersrente und Zahlung einer höheren
Rente zu verurteilen. Weitere Bescheide zur Altersrente, gegen die sich der Kläger (zulässigerweise) hätte wenden können,
hat die Beklagte nach Erlass des Bescheides vom 19.09.2014 nicht erteilt.
Die so ausgelegte Klage gegen den Bescheid vom 19.09.2014 ist unzulässig.
Der Kläger hat mangels Einlegung eines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 19.09.2014 kein Vorverfahren eingeleitet, wobei
ein Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.09.2014 auch nicht (konkludent) in der Klageerhebung vom 24.04.2015
zu sehen ist (dazu 1.). Selbst wenn, fehlt es dann an dem das Vorverfahren abschließenden Widerspruchsbescheid, der auch nicht
in der Klage- bzw. Berufungseinlassung der Beklagten gesehen werden kann (dazu 2.). Das Klageverfahren war vom Sozialgericht
auch nicht auszusetzen (dazu 3.). 1.) Die Klage ist unzulässig, weil der Kläger entgegen der Vorschrift des § 78 Absatz 1 i.V.m. Absatz 3 SGG ein Vorverfahren gegen den Bescheid vom 19.09.2014, das hier nach § 78 Absatz 1 Satz 2 SGG auch nicht entbehrlich war, nicht durchgeführt hat. Die Durchführung eines Vorverfahrens ist unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung
(Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25.04.2007, B 12 AL 2/06 R ([...], Rdn. 20 m. w.N.)). Eingeleitet wird das Vorverfahren durch den Widerspruch, § 83 SGG. Durchgeführt ist das Vorverfahren, wenn im Anschluss an die Nachprüfung der mit einem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsentscheidung
ein auf diese Nachprüfung bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist, §§ 62 Halbsatz 2 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X), 8 Halbsatz 2 SGB X, 85 SGG (vgl. auch BSG, Urteil vom 25.04.2007, B 12 AL 2/06 R (a.a.O., Rdn. 15)). Hier hat der Kläger ein Vorverfahren schon nicht eingeleitet. Der Kläger hat keinen ein Widerspruchsverfahren
einleitenden Widerspruch im Sinne des § 83 SGG gegen den zuletzt ergangenen Altersrentenbescheid vom 19.09.2014 binnen der dafür geltenden einmonatigen Widerspruchsfrist
des § 84 Absatz 1 Satz 1 SGG bei der Beklagten eingelegt. Der Bescheid vom 19.09.2014 war mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehen, weil
diese den Kläger über den Rechtsbehelf des Widerspruchs, die Verwaltungsstelle, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist,
den Sitz und die einzuhaltende Frist belehrte, § 66 Absatz 1 SGG. Die Einlegung eines Widerspruchs gegen diesen Bescheid war daher nur binnen einen Monats nach der gegenüber dem Kläger erfolgten
Bekanntgabe des Bescheides vom 19.09.2014 möglich, §§ 66 Absätze 1 und 2 i.V.m. 84 Absatz 1 Satz 1 SGG. Binnen dieser Frist aber hat der Kläger einen Widerspruch im Sinne des § 83 SGG gegen den Bescheid vom 19.09.2014 bei der Beklagten nicht eingelegt. Ein Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.09.2014
ist auch nicht (konkludent) in der Klageerhebung vom 24.04.2015 zu sehen. Eine konkludente Widerspruchserhebung durch eine
Klage setzt voraus, dass ein Kläger in der Klage einen zu überprüfenden Bescheid benennt; zudem muss er deutlich machen, dass
er dessen Überprüfung durch die Behörde wünscht, was daraus folgt, dass das Vorverfahren der Selbstkontrolle der Verwaltung
und der Entlastung der Gerichte dient, so dass es Sachurteilsvoraussetzung ist (OVG Hamburg, Urteil vom 28.07.1995, Bf IV 14/94 ([...]); SG Berlin, Urteil vom 16.05.2012, S 205 AS 11726/09 ([...], Rdn. 45 m.w.N.); Breitkreuz, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, Kommentar, § 78, Rdn. 1 und 2). Beides ist hier nicht der Fall. Zutreffend hat bereits das Sozialgericht im angefochtenen Gerichtsbescheid
darauf hingewiesen, dass der Kläger den Bescheid vom 19.09.2014 in seiner Klageschrift vom 20.04.2015 nicht benannt hat. Ausweislich
der Klageschrift vom 20.04.2015 begehrte der Kläger im Übrigen keine Überprüfung des Bescheides vom 19.09.2014 durch die Beklagte,
sondern ausdrücklich eine positive Entscheidung seiner Angelegenheit durch das Gericht. Zudem hat sich die höchstrichterliche
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur konkludenten Widerspruchserhebung durch Klage am Maßstab von Fällen gebildet,
in denen innerhalb der gegen den Bescheid laufenden Widerspruchsfrist Klage zum Sozialgericht erhoben worden ist; allein in
dieser Klageerhebung kann nach dem Bundessozialgericht zugleich auch ein Widerspruch zu erblicken sein (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.1964, 11/1 RA 90/61 ([...], Rdn. 21); vom 22.6.1966, 3 RK 64/62 ([...], Rdn. 21), vom 03.03.1999, B 6 KA 10/98 R ([...], Rdn. 28), und vom 13.12.2000, B 5 KA 1/00 ([...], Rdn. 25)). Diese Konstellation liegt hier aber nicht vor. Der allein
mit der Klage angegriffene Bescheid datiert vom 19.09.2014, die Klageschrift vom 20.04.2015 (Eingang am 24.04.2015). Insofern
hat der Kläger nicht binnen der - hier infolge zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung - einschlägigen Ein-Monats-Frist des §
84 Absatz 1 Satz 1 SGG Klage gegen den Bescheid vom 19.09.2014 erhoben, so dass auch aus diesem Grund in der Klageerhebung vom 24.04.2015 keine
konkludente Widerspruchseinlegung gesehen werden kann. 2.) Selbst wenn entgegen obiger Ausführungen in der Klageerhebung vom
24.04.2015 ein (konkludenter) Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.09.2014 zu sehen sein sollte, fehlt es dann
an dem das Vorverfahren abschließenden Widerspruchsbescheid der Beklagten im Sinne des § 85 Absatz 2 SGG. Einen ausdrücklich als Widerspruchsbescheid bezeichneten Bescheid im Sinne des § 85 SGG hat die Beklagte bis heute unstreitig nicht erteilt. Eine Widerspruchsbescheidung der Beklagten kann auch nicht in der Klage
- bzw. Berufungseinlassung der Beklagten gesehen werden. Wegen der objektiven Funktion des Vorverfahrens und seiner förmlichen
Ausgestaltung im SGG kann ein Widerspruchsbescheid - auch im Hinblick auf prozessökonomische Erwägungen - nicht durch eine sachliche, auf Abweisung
der Klage und/oder Zurückweisung der Berufung als unbegründet gerichtete Einlassung der für den Widerspruch zuständigen Behörde
ersetzt werden; diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts fügt sich in dessen bisherige Rechtsprechung ein, wonach die
Durchführung des Vorverfahrens nach der Konzeption des § 78 SGG als unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung anzusehen ist (BSG, Urteil vom 25.04.2007, B 12 AL 2/06 R, a.a.O. Rdn. 20 m.w.N.). Entsprechend können die Klageerwiderung der Beklagten vom 21.05.2015 und deren Berufungserwiderung
vom 11.07.2016 nicht in einen Widerspruchsbescheid "umgedeutet" werden, zumal die Beklagte in der Klageerwiderung in erster
Linie auf die Unzulässigkeit der Klage mangels Durchführung eines Widerspruchsverfahrens (und nur hilfsweise auf eine Einlassung
in der Sache) und in der Berufungserwiderung auf die zutreffenden Gründe der sozialgerichtlichen Entscheidung abgestellt hat.
3.) Es bestand auch kein Anlass, das sozialgerichtliche Verfahren in analoger Anwendung des § 114 SGG auszusetzen, um den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das Widerspruchsverfahren nachzuholen. Wie das Sozialgericht im angefochtenen
Gerichtsbescheid zutreffend ausgeführt hat, wäre das Klageverfahren nur dann auszusetzen gewesen, wenn zum Zeitpunkt der Klageerhebung
die Widerspruchsfrist noch nicht verstrichen gewesen wäre. Denn eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens mit dem Ziel,
den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das Widerspruchsverfahren nachzuholen, kommt nur dann in Betracht, wenn die Widerspruchsfrist
bei Klageerhebung nicht verstrichen war (vgl. SG Berlin, Urteil vom 16.05.2012, S 205 AS 11726/09 ([...], Rdn. 45 m.w.N). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall gewesen. Wie bereits oben ausgeführt, enthielt der Bescheid
vom 19.09.2014 eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung, so dass die damit geltende einmonatige Widerspruchsfrist (§ 84 Absatz 1 Satz 1 SGG) im Zeitpunkt der Klageerhebung im April 2015 längst abgelaufen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Absatz 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht erfüllt sind.
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