Gründe
Die gemäß §
172 SGG zulässige, insbesondere fristgerechte Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners
hat die Antragstellerin Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
1. Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus, d.h. des materiellen Anspruchs,
für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung
aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft
zu machen - §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 ZPO. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat
die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist
eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa
weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen
bedürfte -, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung
zu entscheiden (BVerfG, 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 -, Rn. 26; 6.8.2014 - 1 BvR 1453/12 -, Rn. 10).
Wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Antragstellerin nicht nach §
7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen ist, weil ihr das Recht als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU erhalten bleibt. Der Senat teilt die Auffassung, dass bei einem Arbeitsverhältnis, welches für genau ein Jahr bestand, §
2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU Anwendung findet. Dem Wortlaut nach wird ein solches Arbeitsverhältnis weder von § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU ("nach mehr als einem Jahr Tätigkeit") noch von § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU ("nach weniger als einem Jahr Beschäftigung") erfasst. Auch unter Rückgriff auf den Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG (FreizügRL) bleibt die Frage offen. Allerdings heißt es unter Ziffer 2.3.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU
(AVV zum FreizügG/EU), nach einer durchgängigen Beschäftigung "von einem Jahr oder länger" bestehe das Freizügigkeitsrecht grundsätzlich unbefristet
fort. Das Beschäftigungsverhältnis der Antragstellerin währte taggenau ein Jahr.
Der Antragsgegner kann sich nicht darauf berufen, Arbeitslosigkeit sei hier unfreiwillig eingetreten.
Es gibt bereits zu der Frage, wie § 2 Abs. 3 FreizügG/EU in Bezug auf die dort erwähnte Bestätigung zu verstehen ist, ob also eine gesonderte Bestätigung der Unfreiwilligkeit der
Arbeitslosigkeit durch die Agentur für Arbeit für das Fortwirken der Arbeitsnehmereigenschaft erforderlich ist, verschiedene
Auffassungen (etwa Hessisches LSG, Urteil vom 27.11.2013 - L 6 AS 378/12 -, juris Rn. 48; Sächsisches OVG, Beschluss vom 20.08.2012 - 3 B 202/12 -, juris Rn. 9; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.06.2014 - 4 LB 22/13 -, juris Rn. 44); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11.11.2014 - L 8 SO 306/14 B ER -, juris Rn. 22). Darauf kommt
es hier aber nicht an. Zwar hat die Agentur für Arbeit bestätigt, dass die Arbeitslosigkeit verschuldet eintrat. Darauf kann
sich der Antragsgegner allerdings nicht berufen; insbesondere berechtigt ihn dies nicht, von eigenen Ermittlungen abzusehen.
Die Auslegung von § 2 Abs. 3 FreizügG/EU hat im Lichte von Art. 7 Abs. 3 FreizügRL zu erfolgen, welcher eine "ordnungsgemäße" Bestätigung verlangt. Das Zustandekommen genügt in diesem Einzelfall
rechtsstaatlichen Ordnungsgrundsätzen nicht. Insbesondere dem Antragsgegner - aber auch der im Verfahren beteiligten Agentur
für Arbeit - musste dabei bewusst sein, dass die Gewährung von existenzsichernden Leistungen und damit letztlich ein Grundrecht
von der Frage abhängt, ob die Voraussetzungen von § 2 Abs. 3 FreizügG/EU vorliegen. Die Grundsätze des rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art.
103 Abs.
1 GG) und eines fairen Verfahrens (Art.
2 Abs.
1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; Art. 6 Abs. 1 EMRK) wurden nicht hinreichend beachtet.
Der Arbeitgeber hat der Antragstellerin zunächst ohne Angaben von Gründen fristgerecht und ordentlich gekündigt. Auf Nachfrage
durch den Antragsgegner hat er mitgeteilt, die Antragstellerin habe - so wörtlich und vollständig wiedergegeben-: "mehrmals
unentschuldigt an ihrem Arbeitsplatz gefehlt". Angaben, wann und in welchem Umfang Fehlzeiten eingetreten sind, wurden nicht
gemacht. Es ist auch nicht erkennbar, welche Funktion die Person, welche die Auskunft gegeben hat, innehat. Nachfragen durch
den Antragsgegner beim Arbeitgeber erfolgten nicht. Die Antragstellerin erhielt keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme.
Diese Auskunft des Arbeitgebers leitete der Antragsgegner am 3.3.2020 nachmittags per Mail mit der Bitte an die Agentur für
Arbeit, zu überprüfen, ob die Arbeitslosigkeit unverschuldet eingetreten sei. Ergänzt war dies durch den Hinweis, dass dies
aus Sicht des Antragsgegners "nicht" - durch Fettdruck hervorgehoben - der Fall sei. Bereits am Folgetag vormittags übersendete
die Agentur für Arbeit die - so wörtlich - "gewünschte" Bestätigung.
Die Agentur für Arbeit erteilte auf Nachfrage des Senates im Beschwerdeverfahren die Auskunft, dass "Grundlage der Entscheidung"
dort lediglich die Unterlagen gewesen seien, welche der Antragsgegner vorgelegt hätte. Welche dies seien, könne allerdings
nicht gesagt werden, weil die vorgelegten Unterlagen nach Ausstellung der Bescheinigung vernichtet würden. Trotz des Hinweises
auf die Dringlichkeit und nachdrücklicher Erinnerung erfolgte die Auskunft durch die Agentur für Arbeit in dem Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes erst nach einem Monat. Auch ist für den Senat nicht erkennbar, welche Entscheidung die Agentur
für Arbeit getroffen haben will. Sie bestätigt die einseitige Auskunft des Arbeitgebers, und dies sogar, ohne dass dieser
irgendeine Einzeltatsache vorträgt. Dieses Verhalten muss sich der Antragsgegner zurechnen lassen, der sich auf diese "Bestätigung"
beruft.
Auch diese Bestätigung wurde der Antragstellerin nicht zur Kenntnis - und damit auch nicht zur Stellungnahme - gegeben. Der
Antragsgegner lehnte Leistungen mit der Begründung ab, die Unfreiwilligkeit nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU sei nicht festgestellt - dazu berief er sich auf die Feststellung der Agentur für Arbeit. Auch durch die Äußerung der Antragstellerin
vom 4.5.2020, dass sie nicht wisse, warum sie gekündigt worden sei, sah der Antragsgegner sich nicht veranlasst, der Antragstellerin
die Auskunft des Arbeitgebers oder die Stellungnahme der Agentur für Arbeit zur Kenntnis zu bringen oder gar von Amts wegen
den Sachverhalt aufzuklären (§ 20 SGB X, insb. dort Abs. 2).
Die Antragstellerin hat im erstinstanzlichen Verfahren zu jeder einzelnen der erst durch das Sozialgericht - nicht durch den
Antragsgegner - ermittelten Fehlzeiten vorgetragen. Angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner in diesem Einzelfall keinerlei
Tatsachen ermittelt hat und sich in seiner Beschwerdebegründung darauf beschränkt, den Vortrag der Antragstellerin zu bestreiten,
sieht sich der Senat nicht zu weiteren Ermittlungen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gedrängt.
Die Beschwerde war zurückzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen.
3. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).