Tatbestand
In der Hauptsache streiten die Beteiligten um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am 00.00.1949 geborene in Spanien wohnhafte Kläger bezieht seit dem 01.11.2014 Regelaltersrente von der Beklagten. Er
beantragte zunächst am 17.06.2009 bei der Beklagten Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 30.06.2010 wurde
dieser Antrag abgelehnt. Daraufhin stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag, den die Beklagte nach Einholung von Befundberichten
seiner behandelnden Ärzte in Spanien mit streitgegenständlichem Bescheid vom 07.10.2011 ablehnte. Den dagegen eingelegten
Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012 zurück, wogegen der Kläger unter Bevollmächtigung seiner
ebenfalls in Spanien ansässigen Rechtsanwälte fristgerecht Klage erhoben hat.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.2010 in der Gestalt des Bescheides vom 07.10.2011 in der Fassung des
Widerspruchbescheides vom 20.11.2012 zu verurteilen, ihm rückwirkend ab Antragstellung Rente wegen voller Erwerbsminderung
zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht (SG) hat nach Beweiserhebung durch die Einholung eines ambulanten Gutachtens bei Dr. T nach entsprechenden Einverständniserklärungen
der Beteiligten die Klage durch Urteil ohne mündliche Verhandlung am 03.07.2014 als unbegründet abgewiesen. In seiner auch
ansonsten richtigen Rechtsmittelbelehrung hat das SG den Kläger u.a. darüber belehrt, dass die Berufungsfrist für ihn drei Monate betrage, weil die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs
des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) erfolge. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 15.07.2014 in Spanien zugestellt worden.
Hiergegen haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen adressiertem Schriftsatz
vom 03.10.2014 Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz ist beim Servicio Comun de Registro y Reparto des los Juzgados de Ourense
(Servicio) in Spanien am 03.10.2014 und beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen am 16.10.2014 - einem Donnerstag - eingegangen.
Der Senat hat darauf hingewiesen, dass der Eingang der Berufung beim Landessozialgericht die Frist nicht wahre und um Darlegung
gebeten, ob es sich beim Servicio um ein dem Sozialgericht oder dem Landessozialgericht entsprechendes Gericht im Sinne von
Art. 81 VO (EG) 883/2004 handele.
Hierzu hat der Kläger mitgeteilt, das spanische Gesetz Ley Organica 19/2003 vom 23. Dezember zur Änderung des Gesetzes Ley
Organica 6/1985 vom 1. Juli über die Strukturierung der spanischen richterlichen Gewalt habe in Art. 438 Abs. 3 das Justizministerium
ermächtigt, innerhalb der jeweiligen Zuständigkeiten gerichtliche Dienststellen einzuführen, die die allen Gerichten gleichermaßen
zufallenden Aufgaben der Annahme, Registrierung und Verteilung von eingehenden Schriftstücken, Aufgaben der gerichtlichen
Mitteilungen und Zustellungen, Aufgaben der gerichtlichen Amtshilfe, Aufgaben der gerichtlichen Vollstreckungen und Aufgaben
der freiwilligen Gerichtsbarkeit in eigener Zuständigkeit für alle anderen Gerichte vor Ort selbständig erledigten. In der
Stadt Ourense befinde sich im Parterre des Justizgebäudes (Plaza de Concepcion Arenal, 1 - 32003 Ourense) sein solcher Servicio,
der die Annahme, Registrierung und Verteilung der eingehenden Eingaben für alle Gerichte der Provinzialhauptstadt Ourense
(vier Sozialgerichte, ein Landessozialgericht, vier Amtsgerichte, zwei Strafgerichte, ein Familiengericht, ein Handelsgericht,
zwei Verwaltungsgerichte und ein Landgericht) in eigener Zuständigkeit, geleitet von einem Gerichtssekretär und unter Leitung
des örtlichen Dekanrichters, erledige. Die entsprechenden Unterlagen sind im spanischen Original sowie auf Anforderung des
Senats hinsichtlich der Art. 435 bis 438 des spanischen Organgesetzes in der aktuell gültigen Fassung mit Schriftsatz vom
04.12.2014 beigefügt bzw. mit Schriftsatz vom 23.04.2015 nachgereicht worden.
Weiterhin haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Bestätigung des Gemeinsamen Dienstes für Registrierung und Geschäftsverteilung
in Ourense vom 06.03.2017 vorgelegt, wonach das Leitgericht Ourense laut Beschluss der Generalversammlung der Richter vom
12.01.2004 die Aufgaben der Registrierung und Geschäftsverteilung sowie sonstige damit verbundene Tätigkeiten der Sozialgerichte
in Ourense übernommen habe. Seit dem 12.01.2004 sei das Leitgericht Ourense für alle Gerichte im Bezirk Ourense hinsichtlich
der Registrierung und Geschäftsverteilung auch von verfahrenseinleitenden Schriftstücken zuständig. Im Eingangsstempel erscheine
dann jedenfalls seit 2010 die Bezeichnung Servicio Comun de Registro y Reparto des los Juzgados de Ourense. Letztendlich sei
der Gemeinsame Dienst für Registrierung und Geschäftsverteilung der Gerichte von Ourense das zuständige Organ für die Eingabe
von Schriftstücken, die an die entsprechenden Justizbehörden der Mitgliedsstaaten der EU, die in den jeweiligen Ländern den
(spanischen) Ermittlungs-, Straf-, Verwaltungs- und Sozialgerichten entsprechen, gerichtet sind.
Der Kläger vertritt die Auffassung, der Servicio der Stadt Ourense einspreche der Posteingangsstelle beim Landessozialgericht
mit dem einzigen Unterschied, dass der Servicio für sämtliche im Bezirk der Stadt Ourense gelegenen Gerichte die gemeinsame
Posteingangsstelle sei.
Mit einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung durch Zwischenurteil ohne mündliche Verhandlung haben sich die Beteiligten
einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, welche ebenso Gegenstand
der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Über die Frage der Zulässigkeit der Berufung konnte der Senat - mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§
153 I, 124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne mündliche Verhandlung - nach §§
153 Abs.
1,
130 Abs.
2 SGG vorab durch Zwischenurteil entscheiden, da dies sachdienlich ist. Hieran ist der Senat auch nicht deshalb gehindert, weil
bereits das SG - ebenfalls im Einverständnis der Beteiligten - durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Denn auch dann verbleibt
es für die Beteiligten in der Berufungsinstanz bei der Möglichkeit, erneut gemäß §
124 Abs.
2 SGG ihr Einverständnis zu einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zu erklären (vgl. Sächsisches Landessozialgericht,
Urteil vom 06.05.2010, L 3 AS 588/09, [...] Rn. 12). Überdies handelt es sich bei der Zulässigkeit des Rechtsmittels um eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage
im Sinne des §
130 Abs.
2 SGG, der deshalb hier anwendbar ist. Die Sachdienlichkeit einer Vorabentscheidung folgt daraus, dass bei rechtskräftiger Verneinung
der Zulässigkeit des Rechtsmittels weitere Ermittlungen in der Sache zur Frage der Erwerbsfähigkeit entbehrlich blieben.
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie zur Überzeugung des Senats fristgerecht eingelegt. Am Vorliegen der weiteren
Zulässigkeitsvoraussetzungen bestehen überdies keine Zweifel.
Bei Zustellungen im Ausland - wie hier an die Prozessbevollmächtigten des Klägers in Spanien - ist in Ermangelung einer §
87 Abs.
1 Satz 2
SGG entsprechenden Bestimmung in §
151 SGG für die Bestimmung der Berufungsfrist über §
153 Abs.
1 SGG der §
87 Abs.
1 Satz 2
SGG entsprechend heranzuziehen (Leitherer in Meyer-Ladewig / Keller/ Leitherer / Schmidt,
Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage, 2017, Rn. 6 zu §
151 SGG) mit der Folge, dass die Berufung beim Landessozialgericht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Urteils schriftlich
oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen ist. Die Ausnahme des §
66 Abs.
2 SGG, wonach die - problemlos eingehaltene - Jahresfrist gälte, greift hier nicht, weil die sozialgerichtliche Rechtsmittelbelehrung
im Sinne des §
66 Abs.
1 SGG richtig erteilt worden ist. Insbesondere hat das Sozialgericht in ihr zutreffend auf die für den Kläger geltende Drei-Monats-Frist
hingewiesen.
Der Kläger hat die Berufung am 03.10.2014 und damit fristgerecht eingelegt. Abzustellen ist auf den für diesen Tag beurkundeten
Eingang seiner Berufungsschrift beim Servicio Comun de Registro y Reparto des los Juzgados de Ourense in Spanien. Maßgebend
hierfür ist Artikel 81 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit - "Anträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe" -, der lautet:
"Anträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe, die gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats innerhalb einer bestimmten
Frist bei einer Behörde, einem Träger oder einem Gericht dieses Mitgliedstaats einzureichen sind, können innerhalb der gleichen
Frist bei einer entsprechenden Behörde, einem entsprechenden Träger oder einem entsprechenden Gericht eines anderen Mitgliedstaats
eingereicht werden. In diesem Fall übermitteln die in Anspruch genommenen Behörden, Träger oder Gerichte diese Anträge, Erklärungen
oder Rechtsbehelfe entweder unmittelbar oder durch Einschaltung der zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten unverzüglich
der zuständigen Behörde, dem zuständigen Träger oder dem zuständigen Gericht des ersten Mitgliedstaats. Der Tag, an dem diese
Anträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe bei einer Behörde, einem Träger oder einem Gericht des zweiten Mitgliedstaats eingegangen
sind, gilt als Tag des Eingangs bei der zuständigen Behörde, dem zuständigen Träger oder dem zuständigen Gericht".
Bei dem Servicio Comun de Registro y Reparto des los Juzgados de Ourense handelt es sich um eine dem Landessozialgericht im
Sinne des Art. 81 Satz 1 der o.g. Verordnung entsprechende Stelle, so dass zur Berechnung der Berufungsfrist auf den Eingang
der Berufungsschrift dort abzustellen ist.
Eine solche "entsprechende Stelle" ist dann anzunehmen, wenn es sich bei ihr um eine Einrichtung handelt, die an der Verwaltung
des Systems der sozialen Sicherheit teilnimmt (EuGH, Urteil vom 03.12.1974, C-40/74, [...] Nr. 6; Pabst in Schlegel/Voelzke, JurisPK-
SGB I, 2-. Auflage 2011, Stand: 21.03.2017, Rn. 7 zu Art. 81 VO (EG) 883/2004).
Der Servicio nimmt an der Verwaltung des Systems der sozialen Sicherheit teil. Er wurde auf der Grundlage des Art. 438 Abs.
3 des Ley Organica 19/2003 vom 23. Dezember zur Änderung des Gesetzes Ley Organica 6/1985 vom 1. Juli über die Strukturierung
der spanischen richterlichen Gewalt in Ourense für alle Gerichte der Provinzialhauptstadt Ourense, insbesondere auch für die
in diesem Bezirk befindliche Sozialgerichtsbarkeit, eingerichtet und mit der Annahme, Registrierung und Geschäftsverteilung
auch der die Sozialgerichtsbarkeit betreffenden Schriftstücke beauftragt. Ausweislich der Bestätigung des Gemeinsamen Dienstes
für Registrierung und Geschäftsverteilung in Ourense vom 06.03.2017 ist der beim Servicio Comun de Registro y Reparto des
los Juzgados de Ourense eingerichtete Gemeinsame Dienst für Registrierung und Geschäftsverteilung der Gerichte von Ourense
das zuständige Organ für die Eingabe von Schriftstücken, die an die entsprechenden Justizbehörden der Mitgliedsstaaten der
EU, die in den jeweiligen Ländern den (spanischen) Ermittlungs-, Straf-, Verwaltungs- und Sozialgerichten entsprechen, gerichtet
sind. Bei ihm konnte deshalb gemäß Art. 81 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 innerhalb der gleichen Frist wie beim Landessozialgericht
die Berufung gegen das sozialgerichtliche Urteil eingelegt werden, weshalb der Eingang der Berufung beim Servicio Comun de
Registro y Reparto des los Juzgados de Ourense am 03.10.2014 die Berufungsfrist wahrt und die Berufung zulässig ist.
Die Kostenentscheidung ergeht mit dem Schlussurteil (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., aaO, Rn. 8 zu §
130 SGG).
Dieses Zwischenurteil kann nicht selbständig, sondern nur mit dem Endurteil angefochten werden (vgl. BSG, Beschluss vom 19.09.2007, B9/9a SB 49/06 B).