Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren gerichtet auf die Verpflichtung
zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II für bulgarische Staatsangehörige
Prüfung der Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit
Gebot der fairen Auslegung von Beteiligtenvorbringen
Anspruch auf rechtliches Gehör
Verpflichtung des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Sinne der Glaubhaftmachung
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren,
mit dem sie die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II begehrt haben.
Die Antragstellerinnen sind bulgarische Staatsangehörige. Die am 00.00.1995 geborene Antragstellerin zu 2) ist die Tochter
der am 00.00.1971 geborenen Antragstellerin zu 1). Anfang 2012 reisten die Antragstellerinnen in die Bundesrepublik Deutschland
ein. Die Antragstellerinnen leben mit dem deutschen Staatsangehörigen Herrn B in einer Bedarfsgemeinschaft, seit dem 18.12.2014
sind die Antragstellerin zu 1) und Herrn B verheiratet. Die Kosten für die gemeinsame Wohnung betragen insgesamt 550 EUR.
Mit Beschluss vom 19.07.2013 verpflichtete das LSG Nordrhein-Westfalen den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung,
der Antragstellerin zu 1) Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs in Höhe von 345 EUR monatlich und der Antragstellerin zu
2) Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs in Höhe von 306 EUR monatlich ab dem 06.05.2013 längstens bis zum 31.10.2013 vorläufig
zu gewähren. Der Antragsgegner zahlte bis zum 30.04.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an die Antragstellerinnen.
Mit Bescheid vom 28.04.2014 bewilligte der Antragsgegner Herrn B für die Zeit vom 01.05.2014 bis zum 31.10.2014 Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich insgesamt 941 EUR. Dieser Betrag beinhaltet Bedarfe für Unterkunft
und Heizung in Höhe von monatlich 550 EUR Die Bewilligung von Leistungen an die Antragstellerinnen lehnte der Antragsgegner
ab. Hiergegen legten die Antragstellerinnen am 12.05.2014 Widerspruch ein. Sie trugen vor, sie verfügten "über kein anderes
Einkommen und kein nennenswertes Vermögen, so dass die Angelegenheit in höchstem Maße eilbedürftig ist".
Am 06.06.2014 haben die Antragstellerinnen beantragt,
den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
für die Zeit vom 01.05.2014 bis zum 31.10.2014 zu zahlen. Sie haben vorgetragen, "gänzlich mittellos" zu sein.
Mit Bescheid vom 17.06.2014 hat die Familienkasse Nordrhein-Westfalen der Antragstellerin zu 1) Kindergeld für die Antragstellern
zu 2) in Höhe von 184 EUR monatlich ab September 2013 sowie für die Zeit von September 2013 bis Juni 2014 eine Nachzahlung
in Höhe von 1840 EUR bewilligt. Diese ging am 23.06.2014 auf dem Konto der Antragstellerin zu 1) ein.
Mit Beschluss vom 26.06.2014 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Die Mittellosigkeit werde lediglich behauptet,
während die Antragstellerinnen im Widerspruchsverfahren erklärt hätten, dass sie über Vermögen - wenn auch kein nennenswertes
- verfügen würden. Bei dieser Sachlage könne nicht "ohne weiteres unterstellt werden, dass ein Anordnungsgrund gegeben ist".
Gegen diese am 27.06.2014 zugestellte Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Antragstellerinnen vom 30.06.2014. Der
Bevollmächtige verwende die Formulierung, wonach "kein nennenswertes Vermögen" vorhanden sei, seit Jahren gleichlautend unbeanstandet
in allen einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Gemeint sei, dass kein Vermögen vorhanden sei, das zur Sicherung des Lebensunterhalts
diene. Persönliche Gebrauchsgegenstände seien durchaus vorhanden, ohne dass dadurch der Lebensunterhalt gesichert werden könne.
Die Vorgehensweise des Sozialgerichts sei mehr als überraschend.
Vom 10.09.2014 bis zum 07.11.2014 hat die Antragstellerin zu 1) eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt.
Für September und Oktober 2014 ist ihr ein Nettolohn in Höhe von 532,65 EUR, und für November 2014 ein Nettolohn in Höhe von
782, 28 EUR ausgezahlt worden. Die Antragstellerin zu 2) besucht seit dem 01.09.2014 einen "Kurs zum nachträglichen Erwerb
des mittleren Abschlusses" an der Akademie L in I. Sie ist dort internatsmäßig untergebracht und kommt nach eigenen Angaben
jedes zweite Wochenende nach Hause. Herr B steht seit dem 01.11.2014 in einem Beschäftigungsverhältnis mit einem Nettolohn
in Höhe von ca. 1400 EUR. Mit Schriftsatz vom 23.02.2015 haben die Antragstellerinnen das Verfahren in der Hauptsache für
erledigt erklärt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. In einem rechtswidrigen Verfahren und mit nicht haltbarer Begründung hat das Sozialgericht
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Das Vorgehen des Sozialgerichts verletzt den Anspruch der Antragstellerinnen auf rechtliches Gehör (§
62 SGG), denn es interpretiert deren Vorbringen im Widerspruchsverfahren in unvertretbarer Weise falsch und ist für diese überraschend
gewesen. Es verletzt zudem die Verpflichtung, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren den Sachverhalt - ggfs. durch Einholung
einer eidesstattlichen Versicherung (§
294 Abs.
1 ZPO) - im Sinne der Glaubhaftmachung aufzuklären:
Wenn die Antragstellerinnen im Widerspruchsverfahren durch ihren Bevollmächtigten haben erklären lassen, "über kein anderes
Einkommen und über kein nennenswertes Vermögen" zu verfügen, ist hiermit erkennbar gemeint, dass keine Mittel zur Bestreitung
des Lebensunterhalts zu Verfügung stehen und Hilfebedürftigkeit als Voraussetzung des geltend gemachten Anspruchs gegeben
ist. Diese Auslegung wird dadurch gestützt, dass die Antragstellerinnen vorgetragen haben, dass "die Angelegenheit in höchstem
Maße eilbedürftig" sei. Die Annahme des Sozialgerichts, dieses Vorbringen stehe zur Geltendmachung "gänzlicher Mittellosigkeit"
im Eilantrag in einem Widerspruch, ist konstruiert und verletzt die rechtsstaatlich gebotene faire Auslegung von Beteiligtenvorbringen.
Gerade wenn das Sozialgericht jedoch angebliche Widersprüchlichkeiten im Vorbringen der Antragstellerinnen zu erkennen meint,
ist es verpflichtet, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um das Vorbringen im Sinne der Glaubhaftmachung zu verifizieren. Im vorliegenden
Fall wäre es gedrängt gewesen, die Antragstellerinnen auf den vermeintlichen Widerspruch hinzuweisen und eine eidesstattliche
Versicherung einzuholen.
Den Antragstellerinnen steht jedoch kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe zu, so dass die Beschwerde im Ergebnis zurückzuweisen
war.
Prozesskostenhilfe ist nur zu bewilligen, wenn die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig
erscheint (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 114
ZPO). Die Rechtsverfolgung hatte zum (insoweit maßgeblichen) Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags auf Prozesskostenhilfe
- ungeachtet der Bedeutung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für den Leistungsanspruch - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Antragstellerinnen waren im Juni 2014 nicht hilfebedürftig im Sinne des §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 SGB II. Die Unterkunftskosten der Antragstellerinnen waren durch die Bewilligung der entsprechenden ungekürzten Leistungen an Herrn
B sichergestellt. Der Regelbedarf der Antragstellerin zu 1) lag bei 353 EUR, der Regelbedarf der Antragstellerin zu 2) bei
313 EUR. Auf den Bedarf der Antragstellerin zu 2) war das Kindergeld anzurechnen (§ 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II), so dass der monatliche Gesamtbedarf bei 482 EUR lag. Dieser Bedarf wurde in vollem Umfang durch die im Juni 2014 zugeflossene
Kindergeldnachzahlung abgedeckt.
Ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren lässt sich nicht damit begründen, dass möglicherweise
in den Folgemonaten (Juli 2014 bis Oktober 2014) Hilfebedürftigkeit eingetreten ist. Die Kindergeldnachzahlung hätte - ungeachtet
ihrer rechtlichen Qualifizierung als einmalige oder als laufende Einnahme - ausgereicht, den Bedarf der Antragstellerinnen
für drei Monate (Juni 2014 bis August 2014) zu decken. Anschließend (ab September 2014) floss der Antragstellerin zu 1) bedarfsdeckendes
Einkommen zu, wobei Freibeträge im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abzusetzen sind (Beschluss des Senats vom 10.07.2015
- L 7 AS 1023/15 B ER) und die Auswirkungen des Schulbesuchs der Antragstellerin zu 2) auf deren Leistungsanspruch vom Senat offen gelassen
werden.
Der Umstand, dass die Antragstellerinnen im Beschwerdeverfahren behauptet haben, die Kindergeldnachzahlung sei insbesondere
für eine Reise nach Bulgarien "spätestens Ende Juli 2014" vollständig verbraucht worden, begründet einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe
für das erstinstanzliche Verfahren nicht. Auch wenn berücksichtigt wird, dass das Sozialgericht - wie ausgeführt - rechtswidrig
vorschnell entschieden hat, ist doch nicht anzunehmen, dass die Antragstellerinnen den Verbrauch der Kindergeldnachzahlung
in einer vom Sozialgericht einzuholenden eidesstattlichen Versicherung schon hätten vortragen können.
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 127 Abs. 4
ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).