Verurteilung wegen Sozialleistungsbetrug mit der Bewährungsauflage der Schadenswiedergutmachung (hier Zahlung von monatlichen
Mindestraten)
Aufhebung des anschließend an den Verurteilten gerichteten (die Aufrechnung mit zukünftigen Regelleistungen beinhalteten)
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid
Prüfung eines Anspruchs des Verurteilten auf Auskehrung der auf Grundlage eines (aufgehobenen) Aufhebungs- und Erstattungsbescheides
im Wege der Aufrechnung einbehaltenen Sozialleistungen
Prüfung der Entstehung einer Forderung des Leistungsträgers durch eine Bewährungsauflage mit dem Inhalt der Schadenswiedergutmachung
Einwand treuwidriger Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB
Tatbestand
Die Kläger begehren die Zahlung von 844,74 EUR.
Die 1962 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter des am 00.00.1999 geborenen Klägers zu 2) und des am 00.00.2003 geborenen
Klägers zu 3). Die Kläger zu 1) - 3) bezogen ab 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Eine weitere Tochter wurde am 00.00.2005 geboren.
Mit Bescheid vom 17.11.2005 hob der Beklagte die Bewilligung der Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.07.2005
i.H.v. 828,24 EUR nach vorheriger Anhörung auf. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin zu 1) habe nach Erlass
der Entscheidung Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt habe. Der Bescheid
wurde bestandskräftig. Diese Forderung wurde von der Klägerin zu 1) beglichen.
Mit weiterem Bescheid vom 22.09.2006 hob der Beklagte nach erfolgter Anhörung die Bewilligung der Leistungen für den Zeitraum
vom 01.01.2005 bis 30.11.2005 in Höhe von insgesamt 6905,00 EUR auf. Der Beklagte habe den Klägern in diesem Zeitraum Leistungen
i.H.v. 7.734,14 EUR zu Unrecht gezahlt. Die Klägerin zu 1) habe im o.g. Zeitraum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erzielt
und noch weitere als Einkommen anzurechnende Geldzuflüsse gehabt. Die Rückforderung werde auf 6.905,00 EUR begrenzt, weil
bereits 828,24 EUR erstattet worden seien. Weiterhin teilte der Beklagte der Klägerin zu 1) mit, die ihr zustehende Regelleistung
werde unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 43 SGB II ab dem 01.10.2006 in monatlichen Raten i.H.v. 103,50 EUR gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet. Sie brauche den Erstattungsbetrag
daher nicht an den Beklagten zu überweisen.
Im weiteren Verlauf bewilligte der Beklagte den Klägern erneut Leistungen nach dem SGB II. Im Zeitraum Oktober 2006 bis April 2009 erfolgte die Einbehaltung von monatlichen Beträgen i.H.v. 103,50 EUR.
Mit Urteil vom 16.08.2006 wurde die Klägerin vom Amtsgericht I wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt,
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In der Urteilsbegründung führte das Gericht u.a. aus, dass die Klägerin
in dem Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.11.2005 Arbeitslosenunterstützung in Höhe von insgesamt 12.216,45 EUR erhalten habe.
Durch die nicht angemeldete freiberufliche Tätigkeit sei es zu einer Überzahlung von mindestens 7.700,00 EUR gekommen. Mit
Bewährungsbeschluss vom 16.08.2006 wurde der Klägerin durch das Amtsgericht I zur Auflage gemacht, den Schaden i.H.v. 7.700,00
EUR gegenüber dem Beklagten nach besten Kräften, mindestens jedoch in monatlichen Mindestraten von 55,00 EUR ab dem 01. des
auf die Rechtskraft folgenden Monats wiedergutzumachen. Auf das Urteil sowie den Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts I, XXX Js 79/05-95/06, wird Bezug genommen.
Den Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 22.09.2006 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
27.03.2007 zurück. Darin führte der Beklagte aus, dass das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2005
nur noch i.H.v. insgesamt 4358,03 EUR zurückgefordert werde. Dies sei der Anteil, der auf die Klägerin zu 1) entfiele. Im
Übrigen werde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Die hiergegen vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhobene Klage S 27 (4) AS 96/07 endete damit, dass das Sozialgericht Gelsenkirchen mit Urteil vom 09.10.2009 den Bescheid des Beklagten vom 22.09.2006 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2007 aufhob. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, der Bescheid vom 22.09.2006
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2007 sei nicht hinreichend bestimmt und leide an einem besonders schweren
Fehler.
Die Kläger zahlten im September 2006, März 2007 und im Mai 2007 insgesamt 164,78 EUR. Die Gesamtzahlungen der Kläger betrugen
mithin 828,24 EUR, 164,78 EUR und die einbehaltenen 3.208,50 EUR, zusammen 4.201,50 EUR.
Mit Schreiben vom 20.04.2010 forderte die Klägerin im Anschluss an die Aufhebung des Bescheides vom 22.09.2006 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2007 den Beklagten auf, den einbehaltenen Betrag i.H.v. 4.192,74 EUR nach Abzug des rechtmäßiger
Weise zurückzuzahlenden Betrages auszuzahlen. Mit weiterem Schreiben vom 08.12.2010 teilten die Kläger mit, der Beklagte habe
durch Zahlungen und Aufrechnungen einen Betrag in Höhe von insgesamt 4.615,74 EUR erhalten. Sie seien der Auffassung, dass
der Erstattungsanspruch des Beklagten auf einen Betrag i.H.v. 3.345,24 EUR beschränkt sei. Demzufolge habe der Beklagte zu
viel einbehalten.
Die Kläger haben am 25.07.2011 Klage erhoben, mit der sie zunächst die Rückzahlung von 1.270,50 EUR begehrt und diese später
auf eine Summe von 844,74 EUR begrenzt haben. Sie sind der Auffassung, der Erstattungsbetrag betrage infolge von Überzahlungen
für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.11.2005 3.390,00 EUR. Unter Berücksichtigung von Abzügen i.H.v. 3.373,50 EUR sowie
unter Hinzurechnung eines Betrages i.H.v. 828,24 EUR ergebe sich ein Betrag i.H.v. 844,74 EUR, den der Beklagte schulde. Die
erfolgte Aufrechnung sei durch die Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 22.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27.03.2007 durch das rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.10.2009 hinfällig. Die Einbehaltung
von Leistungen durch den Beklagten sei rechtsgrundlos erfolgt. Einer durch den Beklagten vorgenommenen hilfsweisen Aufrechnung
mit Ansprüchen aus dem Bewährungsbeschluss vom 16.08.2006 werde widersprochen.
Die Kläger haben beantragen,
den Beklagten zu verurteilen, einen Betrag i.H.v. 844,74 EUR zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt zur Begründung seines klageabweisenden Antrags Bezug auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren und führt ergänzend
aus, ein Rückzahlungsanspruch der Kläger bestehe nicht. Zwar sei der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid mit Urteil des Sozialgerichts
Gelsenkirchen vom 09.10.2009 aufgehoben worden. Die Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin zu 1) ergebe sich jedoch aus der
Auflage im Strafverfahren. Sollte der Beklagte verurteilt werden, Leistungen an die Klägerin zu 1) zu erbringen, bedeute dies
eine nachträgliche Verhinderung der Erfüllung der Bewährungsauflagen.
Mit Urteil vom 15.10.2013 hat das SG Gelsenkirchen der Klage stattgegeben. Die auf Grundlage des Bescheides vom 22.09.2006
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2007 durchgeführte Aufrechnung mit Beträgen in Höhe von monatlich 103,50
EUR für den Zeitraum September 2006 bis April 2009 sei rechtswidrig. Nach § 43 SGB II (in der maßgeblichen Fassung vom 19.11.2004) könnten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zu einem Betrag
in Höhe von 30 % der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach dem
SGB II aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder auf Schadensersatz handele, die der Hilfebedürftige durch
vorsätzlich grob fahrlässige unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst habe. Weil der die Aufrechnung vorsehende Bescheid
vom 22.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2007 durch das Urteil des SG Gelsenkirchen aufgehoben worden
sei, gehe die erkennende Kammer davon aus, dass die im Zeitraum September 2006 bis April 2009 vorgenommene Aufrechnung durch
den Beklagten rechtsgrundlos geschehen sei. Die im o.g. Zeitraum festgesetzten Leistungen nach dem SGB II sei den Klägern damit nicht in voller Höhe ausgekehrt worden und der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
Dahingestellt bleiben könne, ob die Klageforderung in Höhe von 844,74 EUR den unter Berücksichtigung der Überzahlung für den
Zeitraum Januar 2005 bis November 2005 zu viel einbehaltenen Betrag durch den Beklagten darstelle. Denn die Kammer sei der
Überzeugung, dass die über den Zeitraum September 2006 bis April 2009 erfolgte Einbehaltung von monatliche 103,50 EUR rechtsgrundlos
geschehen sei. Der von den Klägern geltend gemachte Betrag übersteige den Betrag der im Zeitraum September 2006 bis April
2009 erfolgten Einbehaltungen nicht.
Entgegen der Auffassung des Beklagten vermöge auch die Berücksichtigung des Bewährungsbeschlusses des Amtsgerichts I vom 16.08.2006
kein anderes Ergebnis hervorzubringen. Die Bewährungsauflage der Klägerin zu 1), den Schaden in Höhe von 7700,00 EUR nach
besten Kräften wiedergutzumachen, stelle keinen Vollstreckungstitel zu Gunsten des Beklagten dar und könne daher auch nicht
als Rechtsgrund für die Einbehaltung betrachtet werden. Gleiches gelte für den Vortrag des Beklagten, er rechne unter Hinweis
auf den Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts I vom 16.08.2006 hilfsweise mit einem "Schadensersatzanspruch" in Höhe von 7700,00
EUR gem. §§
387 ff.
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) auf. Die Kammer habe bereits Zweifel daran, dass eine wirksame Gegenforderung im o.g. Sinne bestehe, denn das SG Gelsenkirchen
habe mit rechtskräftigem Urteil entschieden, dass die Entscheidung des Beklagten mit Bescheid vom 22.09.2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27.03.2007 aufgehoben werde. Damit habe das SG Gelsenkirchen auch die Erstattungsentscheidung (§
50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)) des Beklagten kassiert. Der Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts I vom 16.08.2006 begründe keine Forderung des Beklagten
gegenüber der Klägerin zu 1), vielmehr diene er dazu, die Aussetzung der Freiheitsstrafe der Klägerin zu 1) zur Bewährung
durch Konkretisierung der Bewährungsauflagen zu gewährleisten.
Sofern der Beklagte der Auffassung sei, es sei mit der Rechtsordnung nicht vereinbar, wenn die Klägerin zu 1) durch eine erfolgreiche
Leistungsklage mit Hilfe des Sozialgerichts die Erfüllung der Bewährungsauflagen nachträglich umgehe, folge die Kammer dem
nicht. Eine erfolgreiche Leistungsklage stelle die Rechtsordnung nicht infrage, da die Auskehrung von rechtsgrundlos einbehaltenen
Leistungen nach dem SGB II unabhängig von der Erfüllung von Bewährungsauflagen zu sehen sei. Für die Kammer wäre es mit der Rechtsordnung nicht vereinbar,
wenn die Rückforderung von überzahlten Leistungen nach dem SGB II nach anderen Kriterien als den §§ 45 ff. SGB X zu beurteilen wäre.
Gegen das am 29.11.2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 13.12.2013 Berufung eingelegt. Er trägt vor, es widerspreche
dem Grundsatz von Treu und Glauben, wenn den Klägern Leistungen zugesprochen würden, welche sie durch eine Straftat erlangt
haben. Die Kläger hätten die streitgegenständlichen Zahlungen, die sie jetzt teilweise zurückbegehrten, im Rahmen einer Aufrechnung
im Einverständnis aufgrund der Bewährungsauflage geleistet. Würden die Kläger nunmehr mit einer Leistungsklage obsiegen, würden
ihnen quasi die Früchte einer Straftat verschafft. Dies stehe im Widerspruch zur gesamten Rechtsordnung. Die rein formale
Sicht des § 45 SGB X werde der Gesamtrechtsordnung nicht gerecht. Bereits die Geltendmachung der durch eine Straftat erlangten Leistung sei rechtsmissbräuchlich.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei nur wegen mangelnder Bestimmtheit aufgehoben worden. Es sei immer davon auszugehen
gewesen, dass die Klägerin ihre Bewährungsauflage zu erfüllen habe.
Der Berufungskläger und Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Gelsenkirchen vom 15.10.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Berufungsbeklagten und Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, dass sie Anspruch auf Rückzahlung der eingeklagten Summe haben, da sie in diesem Umfang Überzahlungen
geleistet hätten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung sind die Beteiligten zu der Besprechung der Beteiligten am 24.09.2010 im Anschluss an
das sozialgerichtliche Verfahren (SG Gelsenkirchen S 27 (4) AS 96/07) befragt worden. Der Beklagtenvertreter hat erklärt, die Besprechung habe noch im Zeitpunkt der sogenannten Wohlverhaltensperiode
nach der Auflage des Amtsgerichts stattgefunden. Man habe sich darauf geeinigt, dass die Klägerin zu 1) einen Rückforderungsbetrag
in Höhe von 3.345,24 EUR anerkenne und die Angelegenheit dann für beide Seiten als erledigt betrachtet werde. Der Klägerbevollmächtigte
hat erklärt, die Klägerin habe sich damit einverstanden erklärt, dass eine Verbindlichkeit ihrerseits in der Höhe anerkannt
werden, in der ihr Leistungen unter Anrechnung ihres Einkommens nicht zugestanden hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte
verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) und begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die eingeklagte Summe. Das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen
vom 15.10.2013 war aufzuheben.
Die Klage ist als echte Leistungsklage statthaft. Es ist weder ein Vorverfahren durchzuführen, noch eine Klagefrist einzuhalten
(vgl. BSG vom 17.5.2000 - B 3 KR 33/99 R = BSGE 86, 166 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1 und vom 4.3.2004 - B 3 KR 4/03 R = BSGE 92, 223 = SozR 4-2500 § 39 Nr. 1).
Die Kläger sind auch klagebefugt. Im Rahmen der Zulässigkeit ist bei einer allgemeinen Leistungsklage entsprechend §
54 Abs.
1 Satz 2
SGG die Klagebefugnis zu prüfen. Sie fehlt erst dann, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem Gesichtspunkt gegeben sein
kann. Es reicht aus, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kläger in eigenen Rechten verletzt sind, dadurch dass
der Beklagte die begehrte Zahlung unterlassen hat (vgl. m.w.N. BSG, Beschluss vom 27.06.2013, Az.: B 10 ÜG 8/13 B). Gemessen an diesen Kriterien ist eine Klagebefugnis zu bejahen. Die Kläger
begehren die Auszahlung einer aus ihrer Sicht vorliegenden Überzahlung, die ihnen vermeintlich nach Aufhebung des Aufhebungs-
und Erstattungsbescheides zustehe. Für die auf diesem Wege angestrebte Rechtsverfolgung haben die Kläger auch ein Rechtsschutzbedürfnis,
welches regelmäßig erst dann fehlt, wenn das angestrebte Ergebnis auf einfachere Weise erreicht werden kann (vgl. hierzu Keller
in Meyer Ladewig, Kommentar zum
SGG, 11. Aufl. vor § 51 Rdz. 16 und 16 a; BSG Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 42/12 R - [...]). Nach Maßgabe dieses Grundsatzes ist ein Rechtschutzbedürfnis gegeben, weil der Beklagte sich weigert, ohne gerichtliche
Inanspruchnahme die begehrte Summe an die Kläger auszuzahlen.
Die Klage ist aber unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 844,74 EUR unabhängig
von der Frage, ob ein solcher Leistungsanspruch in der Höhe richtig und nachvollziehbar ist.
Zwar hat der Beklagte keine wirksamen Gegenansprüche, mit denen er gegenüber dem Leistungsbegehren der Kläger aufrechnen kann
(§§
389 ff
BGB). Solche Gegenansprüche resultieren nämlich nicht aus der Bewährungsauflage nach §
56 b Abs.
2 Strafgesetzbuch (
StGB). Bei dieser Auflage handelt es sich um eine besondere strafrechtliche Sanktion, die einen speziellen Widergutmachungsaspekt
für den Geschädigten haben soll. Allgemein anerkannt ist, dass der Strafrichter die nach §
56 b Abs.
2 Nr.
1 StGB vorgesehene Auflage, den durch die Tat verursachten Schaden wieder gutzumachen, erteilen darf, wenn und soweit eine zivilrechtliche
Haftung des Straftäters besteht (Baur GA 1957, 340; Horn in SK § 56 b RNr. 4; Koffka in LK 9. Aufl. § 24 a RNr. 5; Lackner
StGB 12. Aufl. §
56 b Anm. 3 a; Dreher/Tröndle
StGB 38. Aufl. §
56 b RNr. 6; Jeschek JZ 1958, 595; Baumann GA 1958, 193; Schall NJW 1977, 1045; Schnitzerling DAR 1959, 201; OLG Stuttgart MDR 1971, 1025). Hauptzweck der Auflage gem.
StGB §§
57 Abs.
3,
56 b Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 ist aber nicht die Beseitigung eines Schadens. Vielmehr zielt eine entsprechende Anordnung wesentlich darauf ab, auf den
Straftäter einzuwirken, dass er Genugtuung für das von ihm begangene Unrecht leistet. Die Auflage erfolgt daher auch gegenüber
dem Verurteilten unter Resozialisierungsgesichtspunkten und zum Ausgleich nach wie vor bestehender Genugtuungsbelange des
Geschädigten. Sie gibt dem Geschädigten allerdings keinen eigenen, einklagbaren Schadensersatzanspruch an die Hand, mit dem
er in der vorliegenden Konstellation aufrechnen könnte. Der Senat folgt diesbezüglich der zivilrechtlichen Rechtsprechung
(vgl. OLG Stuttgart, 1980-01-07, Ws 2/80, NJW 1980, 1114), dass die Beseitigung eines zivilrechtlichen Schadens lediglich Nebenfolge und nicht Hauptzweck der Maßnahme sein und das
Bestehen eines bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzanspruchs nicht allein auf die Verhängung der Auflage gestützt werden
kann.
Jedoch steht der Geltendmachung der Leistungsklage der Einwand treuwidriger Rechtsausübung im Sinne von §
242 BGB entgegen.
Treu und Glauben bilden eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung (Palandt/Heinrichs,
BGB, 74. Aufl. §
242 Rdnr. 38). Die gegen §
242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist als Rechtsüberschreitung unzulässig (missbräuchlich). Welche
Anforderungen sich aus Treu und Glauben ergeben, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entscheiden
(vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O.). Unterschieden wird dabei zwischen dem sog. institutionellen und dem individuellen Rechtsmissbrauch
besser: unzulässiger Rechtsausübung (vgl. dazu BAG, Urteil vom 17. April 2002 - 5 AZR 89/01 = AP Nr. 6 zu § 2 NachwG; Palandt/Heinrichs, a.a.O., Rdnr. 40).
Die individuelle unzulässige Rechtsausübung behandelt die Fälle einer unzulässigen Wahrnehmung individueller Rechte aufgrund
Treuwidrigkeit bzw. treuwidrigen Verhaltens. Der streitgegenständliche Rückzahlungsanspruch widerspricht der Bewährungsauflage
und dem strafrechtlich sanktionierten Verhalten auf dem die Leistungen beruhen. Es gibt zwar keinen allgemeinen Grundsatz,
dass nur derjenige Rechte geltend machen kann, der sich selbst rechtstreu verhält (Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 242 Rdnr.
46). Aber eigene Pflichtverletzungen begründen gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegen den an sich Leistungsberechtigten
und führen zum Wegfall seiner Rechte. In besonderen Ausnahmefällen kann daher ein Zahlungs-(Leistungs-) Anspruch entfallen
(Urteil vom 19. Juni 1980 - 3 AZR 137/79 = AP Nr. 2 zu §
1 BetrAVG Treuebruch; Palandt/Heinrichs, a.a.O.). Solche Ausnahmefälle können bei einer Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen
des Schuldners, bei groben Pflichtverstößen wie Erpressung oder Schmiergeldannahme, bei eigener erheblicher Vertragsuntreue
oder bei missbräuchlicher Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung vorliegen (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O., Rdnr. 46, 48
f. m.w.N.).
Diese Rechtsgedanken sind auf den Bereich des Sozialrechts zu übertragen und anzuwenden. Das Rechtsschutzinteresse verliert
nach der Entscheidung des BSG vom 07.09.2006 B4 RA 43/05 R (- [...] -), derjenige, der keine schützenswerten Interessen aufzuweisen hat. (vgl. m.w.N. BSG, Urteil vom 27.06.2012, Az.: B 5 R 88/11 R). Diese Rechtsgedanken sind eine der Rechtslage immanente Beschränkung und brauchen grundsätzlich nicht im Wege der Einrede
geltend gemacht zu werden. Das Gericht muss sie von Amts wegen berücksichtigen und zugunsten der begünstigten Partei zum Tragen
bringen (vgl. Roth/Schubert, in: Münchener Kommentar zum
BGB, 6. Auflage 2012, §
242 BGB Rn. 82).
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin von der Beklagten eine Zahlung verlangt, die sie aufgrund der Bewährungsauflage sofort
zurückzahlen müsste, weil die strafrechtliche Auflage nur in der Wohlverhaltensphase bedient worden ist und nicht vollständig
zurückgezahlt worden ist ("dolo agit, qui petit, quod statim rediturus est"; vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11.04.2013, Az.:
I ZR 153/11). Denn rechtsmissbräuchlich und damit treuwidrig ist es, einen Anspruch geltend zu machen, der sich zu seinem früheren Verhalten
in Widerspruch setzt. Widersprüchliches Verhalten ist rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand
geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. m.w.N.
BGH, Urteil vom 17.03.2004, Az.: VIII ZR 161/03). Der Senat ist nach seiner Auffassung davon überzeugt, dass jedenfalls bei Personen, die Soziallleistungen bewusst durch
eigene Pflichtverstöße erzielten, kein schützenswertes Interesse vorliegt. Die Kläger haben durch einen rechtskräftig festgestellten
Betrug Leistungen weit über dem bereits zurückgezahlten Betrag erhalten und die strafgerichtliche Bewährungsauflage akzeptiert.
Nach der Überzeugungsbildung des Senats ist es im Anschluss daran wider Treu und Glauben eine Rückforderung geltend zu machen.
Ferner ist den Klägern darüber hinaus treuwidriges Verhalten vorzuwerfen, weil sie trotz Einigung mit dem Beklagten am 24.09.2010
dahingehend, dass die Beteiligten keine Forderungen mehr geltend machen und die "Sache" erledigt sei, nach Ablauf der strafrechtlichen
Wohlverhaltensphase einen Anspruch herleiten wollen, der nicht berücksichtigt, dass der bei dem Beklagten eingetretene Schaden
durch den Sozialleistungsbetrug bedeutend größer und nicht getilgt ist. Der Beklagte, als Geschädigter, hat die Einigung vom
24.09.2010 eingehalten und nicht etwaige Schadensersatzansprüche zeitnah (erneut) geltend gemacht.
Ob das geschlossene System der Rückerstattung und des Ausgleichs von Aufwendungen des Sozialleistungsträgers auch in Fällen
sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung oder im Betrugsfall einen Rückgriff auf die Grundsätze der positiven Forderungsverletzung
und des Schadensersatzes nach §
823 Abs.
2 BGB bzw. §
826 BGB ausschließt (vgl. dazu auch Gagel, NJW 1985, 1872 f), bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung. Selbst wenn der Beklagte hierzu aufgrund der Sperrwirkung
des § 45 SGB X für zivilrechtliche Ansprüche (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 1990 - 11 RAr 87/88 -, SozR 3-4100 § 155 Nr. 1, BSGE 66, 176-188, SozR 3-1200 § 60 Nr. 1, SozR 3-1300 § 50 Nr. 1, SozR 3-1500 § 51 Nr. 2) nicht mehr berechtigt war, so durfte er sich
als Geschädigter darauf verlassen, nach seinem Verzicht auf die Geltendmachung der Rückforderungsansprüche gegenüber den Kindern,
nicht mit Leistungsansprüchen der Kläger überzogen zu werden.
Damit war die Berufung der Beklagten begründet und auf die Berufung die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht ersichtlich. Die vorliegend zur Anwendung kommenden Rechtsgrundsätze und Rechtsfragen sind höchstrichterlich
geklärt.