Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die hinreichenden Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung zu Unrecht
gewährter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Anforderungen an die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch die Behörde
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren,
das gegen einen Aufrechnungsbescheid gerichtet ist.
Die am 00.00.1958 geborene Klägerin ist verheiratet. Mit notariell beurkundeten Ehevertrag vom 13.10.1998 hat die Klägerin
mit ihrem Ehemann Gütertrennung vereinbart. Der Ehemann der Klägerin ist 1951 geboren und bezieht derzeit aufstockend zu einer
monatlichen Auszahlrente von rund 190 € Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII. Die Klägerin bezieht - aufstockend zu ihrem Erwerbseinkommen als Haushälterin (monatlich 479,40 € netto) Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Mit insgesamt 5 Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 18.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2016
hob der Beklagte die Leistungsbescheide der Klägerin für den Leistungszeitraum 08.04.2009 bis 30.09.2011 auf und forderte
von der Klägerin einen Betrag iHv insgesamt rund 11.800 € zurück, weil der Ehemann ein jährliches Einkommen iHv 7.665 € als
Subunternehmer der Fa.Q nicht angegeben hatte. Gegen den Ehemann der Klägerin ergingen inhaltsgleiche Aufhebungs- und Erstattungsbescheide.
Die gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 18.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2016
gerichtete Klage bei dem Sozialgericht Köln (S 15 AS 4434/16) nahm die Klägerin am 07.08.2018 zurück.
Mit Beschluss vom 05.02.2019 rechnete der Beklagte die Erstattungsforderung aus den bestandskräftigen Bescheiden vom 18.09.2015
iHv 38,20 € (10 % des maßgeblichen Regelbedarfs) ab März 2019 mit den laufenden Regelbedarfen der Klägerin gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1, 1. Alt. SGB II auf.
Hiergegen legte die Klägerin am 12.02.2019 Widerspruch ein. Mit den Vorwürfen gegen ihren Ehemann habe sie nichts zu tun.
Sie habe nichts von den Einkünften des Ehemanns gewusst. Außerdem erhob sie die Einrede der Verjährung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2020 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Erstattungsbescheide
seien bestandskräftig und könnten nicht mehr angefochten werden. Der Beklagte hätte sogar monatlich mit 30 % des regelbedarfs
(114,60 €) aufrechnen können. Eine Verjährung sei entsprechend § 50 Abs. 4 SGB X nicht eingetreten.
Hiergegen hat die Klägerin am 12.08.2020 Klage bei dem Sozialgericht Köln erhoben und für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe
beantragt. Sie hat ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.
Mit Beschluss vom 28.01.2021 hat das Sozialgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Klage habe keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg. Die bestandskräftigen Erstattungsbescheide seien gemäß §
77 SGG bindend. Eine Verjährung liege nach §§ 50 Abs. 4 Satz 3, 52 Abs. 2 SGB X nicht vor.
Gegen den Beschluss hat die Klägerin am 01.02.2021 "Einspruch" eingelegt, den sie - trotz gerichtlicher Aufforderung und Fristsetzung
- nicht begründet hat.
II.
Das meistbegünstigend als Beschwerde ausgelegte Rechtsmittel der Klägerin ist zulässig aber unbegründet. Zu Recht hat das
Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe für
das Klageverfahren, weil ihre Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 114 Abs. 1 Satz 1
ZPO).
Ein Rechtsschutzbegehren hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung
einer schwierigen Rechtsfrage abhängt. Die Prüfung der Erfolgsaussichten für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe soll nicht
dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern
und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen dürfen nicht
im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt
werden können. Prozesskostenhilfe ist auch zu bewilligen, wenn in der Hauptsache eine Beweisaufnahme erforderlich ist und
keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil
des Antragstellers ausgehen wird (BVerfG Beschlüsse vom 04.05.2015 - 1 BvR 2096/13; vom 09.10.2014 - 1 BvR 83/12 und vom 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 22.12.2020 - L 7 AS 692/20 B, vom 16.01.2019 - L 7 AS 1085/18 B, vom 20.04.2016 - L 7 AS 1645/15 B und vom 15.02.2016 - L 7 AS 1681/15 B).
Mit zutreffender Begründung, auf die der Senat gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG Bezug nimmt, hat das Sozialgericht eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage verneint. Dem ist die Klägerin im Beschwerdeverfahren
inhaltlich nicht entgegen getreten. Die im Klageverfahren vorgebrachten Einwendungen gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide
stehen der Entscheidung des Sozialgerichts nicht entgegen. Die Erstattungsbescheide vom 18.09.2015 sind in Bestandskraft erwachsen
und streitgegenständlich nur der Aufrechnungsbescheid vom 05.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2020.
Letzterer ist rechtmäßig und daher nicht zu beanstanden.
Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II konnte der Beklagte gegen die Ansprüche der Klägerin zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechnen, denn dem Beklagten stehen
bestandskräftig festgestellte Erstattungsansprüche gegen die Klägerin gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 50 SGB X zu.
Die Aufrechnung ist der Klägerin gegenüber auch schriftlich durch Verwaltungsakt nach § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II erklärt worden. Dass die Aufrechnungserklärung nicht mit einem Enddatum versehen wurde, ist unschädlich, da die in § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II vorgesehene Höchstaufrechnungsdauer auch ohne deklaratorische Wiedergabe im schriftlichen Verwaltungsakt maßgeblich ist (vgl.
BSG Urteil vom 09.03.2016 - B 14 AS 20/15 R; Urteil des Senats vom 23.04.2020 - L 7 AS 1603/19).
Auch das Ermessen ist vom Beklagten pflichtgemäß ausgeübt worden. Hieran ändert auch das Berufungsvorbringen der Klägerin
nichts. Das dem Beklagten durch § 43 SGB II eingeräumte Entschließungsermessen, ob er aufrechnet, ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen, ob er sein Ermessen
überhaupt ausgeübt, ob er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck
der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, §
39 SGB I, §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG (Urteil des Senats vom 23.04.2020 - L 7 AS 1603/19; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.04.2018 - L 12 AS 1213/16). Der Beklagte hat sein Ermessen mit rechtmäßigen Erwägungen ausgeübt. Gesichtspunkte, die gerade im Falle der Klägerin im
Sinne einer Ermessensreduzierung dazu zwingen könnten, von der Durchführung einer Aufrechnung abzusehen, werden von der Klägerin
nicht genannt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Dies zumal der Klägerin aus ihrer unselbständigen Tätigkeit anrechnungsfreie
Absetzungsbeträge nach § 11b Abs. 2 und 3 SGB II iHv monatlich rund 130 € verbleiben, mit der der Aufrechnungsbetrag von monatlich 38,20 € ausgeglichen werden kann.
Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der gesetzlich geregelten Höhe und Ausgestaltung der Aufrechnung nach § 43 SGB II bestehen nicht, wie das BSG, dessen Einschätzung sich der Senat zu Eigen macht, bereits entschieden hat (BSG Urteil vom 09.03.2016 - B 14 AS 20/15 R, die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen - BVerfG Beschluss vom 10.08.2017
- 1 BvR 1412/16; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.04.2018 - L 12 AS 1213/16).
Der Erstattungsanspruch des Beklagten ist auch nicht verjährt, sodass die Aufrechnung auch aus diesem Grund nicht ausscheidet
(vgl. §
390 BGB). Die Klägerin hat ihre Klage gegen die Erstattungsbescheide vom 18.09.2015 erst im August 2018 zurückgenommen, sodass zum
Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung im Februar 2019 weder eine Verjährung nach § 50 Abs. 4 SGB X noch nach § 52 Abs. 2 SGB X in Betracht kam (zu dem Spannungsverhältnis dieser beiden Verjährungsregelungen: BSG Urteil vom 05.03.2021 - B 11 AL 5/20 R).
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 127 Abs. 4
ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§
177 SGG).