SGB-II-Leistungen
Einstweiliger Rechtsschutz
Kein Leistungsausschluss bei dauerhafter Beurlaubung aus dem Maßregelvollzug
Gründe
I.
Der am 00.00.1989 geborene Antragsteller befand sich seit Juli 2012 im geschlossenen Maßregelvollzug des LWL Zentrum für forensische
Psychiatrie M. Von dort wurde er ab dem 15.01.2016 beurlaubt. Die Beurlaubung war mit Auflagen und Weisungen verbunden. U.a.
hatte der Antragsteller in einer bestimmten Wohnung zu wohnen, in Absprache mit dem "Ambulant Betreuten Wohnen" berufliche
Perspektiven zu entwickeln, ein "Beurlaubungsbuch/Ausgangsbuch" zu führen, auswärtige Übernachtungen abzusprechen, sich in
der ersten Beurlaubungsphase einmal in der Woche zu melden und selbst Sorge für die Wahrnehmung von Terminen z.B. beim Jugendamt
oder Jobcenter zu tragen (Schreiben des LWL Zentrum für forensische Psychiatrie M vom 13.01.2016).
Am 22.12.2015 beantragte der Betreuer des Antragstellers Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Antragsgegner. Als Einkommen des Antragstellers gab er Kindergeld und Waisenrente an. Ferner reichte er einen Mietvertrag
zwischen dem LWL und den Antragsteller über ein möbliertes Appartement in M ein.
Mit Bescheid vom 11.01.2016 bewilligte der Antragsgegner für die Zeit vom 15.01.2016 bis 30.06.2016 vorläufig unter Bezugnahme
auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. §
328 Abs.
1 Satz 1
SGB III Leistungen, davon für jeden vollen Monat 306,43 Euro Unterkunftskosten und 80,55 Euro Regelleistungen.
Am 21.01.2016 vermerkte der Antragsgegner nach Mitteilung des Betreuers sei der Aufenthalt des Antragstellers unklar. Mit
Bescheid vom 21.01.2016 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 11.02.2016 ab Februar 2016 auf. Zur Begründung führte er aus:
"vorrangiger Anspruch auf SGB XII-Leistungen, fehlender Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich". Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch. Der Antragsteller
sei nach Einschätzung der Psychiatrie erwerbsfähig. Er reichte die Meldebestätigung vom 25.01.2016 für die Wohnung des LWL
ein. Der Antragsgegner vermerkte, die Wohnung sei nach Auskunft der Klinik zu Beginn der Beurlaubung noch nicht bezugsfertig
gewesen. Der Betreuer wisse nicht, wo sich der Antragsteller aufhalte. Zudem äußerte er Zweifel an der Erwerbsfähigkeit. Der
Betreuer des Antragstellers erwiderte, dieser wohne in der Wohnung des LWL. Der Außendienst des Antragsgegners nahm die Wohnung
am 20.06.2016 im Beisein des Antragstellers sowie des Betreuers in Augenschein. Dem Bericht ist u.a. zu entnehmen, der Kühlschrank
habe auf dem Herd gestanden, in der Badewanne seien Spinnweben gewesen, im Übrigen seien keine wesentlichen Auffälligkeiten
festgestellt worden. Der Antragsteller wurde am 06.07.2016 amtsärztlich begutachtet und in Übereinstimmung mit der Einschätzung
des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie C1 für erwerbsfähig erachtet (schwere körperliche Tätigkeiten
täglich von drei bis unter sechs Stunden).
Auf Anfrage des Antragsgegners teilte das LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie mit (Schreiben vom 26.09.2016), der Antragsteller
sei weiterhin Patient der Klinik in dem Status des sog. Langzeitbeurlaubten. Eine Beurlaubung sei eine Vollzugslockerung und
wesentlicher Bestandteil der Therapie und richte sich nach dem Erfolg sowie der vom Patienten ausgehenden Gefährlichkeit.
Zur Vorbereitung einer Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung könne als letzte Lockerungsstufe vor der Entlassung die
Beurlaubung erfolgen, die ein bis zwei Jahre dauern könne. In dieser Zeit werde der Patient intensiv weiterhin von der Maßregelvollzugsklinik
ambulant betreut. Er werde in eine geeignete Umgebung, oftmals ein Wohnheim oder eine Einrichtung des betreuten Wohnens, beurlaubt.
Die Beurlaubung erfolge, um zu erproben, welche weiterführenden Bedingungen für eine günstige Prognose erforderlich seien.
Im Krisenfall könne der Patient wieder unmittelbar der forensischen Klinik zugeführt werden.
Am 08.11.2016 wies der Antragsgegner den Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.01.2016 zurück. Es sei zweifelhaft, ob der
Antragsteller zum Zeitpunkt der Beurlaubung erwerbsfähig gewesen sei. Zudem sei nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller
während der Beurlaubung überhaupt einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen könne, da er diesem nicht zur
Verfügung stehe.
Am 07.12.2016 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Dortmund die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
gegen den Änderungsbescheid beantragt. Er hat geltend gemacht, der Leistungsgewährung stehe die Langzeitbeurlaubung nicht
entgegen, auch von seiner Erwerbsfähigkeit könne ausgegangen werden. Am 09.12.2016 hat der Antragsteller Klage gegen den Widerspruchsbescheid
vom 08.11.2016 erhoben (S 67 AS 5901/16).
Der Antragsgegner hat geltend gemacht, es bestehe keine Eilbedürftigkeit, der Lebensunterhalt des Antragstellers sei gesichert,
er erhalte Rente und Kindergeld und offenbar vom LWL weitere Leistungen.
Mit Beschluss vom 19.12.2016 hat das Sozialgericht Dortmund die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 21.01.2016
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2016 angeordnet. Der Bescheid vom 21.01.2016 halte einer rechtlichen Überprüfung
voraussichtlich nicht Stand. Die Zweifel des Antragsgegners am Aufenthaltsort des Antragstellers rechtfertigten eine Aufhebung
nicht. Der Antragsteller sei nicht erwerbsunfähig, ein Vorrang von Leistungen nach dem SGB XII könne nicht festgestellt werden. Der Status des Antragstellers sei nicht mit der Unterbringung in einer stationären Einrichtung
zu vergleichen.
Gegen den am 27.12.2016 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 11.01.2017 Beschwerde erhoben. Er ist der Auffassung,
der Antragsteller stehe dem Arbeitsmarkt nicht zu Verfügung, der Aufenthalt des Antragstellers in der Wohnung sei unklar,
dieser sei zeitweilig nur über das Handy erreichbar gewesen. Zudem dürfe der Bescheid vom 21.01.2016 als Festsetzung des Leistungsanspruchs
für den Zeitraum 01.02.2016 bis 30.06.2016 auf Null Euro anzusehen sein, so dass eine aufschiebende Wirkung der Klage nicht
in Betracht komme.
Der Antragsteller trägt ergänzend vor, die geäußerten Zweifel an seinem Aufenthalt seien völlig unsubstantiiert, er habe sich
in der Wohnung im I 00 in M aufgehalten.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist nicht begründet.
Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid
vom 21.01.2016 entfaltet nach §
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG iVm. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.
Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung
des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes
andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die
Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge
hätte. Da § 39 Nr. 1 SGB II das Vollzugsrisiko bei Rücknahmebescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest
überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Maßgebend ist, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung
mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. nur Beschluss vom
19.03.2014 - L 7 AS 321/14 B ER und Beschluss vom 24. März 2016 - L 7 AS 372/16 B ER; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
86b Rn. 12a ff mwN).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Sozialgericht zu Recht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Aufhebungsbescheid
angeordnet. Denn das Aussetzungsinteresse überwiegt das Vollzugsinteresse. Der angefochtene Bescheid ist nach der im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung rechtswidrig.
Als Ermächtigungsgrundlage für die angefochtene Entscheidung kommt allein § 45 SGB X in Betracht. Der Argumentation des Antragsgegners, der Aufhebungsbescheid dürfte als endgültige Festsetzung auf Null Euro
zu verstehen sein, folgt der Senat nicht. Eine endgültige Festsetzung gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.07.2016 gültigen Fassung i.V.m. §
328 Abs.
3 SGB III durch den Antragsgegner ist nicht erfolgt. Dem Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides zufolge sollte der Bescheid vom
11.01.2016 "ganz aufgehoben" werden, die Überschrift lautet "Aufhebung des Bescheides vom 11.01.2016" und als Anlage beigefügt
waren u.a. der Wortlaut von § 48 Abs. 1 SGB X und von §
330 Abs.
3 Satz 1
SGB III (vgl. Bl. 16 der beigezogenen Akte S 67 AS 5901/16). Auch eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X kommt nicht in Betracht. Denn zwischen der am 11.01.2016 erfolgten Bewilligung ab dem 15.01.2016 und dem 21.01.2016 (Aufhebung)
ist keine wesentliche Änderung eingetreten. Der als Aufhebungsgrund angegebene "vorrangige Anspruch auf SGB XII-Leistungen" lag - diesen unterstellt - bereits zum Zeitpunkt der Bewilligung vor. Auch eine wesentliche Änderung in Bezug
auf den Aufenthalt lässt sich nicht feststellen. Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel am gewöhnlichen Aufenthalt des
Antragstellers im angemieteten Appartement. Gewisse Zweifel ergeben sich zwar aus Angaben des Betreuers und den Ausführungen
des Ermittlungsdienstes des Antragsgegners, wonach in der Badewanne Spinnenweben festgestellt worden seien und man den Kühlschrank
auf dem Herd stehend vorgefunden habe. Diese Bedenken greifen indes nicht durch. Der Antragsteller hatte im Rahmen seiner
Beurlaubung Auflagen und Weisungen gem. § 18 Abs. 3 MRVG NW zu befolgen, die bei Nichtbeachtung gem. § 18 Abs. 5 Nr. 3 MRVG NW zum Abbruch der Beurlaubung führen können. Die Auflagen und Weisungen sahen u.a. vor, dass der Antragsteller in seinem Appartement
wohnen, ein Beurlaubungstagebuch führen und auswärtige Übernachtungen mit dem "Ambulant Betreuten Wohnen" absprechen muss.
Es kann daher davon ausgegangen werden, dass längere Abwesenheitszeiten des Antragstellers zu einer Aufhebung der Beurlaubung
geführt hätten, die aber bis heute nicht erfolgt ist.
Gem. § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise
mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt
darf gem. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Betroffene auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter
Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte
erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren
Nachteilen rückgängig machen kann. Unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Betroffene nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Es spricht viel dafür, dass der Bescheid vom 11.10.2016 nicht rechtswidrig ist, weil der Antragsteller erwerbsfähig ist und
der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II nicht greift.
Zweifel an der Erwerbsfähigkeit bestehen nicht. Diese setzt nach § 8 Abs. 1 SGB II voraus, dass der Betroffene nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dass der Antragsteller diesen
Anforderungen gerecht wird, ergibt sich aus dem Gutachten von Dr. C vom 06.07.2016, was auch der Einschätzung des behandelnden
Psychiaters C1 entspricht. Danach ist der Antragsteller in der Lage drei bis sechs Stunden täglich einer schweren körperlichen
Arbeit nachzugehen.
Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhält Leistungen nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Nach Satz 2 ist dem Aufenthalt in einer
stationären Einrichtung der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt.
Die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II lagen zunächst vor. Der Antragsteller war auf Grund des Urteils des LG Paderborn vom 18.07.2012 im Rahmen des Maßregelvollzugs
im LWL Zentrum für forensische Psychiatrie M untergebracht und damit vom Leistungsbezug ausgeschlossen, da es sich hierbei
um Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung iSd § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II handelte (vgl. BSG Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 81/09 R).
Die dauerhafte Beurlaubung aus dem Maßregelvollzug gem. § 18 Abs. 2 Nr. 2 MRVG NW seit dem 15.01.2016 beendete den Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung.
Im Ergebnis teilt der Senat für den vorliegenden Sachverhalt die Auffassungen des Bayerischen LSG und des LSG Niedersachsen-Bremen
(Bayerisches LSG Urteil vom 17.09.2014 - L 16 AS 813/13; LSG Niedersachsen-Bremen Urteile vom 24.03.2015 - L 7 AS 1504/13 und vom 26.01.2016 - L 13 AS 309/13), wonach die dauerhafte Beurlaubung in eine eigene Wohnung eine Leistungsgewährung ermöglicht. Soweit in diesen Entscheidungen
Bezug genommen wird auf die Urteile des BSG vom 05.06.2014 (B 4 AS 32/13 R) und vom 02.12.2014 (B 14 AS 35/13 R), schließt sich der Senat dem nur im Ergebnis an. Denn den Entscheidungen liegt eine Fallkonstellation des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II zugrunde. Eine Übertragung auf Fälle des Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung
ist nicht ohne weiteres möglich. Das BSG betont vielmehr, dass derjenige, der sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhält,
unabhängig von gewährten Vollzugslockerungen grundsätzlich von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, weil sich der Aufenthalt in diesen Einrichtungen wesentlich von dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung
unterscheidet und nur die Rückausnahme nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II in Betracht kommt (Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 81/09 R). Begründet hat das BSG diesen wesentlichen Unterschied insbesondere damit, dass es nach dem Rechts des Strafvollzugs in einer JVA für jede Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer vorherigen, im Ermessen stehenden Gestattung durch die Anstalt
bedarf. Die Regelungen des MRVG NW über die Vollzugslockerung, insbesondere einer Beurlaubung unterscheiden sich indes von den Lockerungen des Strafvollzugs
in wesentlichen Punkten: Im Gegensatz zum vom BSG entschiedenen Fall, in dem der Kläger in einem Freigangheim wohnte und nur für bestimmte Erledigungen Ausgang erhielt, ist
der Antragsteller dauerhaft, angelegt auf einen Zeitraum von einem Jahr und mehr, beurlaubt und soll dabei die allgemeine
tägliche Lebensführung wieder im Wesentlichen selbständig vornehmen. Dabei erfährt er (nur) ambulante Unterstützung, stationäre
Leistungen werden im Rahmen der Beurlaubung nicht mehr erbracht. Der Antragsteller soll die selbständige Lebensführung gerade
auch deshalb wieder erlernen, um sich schrittweise wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Zielsetzung der erfolgten Beurlaubung
ist es, den Antragsteller zu resozialisieren und auf ein selbstbestimmtes Leben und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vorzubereiten.
Daher kann nicht mehr von einem Aufenthalt des Antragstellers in einer Einrichtung ausgegangen werden. Dieses Ergebnis wird
durch Sinn und Zweck des Leistungsausschlusses gestützt. Der Grund für den Ausschluss liegt darin, dass für die betroffenen
Personen der fördernde und fordernde Ansatz des SGB II im Regelfall als unangebracht angesehen wird (Thie in LPK SGB II, 5. Aufl. § 7 Rn. 88 mwN). Die Beurlaubung des Antragstellers soll aber - wie dargestellt - gerade dazu beitragen, ihn in die Gesellschaft
und das Arbeitsleben durch Fördern und Fordern zu integrieren.
Der angefochtene Bescheid ist zudem wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X (arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung; unrichtige bzw. unvollständige Angaben; vorwerfbare Unkenntnis der Rechtswidrigkeit
des Bewilligungsbescheides) liegen nicht vor. Damit entfällt zugleich die Entbindung des Antragsgegners von der bei einer
Aufhebung nach § 45 SGB X regelmäßig erforderlichen Pflicht zur Ausübung des Ermessens nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. §
330 Abs.
2 SGB III. Diese Regelung sieht eine von § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X abweichende Sonderregelung (nur) für den Fall vor, dass sich der Begünstigte nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. In
anderen als den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X verbleibt es bei den Regelungen des § 45 SGB X und damit auch bei der Pflicht zur Ausübung des Ermessens (Schaumberg in jurisPK-
SGB III, §
330 SGB III, Rn. 78, 83). Der Aufhebungsbescheid lässt nicht erkennen, dass sich der Antragsgegner bewusst war, einen Ermessensspielraum
zu haben, der Antragsteller ging offenbar von einer gebundenen Entscheidung aus. Damit liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs
(vgl. Wagner in jurisPK-
SGB I, §
39 Rn. 20) vor. Eine Nachholung der Ermessensausübung nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB X kommt nicht mehr in Betracht. Denn es handelt sich beim Ermessensnichtgebrauch nicht um einen Mangel der Begründung, sondern
um einen der Ermessensbetätigung, so dass § 41 SGB X tatbestandlich nicht anwendbar ist (vgl. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 22.02.2007 - L 10 R 5254/05; Schütze in von Wulffen, SGB X, 8. Aufl. § 41 Rn. 11 mwN; Schneider-Danwitz in jurisPK-SGB X § 41 Rn. 26).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).