Vergütung vertragsärztlicher Leistungen
Anforderungen an das Vorliegen einer "räumlichen Nähe" ausgelagerter Praxisräume zum Vertragsarztsitz im Sinne von § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV
Tatbestand
Streitig ist die Berechtigung zur Erbringung zytologischer Leistungen in ausgelagerten Praxisräumen.
Die Klägerin ist eine Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft (ÜBAG) bestehend aus der Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ)
E GbR, H-Str. 65a, Düsseldorf, und der MVZ R GmbH, B-Straße 34, Pulheim, deren Geschäftsführer der Facharzt für Frauenheilkunde
und Geburtshilfe Dr. A ist. An den Standorten in Düsseldorf und Pulheim werden im "Institut für Zytologie" Laborleistungen
erbracht. Als interdisziplinäres Einsendelabor wird an weiteren Standorten ein vollständiges labordiagnostisches Spektrum
angeboten.
Unter dem 24. Februar 2017 "beantragte" die Klägerin bei der Beklagten eine "ausgelagerte Betriebsstätte, alternativ Zweigstelle".
Sie sei seit vielen Jahren als zytologisches Einsendelabor tätig und bearbeite entsprechende Untersuchungen auch über Nordrhein-Westfalen
hinaus. Die räumlichen Kapazitäten am Hauptstandort Pulheim seien ausgeschöpft; aufgrund der kleinstädtischen Größenordnung
stehe die weitere benötigte Fläche dort nicht zur Verfügung. Das Umfeld biete größere Gewerbegebiete. Hierbei legte die Klägerin
den Entwurf eines Mietvertrages mit der J Immobilienverwaltungs-GmbH & Co. KG vor, nach dessen § 1 (1) in der Liegenschaft
"S-Straße 79, Köln" Mietflächen mit einer Größe von ca. 1.000 m2 zum Betrieb als Büro- und Laborflächen vermietet würden. Es handele sich bei der beantragten ausgelagerten Praxisstätte um
eine rein zytologisch tätige Praxisstätte. Dort solle und werde zu keinem Zeitpunkt ein Patientenkontakt erfolgen.
Mit weiterem Schreiben vom 16. Juni 2017 zog die Klägerin den Antrag auf Genehmigung einer Zweigpraxis zurück und teilte mit,
eine ausgelagerte Praxisstätte am angezeigten Standort betreiben zu wollen. Sämtliche Leistungen am Patienten würden in den
derzeitigen Praxen durchgeführt, die Sprechstundenzeiten seien gesichert und würden eingehalten. In der geplanten ausgelagerten
Praxisstätte würden - durch fünf im Einzelnen benannte Ärzte - zytologische Leistungen nach den folgenden Gebührenordnungspositionen
(GOP) erbracht:
"01733 Zytologische Untersuchung gemäß Abschnitt B. II. §§ 7 und 8 der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie
01826 Zytologische Untersuchung im Rahmen der Empfängnisregelung
19331 Zytologische Untersuchung zur Diagnostik der hormonellen Funktion
19320 Histologische oder zytologische Untersuchung eines Materials unter Anwendung eines immunchemischen Sonderverfahrens
19311 Zytologische Untersuchung eines Materials
19310 Histologische oder zytologische Untersuchung eines Materials"
Die Beklagte vertrat hierauf mit Schreiben vom 11. Juli 2017 die Auffassung, dass aufgrund der Entfernung zwischen dem Sitz
des MVZ in Pulheim und dem ausgelagerten Praxisteil in Köln nicht mehr von einer "räumlichen Nähe" iS.v. § 24 Abs. 5 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) ausgegangen werden könne. Vertragsärztliche Leistungen könnten unter der angegebenen Adresse daher nicht im Rahmen eines
ausgelagerten Praxisteils erbracht und abgerechnet werden. Auf Nachfrage durch den Klägerbevolllmächtigten (E-Mail vom 19.
Juli 2017) teilte die Beklagte mit, dass das Schreiben vom 11. Juli 2017 keinen Bescheid darstelle, sondern es sich "lediglich
um eine Mitteilung unserer Rechtsauffassung" handele (E-Mail vom 20. Juli 2017).
Am 11. September 2017 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass für Leistungen der Zytologie kein
Patientenkontakt notwendig sei. Die Entfernung zur ausgelagerten Praxisstätte spiele daher keine Rolle. Es liege kein Fall
vor, in dem der Patient geschützt werden müsse. Allein die Proben würden in die ausgelagerte Praxisstätte transportiert und
dort untersucht. Gynäkologen, die selbst nicht zytologisch tätig seien, könnten genommene Proben auch über mehrere hundert
Kilometer an Labore in ganz Deutschland versenden. Gemäß § 1a Nr. 20 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) sei eine ausgelagerte Praxisstätte auch ein Operationszentrum. Dieses könne bis zu 30 km von der Praxis entfernt liegen,
obwohl dort sogar ein Patientenkontakt stattfinde. Bei einer ausgelagerten Zytologie-Praxisstätte ohne Patientenkontakt sei
der Schutzzweck des Kriteriums der räumlichen Nähe schon nicht betroffen. Zur Frage der räumlichen Nähe könne die höchstrichterliche
Rechtsprechung zur früher bestehenden Residenzpflicht eines Vertragsarztes herangezogen werden. Auszugehen sei insofern von
einer maximalen Wegezeit von 30 Minuten, die vorliegend unterschritten werde. Im Übrigen komme es für die räumliche Nähe der
ausgelagerten Praxisräume zur Hauptpraxis nicht entscheidend auf die Entfernung an, sondern darauf, ob das Zusammenspiel organisatorisch
reibungslos und sicher funktioniere. Dies gewährleiste die Klägerin. Die gesamte Terminvergabe, der Erstkontakt zu Patientinnen
und Patienten sowie Untersuchungen, die nicht in der ausgelagerten Praxisstätte erbracht werden dürften, erfolgten am Hauptstandort.
Vor Ort am Vertragsarztsitz sei eine weitere Ausdehnung räumlich nicht möglich. Auch im näheren Umkreis bestünden keine Möglichkeiten.
Die zwingende Notwendigkeit zur Erweiterung der Räumlichkeiten ergebe sich bereits alleine durch die Änderung der Krebsvorsorgerichtlinien
zum 1. Januar 2018, um die dann zusätzlich zu erbringenden HPV-Untersuchungen durchführen zu können.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass sie eine ausgelagerte Praxisstätte am Standort S-Straße 79, Köln, betreiben darf, an der zusätzlich zu
ihren weiteren Standorten sämtliche zytologischen Leistungen sowie HPV-Untersuchungen und die Untersuchungen von P 16/Ki 67
sowie L1, für die sie eine Genehmigung hat, erbracht und abgerechnet werden können.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat dem Klagebegehren entgegengehalten, dass die vom Gesetzgeber geforderte räumliche Nähe iS.v. § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV zwischen dem weiteren Standort und dem Vertragsarztsitz nicht gegeben sei. Aufgrund der Entfernung könne der ausgelagerte
Praxisteil nicht mehr als organisatorische Einheit zur Vertragsarztpraxis angesehen werden. Irrelevant sei, welche Leistungen
in der ausgelagerten Praxisstätte erbracht werden sollen und ob Patientenkontakt erfolge. Der Hinweis auf die höchstrichterliche
Rechtsprechung zur ehemals bestehenden Residenzpflicht gehe fehl. Hintergrund dieser Pflicht sei es gewesen, dass der Vertragsarzt
seinen Wohnsitz so zu wählen gehabt habe, dass er im Notfall schnell die Praxis habe erreichen können. Eine entsprechende
Notwendigkeit bestehe bei ausgelagerten Praxisräumen nicht. Vielmehr sollten sie mit der Praxis ein Gebilde darstellen, so
dass sich bereits begrifflich eine wesentlich kleinere Distanz ergebe. Fahrtzeiten seien zur Definition der räumlichen Nähe
nicht heranzuziehen. Operationszentren seien zudem keine ausgelagerten Praxisstätten im klassischen Sinne.
Mit Urteil vom 23. Mai 2018 hat das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben und festgestellt, dass die Klägerin eine ausgelagerte Praxisstätte am Standort S-Straße 79, Köln,
betreiben dürfe, an der zusätzlich zu den weiteren Standorten der Klägerin sämtliche zytologischen Leistungen sowie HPV-Untersuchungen
und die Untersuchung von P16/Ki 67 sowie L1, für welche die Klägerin eine Genehmigung besitze, erbracht und abgerechnet werden
dürften. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Untersuchungsleistungen würden in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz der Klägerin in Pulheim erbracht.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zur früheren Residenzpflicht (BSG, Urteil vom 5. November 2003 - B 6 KA 2/03 - [30 Minuten zwischen Wohnsitz und Vertragsarztsitz]) bestünden bei einer Entfernung
von ca. 10,5 bis 10,9 km und einer Fahrzeit von ca. 11 bzw. 15 Minuten (je nach gewählter Strecke) zu den Kölner Laborräumen
keine Bedenken gegen die Annahme einer räumlichen Nähe. Eine mögliche Beeinträchtigung der Versorgung am Vertragsarztsitz
- insbesondere der Notfallversorgung der Versicherten - drohe nicht, da es allein um die Erbringung zytologischer Laborleistungen
ohne Patientenkontakt gehe und die Dres. A und V nach ihren Angaben außerhalb ihrer Präsenzstunden am Vertragsarztsitz in
den neuen Räumlichkeiten tätig werden wollten. In der Natur der Sache liege es, dass die Klägerin in den in Köln gelegenen
Laborräumen keine Sprechstunde abhalten werde. Daher werde die ärztliche Tätigkeit der Dres. A und V am Vertragsarztsitz in
Pulheim bei Weitem ihre geplante Tätigkeit in Köln überwiegen (§17 Abs. 1a Satz 3 BMV-Ä). Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidung des SG Bezug genommen.
Gegen das am 1. Juni 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. Juni 2018 Berufung eingelegt: Eine räumliche Nähe i.S.v.
§ 24 Abs. 5 Ärzte-ZV zwischen dem Vertragsarztsitz in Pulheim und dem avisierten Tätigkeitsort in Köln bestehe nicht. Das BSG habe in seinem Urteil vom 12. September 2001 (B 6 KA 64/00 R) ausgeführt, dass auch eine auf getrennte Räumlichkeiten aufgeteilte Praxis in den Augen des Publikums noch organisatorisch
eine einheitliche Praxis darstellen müsse. Daraus folge, dass eine "räumliche Nähe" nur dann anzunehmen sei, wenn die ausgelagerten
Praxisräume nur wenige Kilometer entfernt lägen. Das Tatbestandsmerkmal der räumlichen Nähe sei eng auszulegen. Aufgrund der
Entfernung zwischen dem Vertragsarztsitz der Klägerin und dem von ihr avisierten Tätigkeitsort handele es sich aus Sicht der
Patienten organisatorisch nicht um eine einheitliche Praxis. Für eine restriktive Handhabung spreche auch, dass nur so der
Arzt bei Notfällen schnell erreichbar sei und die Versorgung am Vertragsarztsitz - die uneingeschränkt sicherzustellen sei
- nicht gefährdet werde. Insofern verfange die Argumentation der Klägerin nicht, dass es sich bei den ausgelagerten Leistungen
lediglich um Leistungen handele, die nicht mit einem Patientenkontakt verbunden seien. Denn am Vertragsarztsitz der Klägerin
in Pulheim sei die Patientenversorgung mit gynäkologischen Leistungen - auch im Notfall - sicherzustellen. Dres. A, U, C,
E, die ausweislich der Anzeige vom 16. Juni 2017 in den ausgelagerten Praxisräumen tätig werden sollen, seien Fachärzte für
Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Soweit das SG Düsseldorf seine Entscheidung auf das Urteil des BSG vom 5. November 2003 (B 6 KA 2/03) stütze, welches sich mit der zu dem damaligen Zeitpunkt noch bestehenden Residenzpflicht
auseinandergesetzt habe, könne dieser keine Aussage zu dem Erfordernis der räumlichen Nähe zwischen ausgelagerten Praxisräumen
und Vertragsarztsitz entnommen werden. Das Urteil des BSG vom 8. August 2018 (B 6 KA 24/17 R) bestätige demgegenüber ihre, der Beklagten, Rechtsauffassung. Das BSG habe darin ausdrücklich aufgeführt, dass sich angesichts einer Distanz zwischen beiden Orten von 9 bzw. 11 km Zweifel aufdrängten,
einen ausgelagerten Praxisraum anzuerkennen. Auch im dortigen Verfahren seien Laboratoriumsuntersuchungen streitgegenständlich
gewesen, sodass der Vortrag der Klägerin über den Schutzzweck der räumlichen Nähe, der vorgeblich patientenbezogen sei, auch
von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht getragen werde. Die Abrechnung nach den (alten) GOP 01733, 01826, 19311 EBM setze zudem eine Genehmigung nach der sog. Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen nach §
135 Abs.
2 SGB V zur zytologischen Untersuchung von Abstrichen der Cervix uteri (Qualitätssicherungsvereinbarung Zervix-Zytologie) voraus,
die für jeden Standort separat beantragt werden müsse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug und führt ergänzend aus, dass die Beklagte weiterhin verkenne,
dass es sich hier nicht um eine klassische ausgelagerte Praxisstätte handele, bei der Patientenverkehr stattfinde. Der Schutzzweck
der räumlichen Nähe sei patientenbezogen. Einerseits seien den Patienten für den Weg zur ausgelagerten Praxisstätte keine
langen Wege zuzumuten, andererseits solle der behandelnde Arzt jederzeit rechtzeitig zurück in der Praxis sein können. Es
sei die Einrichtung eines hochspezialisierten Labors beabsichtigt, für das es in unmittelbarer Umgebung der Praxis keinen
Platz gebe. Kein Patient müsse mit seiner Probe dorthin fahren. Jeden Tag würden Proben quer durch Deutschland versandt. Warum
eine ausgelagerte Praxisstätte in 9 km Entfernung in diesem Fall nicht möglich sein solle, erschließe sich nicht. Spätestens
zum 1. Januar 2020 mit dem Start des Zervixkarzinom-Screenings bei Frauen ab einem Alter von 35 Jahren könnten nicht mehr
alle Anfragen am bisherigen Standort bearbeitet werden.
Auf Nachfrage des Senats hat die Klägerin mitgeteilt, dass eine Anmietung der Räumlichkeiten in der S-Str. 79, Köln nicht
mehr möglich sei. Man beabsichtige nun, die ausgelagerten Praxisräume "an nahezu gleicher Stelle" in der S-Str. 58-62, Köln
zu betreiben.
Mit Bescheid vom 22. Februar 2021 hat die Beklagte auf Anzeige der Klägerin vom 9. Februar 2021 ausgeführt, dass vertragsärztliche
Leistungen in der S-Str. 58-62, Köln nicht erbracht und abgerechnet werden könnten, da eine räumliche Nähe zu den bisherigen
Standorten der Klägerin nicht gegeben sei.
Nach vorheriger Anhörung hat der Senat den Beteiligten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an
einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen zur Verfügung
gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen (Verfügung vom 9. März 2021). Die Klägerin hatte bereits mit Schriftsatz
vom 22. Februar 2021 die Durchführung einer Videokonferenz angeregt. Die Vertreterin der Beklagten hat an der mündlichen Verhandlung
im Wege der Bild-Ton-Übertragung teilgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten und
der Gerichtsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
A. Die Anträge im Berufungsverfahren sind wirksam im Rahmen einer mündlichen Verhandlung gestellt worden. Soweit die Vertreterin
der Beklagten nicht persönlich im Gerichtssaal anwesend gewesen ist, sondern von ihrem Behördensitz aus per Video- und Tonübertragung
an der Verhandlung teilgenommen hat, war dies gemäß §
110a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) aufgrund der prozessleitenden Verfügung vom 9. März 2021 zulässig (vgl. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl.,
§
110a SGG <Stand: 6. Mai 2021>, Rn. 20, 70).
B. Die am 28. Juni 2018 eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihr am 1. Juni 2018 zugestellte Urteil des SG Düsseldorf
vom 23. Mai 2018 ist zulässig; insbesondere ohne gerichtliche Zulassung statthaft (§§
143,
144 SGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§
151 Abs.
1, Abs.
3, §
64 Abs.
1, Abs.
2, §
63 SGG).
C. Die Berufung ist begründet. Das im Berufungsverfahren verfolgte Klagebegehren ist im Sinne einer Fortsetzungsfeststellungsklage
auszulegen (I.). Diese ist zulässig (II.), hat aber in der Sache keinen Erfolg (III.).
I. Das ursprünglich auf Feststellung der Berechtigung zum Betrieb einer ausgelagerten Praxisstätte am Standort S-Straße 79,
Köln, gerichtete Feststellungsbegehren der Klägerin hat sich insoweit erledigt, als diese Räumlichkeiten zwischenzeitlich
nicht mehr für eine Anmietung zur Verfügung stehen. Auch wenn die Klägerin ihren Klageantrag im Berufungsverfahren nicht ausdrücklich
angepasst hat, ist er jedoch dahingehend zu verstehen, dass sie daraufhin nunmehr die Feststellung begehrt, zum Betrieb der
ausgelagerten Praxisstätte in den zunächst avisierten Räumlichkeiten berechtigt gewesen zu sein. Das folgt bereits aus ihrem
Hinweis, sie habe mittlerweile die Anmietung einer Immobilie in unmittelbarer Nachbarschaft ins Auge gefasst.
II. Ausgehend hiervon ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß §
131 Abs.
1 Satz 3
SGG analog zulässig. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist grundsätzlich statthaft, wenn sich der ursprünglich mittels einer
zulässig erhobenen Anfechtungsklage angefochtene Verwaltungsakt erledigt hat und der Kläger sich auf ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse
berufen kann. Hat sich ein Verwaltungsakt durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach §
131 Abs.
1 Satz 3
SGG auf Antrag des Klägers aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser
Feststellung hat. Entsprechendes gilt, wenn sich - wie hier - ein ursprünglich anhängiges Feststellungsbegehren im Rahmen
einer zulässigen Feststellungsklage erledigt hat und die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Fortsetzungsfeststellungsklage
erfüllt sind (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 2002 - B 1 KR 34/00 R - SozR 3-2500 § 207 Nr. 1 - Rn. 19 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die zunächst erhobene Feststellungsklage war - abgesehen von der Frage ihrer Subsidiarität
gegenüber einer Anfechtung des Bescheides der Beklagten vom 11. Juli 2017 (dazu unter 3.) - zulässig (1.). Auch die besonderen
Zulässigkeitsvoraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage sind erfüllt (2.). Nach Erledigung sowohl des ursprünglichen
Feststellungsbegehrens als auch des Bescheides der Beklagten vom 11. Juli 2017 kann der Zulässigkeit beider Klagen nicht mehr
entgegengehalten werden, dass es am Vorverfahren hinsichtlich dieses Bescheides fehlt, sodass für den Senat auch kein Grund
besteht, das gerichtliche Verfahren zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens auszusetzen (3.). Die Klägerin kann nicht darauf
verwiesen werden, die streitigen Fragen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens gegen den Bescheid vom 22. Februar 2021 klären
zu lassen (4.). Im Übergang von der Feststellungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage liegt keine Klageänderung (5.).
1. Die in §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG ausdrücklich normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Feststellungsklage waren hinsichtlich des Klageantrags ursprünglich
erfüllt. Die Vorschrift sieht im sozialgerichtlichen Klageverfahren die Feststellungsklage u.a. zur Feststellung des Bestehens
oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses <a)> vor, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung
hat <b)>.
a) Mit ihrer Klage hat die Klägerin ursprünglich die Feststellung erstrebt, dass sie bestimmte, nach ihrer Auffassung in ausgelagerten
Praxisräumen in der S-Str. 79, Köln zu erbringende Laborleistungen gegenüber der Beklagten abrechnen dürfe. Dieses Begehren
ist auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses i.S.v. §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG gerichtet. Es bezweckt die Klärung von Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und der Beklagten, die sich aus der Anwendung
einer normativen Regelung der Ärzte-ZV auf einen konkreten Lebenssachverhalt ergeben. Dabei geht es nicht lediglich um vorbeugenden Rechtsschutz im Hinblick auf
ein zukünftig erst entstehendes Rechtsverhältnis. Vielmehr lag bereits der Entwurf eines Mietvertrages für die Räumlichkeiten
vor, und die Klägerin wollte Klarheit darüber erhalten, ob sie berechtigt war, in den avisierten Räumlichkeiten Leistungen
zu Lasten von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen und diese abzurechnen.
b) Das erforderliche Feststellungsinteresse folgte daraus, dass die Beklagte die Zulässigkeit der Leistungserbringung in der
S-Str. 79, Köln bestritten hat. Ein Bedürfnis nach Klärung der Zulässigkeit der Leistungserbringung besteht hiernach, weil
Vertragsärzten für Leistungen, die sie in Räumen erbracht haben, die sie selbst für ausgelagerte Praxisräume halten, die aber
in Wirklichkeit eine Zweigpraxis darstellen, eine Vergütung zu versagen ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2001 - B 6 KA 64/00 R -, SozR 3-2500 § 135 Nr. 20 - Rn. 18).
2. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage sind erfüllt. Das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage
erforderliche qualifizierte Feststellungsinteresse ist gegeben (vgl. hierzu statt vieler: BSG, Urteil vom 14. März 2001 - B 6 KA 49/00 R - SozR 3-2500 § 95 Nr. 30 - Rn. 16). Es folgt aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Eine solche ist anzunehmen,
wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen
Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht bzw. - im vorliegenden Fall - das zur Feststellung gestellte Streitverhältnis
in vergleichbarer Weise wieder entsteht (BSG, a.a.O.). Eine Wiederholungsgefahr hat sich vorliegend sogar bereits realisiert, da die Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar
2021 im Wesentlichen gleichlautende Einwände gegen den Betrieb ausgelagerter Praxisräume in der S-Straße 58-62, Köln, erhoben
hat. Eine Klärung der betreffenden Rechtsfragen im anhängigen Verfahren erscheint daher grundsätzlich geboten.
3. Der Zulässigkeit der ursprünglichen Feststellungsklage wie der Fortsetzungsfeststellungsklage kann nicht entgegengehalten
werden, dass es hinsichtlich des Bescheides der Beklagten vom 11. Juli 2017 <dazu unter a)> zunächst der Durchführung eines
Vorverfahrens i.S.v. §
78 Abs.
1 Satz 1
SGG bedurft hätte. Insbesondere ist der Senat nicht gehalten, das Berufungsverfahren hierzu gemäß §
114 Abs.
2 SGG auszusetzen <b)>.
a) Allerdings handelt es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 11. Juli 2017 um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 Satz 1 SGB X, mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass aufgrund der Entfernung zwischen dem Sitz des MVZ in Pulheim und dem ausgelagerten
Praxisteil in Köln nicht mehr von einer "räumlichen Nähe" i.S.v. § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV ausgegangen werden könne, sodass vertragsärztliche Leistungen unter der angegebenen Adresse daher nicht im Rahmen ausgelagerter
Praxisräume erbracht und abgerechnet werden.
Dass die Beklagte - ausgehend vom maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont - mit diesem Schreiben eine Einzelfallregelung
treffen und nicht nur eine unverbindliche Rechtsauffassung verlautbaren wollte, ergibt sich insbesondere daraus, dass dem
Schreiben bereits ein längerer Meinungsbildungsprozess vorausgegangen war. So hatte ausweislich des Schreibens vom 11. Juli
2017 der Justiziar der Beklagten, Herr Dr. D, bereits deutliche Bedenken gegen das Vorliegen ausgelagerter Praxisräume geäußert.
Diese Auffassung hatte die Beklagte einer nochmaligen Prüfung durch ihre Rechtsabteilung unterzogen, der zufolge sie an ihrer
Rechtsansicht festhalte. Angesichts dessen spricht die äußere Form des Schreibens, dem z.B. keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt
war, nicht gegen das Vorliegen eines Verwaltungsaktes. Da es insoweit maßgeblich auf den objektiven Horizont des Empfängers
ankommt, steht der Auslegung des Schreibens vom 11. Juli 2017 als Verwaltungsakt auch nicht entgegen, dass die Beklagte mit
E-Mail vom 20. Juli 2017 erklärt hat, dieses Schreiben stelle lediglich eine Mitteilung ihrer Rechtsauffassung dar.
b) Der Senat war nicht gehalten, das Berufungsverfahren gemäß §
114 Abs.
2 SGG auszusetzen, um der Beklagten Gelegenheit zu geben, das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 11. Juli 2017 nachzuholen.
Zwar ist die von der Klägerin am 11. September 2017 erhobene Klage (zugleich) als Widerspruch gegen diesen Bescheid aufzufassen
(vgl. bereits BSG, Urteil vom 18. Februar 1964 - 11/1 RA 90/61 - BSGE 20, 199; vgl. auch Giesbert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, §
78 SGG <Stand: 15. Juli 2017> Rn. 43). Indessen hat der Bescheid vom 11. Juli 2017 sich (ebenfalls) erledigt, weil die Räume in
der S-Str. 79, Köln nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Feststellung der Beklagten, dass vertragsärztliche Leistungen unter
dieser Adresse nicht im Rahmen eines ausgelagerten Praxisteils erbracht und abgerechnet werden können, geht damit ins Leere
(zur Gleichstellung des Vertragsarztsitzes mit der Praxisanschrift des Vertragsarztes u.a. BSG vom 29. September 1999 - B 6 KA 1/99 R - BSGE 85, 1; Urteil vom 10. Mai 2000 - B 6 KA 67/98 R - BSGE 86, 121). Aufgrund dieser Erledigung bedarf es der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht mehr (vgl. BSG; Urteil vom 27. Juni 2001 - B 6 KA 7/00 R - BSGE 88, 193 ff. - juris-Rn. 21 m.w.N.; Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 20. Januar 1989 - 8 C 30/87 - BVerwGE 81, 226 <229>; BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2018 - 7 C 34/15 - NVwZ-RR 2018, 961 ff. - juris-Rn. 19).
4. Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, die streitigen Fragen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens gegen den
Bescheid vom 22. Februar 2021 klären zu lassen. Dies gilt sowohl unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Feststellungsklage
(vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
55 Rn. 19 m.w.N.) als auch mit Blick darauf, dass eine Feststellungsklage grundsätzlich mit einer Anfechtungsklage zu verbinden
ist, vor der ein Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren mit dem Ziel eines feststellenden Verwaltungsaktes zum streitigen
Rechtsverhältnis stattgefunden haben muss (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2014 - B 6 KA 8/13 R; m.w.N. Keller, a.a.O., § 55 Rn. 3b). Insoweit ist ein gerichtliches Verfahren bislang noch nicht einmal anhängig. Angesichts
des nachvollziehbaren Interesses der Klägerin an einer möglichst baldigen Beantwortung der im vorliegenden Rechtsstreit aufgeworfenen
Fragestellungen wäre ein solches Vorgehen mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art.
19 Abs.
4 Satz 1
Grundgesetz (
GG) nicht zu vereinbaren.
5. Der erfolgte Übergang von der Feststellungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist keine Klageänderung, die nur
unter den Voraussetzungen des §
99 SGG zulässig ist (vgl. m.w.N. Sächsisches LSG, Urteil vom 10. Dezember 2014 - L 8 KA 17/13; Fall des §
99 Abs.
3 Nr.
3 SGG: BSG, Urteil vom 9. April 2019 - B 1 KR 3/18 R).
III. Die nach allem zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin durfte die im Klageantrag
bezeichneten Laborleistungen nicht ohne die - nicht erfolgte - Genehmigung der Beklagten in den Praxisräumen S-Straße 79,
Köln als vertragsärztliche Leistung erbringen und gegenüber der Beklagten abrechnen.
1. Nach § 24 Abs. 1 Ärzte-ZV (gleichlautend §
95 Abs.
1 Satz 5, 1. Satzteil
SGB V) erfolgt die Zulassung für den Ort der Niederlassung als Arzt. Entsprechend muss der Vertragsarzt seine Sprechstunde am Vertragsarztsitz
abhalten (§ 24 Abs. 2 Ärzte-ZV). Die vertragsärztliche Tätigkeit ist aber nicht ausschließlich auf den Vertragsarztsitz als Betriebsstätte beschränkt. So
lässt § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV zu, dass "der Vertragsarzt spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen an weiteren Orten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz
(ausgelagerte Praxisräumen)" erbringt. Liegen solche vor, sind - im Gegensatz zur genehmigungspflichtigen Zweigpraxis (§ 24 Abs. 3 Ärzte-ZV) - Ort und Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung "lediglich" unverzüglich anzuzeigen. Für
MVZ gilt § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV mangels abweichender Regelungen entsprechend (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 Ärzte-ZV).
2. Im vorliegenden Fall war die erste der beiden in § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV genannten Voraussetzungen, nämlich die beabsichtigte Erbringung spezieller Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in Gestalt
spezieller zytologischer Untersuchungen, hinsichtlich der dafür vorgesehenen Räume in der S-Straße 79, Köln zweifelsfrei und
zwischen den Beteiligten unstreitig erfüllt. Die Klägerin beabsichtigte dabei nicht, dort Sprechstunden abzuhalten. Soweit
für die Auslagerung von Praxisräumen besondere Gründe gefordert werden (vgl. hierzu Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 4. Aufl., §
95 SGB V <Stand: 9. Juli 2021>, Rn. 661), liegen diese darin begründet, dass der Klägerin an ihrem Vertragsarztsitz in Pulheim keine
Räumlichkeiten für die erforderliche Ausweitung des Labors zur Verfügung standen.
3. Die Räume in der S-Straße 79, Köln, befanden sich jedoch nicht in "räumlicher Nähe" zum Vertragsarztsitz der Klägerin in
Pulheim.
a) Nach den Feststellungen des Senates, die auf einer Recherche des Routenplaners Wego.here beruhen und mit den Beteiligten
in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen erörtert worden sind (vgl. Sitzungsniederschrift vom 11. März 2021, S. 2) beträgt
die Entfernung zwischen dem Vertragsarztsitz B-Straße 34, Pulheim, und der S-Straße 79 in Köln 9 km, die Fahrzeit mit dem
privaten Kraftfahrzeug 17 Minuten in verkehrsschwachen und 19 Minuten in verkehrsstarken Zeiten.
b) Unter welchen Voraussetzungen noch von einer "räumlichen Nähe" im Sinne von § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV auszugehen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt. Ganz überwiegend wird eine enge Auslegung
des Begriffs - zumeist im Sinne weniger Kilometer (vgl. hierzu bereits Pawlita, a.a.0., Rn. 656) befürwortet, wobei sich allerdings
die Begründung und der hieraus folgende Beurteilungsmaßstab unterscheiden.
Teilweise wird darauf abgestellt, nur bei einer geringen Entfernung zwischen Vertragsarztsitz und ausgelagerten Praxisräumen
sei sichergestellt, dass der Arzt in Notfällen schnell erreichbar sei (Ladurner, Ärzte-ZV, 11. Aufl. 2016, § 24 Rn. 79 unter Hinweis auf Engelmann, MedR 2002, 561 <565>). Ausgehend hiervon hat das LSG Berlin-Brandenburg die maximale Entfernung im ländlichen Raum bei 30 km angenommen
(Urteil vom 9. Dezember 2020 - L 24 KA 6/18 - juris-Rn. 18). Andere Autoren sprechen sich gegen schematische Vorgaben aus. Es sei nach Fachgruppen, örtlichen Verkehrsverhältnissen
und Behandlungsleistungen zu differenzieren (Bäune, in Bäune/Meschke/Rothfuß, Ärzte-ZV, 2008, § 24 Rn. 75f:; Kirchhoff, in: BeckOK SozR, 61. Ed. 1. Juni 2021, § 24 Ärzte-ZV Rn. 37). Entscheidend sei stets eine Gesamtschau der Umstände, die für eine Tätigkeit in einem ausgelagerten Praxisraum angeführt
würden. Im Einzelfall könnten danach auch Entfernungen mit einer Fahrzeit von bis zu 30 Minuten zulässig sein (Kirchhoff,
a.a.O.). Die letztgenannte Grenze wird - allerdings unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des BSG zur Residenzpflicht (vgl. BSG, Urteil vom 5. November 2013 - B 6 KA 2/03 R - SozR 4-5520 § 24 Nr. 1) - auch von Clemens befürwortet (Clemens in: Schallen/Clemens/Düring, Ärzte-ZV, 9. Aufl. 2018, § 24 Rn. 13).
Ohne zu dieser Problematik im Einzelnen Stellung nehmen zu müssen, hat das BSG - obiter dictum - ausgeführt, bei einer Entfernung von 9 km bzw. 11 km drängten sich Zweifel an der räumlichen Nähe auf (BSG, Urteil vom 8. August 2018 - B 6 KA 24/17 R - SozR 4-5540 § 25 Nr. 2 - Rn. 17).
c) Nach Auffassung des erkennenden Senates ist das Merkmal der "räumlichen Nähe" im Sinne eines abstrakt-generellen Entfernungsmaßstabes
zu verstehen, bei dem weder Spezifika der jeweiligen Arztgruppe noch anderweitige Sicherstellungsaspekte eine Rolle spielen.
Entscheidend ist vielmehr, dass es sich nach einem objektivierten Maßstab aus Sicht der Versicherten noch um eine einheitliche
Praxis handelt. Das ist jedenfalls dann nicht mehr der Fall, wenn die Entfernung zwischen dem Vertragsarztsitz und der (beabsichtigten)
Nebenbetriebsstätte der Praxis 9 km beträgt und für das Zurücklegen dieser Strecke mit dem privaten Kraftfahrzeug 15 bis 20
Minuten benötigt werden. Das folgt aus der grammatikalischen <aa)>, systematischen <bb)>, historischen <cc)> und teleologischen
<dd)> Auslegung des Begriffs der "räumlichen Nähe", die mit Art.
12 GG in Einklang steht <ee)>.
aa) Schon der Begriff der "räumlichen Nähe" in § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV spricht für einen abstrakt-generellen Entfernungsmaßstab. "Nähe" wird allgemein mit geringer Entfernung, Hörweite, Nachbarschaft,
näherer Umgebung gleichgesetzt (https://www.duden.de/rechtschreibung/Naehe). "Räumlich" wird mit den Begriffen lokal, örtlich,
regional umschrieben (https://www.duden.de/rechtschreibung/raeumlich). Ausgehend davon ist eine Entfernung von 9 km nicht
mehr als "nah" im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs aufzufassen.
Mit dem Wortlaut des § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV erscheint es dagegen nicht vereinbar, die Definition der "räumlichen Nähe" von Arztgruppenspezifika oder Gesichtspunkten
der Versorgungssicherheit, die einem gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum unterliegen (vgl. BSG, Urteil vom 3. August 2016 - B 6 KA 31/15 R -, BSGE 122, 35 ff. - Rn. 21), abhängig zu machen. Er bietet für eine dahingehende Differenzierung sprachlich keinerlei Anhaltspunkte.
bb) Dieses Wortlautverständnis wird in systematischer Hinsicht gestützt.
(1) Nach § 24 Abs. 1 Ärzte-ZV erfolgt die Zulassung für den Ort der Niederlassung als Arzt (Vertragsarztsitz; vgl. auch § 1a Nr. 16 BMV-Ä) oder den Ort der Niederlassung als MVZ (Vertragsarztsitz, §
95 Abs.
1 Satz 5
SGB V). Dementsprechend ist die Zulassung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV für einen konkreten Vertragsarztsitz zu beantragen; gemeint ist damit die konkrete Praxisanschrift (vgl. BSG, Urteil vom 13. Mai 2015 - B 6 KA 25/14 R, SozR 4-5520 § 19 Nr 3 m.w.N.). Dementsprechend muss der Vertragsarzt am Vertragsarztsitz seine Sprechstunden halten (§ 24 Abs. 2 Ärzte-ZV).
(2) Systematisch stellt § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV keine Ausnahmevorschrift von diesem Grundsatz dar. Das ergibt sich schon daraus, dass sie die Unterhaltung ausgelagerter
Praxisräume nicht von einer besonderen Genehmigung (der Zulassungsgremien oder der Beklagten) abhängig macht. Zudem definiert
die Vorschrift in der Sache lediglich, was unter ausgelagerten Praxisräumen zu verstehen ist. Sie bestimmt dagegen nicht etwa
Voraussetzungen, unter denen vom Grundsatz der Niederlassung an einem Ort abgewichen werden darf. Diese Normkonzeption rechtfertigt
es zu verlangen, dass eine "räumliche Nähe" ausgelagerter Praxisräume zum Vertragsarztsitz nur dann besteht, wenn sie sich
mit diesem noch als einheitliche Praxis ansehen lassen, was für ein restriktives Verständnis des Begriffs spricht (ebenso
Hannes in: Hauck/Noftz,
SGB V, Stand: 6/17, §
95, Rn. 67).
(3) Hinzu kommt die vergleichende Betrachtung zu § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV, der regelt, wann ein Arzt außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten vertragsärztliche Tätigkeiten im Rahmen einer
- genehmigungspflichtigen - Zweigpraxis ausüben darf. Danach ist u.a. erforderlich, dass hierdurch die Versorgung der Versicherten
an den weiteren Orten verbessert (§ 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Ärzte-ZV) und die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird (§ 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Ärzte-ZV). Anders als § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV stellt der Wortlaut des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV hiernach ausdrücklich auf Versorgungsgesichtspunkte ab, was dagegen spricht, solche Gesichtspunkt in Abs. 5 "hineinzulesen".
(4) Soweit der Gesetzgeber in anderem sozialrechtlichem Zusammenhang das Kriterium der "räumlichen Nähe" wählt, wird ein Nahbereich
von wenigen hundert Metern umschrieben. So bestimmt § 17 Abs. 1 Satz 5 Krankenhausfinanzierungsgesetz, dass eine Einrichtung, die in "räumlicher Nähe" zu einem Krankenhaus liegt und mit diesem organisatorisch verbunden ist,
für allgemeine, dem Versorgungsauftrag des Krankenhauses entsprechende Krankenhausleistungen keine höheren Entgelte verlangen
darf, als sie nach den Regelungen dieses Gesetzes, des Krankenhausentgeltgesetzes und der
Bundespflegesatzverordnung zu leisten wären. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist die räumliche Nähe einer Einrichtung (Privatklinik) zu einem
Plankrankenhaus regelmäßig dann gegeben, wenn die Einrichtung zum Beispiel auf dem gleichen Gelände oder in geographischer
Nähe zum Plankrankenhaus - etwa auf dem "Nachbarschaftsgelände" - angesiedelt ist. Die bloße Lage im gleichen Stadtteil genügt
hingegen nicht (BT-Drucks. 17/8005, S. 133 li. Sp.; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - III ZR 195/17 -, BGHZ 219, 1 ff. - Rn. 39 ff.). Es kann dahingestellt bleiben, ob ein derart enges Verständnis von "räumlicher Nähe" auch im Rahmen von
§ 24 Abs. 5 Ärzte-ZV angezeigt ist. Jedenfalls entspricht es aber der hiesigen Lesart, vom Erfordernis einer dem Erscheinungsbild nach noch einheitlichen
Praxis und in diesem Zusammenhang restriktiven Vorstellungen der höchstmöglichen Entfernung auszugehen.
cc) Die Gesetzesgeschichte spricht ebenfalls für die hier vertretene Auslegung.
(1) Absatz 5 des § 24 Ärzte-ZV ist durch Art. 5 Nr. 7 Vertragsrechtsänderungsgesetz (VÄndG) mit Wirkung vom 1. Januar 2007 (BGBl. I 2006, S. 3439) eingefügt worden. Die Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 16/2474, S. 29) beziehen sich auf die alte berufsrechtliche Regelung
in § 18 Abs. 2 Satz 1 (Muster)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte MBO-Ä (a.F.). Diese Bestimmung lautete: "Der Arzt darf in räumlicher Nähe zum Ort seiner Niederlassung Untersuchungs- und Behandlungsräume
ausschließlich für spezielle Untersuchungs- oder Behandlungszwecke (...) unterhalten, in denen er seine Patienten nach Aufsuchen
seiner Praxis versorgt (ausgelagerte Praxisräume)." Sie statuiert - berufsrechtlich - ebenfalls keine Ausnahme vom Grundsatz
der Niederlassung an einem Ort (vgl. § 17 Abs. 1 MBO-Ä a.F.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber des VÄndG bei der Anknüpfung an § 18 Abs. 2 MBO-Ä a.F. eine Rechtsprechung zu dieser Bestimmung vorgefunden hat, die für das Vorliegen einer Aufteilung der Praxis auf Räumlichkeiten
an mehreren Orten im Wege ausgelagerter Praxisräume verlangte, in den Augen des Publikums müsse es sich organisatorisch noch
um eine einheitliche Praxis handeln (so Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2000 - 9 S 1445/9 - MedR
2000, 439 <440>; vgl. auch BSG, Urteil vom 12. September 2001 - B 6 KA 64/00 R - SozR 3-2500 § 135 Nr 20 - Rn. 21 m.w.N.). Anhaltspunkte, wonach der Begriff der ausgelagerten Praxisräume in § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV davon abweichend auszulegen wäre, finden sich in den Gesetzesmaterialien nicht. Im Gegenteil sollte der (zusätzliche) Regelungsgehalt
allein darin bestehen, die Anzeigepflicht gegenüber der KV zu konstituieren.
(2) Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 5. September 2011 (BGBl. I 2011 S. 2983) mit Wirkung vom 1. Januar 2012 die Vorschrift des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV betreffend die Zulässigkeit einer Zweigpraxis in wesentlichen Punkten neu gefasst hat und nunmehr maßgeblich auf Versorgungsaspekte
abstellt. Zur Begründung führen die betreffenden Gesetzesmaterialien aus, es werde klargestellt, dass bei der Entscheidung
über die Genehmigung der Zweigpraxis z.B. nicht schematisch auf die Entfernung zwischen dem Vertragsarztsitz und der Zweigpraxis
oder auf die erforderliche Fahrzeit abzustellen sei (BT-Drs. 17/6906, S. 105). Eine entsprechende Anpassung von § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV ist hingegen gerade unterblieben.
dd) Das vorliegende Verständnis des § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV wird schließlich auch durch die teleologische Auslegung getragen.
(1) Der Betrieb ausgelagerter Praxisräume ist - im Unterschied zum Betrieb einer Zweigpraxis i.S.v. § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV - weitgehend voraussetzungslos möglich und unterliegt lediglich einer Anzeige bei der Beklagten. Das spricht dagegen, komplexe,
die Versorgungssituation der Versicherten betreffende Gesichtspunkte in das Merkmal der "räumlichen Nähe" hineinzulesen. Vielmehr
ist, um unterscheiden zu können, ob es einer Anzeige oder eines Genehmigungsverfahrens bedarf, ein vergleichsweise einfaches,
praktisch handhabbares Kriterium erforderlich. Diesem Regelungszweck widerspricht es, nach Facharztgruppen, örtlichen Verkehrsverhältnissen,
der Art der speziellen Untersuchungs- und Behandlungsleistungen - im Rahmen einer Gesamtschau (so Kirchhoff, in: BeckOK SozR,
61. Ed. 1. Juni 2021, Ärzte-ZV § 24 Rn. 37) - zu differenzieren.
(2) Dagegen erscheint es unter teleologischen Gesichtspunkten nicht zweckmäßig, die Auslegung des Kriteriums der "räumlichen
Nähe" zwischen Vertragsarztsitz und ausgelagerter Praxisstätte anhand der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur
sogenannten Residenzpflicht des Arztes gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Fassung zu bestimmen. Danach war der Vertragsarzt verpflichtet, seine Wohnung
so zu nehmen, dass er für die ärztliche Versorgung der Versicherten an seinem Vertragsarztsitz zur Verfügung stand. Dies sollte
sicherstellen, dass der Vertragsarzt in sprechstundenfreien Zeiten - außer in Zeiten des organisierten Notfalldienstes - seinen
Vertragsarztsitz in angemessener Zeit erreichte, wenn dies zur Versorgung von Versicherten erforderlich war (BT-Drs. 17/6906
S. 104 f.). Als angemessene Zeit im vorgenannten Sinne hatte das BSG eine Fahrzeit zwischen Vertragsarztsitz und Wohnort des Arztes von maximal 30 Minuten angesehen (BSG, Urteil vom 5. November 2003 - B 6 KA 2/03 R - SozR 4-5520 § 24 Nr. 1 - Rn. 33 m.w.N.). Beim Betrieb ausgelagerter Praxisräume dient das Kriterium der "räumlichen Nähe"
indessen nicht dazu, die Präsenz des Vertragsarztes für Notfälle in sprechstundenfreien Zeiten zu gewährleisten. Im Gegenteil
geht es darum, die Anwesenheit des Vertragsarztes während der Sprechstunde sicherzustellen. Das gebietet eine zumindest tendenziell
geringere Entfernung ausgelagerter Praxisräume vom Vertragsarztsitz, als sie zwischen Praxis und Wohnung erforderlich war.
(3) Der Senat verkennt nicht, dass § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV in der hier vertretenen Auslegung der sich entwickelnden Landschaft immer komplexerer vertragsärztlicher Versorgungsstrukturen,
zumal im Laborbereich oder in der Zytologie, aus Sicht der Leistungserbringer dieser Fachgebiete möglicherweise nicht mehr
in vollem Umfang gerecht wird. Es ist indessen nicht Aufgabe der Rechtsprechung, einen überkommenen Begriff im Lichte neuerer
tatsächlicher Entwicklungen vollständig neu und über die Grenzen seines Wortlauts sowie der sich aus Systematik und Entstehungsgeschichte
ergebenden Bedeutung hinaus zu interpretieren. Soweit der Verordnungsgeber künftig zu der Auffassung gelangen sollte, in Bezug
auf den Begriff "ausgelagerte Praxisräume" sei ein veränderten Realitäten angepasstes Verständnis erforderlich, muss er §
24 Abs. 5 Ärzte-ZV entsprechend neu fassen.
ee) Die Annahme, eine Auslagerung von Praxisräumen sei mangels "räumlicher Nähe" i.S.v. § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV nicht statthaft, wenn zwischen Vertragsarztsitz und projektierten Praxisräumen eine Entfernung von 9 km liegt, steht mit
Art.
12 Abs.
1 GG in Einklang. Denn das Grundrecht auf Berufsausübung darf gemäß Art.
12 Abs.
1 Satz 2
GG durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt - auch beschränkt - werden. Beschränkungen auf Grund des Art.
12 Abs.
1 Satz 2
GG sind zwar nicht unbegrenzt zulässig; insbesondere dürfen Eingriffe nicht unverhältnismäßig schwer wiegen. Diese Grenzen sind
im vorliegenden Fall indessen gewahrt. Der aus dem
SGB V und der Ärzte-ZV abgeleitete Grundsatz, dass ein Arzt (nur) unter strengen Voraussetzungen berechtigt ist, außerhalb des Vertragsarztsitzes
vertragsärztlich tätig zu werden, liegt dem Ordnungssystem des Vertragsarztrechts mit der Bedarfsplanung und Honorarverteilung
als wesentliches Element zugrunde. Darin liegt kein unverhältnismäßig schwerer Eingriff (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Februar 2011 - B 6 KA 44/10 B - juris-Rn. 18).
E. Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S.v. §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG hat. Die entscheidungserhebliche abstrakte Rechtsfrage, wann eine "räumliche Nähe" i.S.v. § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV anzunehmen ist, hat über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Sie ist klärungsbedürftig, weil sie - wie dargelegt
- weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum einheitlich beantwortet wird.