Anspruch auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die Freizügigkeitsberechtigung eines italienischen Staatsbürgers als Arbeitsuchender mit begründeter Aussicht
auf Einstellung
Gründe
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Duisburg vom 13.11.2020 hat keinen Erfolg.
a) Das SG hat der Antragsgegnerin aufgegeben, dem Antragsteller für die Zeit vom 15.09.2020 bis 30.11.2020 Leistungen der Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) in Höhe des Regelbedarfs sowie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu gewähren. Bereits der zweieinhalbfache Regelbedarf
(nach der Regelbedarfsstufe 1 von 432 Euro, § 2 Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2020 <RBSFV 2020>) übersteigt
den maßgeblichen Beschwerdewert (§§
172 Abs.
2 Nr.
1,
144 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGG).
b) Die Antragsgegnerin hat die Beschwerde auch fristgerecht eingelegt (§
173 S.3
SGG).
c) Weiter steht der Beschwerde auch nicht entgegen, dass der Zeitraum, für den das SG die angegriffene einstweilige Anordnung erlassen hat, bei Einlegung der Beschwerde am 03.12.2020 bereits vollständig in der
Vergangenheit lag und die Antragsgegnerin der einstweiligen Anordnung auch bereits vollumfänglich nachgekommen ist. Zwar setzt
jede Rechtsverfolgung grundsätzlich ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (statt vieler: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
13. Auflage 2020, vor § 51 Rn. 16). Die Antragsgegnerin muss sich in Fallgestaltungen wie der vorliegenden dennoch nicht auf
eine etwaige anstehende Rückabwicklung der aufgrund der einstweiligen Anordnung erbrachten Leistungen in der Hauptsache verweisen
lassen (anders: Bayerisches LSG Beschluss vom 26.03.2020, L 8 AY 7/20 B ER, juris Rn. 11 f.; LSG Hamburg Beschluss vom 21.02.2018,
L 4 SO 10/18 B ER, juris Rn. 2; wie hier dagegen: LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 17.10.2018, L 7 SO 3150/18 ER-B, juris
Rn. 21; Hessisches LSG Beschluss vom 12.10.2018, L 9 AS 462/18 B ER, juris Rn. 19; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18.03.2014, L 13 AS 363/13 B ER, juris Rn. 10; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25.09.2007, L 32 B 1565/07 AS ER, juris Rn. 2 f.; Keller a.a.O., §
86b Rn. 47; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Auflage 2017, §
86b Rn. 529).
aa) Zwar sind die aufgrund der einstweiligen Anordnung eines SG erbrachten Leistungen ohnehin zu erstatten, wenn die Antragsteller in der Hauptsache schlussendlich ohne Erfolg bleiben (Keller
a.a.O., § 86b Rn. 49 m.w.N.). Der Behörde vor diesem Hintergrund regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde im
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abzusprechen, würde indes deren Rechtsposition in einer nicht mehr vom
SGG gedeckten Weise verkürzen (dazu bereits Senatsbeschluss vom 18.06.2007, L 12 B 49/07 AS ER, juris Rn. 23). Denn eine einstweilige Anordnung ist grundsätzlich ungeachtet ihrer Rechtskraft vollstreckbar (§
199 Abs.
1 Nr.
1 SGG). Die Beschwerde stünde einer Behörde danach nur offen, soweit die Vollstreckung aus der einstweiligen Anordnung ausgesetzt
wird (§§
199 Abs.
2,
175 S. 2
SGG), was das Gesetz wiederum nur in Ausnahmefällen erlaubt (vgl. BSG Beschluss vom 08.12.2009, B 8 SO 17/09 R, juris Rn. 9, dort zu §
199 Abs.
2 SGG). Dies gilt umso mehr, als die einstweilige Anordnung lediglich der Sicherung des Hauptsacheanspruchs dient. Entscheidend
für den Ausgang eines Verfahrens über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist mithin, ob es dem Antragsteller zumutbar
ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies würde in sein Gegenteil verkehrt, machte man den Fortbestand einer
einstweiligen Anordnung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses letztlich davon abhängig, ob es der Antragsgegnerin
zumutbar ist, eine bereits ergangene einstweilige Anordnung weiter hinzunehmen.
bb) Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass auch dann, wenn eine einstweilige Anordnung auf Beschwerde aufgehoben würde,
die aufgrund derselben erbrachten Leistungen erst nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens zurückzuzahlen wären (so aber:
Bayerisches LSG Beschluss vom 25.06.2018, L 8 SO 49/18 B ER, juris Rn. 22 f.). Vielmehr entsteht, soweit eine einstweilige
Anordnung aufgehoben wird, auch schon vor Beendigung der Hauptsache eine Rückzahlungsverpflichtung (so auch Senat a.a.O.;
LSG Baden-Württemberg a.a.O.; Keller a.a.O., § 86b Rn. 49; Burkiczak a.a.O., § 86b Rn. 471; h.M.). Etwas anderes folgt auch
nicht daraus, dass es vermeintlich wenig prozessökonomisch wäre, wenn die Behörde etwas zurückverlangen könnte, das sie aufgrund
einer einstweiligen Anordnung bereits gewährt und - je nach Ausgang der Hauptsache - zukünftig erneut gewähren müsste. Derartigen
prozessökonomischen Erwägung steht wiederum entgegen, dass das aufgrund der einstweiligen Anordnung Gewährte lediglich der
Sicherung der Hauptsache dient (zur ungewissen Realisierbarkeit eines Erstattungsanspruchs erst nach Beendigung der Hauptsache
vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen a.a.O.; Burkiczak a.a.O., § 86b Rn. 529). Mit der Aufhebung der einstweiligen Anordnung
entfällt der Rechtsgrund für die (einstweilige) Leistung (vgl. BVerwG Urteil vom 13.06.1985, 2 C 56.82, juris Rn. 22); der Antragsteller darf das Geleistete danach, soweit kein anderer Rechtsgrund eingreift, grundsätzlich nicht
mehr behalten.
2. Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das SG hat der Antragsgegnerin zu Recht einstweilen auferlegt, dem Antragsteller für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom
15.09.2020 bis 30.11.2020 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des maßgeblichen Regelbedarfs sowie Beiträge zur
Kranken- und Pflegeversicherung zu gewähren.
Gem. §
86b Abs.
2 S. 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint
(Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen
Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung
aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund
sind glaubhaft zu machen, §
86b Abs.
2 S. 4
SGG i.V.m. §§
920 Abs.
2,
294 Zivilprozessordnung (
ZPO). Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des
Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit
unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit
spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R; Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B; jeweils juris).
a) Ein Anordnungssndpruch liegt vor. Der Antragsteller hat zumindest glaubhaft gemacht, dass er leistungsberechtigt i.S.d.
§ 27 Abs. 1 SGB XII ist.
aa) Der Antragsteller ist insbesondere nicht gem. § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII von den Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen. Zwar erhalten Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben oder deren Aufenthaltsrecht
sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, danach u.a. keine Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt oder bei Krankheit.
Dieser Leistungsausschluss greift jedoch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht durch. Der Antragsteller hat jedenfalls
glaubhaft gemacht, dass er im verfahrensgegenständlichen Zeitraum über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügte (dazu
<1>) und sich deshalb auf das Diskriminierungsverbot des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) berufen konnte (dazu <2>).
(1) Der Antragsteller war im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zumindest überwiegend wahrscheinlich freizügigkeitsberechtigt
nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Danach sind unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt solche Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu
sechs Monate sowie darüber hinaus, letzteres aber nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und
begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Diese Voraussetzungen liegen - jedenfalls nach der im Eilverfahren gebotenen
summarischen Prüfung (dazu Senatsbeschluss vom 30.11.2016, L 12 AS 1027/16 B ER, juris Rn. 15 m.w.N.) - vor.
(a) Der Antragsteller kann sich allerdings nicht auf ein gem. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S. 2 FreizügG/EU fortwirkendes Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer berufen. Dabei kann dahinstehen, ob die dreitätige Beschäftigung bei dem
Zeitarbeitsunternehmen in der Zeit vom 09.03.2020 bis 11.03.2020 eine Fortwirkung überhaupt begründen konnte und ob einer
solchen entgegensteht, dass der Antragsteller sich erst im Nachgang des Erörterungstermins vor dem SG vom 28.10.2020 bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet hat (vgl. dazu BSG Urteil vom 13.07.2017, B 4 AS 17/16 R, juris Rn. 34: konstitutive Bedingung; Hailbronner, AuslR <Werksstand: Mrz. 2021>, § 2 FreizügG/EU Rn. 124: unverzichtbare Voraussetzung; zweifelnd: Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR <Werksstand: 01.01.2021>, § 2 FreizügG/EU Rn. 51 m.w.N.). In jedem Fall wäre der angesichts der Dauer der Beschäftigung von bloß drei Tagen lediglich sechsmonatige
Fortwirkungszeitraum (§ 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU) mit dem 11.09.2020 und damit noch vor Beginn des hier verfahrensgegenständlichen Zeitraums am 15.09.2020 abgelaufen.
(b) Der Antragsteller unterfiel allerdings § 2 Abs. 2 Nr. 1a Var. 2 FreizügG/EU, d.h. ein Freizügigkeitsrecht bestand nur, solange er nachweisen konnte, dass er weiterhin Arbeit suchte und begründete Aussicht
hatte, eingestellt zu werden. Ein neuer Sechsmonatszeitraum zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a Var. 1 FreizügG/EU begann mit dem Ende des Fortwirkungszeitraums nach § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU nicht. Vielmehr wird der Zeitraum der Fortwirkung auf den der Arbeitsuche angerechnet (OVG Rheinland-Pfalz Beschluss vom
20.09.2016, 7 B 10406/16, juris Rn. 21; Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Auflage 2020, § 2 FreizügG/EU Rn. 125; offen: Sächsisches OVG Beschluss vom 20.08.2012, 3 B 202/12, juris Rn. 10).
(c) Im Rahmen des Eilverfahrens hat der Antragsteller allerdings glaubhaft gemacht, dass er im verfahrensgegenständlichen
Zeitraum (weiterhin) Arbeit suchte und auch begründete Aussicht hatte, eingestellt zu werden.
(aa) Der Begriff der Arbeitsuche ist in diesem Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt (BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R, juris Rn. 17). Die Vorschrift vermittelt das Recht, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben und sich zu diesem
Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (auch nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 5 FreizügG/EU) frei zu bewegen. Die Annahme, dass der Betreffende begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, ist jedoch nur dann gerechtfertigt,
wenn der Unionsbürger nachweisen kann, dass er - was objektivierbar nach außen hin zum Ausdruck gebracht werden muss - ernsthaft
und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (LSG NRW Beschluss vom 09.09.2015, L 19 AS 1260/15 B ER, juris Rn. 22; Hessisches LSG Beschluss vom 07.04.2015, L 6 AS 62/15 B ER, juris Rn. 49; Sächsisches OVG Beschluss vom 02.02.2016, 3 B 267/15, juris Rn. 10; OVG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.06.2016, 2 O 165/15, juris Rn. 6; zum alten Recht noch: Bayerischer VGH Beschluss vom 11.02.2014, 10 C 13.2241, juris Rn. 5; dazu auch: Tewocht a.a.O., § 2 Rn. 29, unter Verweis auf: GA Lenz Schlussanträge
vom 14.01.1987, 316/85, Tz. 47). Zur Glaubhaftmachung eines solchen Aufenthaltsrechts genügt damit nicht allein, dass ein
Unionsbürger erklärt, sich zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufzuhalten; vielmehr sind ernsthafte Bewerbungsbemühungen
über eine Antragstellung beim Grundsicherungsträger hinausgehend sowie eine begründete Erfolgsaussicht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
zu belegen bzw. zu konkretisieren (LSG NRW Beschluss vom 06.07.2015, L 19 AS 931/15 B ER, juris Rn. 25).
(bb) Diese tatbestandlichen Voraussetzungen hat der Antragsteller glaubhaft gemacht. So hat er zum einen verschiedene Schreiben
von Arbeitgebern auch aus dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum vorgelegt, ausweislich derer er sich dort beworben und teilweise
auch Vorstellungsgespräche geführt hat. Dafür, dass auch eine begründete Aussicht auf Erfolg bestand, spricht zumindest, dass
die Bemühungen des Antragstellers letztlich erfolgreich waren. Unter dem 08.02.2021 hat der Antragsteller einen Arbeitsvertrag
als Küchengehilfe in Vollzeit mit einem italienischen Restaurant abgeschlossen. Für die im Eilverfahren geforderte Glaubhaftmachung
(§
86b Abs.
2 S. 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO) genügt dies. Zwar trifft es zu, dass das Fehlen einer verwertbaren berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerter
Berufserfahrung und deutscher Sprachkenntnisse ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche darstellen (vgl. BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R, Urteil vom juris Rn. 18). Die Antragsgegnerin verweist daher jedenfalls nicht von vorneherein zu Unrecht darauf, dass
der Antragsteller kein Deutsch spricht und unklar ist, über welche Qualifikationen er verfügt bzw. welche Qualifikationen
diejenigen Stellen verlangen, um die er sich beworben haben will. Ebenso ist zu beachten, dass der Antragsteller sich offenbar
weit überwiegend initiativ und dazu vielfach nur bei Gaststätten beworben hat, die in fußläufiger Entfernung seiner Wohnung
liegen. Demgegenüber ist zumindest im Rahmen des Eilverfahrens aber zu beachten, dass ein Status als Arbeitsuchender nur noch
in den Fällen verneint werden können dürfte, in denen aufgrund objektiver Umstände angenommen werden kann, dass ein Unionsbürger
in Wirklichkeit keinerlei ernsthafte Absichten verfolgt, eine Beschäftigung aufzunehmen (vgl. Hailbronner a.a.O., § 2 Rn.
56). Eine fehlende berufliche Qualifikation schließt damit eine Arbeitsuche i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU nicht von vorneherein aus. Vielmehr umfasst die Arbeitnehmerfreizügigkeit gerade das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat von
Stellenangeboten Kenntnis zu nehmen, die den jeweiligen beruflichen Qualifikationen entsprechen, und sich gegebenenfalls um
solche Stellen zu bewerben (EuGH Urteil vom 26.02.1991, C 292/89 - Antonissen -, Tz. 21). Fehlende berufliche Qualifikationen dürften zwar i.d.R. die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche beeinträchtigen.
Insoweit ist im vorliegenden Fall aber - wie ausgeführt - zu berücksichtigen, dass der Antragsteller letztlich Arbeit gefunden
hat. Weiter mag eine Beschränkung auf wenige infrage kommende Arbeitgeber zwar im Einzelfall Zweifel an der Ernsthaftigkeit
begründen können. Auch insoweit ist für die Zwecke des Eilverfahrens aber der letztendliche Erfolg der Arbeitsuche ausschlaggebend.
Dafür, dass es sich bei den Stellen, um die der Antragsteller sich beworben haben will, von vorneherein nicht um tatsächliche
und echte Tätigkeit (EuGH Urteil vom 04.06.2009, C-22/08 und C 23/98 - Vatsouras und Koupatantze -, Tz. 26 m.w.N.) gehandelt hätte, enthalten jedenfalls die vorgelegten Unterlagen keine durchgreifenden
Anhaltspunkte.
(2) Die Anwendung des Leistungsausschlusses für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche
ergibt (§ 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Var. 2 SGB XII), ist vorliegend gem. Art. 1 EFA ausgeschlossen. Danach verpflichten die sich EFA-Vertragschließenden, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden,
die sich in irgendeinem Teil ihres Gebietes, auf das das EFA Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende
Mittel verfügen, in gleicher Weise wie ihren eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Fürsorgeleistungen,
zu gewähren, die in der in diesem Teil ihres Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.
(a) Der Antragsteller unterfällt als italienischer Staatsangehöriger dem EFA. Für die Italienische Republik ist das EFA am
01.08.1958 in Kraft getreten. Weiter hielt sich der Antragsteller tatsächlich (vgl. BSG Urteil vom 24.04.2018, B 8 SO 20/16 R, juris Rn. 26) und auch erlaubt in der Bundesrepublik auf. Er war aus den oben ausgeführten
Gründen freizügigkeitsberechtigt (dazu unter <1>).
(b) Dem steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller über keine entsprechende Erlaubnis verfügte. Zwar gilt nach Art.
11 Buchst. a S. 1 EFA der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt, als der
Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates
vorgesehenen Erlaubnis ist, auf Grund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist (kritisch zur Geltung dieser
Definition für das sozialrechtliche Gleichbehandlungsgebot: BSG Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, juris Rn. 36). Eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis sieht das Gesetz für Unionsbürger aber nicht mehr vor. Vielmehr
gilt deren Aufenthalt grundsätzlich als erlaubt, solange die Ausländerbehörde nicht den Verlust bzw. das Nichtbestehen des
Freizügigkeitsrechts festgestellt hat (BSG Urteil vom 09.08.2018, B 14 AS 32/17 R, juris Rn. 20). Danach reicht es für einen i.S.d. Art. 1 EFA erlaubten Aufenthalt aus, wenn die Betroffenen sich materiell freizügigkeitsberechtigt in der Bundesrepublik aufhalten
(BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 59/13 R, juris Rn. 25; LSG Berlin Brandenburg Beschluss vom 02.08.2019, L 5 AS 1357/17 B ER, juris Rn. 112; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 23.05.2014, L 8 SO 129/14 B ER, juris Rn. 27; Siefert in Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, § 23 Rn. 47; vgl. auch BSG Urteil vom 09.08.2018, B 14 AS 32/17 R, juris Rn. 34; ebenso auch: BSG Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, juris Rn. 38, dort zur Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU a.F.; kritisch: LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 14.03.2017, L 15 SO 321/16 B ER, juris Rn. 46 ff.; zur bloßen Freizügigkeitsvermutung
aber: BSG Urteil vom 09.08.2018, B 14 AS 32/17 R, juris Rn. 35).
bb) Der Antragsteller ist auch nicht wegen eines vorrangigen Leistungsanspruchs nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) von den Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen (§ 21 S. 1 SGB XII). Von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist der Antragsteller vielmehr nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. b SGB II ausgeschlossen. Insoweit greift das EFA nicht, nachdem die Bundesrepublik einen entsprechenden Vorbehalt erklärt hat (dazu
BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 43/15 R, juris Rn. 18 ff.). In derartigen Fällen steht Leistungsberechtigten - unter den Voraussetzungen insbesondere des § 23 SGB XII - ggf. ein Anspruch auf Sozialhilfe zu; hieran hat sich im Grundsatz auch durch die Neufassung der §§ 23 Abs. 3 und 3a SGB XII, 7 Abs. 1 S. 2 SGB II (jeweils i.d.F. des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016, BGBl. I S. 3155) nichts geändert (vgl. dazu BT-Drs. 18/10211, S. 16 f.; zum Ganzen auch: Siefert a.a.O., § 23 Rn. 74; zum alten Recht: BSG Urteil vom 12.09.2018, B 14 AS 18/17 R, juris Rn. 24 ff.); insbesondere hat der Gesetzgeber § 21 SGB XII unverändert gelassen.
cc) Bedenken gegen das Vorliegen der allgemeinen Leistungsvoraussetzungen (§ 23 Abs. 1 SGB XII) bestehen nicht. Insbesondere lässt sich den vorgelegten Kontoauszügen kein bedarfsdeckendes Einkommen oder Vermögen entnehmen
(§ 27 Abs. 2 S. 1 SGB XII). Die jeweils um den Monatswechsel verfolgten Bargeldeinzahlungen (von zweimal 220 Euro und einmal 400 Euro) lassen sich
mit dem Vorbringen des Antragstellers, sein Sohn habe ihm insgesamt 800 Euro Bargeld darlehensweise zur Verfügung gestellt,
damit er die Miete bezahlen könne, schlüssig erklären. Die Kontoauszüge lassen sowohl entsprechende Bareinzahlungen als auch
kurz darauffolgende Überweisungen an den Vermieter erkennen. Ob eine wirksame Darlehensabrede tatsächlich bestand, wird allerdings
ebenfalls im Hauptsacheverfahren abschließend zu ermitteln sein (vgl. BSG Urteile vom 17.06.2010, B 14 AS 46/09 R, juris Rn. 21; und vom 06.10.2011, B 14 AS 66/11 R, juris Rn. 18).
dd) Dem Anordnungsanspruch steht auch nicht der von der Antragsgegnerin übersandte Ablehnungsbescheid vom 10.12.2020 entgegen.
Nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Antragstellers hat dieser erst im Rahmen des Beschwerdeverfahrens von diesem Kenntnis
erlangt und zudem sofort Widerspruch erhoben.
b) Weiter liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Ein solcher ist dann glaubhaft gemacht, wenn Eilbedürftigkeit im Sinne einer
dringenden und gegenwärtigen Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht, gegeben und eine einstweilige Anordnung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile geboten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 17.05.2005, L 12 B 11/05 AS ER - n.v. -). Dies ist der Fall, wenn dem Antragsteller bzw. der Antragstellerin unter Berücksichtigung auch der widerstreitenden
öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist (Berlit, info also 1/2005, S.
3, 7). Zwar genügt allein der Umstand, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts betroffen sind, nicht, um generell
einen unabwendbaren Nachteil annehmen zu können. Regelmäßig ist aber eine schnelle Entscheidung zur Sicherung des verfassungsrechtlich
garantierten Existenzminimums notwendig (vgl. BVerfG Beschluss vom 19.09.2017, 1 BvR 1719/17, juris Rn. 8). So liegt es hier. Der Antragsteller hat einen derartigen Nachteil glaubhaft gemacht, dass sein Existenzminimum
ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung nicht gedeckt wäre (vgl. Keller a.a.O., § 86b Rn. 35). Insbesondere ist nicht
feststellbar, dass der Antragsteller neben denjenigen zur Bestreitung der Mietzahlungen noch weitere Zuwendungen von seinem
Sohn erhalten hätte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183,
193 Abs.
1 SGG.