Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz
Voraussetzungen einer rückwirkenden Zuerkennung von Leistungen nach OEG
Pflichtwidriges Unterlassen einer rechtzeitigen Antragstellung nach OEG durch den sorgeberechtigten Vater
Zurechnung von Verschulden im Hinblick auf die nicht rechtzeitige Antragstellung nach OEG
Prüfung eines schutzwürdigen Interessenkonflikts
Verneinung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (hier geltend gemacht wegen fehlender Beratung durch das zuständige
Jugendamt)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin auch für die Zeit vom 01.01.1997 bis zum 30.06.2005 einen Anspruch auf die
Gewährung von Leistungen nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) gegen den Beklagten hat.
Die am 00.00.1995 geborene Klägerin ist die Tochter von N.M. (Mutter) und F.N. (Vater). Die unverheirateten Eltern lebten
nach der Geburt der Klägerin ab April 1996 in einer gemeinsamen Wohnung. Die Mutter der Klägerin die in Kriegswirren in ihrem
Heimatland schwer misshandelt wurde, war im Dezember 1992 als Asylbewerberin aus Zaire nach Deutschland gekommen, wo im Februar
1993 ihr erstes Kind zur Welt kam; nach einer stationären Behandlung wegen einer psychotischen Erkrankung wurde der Mutter
die elterliche Sorge für ihr Kind entzogen (Beschluss des Amtsgerichts F vom 28.06.1993). Nach einem erneuten psychotischen
Schub im März 1995 wurde durch Beschluss des Amtsgerichts F vom 22.06.1995 ein Betreuer für die Mutter bestellt. Nach der
Geburt der Klägerin wurde durch Beschluss des Amtsgerichts F vom 31.10.1995 das Ruhen der elterlichen Sorge der Mutter festgestellt
und das Kreisjugendamt F zum Vormund bestimmt. Mit Beschluss des Amtsgerichts F vom 25.03.1996, wurde der Vater der Klägerin
zum Vormund bestellt. In der Zeit vom 16.01.2003 bis 03.05.2005 lag die elterliche Sorge bei der Mutter (Beschluss des Amtsgerichts
S vom 16.01.2003) und durch Beschlüsse des Amtsgerichts S vom 03.05.2005 und 18.10.2005 wurde der Mutter die elterliche Sorge
wieder entzogen und die Beigeladene zu 1) zum Vormund bestellt. Ab dem 05.10.2011 bis zur Volljährigkeit der Klägerin oblag
die elterliche Sorge dem Vater (Beschluss des Amtsgerichts E vom 05.10.2011).
Am 03.01.1997 wurde die Klägerin, während der Vater seiner Berufstätigkeit nachging und sich deshalb nicht in der gemeinsamen
Wohnung aufhielt, von ihrer Mutter so schwer misshandelt, dass sie eine Schädelfraktur mit Subarachnoidalblutung und Hirnkontusion
erlitt. Das gegen die Mutter wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen eingeleitete staatsanwaltschaftliche
Ermittlungsverfahren (72 Js 941/97, Staatsanwaltschaft C), in dem u.a. der Vater der Klägerin am 04.03.1997 als Zeuge vernommen wurde, wurde am 13.01.1998 gemäß
§
20 Strafgesetzbuch (
StGB) mangels Schuldfähigkeit der Mutter zum Tatzeitpunkt eingestellt.
Die Beigeladene zu 1) beantragte am 29.07.2005 beim damaligen Versorgungsamt L die Gewährung von Leistungen nach dem
OEG. Nach Beiziehung medizinischer Unterlagen hinsichtlich der Verletzungsfolgen der Klägerin sowie der Akten der Staatsanwaltschaft
C (72 Js 941/97) und Einholung versorgungsärztlicher Stellungnahmen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 20.6.2008 Hirnschädigung nach Schädelfraktur
parasagittal frontal links mit kleiner Hirnkontusion rechts frontolateral und Subarachnoidalblutung 1997 sowie Sehminderung,
Gesichtsfeldausfälle rechtes Auge, Erblindung linkes Auge, operiertes Innenschielen linkes Auge als Folge schädigender Einwirkungen
im Sinne des §
1 OEG fest und gewährte ab 01.07.2005 Versorgungsgrundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H. Den auf
einen früheren Leistungsbeginn gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2008 als unbegründet
zurück.
Das Sozialgericht (SG) Köln hat die rechtzeitig erhobene Klage nach Vernehmung des Vaters der Klägerin als Zeugen durch Urteil vom 08.02.2013,
auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen wird, abgewiesen.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Berufung der Klägerin, die zum einen vorträgt, ihrem Vater seien Leistungen nach dem
OEG und die insoweit erforderliche Antragstellung unbekannt gewesen, so dass ihn an der unterlassenen Antragstellung kein Verschulden
treffe. Außerdem könne ihr ein etwaiges Verschulden ihres Vaters wegen fehlender Antragstellung im Rahmen des § 60 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht zugerechnet werden, weil ihr Vater sich in einem Interessenkonflikt zwischen der Wahrung ihrer Interessen als geschädigter
Tochter und eigenen Interessen als möglicherweise wegen fahrlässiger Verursachung Mitverantwortlicher für die Misshandlung
befunden habe. Zum anderen habe dem Beigeladenen zu 2) auch zur Wahrung des Kindeswohles die Pflicht oblegen, den Vater der
Klägerin als damals Sorgeberechtigten darüber aufzuklären, dass eine Antragstellung nach dem
OEG möglich und geboten sei, weil ein verspäteter Antrag nach Ablauf der Jahresfrist des § 60 BVG zum Verlust von Ansprüchen führen werde. Die insoweit unterlassene Beratung müsse dem Beklagten im Rahmen eines sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs als Fehlverhalten zugerechnet werden, denn durch allgemeine Hinweise der Aufsichtsbehörden zum
OEG sowie die Berechtigung gemäß § 97 Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch 8. Buch - SGB VIII - ) habe eine enge Verflechtung zwischen dem Jugendamt der Beigeladenen zu 2) und dem Beklagten bestanden. Die Klägerin sei
daher so zu stellen, als sei aufgrund pflichtgemäßer Beratung eine rechtzeitige Antragstellung erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.02.2013 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 20.06.2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2008 zu verurteilen, der Klägerin Versorgungsrente nach dem
OEG auch für die Zeit vom 01.01.1997 bis 30.06.2005 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Vorgänge aus dem Verwaltungsverfahren des Beklagten
und der beiden Beigeladenen sowie die Akten aus dem Betreuungs- und Strafverfahren der Mutter der Klägerin verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte in Abwesenheit des Beigeladen zu 2) verhandeln und entscheiden, denn dieser ist mit der ihm ordnungsgemäß
zugestellten Terminmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Denn die Entscheidung des Beklagten und des Sozialgerichts, ihr die beantragten
rückwirkenden Leistungen zu versagen, ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin daher nicht in ihren Rechten im Sinne des
§
54 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Ein Anspruch auf Versorgung nach dem
OEG setzt nach dessen §
1 Abs.
1 S. 1 allgemein voraus, dass eine natürliche Person im räumlichen Geltungsbereich des
OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Außerdem ist ein
wirksamer Antrag weitere materiell-rechtliche Voraussetzung. Die Klägerin ist, wovon die Beteiligten auch übereinstimmend
ausgehen, am 3.1.1997 Opfer einer Gewalttat im Sinne des §
1 Abs.
1 S. 1
OEG geworden und hat dadurch eine bleibende gesundheitliche Schädigung in Form einer Hirnschädigung nach Schädelfraktur erlitten.
Außerdem bestehen eine Sehminderung mit Gesichtsfeldausfällen des rechten Auges sowie eine Erblindung des linken Auges. Diese
gesundheitlichen Folgen des schädigenden Ereignisses bedingen nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, wovon die Beteiligten
auch übereinstimmend ausgehen, einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 40.
Der Leistungsbeginn der hier streitigen Beschädigtengrundrente ergibt sich aus § 60 Abs. 1 BVG i.V.m. §
1 Abs.
1 S. 1
OEG. Danach beginnt auch bei Opfern von Gewalttaten die Beschädigtengrundrente grundsätzlich mit dem Antragsmonat, wenn die sonstigen
materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. § 60 Abs. 1 S. 2 BVG eröffnet ausnahmsweise eine Rückwirkung, wenn der Antrag binnen Jahresfrist nach dem Eintritt der Schädigung gestellt wird.
Die Jahresfrist wird nach § 60 Abs. 1 S. 3 BVG um den Zeitraum verlängert, in dem eine unverschuldete Verhinderung der Antragstellung vorlag. Entgegen der Auffassung der
Klägerin liegen die Voraussetzungen einer rückwirkenden Zuerkennung von Leistungen nach §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG nicht vor, denn die Klägerin war nicht ohne Verschulden gehindert, bis zum Ablauf der mit dem Eintritt der Schädigung beginnenden
Jahresfrist Leistungen der Beschädigtenversorgung zu beantragen.
Zwar scheidet ein eigenes Verschulden der Klägerin in der Zeit vor der tatsächlichen Antragstellung im Juli 2005 schon deshalb
aus, weil sie als Kind damals noch nicht sozialrechtlich handlungsfähig war und deshalb keine rechtswirksamen Willenserklärungen
abgeben konnte. Die Klägerin muss sich jedoch das Verschulden ihres damals sorgeberechtigten Vaters, der es pflichtwidrig
unterlassen hat, einen rechtzeitigen Antrag nach dem
OEG zu stellen, entsprechend der in § 27 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) getroffenen Regelung sowie den zu §
67 Abs.
1 Satz 2
SGG entwickelten Grundsätzen zurechnen lassen (vergleiche Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - mit weiteren Nachweisen - mwN -).
Gesetzlicher Vertreter war in der Zeit vom 25.3.1996 bis zum 15.1.2003 allein der Vater der Klägerin, denn er war in dieser
Zeit zum Vormund bestellt (Beschluss des Amtsgerichts F vom 25.3.1996). Ihm oblag mithin grundsätzlich die Personen- und die
Vermögenssorge. Das Jugendamt F blieb entsprechend dem genannten Beschluss des Amtsgerichts F zwar Pfleger gemäß § 1709
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) in der seinerzeit gültigen Fassung. Diese Pflegschaft umfasste aber lediglich die Feststellung der Vaterschaft, die Geltendmachung
von Unterhaltsansprüchen sowie die Regelung von Erb- und Pflichtteilsrechten im Falle des Todes des Vaters und seiner Verwandten.
Nur für diesen Wirkungskreis war das Jugendamt mithin gesetzlicher Vertreter. Die übrigen sich aus der Personen- und Vermögenssorge
ergebenden Rechte und Pflichten oblagen dem Vater als Vormund, so dass auch nur diesem die Pflicht zur Stellung des Antrags
auf Beschädigtengrundrente nach dem
OEG oblag. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vater im Hinblick auf seinen Geisteszustand, sein Alter, seinen
Bildungsstand und/oder seine Geschäftsgewandtheit subjektiv nicht in der Lage gewesen wäre, die nach den Umständen des Falles
zu erwartende zumutbare Sorgfalt bei der Antragstellung zu beachten. Rechtsunkenntnis schließt ein Verschulden grundsätzlich
nicht aus. Denn als allgemeiner Grundsatz nicht nur des Sozialrechts gilt es, dass jedermann die Rechtsordnung grundsätzlich
zu kennen und zu beachten hat (BSG, Urteil vom 15.08.2000 - B 9 VG 1/99 R - sowie Urteile des erkennenden Gerichts vom 30.10.2002 - L 10 V 16/02 und vom 15.03.2001 - L 7 VS 4/99 jeweils mwN).
Dem Gebot, im Interesse der Klägerin rechtzeitig einen Antrag auf Leistungen nach dem
OEG zu stellen, standen keine eigenen schutzwürdigen tat- oder täterbestimmten Interessen des Vaters der Klägerin entgegen, die
dazu führen könnten, dass sein Verschulden ausnahmsweise nicht dem minderjährigen Gewaltopfer zuzurechnen ist. Eine solche
Ausnahme ist in der Rechtsprechung des BSG zum einen dann anerkannt, wenn der gesetzliche Vertreter zugleich der Täter war und deshalb den Widerspruch zwischen seinem
Eigeninteresse, als Täter unentdeckt zu bleiben, und den Interessen des von ihm Vertretenen zu dessen Lasten gelöst hat. In
gleicher Weise darf es auch nicht in der Hand von Sorgeberechtigten, die dem Gewalttäter familiär und durch gleich gelagerte
Interessen eng verbunden sind, liegen, ihr Kind von zügiger Entschädigung nach dem
OEG auszuschließen. Ein schutzwürdiger Interessenkonflikt liegt auch vor, wenn eine dem Gewalttäter eng verbundene Person, der
die Rechtsordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht zugesteht, durch die Antragstellung nach dem
OEG zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Täter auslösen würde (vergleiche BSG, Urteil vom 28.04.2005 - B 9a/9 VG 1/04 R und Urteil vom 30.09.2009 - B 9 VG 3/08 R jeweils mwN).
Ein solcher schutzwürdiger Interessenkonflikt liegt hier jedoch nicht vor. Die Misshandlung der Klägerin durch ihre Mutter
wurde aufgrund der dramatischen gesundheitlichen Konsequenzen umgehend sowohl dem Jugendamt des Beigeladenen zu 2) bekannt
als auch kurz danach Gegenstand eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die Mutter der Klägerin, welches allerdings
nach umfänglichen Ermittlungen mangels Schuldfähigkeit eingestellt wurde. Dabei ist von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden
ersichtlich nicht in Betracht gezogen worden, strafrechtlich gegen den Vater der Klägerin, der in dem Ermittlungsverfahren
gegen die Mutter umfassend als Zeuge vernommen wurde, vorzugehen. Auch vom Beklagten ist im Rahmen von dessen Ermittlungen
zu keinem Zeitpunkt ein zivilrechtlicher Regressanspruch gegen den Vater der Klägerin in Betracht gezogen worden. Nach dem
Gesamtergebnis des Verfahrens ist für den Senat auch kein schuldhaftes tatbezogenes Verhalten des Vaters, das einen Interessenkonflikt
hätte auslösen können, ersichtlich. Die Tat der Mutter war im Vorfeld für den Vater nach seinem Bekundungen als Zeuge vor
dem Sozialgericht nicht absehbar. Gleiches ergibt sich auch aus der Falldarstellung in der Anfrage auf Fallübernahme im Schreiben
des Kreises F an den Beigeladenen zu 2) vom 23.1.1997, in dem der bislang zuständig gewesene Mitarbeiter des Jugendamtes F
darlegt, dass er zuletzt am 16.12.1996 die Eltern besucht habe und dabei keine Anzeichen für einen erneuten Schub der psychotischen
Erkrankung der Mutter habe erkennen können. Nach der Tat hat der Vater die Beziehung zur Mutter der Klägerin, mit der er weder
verlobt noch verheiratet war, abgebrochen und allein mit der Klägerin in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Der Vater der Klägerin
hat im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Mutter umfassend als Zeuge ausgesagt und nach der Tat bei seinen Gesprächen
mit den Mitarbeitern des zuständigen Jugendamtes ebenfalls ausführlich Auskunft zu den Lebensumständen und dem Verhalten der
Mutter gegeben. Vor diesem Hintergrund ist für den Senat nicht ersichtlich, dass eine rechtzeitige Stellung eines
OEG-Antrages Interessen des Vaters der Klägerin hätte beeinträchtigen können.
Der erkennende Senat verneint auch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches, nach dem die Klägerin
gegebenenfalls so zu stellen wäre, als hätte ihr Vater einen rechtzeitigen Antrag auf Gewährung von Beschädigtengrundrente
nach dem
OEG gestellt.
Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare
Pflichtverletzung in Bezug auf eine gegenüber dem Berechtigten obliegende Haupt- oder Nebenpflicht, insbesondere zur Auskunft
und Beratung voraus, die als wesentliche Bedingung kausal für einen sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten ist. Außerdem
ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde,
wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte. Die Regelung des § 60 BVG schließt die Begründung eines früheren Leistungsbeginns im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht aus (siehe
dazu BSG, Urteil vom 30.09.2009 - B 9 VG 3/08 R - mwN).
Zuständig für die Beratung sind grundsätzlich die Leistungsträger, denen gegenüber Rechte geltend zu machen oder Pflichten
zu erfüllen sind. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kann sich aber auch aus dem fehlerhaften Verhalten anderer Behörden
ergeben, das sich der zuständige Leistungsträger zurechnen lassen muss. Einer anderen Behörde als der für die Entscheidung
über die Leistung befugten Stelle kann eine Beratungspflicht dann obliegen, wenn die andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne
einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren "arbeitsteilig" eingeschaltet ist. Ebenso muss sich ein Leistungsträger
das Fehlverhalten derjenigen Behörde zurechnen lassen, deren Funktionsnachfolge er angetreten hat. Eine zurechenbare Beratungspflichtverletzung
ist auch dann gegeben, wenn die Zuständigkeitsbereiche beider Stellen materiell-rechtlich eng miteinander verknüpft sind,
die andere Behörde im maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund eines bestehenden Kontaktes der aktuelle Ansprechpartner des Berechtigten
ist und die Behörde aufgrund der ihr bekannten Umstände erkennen kann, dass bei dem Berechtigten im Hinblick auf das andere
sozialrechtliche Gebiet ein dringender Beratungsbedarf in einer gewichtigen Frage besteht (vergleiche BSG, Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R mwN).
Die genannten Voraussetzungen sind hier sämtlich nicht erfüllt. Der Beklagte selbst hat keine Beratungspflicht verletzt, denn
der Vater der Klägerin hatte im maßgeblichen Zeitpunkt keinerlei Kontakt zum Beklagten und dem Beklagten war die Gewalttat
auch völlig unbekannt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dem Beklagten die fehlende Beratung durch das damals zuständige
Jugendamt nicht zuzurechnen.
Das damalige Jugendamt des Beigeladenen zu 2) war nicht arbeitsteilig in die Aufgaben des Beklagten eingebunden, denn eine
solche Eingliederung setzt voraus, dass die andere Behörde im Sinne einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren der
zuständigen Behörde arbeitsteilig eingeschaltet ist. Die bloße Entgegennahme von Anträgen bzw. die ministerielle Information
über die Existenz der Möglichkeit der Antragstellung nach dem
OEG genügt hierfür nicht. Gleiches gilt für eine mögliche Antragstellung gemäß § 97 SGB VIII. Denn diese dient in erster Linie den finanziellen Interessen der Träger der Jugendhilfe. Die in § 97 SGB VIII geregelte Befugnis steht dem Jugendamt nur als erstattungsberechtigter Leistungsträger zu und bezieht sich darauf, im eigenen
Interesse und im eigenen Namen gegenüber einem anderen Leistungsträger ein fremdes Recht geltend zu machen (vergleiche BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R).
Die gesetzlichen Aufgaben nach dem SGB VIII und dem
OEG sind auch nicht derart materiell rechtlich verknüpft, dass dieses einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch rechtfertigen
würde. Vielmehr geht es beim
OEG um die Entschädigung für die Folgen von Gewalttaten aufgrund des Versagens des staatlichen Gewaltmonopols, während es nach
dem SGB VIII um staatliche Leistungen zum Wohl von Kindern und Jugendlichen geht, die dem Recht auf Erziehung und Förderung der Entwicklung
des jungen Menschen zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit dienen. Eine enge materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche
Verknüpfung ist hier nicht vorhanden. Andere Behörden, die eine Betreuungs-, insbesondere eine Beratungspflicht, in einer
dem Beklagten zurechenbaren Weise verletzt hätten, sind weder ersichtlich noch hat die Klägerin solche Behörden benennen können.
Die Klägerin hat demnach gegen den Beklagten keine weitergehenden sozialrechtlichen Ansprüche und muss ein etwaiges Fehlverhalten
des Jugendamtes des Beigeladenen zu 2) gegebenenfalls im Wege der zivilrechtlichen Amtshaftung geltend machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.