Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides.
Mit Datum vom 11.04.2011 erließ die Beklagte einen Haftungsbescheid nach §
150 Abs.
3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) i.V.m. §
28e Abs.
3a bis f Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) gegenüber der Klägerin als Auftraggeberin des Unternehmers H, der seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Beklagten
nicht nachgekommen war. Die Beklagte schätzte die Arbeitsentgelte i.H.v. 60 v.H. der Nettoauftragssumme, wobei sie von einem
Netto-Auftragsvolumen von 232.227,97 EUR ausging. Daraus errechnete sie einen Haftungsbetrag von insgesamt 10.240,74 EUR.
Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend, dass sie vor dem Hintergrund der von ihr eingeholten Informationen, insbesondere
der von der Beklagten ausgestellten Unbedenklichkeitsbescheinigungen vom 30.07.2008, 26.09.2008 und 05.01.2009 ohne Verschulden
habe davon ausgehen können, dass ihr Nachunternehmer seine Zahlungsverpflichtungen erfülle. Sie habe ihren Nachunternehmer
vertraglich auf die Erfüllung sozialversicherungsrechtlicher Beitragspflichten verpflichtet und diese durch die verpflichtende
Vorlage entsprechender Bescheinigungen überprüft. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2011, auf dessen Begründung Bezug genommen
wird, wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Klägerin hat am 22.08.2011 Klage erhoben und im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholt. Die Beklagte
ist auf ihrem Standpunkt verblieben.
Mit Urteil vom 24.02.2015 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.
Gegen die am 01.04.2015 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 28.04.2015 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Die Klägerin
könne sich nicht erfolgreich exkulpieren. Sie sei zu dem nach der Gesetzesbegründung maßgeblichen Zeitpunkt der Auswahl des
Nachunternehmers, nämlich des Vertragsschlusses nicht im Besitz einer gültigen Unbedenklichkeitsbescheinigung gewesen und
die später von ihr vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen hätten auch nicht für den gesamten Zeitraum der Arbeiten,
nämlich vom 16.07.2008 bis 21.03.2009 Gültigkeit gehabt. Darüber hinaus habe die Klägerin auch keine Prüfung der ihr vorgelegten
Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorgenommen, was nach der Gesetzesbegründung ebenfalls erforderlich gewesen wäre. Ansonsten
hätte ihr auffallen müssen, dass die den Vorschuss- bzw. Beitragsbescheiden der Beklagten zugrunde gelegten Arbeitsentgelte
nicht stimmig sein konnten, und sie habe daher gerade nicht darauf vertrauen können, dass der Nachunternehmer seinen Zahlungsverpflichtungen
gegenüber der Beklagten nachkomme. Die Mitteilungen des Nachunternehmers vom 02.02.2009 und 09.03.2009 über die eigene Beauftragung
von Nachunternehmern ändere daran nichts. Daraus lasse sich nicht der Schluss ziehen, dass von dem von der Klägerin beauftragten
Nachunternehmer überwiegend Nachunternehmer eingesetzt worden seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.02.2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und meint, das Abstellen der Beklagten auf einen Vertragsschluss wenige
Tage vor dem Datum der ersten Unbedenklichkeitsbescheinigung und eine Beendigung der Arbeiten wenige Tage nach Ende des Gültigkeitszeitraumes
der letzten Unbedenklichkeitsbescheinigung sei reine Förmelei. Sie - die Klägerin - habe auf die von der Beklagten ausgestellten
Unbedenklichkeitsbescheinigungen vertrauen dürfen. Denn für sie habe keine Veranlassung bestanden, annehmen zu müssen, dass
der Nachunternehmer Sozialversicherungsbeiträge für eigene Mitarbeiter nicht vollständig abführen würde. Sie habe auf die
von der Beklagten ausgestellten Unbedenklichkeitsbescheinigungen vertrauen dürfen und im Übrigen zahlreiche Wege beschritten,
um vor und während des Vertragsschlusses bzw. der Bauausführung die Zuverlässigkeit ihres Subunternehmers zu überprüfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 12.07.2011 angefochtenen Haftungsbescheid vom 11.04.2011 zu Recht aufgehoben, denn dieser Bescheid ist rechtswidrig.
Unbeschadet der Frage, ob die Voraussetzungen für die grundsätzlich eingreifende Haftung gemäß §
150 Abs.
3 S. 1 Alt. 2
SGB VII i. V. m. §
28 e Abs.
3 a SGB IV im Hinblick auf die erforderliche Bausumme von 500.000,00 Euro aller für das Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen (
§
28 e Abs.
3 d S. 1
SGB IV in der am 30.09.2009 geltenden Fassung, vgl. §
116 a SGB IV ) hier vorliegen, ist eine Haftung der Klägerin nicht gegeben. Die Haftung entfällt nämlich, wenn der Unternehmer nachweist,
dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer oder ein von ihm beauftragter Verleiher seine
Zahlungspflicht erfüllt ( §
28 e Abs.
3 b S. 1
SGB IV ). Diesen Nachweis hat die Klägerin erbracht.
Nach §
28 e Abs.
3 f SGB IV in der ab 01.10.2009 geltenden Fassung kann der Unternehmer den Nachweis nach Abs. 3 b S. 2 anstelle der Präqualifikation
auch durch Vorlage einer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung i. S. v. §
150 Abs.
3 S. 2
SGB VII erbringen. Die qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers ermöglicht es einem
Auftraggeber, das Unternehmer des Auftragnehmers hinsichtlich der genannten Angaben zu prüfen, nämlich der Mitgliedschaft
bei der BG Bau, der Entrichtung von Beiträgen, der Vereinbarkeit der von der BG Bau erfassten und veranlagten Unternehmensteile
mit dem auszuführenden Auftrag sowie der gemeldeten Arbeitsentgelte mit dem Volumen des Auftrags. Der Nachweis nach §
28 e Abs.
3 b S. 2, Abs.
3 f SGB IV hängt aber nicht davon ab, dass der Unternehmer über die Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung hinaus nachweist, dass
er eine entsprechende Prüfung vorgenommen hat. Nach dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Vorschriften lässt bereits
die Vorlage der qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung die Haftung entfallen.
Der Nachweis hängt auch nicht davon ab, dass dem Unternehmer bereits im Zeitpunkt der Auftragsvergabe eine gültige Unbedenklichkeitsbescheinigung
vorgelegen hat. Der Gesetzeswortlaut sieht eine solche Einschränkung nicht vor. Sinn und Zweck des Gesetzes, das im Interesse
der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Schwarzarbeit (vgl. BR-Drucks. 166/09 S. 15) als Möglichkeiten für eine haftungsrechtliche
Entlastung des Generalunternehmers die Präqualifikation des Auftragsnehmers gemäß §
28 e Abs.
3 b S. 2
SGB IV oder die qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des Unfallversicherungsträgers vorsieht, gebieten auch keine über den
Wortlaut hinausgehende einschränkende Auslegung in dem Sinne, dass der Nachweis gemäß §
28 e Abs.
3f SGB IV daran geknüpft ist, dass dem Auftraggeber bereits im Zeitpunkt der Auftragsvergabe eine gültige Unbedenklichkeitsbescheinigung
vorgelegen hat.
Zwar findet in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Unternehmer vor dem 01.10.2009 mit der Erbringung der Bauleistungen
beauftragt worden ist, §
28 e Abs.
3 b bis f
SGB IV in der am 30.09.2009 geltenden Fassung Anwendung ( §
116 a SGB IV ). Da aber bis zur Neufassung der Vorschrift keine klaren Regelungen darüber existierten, wie der Unternehmer nachweisen
konnte, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer seine Zahlungspflicht erfüllt, sieht
der Senat keinen Anlass, bei einem "Altfall" wie dem vorliegenden einen strengeren Maßstab anzulegen als bei Haftungsfällen,
in denen das ab 01.10.2009 geltende Recht Anwendung findet.
Danach ist ein Verschulden der Klägerin aufgrund der von ihr vorgelegten qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen für
die Zeiträume der Gültigkeit dieser Bescheinigungen und demzufolge bis zum 16.03.2009 ausgeschlossen. Aber auch hinsichtlich
des restlichen, nur noch eine Woche umfassenden Bauzeitraumes vom 17. bis 23.03.2009 ist bei Würdigung der von der Klägerin
insgesamt vorgelegten Unterlagen eine Exkulpation anzunehmen. Denn daraus wird ersichtlich, dass die Klägerin vor und während
der Bauausführung zahlreiche Tätigkeiten entfaltet hat, um sicherzustellen, dass der Nachunternehmer seinen sozialversicherungsrechtlichen
Zahlungspflichten genügt. So hat die Klägerin sich gemäß Ziff. 18.3 des Werkvertrages vom 10.07.2008 von ihrem Nachunternehmer
ausdrücklich zusichern lassen, "dass alle von ihm eingesetzten Arbeitnehmer ordnungsgemäß sozialversichert sind". Des Weiteren
hat die Klägerin den Nachunternehmer H in Ziff. 18.4 des Vertrages ausdrücklich auf die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften,
insbesondere des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit hingewiesen, und mit ihm vereinbart, dass eine Verletzung der vorgenannten vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen sie
berechtigen, den Bauvertrag aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen. Überdies hat die Klägerin ihren Nachunternehmer gemäß
Ziff. 18.7 des Werkvertrages ausdrücklich verpflichtet, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes, Unbedenklichkeitsbescheinigungen
der AOK/IKK, eine Mitgliedsbescheinigung der Berufsgenossenschaft sowie Nachweise der Eintragung in die Handwerksrolle und
der bestehenden Betriebshaftpflichtversicherung vorzulegen. Entsprechende Bescheinigungen und darüber hinaus einen Kontoauszug
über die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen hat die Klägerin sich - neben den von der Beklagten ausgestellten Unbedenklichkeitsbescheinigungen
- auch tatsächlich vorlegen lassen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass noch etwa zwei Monate nach Ausstellung
der letzten Unbedenklichkeitsbescheinigung der Beklagten vom 05.01.2009 die BKK Gesundheit unter dem 10.03.2009 und damit
nur zwei Wochen vor dem Ende des Bauzeitraumes bestätigt hat, dass Sozialversicherungsbeiträge für die bei ihr gemeldeten
Arbeitnehmer bis zum Abrechungsmonat Februar 2009 gezahlt wurden, und das Finanzamt Düsseldorf-Nord noch unter dem 06.03.2009
dem Nachunternehmer bescheinigt hat, dass zum damaligen Zeitpunkt keine Steuerrückstände bestanden haben.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision ( §
160 Abs.
2 SGG ) liegen nicht vor.