Anspruch auf Erstattung von Behandlungskosten im Rahmen einer sog. CMD-Kieferorthopädie
Keine Teilnahme des behandelnden Kieferorthopäden an der vertragszahnärztlichen Versorgung
Vollendung des 18. Lebensjahres bei Beginn der Behandlung
Tatbestand
Streitig ist, ob die 1982 geborene Klägerin Anspruch auf Erstattung der ihr für eine Behandlung im Rahmen der so genannten
CMD-Kieferorthopädie bisher entstandenen Kosten bzw. auf Übernahme noch entstehender Kosten hat.
Die bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin beantragte bei der Beklagten Anfang April 2012 unter Vorlage eines funktionellen
Heil- und Kostenplanes (des Kau-Schluckorgans/CMD-Kieferorthopädie) vom 26.03.2012/28.03.2012 die Übernahme der Kosten einer
Behandlung durch den Facharzt für Kieferorthopädie (ganzheitliche Kieferorthopädie/CMD-Kieferorthopädie/Orthodontie/Spezialist
für Kieferorthopädie der Universität A) Dr. S aus N i.H.v. 6.020,99 EUR. Dr. S nimmt nicht an der vertragszahnärztlichen Versorgung
teil.
Zur "Krankengeschichte/CMD" ist in dem Heil- und Kostenplan Folgendes ausgeführt:
2005
Beginn mit chronischer "Schlappheit"
2007
Chronische Nasennebenhöhlenentzündung, welche als Kopfschmerzen empfunden werden. Kortison hilfreich, jedoch keine Dauerlösung
2006 - 2009
Erschöpfungszustände, welche mit Konzentrationsschwächen verbunden sind und eine kontinuierliche Tätigkeit bis zu sechs Stunden
ermöglichte, Aufsuchen diverser Allgemeinärzte, jedoch keine konkreten Befunde
2008
Neuraltherapie mit Spritzen in den Nacken bei C1 und im Bereich des Austritts des N. trigeminus II mit guter Wirkung für eine
Woche, in zahnärztlicher Vorbehandlung einer craniomandibulären Dysfunktion
2011/2012 wegen Nacken-/Schulterschmerzen, chronischen Nasennebenhöhlenentzündungen, Neurodermitis, Schlappheit, Kniebeschwerden
Als Krankheitsbilder werden aufgeführt:
Kieferbereich
Abrasion der Zähne, Bruxismus, Zähneknirschen, akute Parodontitis, Gingivaretraktion, Krankheiten des Parodonts durch Über-
und Fehlbelastung (Okklusales Trauma), Pulpadegeneration durch okklusales Trauma, Wurzelresorptionen, Anomalien des Kiefer-Schädelbasis-Verhältnisses,
transversale und vertikale Asymmetrie, Anomalien des Zahnbogenverhältnisses, Schwenkung des Bisses, zwanghafte Verschiebung
der Mittellinie, Zahnstellungsanomalien, Rotationen, Kippungen mit abnormer Stellung derselben oder der benachbarten Zähne,
fehlerhafte Okklusion, nicht näher bezeichnet, Okklusaler Zwangsbiss, traumatische Okklusionsabweichung, funktionelle dentofaziale
Anomalien, abnormer Kieferschluss, fehlerhafte Okklusion mit Distalrotationen des UK und zwanghaftem abnormen Schluckakt,
"Costensyndrom"/CMD, Craniomandibuläre Dysfunktion, Krankheiten des Zahnhalteapparates: irregulärer Alveolarfortsatz, Retraktion
des Alveolarfortsatzes durch okklusales Trauma,
Cranio Vertebraler Bereich/CVD
Habituelle atlanto-axiale Subluxation mit Myelopathie, Spondylolisthesis: Okzipito-Atlanto-Axialbereich, Spondylolisthesis:
Zervikalbereich; Spondylolisthesis: Zervikothorakalbereich, Radikulopathie, Wurzelneuritis, vertebragener Kopfschmerz, Rückenschmerz,
Subluxation der Wirbelsäule, biomechanische Funktionsstörungen, Zervikalbereich, Zervikothorakal
Interdisziplinär
Kopfschmerzen vom Spannungstyp/Spannungskopfschmerzen, Mitochondriale Zythopathie/erworben durch Kopfgelenke-Instabilitäts-Syndrom,
Nitrosativer Stress, Zervikalsyndrom.
Als Behandlungsmittel/Therapie für die Dauer von sechs Quartalen wird benannt: "CMD-Kieferorthopädie/Orthodontie, "Feste Klammer"
auf der Basis der Qualitätsleitlinien I, II, III der Biofunktionellen Orthodontie (BFO) und Biofunktionalität nach Vorschriften
der funktionellen Anatomie (Näheres: www.cmd-institut.de)."
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20.04.2012 ab. Dr. S sei kein zugelassener Kieferorthopäde. Deshalb könne
er nicht direkt mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen und habe einen privaten Behandlungsplan erstellt. Aufgrund gesetzlicher
Bestimmungen sei eine Kostenübernahme bei diesem Behandler nur im Ausnahmefall möglich, wenn vor Beginn der Behandlung ein
Antrag eingereicht werde und diesem durch die Kasse zugestimmt werde. Die Zustimmung sei im vorliegenden Fall nicht möglich,
da es ausreichend vertragsärztlich zugelassene Kieferorthopäden gebe. Sofern ein als Vertragszahnarzt zugelassener Kieferorthopäde
zu dem Ergebnis komme, dass die Voraussetzungen für eine vertragliche kieferorthopädische Erwachsenenbehandlung vorliegen,
sei eine Beratung durch die Beklagte möglich.
Zur Begründung ihres Widerspruchs vom 19.05.2012 übersandte die Klägerin ein Schreiben des Dr. S vom 22.06.2012. Der Beklagten
sei hinreichend bekannt, dass der eingereichte Heil- und Kostenplan nicht mit der Kieferorthopädie identisch sei, welche die
Beklagte anbieten könne. Dennoch versuche die Beklagte immer wieder, den Patienten durch formale Argumentationen in die Irre
zu führen. Längst sei dem Vorstand der Beklagten aus einschlägiger Literatur bekannt, dass die kieferorthopädischen Vertragsregelungen
nicht mehr den Grundregeln des
Fünften Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) entspreche. Der Widerspruch gegen die Ablehnung der Kostenerstattung medizinisch definierter Erkrankungen nach ICD-10-Codierung
der Weltgesundheitsorganisation werde aufrechterhalten, da die kieferorthopädischen Indikationsgruppen der Beklagten keine
Krankheitsbilder medizinischer Art definieren könnten.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2013 zurück. Bei der gewünschten Behandlung
handele sich um eine unkonventionelle Methode, für die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine positive Empfehlung nicht
ausgesprochen habe. Bei der CMD-Kieferorthopädie handele es sich nicht um eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische
Behandlung. Eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen komme auch durch einen Vertragskieferorthopäden nicht
in Betracht. Ein Systemmangel liege nicht vor. Dr. S sei nicht zur vertragszahnärztlichen Behandlung zugelassen und könne
deshalb Patienten nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln. Eine Zustimmung zu einer Behandlung bei Dr.
S habe die Beklagte nicht erteilt. Zur kieferorthopädischen Behandlung stünden ausreichend Vertragszahnärzte zur Verfügung.
Mit ihrer am 26.03.2013 beim Sozialgericht Münster erhobenen Klage hat die Klägerin an ihrem Begehren festgehalten. Zur Begründung
hat sie eine weitere Stellungnahme des Dr. S vom 15.04.2013 übersandt. Dr. S hat ausgeführt, die Auslegung der rechtlichen
Grundlagen des
SGB V sei nicht neutral. Die Leistungen der Beklagten entsprächen nicht den Vorgaben des §
2 SGB V. Das Bundesministerium für Gesundheit habe in einer umfassenden Studie ("HTA-Studie 2008") das kieferorthopädische Leistungsangebot
der gesetzlichen Krankenversicherungen so zerrissen, wie es in der Geschichte der Medizin einmalig sei. Die kieferorthopädischen
Indikationsgruppen (KIG) hätten keine ausreichende wissenschaftliche Basis. In der Welt der hierauf basierenden Kieferorthopädie
gebe es keine Krankheitsbilder, keine Kodierungen, keine medizinisch relevanten Aufklärungen und keine Risikoaufklärung. Die
KIG verstießen gegen Art.
2 und Art.
3 Abs.
1 sowie Art.
3 Abs.
3 des
Grundgesetzes. Die Auswirkungen der Kieferorthopädie gingen weit über den dentofazialen Bereich hinaus. Okklusale Dysfunktionen wirkten
nachhaltig über Hebelwirkung auf die Kopfgelenke mit deren Inhalt, dem oberen Rückenmark, durch Verkantungen ein, woraus sich
komplexe Folgeerkrankungen der Wirbelsäule als auch neuronale Erkrankungen zwingend ergeben könnten. Daraus ergebe sich eine
interdisziplinäre medizinische Bedeutung der Kieferorthopädie, welche keineswegs mit 18 Jahren abgeschlossen sei. Die aktuelle
Kieferorthopädie der gesetzlichen Krankenversicherung müsse völlig neu definiert werden.
Auf einen Hinweis des Sozialgerichts, dass beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hat die Klägerin ausgeführt,
insbesondere aus den Schreiben des Dr. S ergäben sich anspruchsbegründende gesundheitliche Beeinträchtigungen, denen Verwaltung
und Sozialgericht von Amts wegen nachzugehen hätten. Es sei umfangreich dargelegt worden, dass das Leistungsangebot der Beklagten
nicht den gesetzlichen Vorschriften entspreche und diesen in wesentlichen Grundlagen so stark widerspreche, dass in der Kieferorthopädie
das Leistungsangebot der Beklagten in vielfältiger Weise in Diagnostik und Therapie eine Grundlage zur Fehlbehandlung im juristischen
Sinne darstelle.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.07.2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Anspruch
auf Übernahme der Kosten für die Behandlung durch Dr. S stehe bereits entgegen, dass die Klägerin bei Antragstellung das 18.
Lebensjahr deutlich überschritten habe. Nach dem eingereichten Behandlungsplan lägen auch keine schweren Kieferanomalien vor,
die ein Ausmaß hätten, dass kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erforderlich seien.
Die Aufzählung in §
28 Abs.
2 Satz 7
SGB V i.V.m. B 4. der Kieferorthopädie-Richtlinien sei abschließend. Eine erweiternde Auslegung entspreche nicht der Zielsetzung
des Gesetzgebers. Der umfassend geregelte Leistungsausschlusses §
28 Abs.
2 Satz 6
SGB V gelte grundsätzlich unabhängig von den Gründen, die im konkreten Fall zu einer Behandlungsnotwendigkeit erst nach Vollendung
des 18. Lebensjahres geführt hätten. Die so genannte CMD-Kieferorthopädie, die bei der Klägerin zur Anwendung gelangen solle,
stelle eine kieferorthopädische Behandlung dar und unterliege damit den genannten gesetzlichen Vorgaben.
Gegen den der Klägerin am 31.07.2013 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich deren Berufung vom 29.08.2013. Zur Begründung
verweist die Klägerin auf eine Stellungnahme des Dr. S vom 24.08.2013. Das Sozialgericht habe keinen medizinischen Sachverstand
zu Rate gezogen. Es sei nur eine formaljuristische Bewertung vorgenommen worden. Weder der medizinische Sachverhalt noch der
rechtliche Sachverhalt seien geklärt. Das Sozialgericht hätte bereits aus dem eingereichten Heil- und Kostenplan entnehmen
können, dass kein Heil- und Kostenplan nach kieferorthopädischem Muster vorliege. Die Therapie der im Heil- und Kostenplan
dargestellten Krankheiten sei nicht auf ein bestimmtes Alter fixiert oder begrenzt. Zur Therapie medizinisch definierter Krankheitsbilder,
insbesondere von Schmerzen, gälten keine vorgängigen Genehmigungsanfragen bei der Krankenkasse. Die Hilfe müsse unverzüglich
erfolgen, andernfalls liege der Tatbestand unterlassener Hilfeleistung vor. Die bisherige Therapie der festgestellten Erkrankungen
in den verschiedensten Disziplinen sei erfolglos geblieben. Bereits die Anamnese der Patientin zeige ein komplexes Krankheitsbild.
Der bei der Erstvorstellung vorgefundene Zustand falle bereits in den durch das Neunte Buch des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation
und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX) definierten Bereich der Behinderung.
Es sei festzustellen, dass die Beklagte keine Leistung zur Heilung der diagnostizierten Krankheiten anbieten könne, das kieferorthopädische
Leistungsangebot der Beklagten nach aktuellem Stand der Erkenntnisse der Wissenschaft sowie nach der Rechtslage und der aktuellen
Gesetzgebung sowie dem Patientenrechtegesetz 2013 Körperverletzung aus den verschiedensten Sichtweisen darstelle, neben der
Frage der Kostenerstattung das kieferorthopädische Pflicht-Leistungsangebot der Beklagten und Haftungsfragen der Beklagten
zur Diskussion stünden. §
28 SGB V und die KIG stellten einen Verstoß gegen §
27 SGB V dar. Mit dem Ausschluss der Diagnostik von Dysfunktionen seien keine Krankheiten zu erkennen, die folgerichtig mangels Diagnose
auch nicht gelindert oder geheilt werden könnten. Die gesetzlichen Krankenkassen seien seit Jahren nachhaltig auf Grundlagenfehler
in dem kieferorthopädische Leistungsangebot hingewiesen worden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 05.07.1995
(1 RK 6/95) bestehe ein Anspruch, weil zur Behandlung der fortschreitenden Krankheitsbilder der Klägerin anerkannte Behandlungsmethoden
nicht zur Verfügung stünden. Es liege ein Systemversagen vor. Die funktionellen Bezüge der Okklusion zu den Atlasgelenken
bzw. zur Halswirbelsäule seien klinisch wie wissenschaftlich nicht zu leugnen.
Dr. S hat seiner Stellungnahme ein Schreiben vom 31.07.2013 an den Präsidenten/Vorstand der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe
beigefügt, mit dem eine offizielle Anmeldung einer neuen interdisziplinären Fachdisziplin im Funktionsbereich des Kauorgans
nach Empfehlung des Wissenschaftsrates, WR, 2005 erfolgte. Die neue Fachdisziplin laute: CMD-Kieferorthopädie, CMD-KFO, KieferOrthopädie
im Rahmen der sog. Craniomandibulären Dysfunktion, CMD, Dento-Craniale und Dento-Cervikale Orthopädie und Neurologie, DCC-ON.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf dieses Schreiben Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 29.07.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 20.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2013 zu verurteilen, alle bisher entstandenen und künftig
entstehenden der Behandlung durch Dr. S entsprechend dem Behandlungsplan vom 28.03.2012 zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Sozialgericht habe den Sachverhalt zutreffend gewürdigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie
der Prozessakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung sein wird und diesem Votum zugrundeliegt.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§§
143 ff.
Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin vom 29.08.2013 gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster
vom 29.07.2013 ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die von der Klägerin in zulässiger Weise erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4, §
56 SGG) zu Recht abgewiesen. Die Klägerin ist durch den angefochtenen (Ablehnungs-) Bescheid vom 20.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27.02.2013 nicht beschwert im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Sie hat weder einen Anspruch auf Freistellung von den ihr durch die Behandlung bei Dr. S bereits entstandenen Kosten noch
auf Gewährung zukünftiger Behandlung als Sachleistung bzw. Übernahme der durch weitere Behandlung noch entstehenden Kosten.
Der Senat verweist zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in der angefochtenen Entscheidung (§
153 Abs.
2 SGG). Die Berufungsbegründung, die wie im Wesentlichen das gesamte Vorbringen der Klägerin im Verwaltungs-, Widerspruchs- und
Klageverfahren, aus Schriftsätzen des behandelnden Arztes Dr. S besteht, rechtfertigt eine abweichende rechtliche Beurteilung
nicht.
Ob einem Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung bereits die Nichteinhaltung des so genannten Beschaffungsweges entgegensteht,
wofür allerdings deren - im weiteren Verlauf relativierte - Angabe in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat
spricht, sie habe die Behandlung bei Dr. S bereits im März 2012 und damit begonnen, ohne der Beklagten die Möglichkeit zu
geben, einen vermeintlichen (Sachleistungs-) Anspruch zu prüfen, kann dahinstehen.
Denn ein Behandlungsanspruch besteht gemäß §§
27,
28 SGB V nicht. Nach §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
2 SGB V die (ambulante) zahnärztliche Behandlung. Gemäß §
28 Abs.
2 Satz 1
SGB V beinhaltet die (ambulante) zahnärztliche Behandlung die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung
von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst
auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen
und Suprakonstruktionen erbracht werden. Nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehört die kieferorthopädische Behandlung von
Versicherten, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben (§
28 Abs.
2 Satz 6
SGB V). Dies gilt nicht für Versicherte mit schweren Kieferanomalien, die ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische
und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert (§
28 Abs.
2 Satz 7
SGB V).
Nach §
29 Abs.
4 Satz 1
SGB V hat der G-BA in den Richtlinien nach §
92 Abs.
1 SGB V befundbezogen die objektiv überprüfbaren Indikationsgruppen, bei denen die in §
29 Abs.
1 SGB V genannten Voraussetzungen vorliegen, zu bestimmen. Das sind Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung
vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Dabei hat der
G-BA auch einzuhaltende Standards zur kieferorthopädischen Befunderhebung und Diagnostik vorzugeben (§
29 Abs.
4 Satz 2
SGB V). Diesen gesetzlichen Auftrag zum Erlass normkonkretisierender und damit anspruchsbegründender Richtlinien hat der Bundesausschuss
der Zahnärzte und Krankenkassen (seit 01.01.2004: G-BA) mit den am 01.01.2004 in Kraft getretenen "Richtlinien des Bundesausschusses
der Zahnärzte und Krankenkassen für die kieferorthopädische Behandlung" in der Fassung vom 04.06.2003 und vom 24.09.2003 (BAnz
Nr. 226, S. 24966 (KFO-Richtlinien)) erfüllt. Schwere Kieferanomalien im Sinne von §
28 Abs.
2 Satz 7
SGB V liegen nach Maßgabe der Anlage 3 zu diesen Richtlinien vor bei angeborenen Missbildungen des Gesichts und der Kiefer, skelettalen
Dysgnathien und verletzungsbedingten Kieferfehlstellungen, sofern eine Einstufung mindestens in die Behandlungsbedarfsgrade
A5, D4, M4, O5, B4 oder K4 der Indikationsgruppen festgestellt wird. In diesen Fällen ist ein aufeinander abgestimmtes kieferchirurgisches
und kieferorthopädisches Behandlungskonzept zu erstellen (vgl. B4 der KFO-Richtlinien).
Nach diesen Maßgaben ist ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Behandlungskosten, die ihr durch die Therapie der CMD
entstanden sind bzw. entstehen, ausgeschlossen. Sie hatte zu Beginn der Behandlung bereits das 18. Lebensjahr vollendet. Kieferanomalien,
die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erforderlich machten, liegen ausweislich der durch
Dr. S mitgeteilten Befunde nicht vor. Dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet.
Wie bereits der 5. Senat (Urteil vom 10.10.2013 - L 5 KR 159/13) sowie der 1. Senat (Urteil vom 20.12.2012 - L 1 KR 276/11) des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen entschieden haben, zählt die CMD (craniomandibuläre Dysfunktion)
nicht zu den in den Richtlinien des G-BA aufgeführten Kieferanomalien, die den gesetzgeberischen Vorgaben entsprechen (vgl.
BT-Drucksache 12/3608 S. 79). Die Aufzählung in §
28 Abs.
2 Satz 7
SGB V i.V.m. B 4. der KFO-Richtlinien ist abschließend. (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1997 - 1 RK 11/97 sowie Beschlüsse vom 20.06.2005 - B 1 KR 20/04 B und vom 19.07.2004 - B 1 KR 2/04 BH). Der umfassend geregelte Leistungsausschluss des §
28 Abs.
2 Satz 6
SGB V gilt grundsätzlich unabhängig von den Gründen, die im konkreten Fall zu einer Behandlungsnotwendigkeit erst nach Vollendung
des 18. Lebensjahres geführt haben. Aus diesem Grund bestehen Ansprüche des Versicherten weder bei Folgeerkrankungen noch
im Hinblick auf Art oder Ursache der zu behandelnden Kieferanomalie (vgl. zu alledem auch LSG NRW, Urteil vom 20.12.2012,
a.a.O., unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG).
Dabei stellt die von Dr. S durchgeführte Behandlung der Klägerin zweifelsfrei eine kieferorthopädische Behandlung im Sinne
von §
28 Abs.
2 Satz 6
SGB V erfasst dar. Davon geht nicht zuletzt auch der von Dr. S auf der Grundlage der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) erstellte Heil- und Kostenplan aus. Die Argumentation der Klägerin (bzw. von Dr. S) verkennt, dass nicht maßgeblich ist,
welche Erkrankung Auslöser für die kieferorthopädische Behandlung ist. §
28 Abs.
2 Satz 6
SGB V schließt - unabhängig von Art oder Ursache der zu behandelnden Kieferanomalie (BSG, Beschluss vom 20.06.2005 - B 1 KR 20/04 B) - jegliche kieferorthopädische Behandlung im Erwachsenenalter außerhalb der aufgeführten Ausnahmeregelungen aus (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1997 - 1 RK 11/97). Der umfassende Leistungsausschluss ist nach der Rechtsprechung des BSG auch verfassungsgemäß (vgl. BSG a.a.O.).
Ginge man davon aus, dass es sich bei der CMD-Kieferorthopädie nicht um eine kieferorthopädische Behandlung handelte, sondern
um eigenständiges (zahnärztliches) Therapieverfahren, das im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche bzw. zahnärztliche
Leistungen nicht behandelt ist, wäre sie ggf. als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode - Dr. S beantragt ausweislich
des im Berufungsverfahrens vorgelegten Schreibens an die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe vom 31.07.2003 hinsichtlich der hier
streitgegenständlichen Behandlung die Anerkennung einer neuen Fachdisziplin - qualifizieren, für die der G-BA jedoch noch
keine Empfehlung abgegeben hat. Ein Sachleistungsanspruch scheiterte damit an §
135 Abs.
1 Satz 1
SGB V (so auch LSG NRW, Urteil vom 10.10.2013, a.a.O.).
Scheidet der geltend gemachte Anspruch nach alledem aus rechtlichen Gründen aus, bedarf es - anders als die Klägerin meint
- keiner weiteren medizinischen Abklärung des Sachverhalts. Ebenso bedarf es keiner weiteren Überlegungen dazu, inwieweit
Dr. S, der ohnehin kein zur vertragsärztlichen Versorgung in der GKV zugelassener Leistungserbringer ist (vgl. zu diesem Aspekt
auch SG Aachen, Urteil vom 08.10.2013 - S 13 KR 32/13), als Zahnmediziner berechtigt und befähigt ist, etwa orthopädische und neurologische Befunde zu erheben und ggf. behandeln.
Gemäß § 1 Abs. 3 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) ist Ausübung der Zahnheilkunde die berufsmäßige auf
zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung allein von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten.
Als Krankheit ist dabei jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen,
einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.