Rentenbeitragserstattung
Elektronischer Gesamtkontospiegel
Beweisnot im sozialgerichtlichen Verfahren
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Beiträgen.
Der im August 1942 geborene Kläger wurde am 12.12.1969 im deutschen Steinkohlenbergbau angelegt und war seither dort beschäftigt,
zuletzt bei der Bergbau AG H im Bergwerk D/Q. Mit Schreiben vom 20.8.1975 - gerichtet an die Anschrift des Klägers in der
Türkei - kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos "wegen Vertragsbruchs". Der Kläger sei seit dem 17.7.1975
seinem Arbeitsplatz unentschuldigt fern geblieben. Die fristlose Kündigung gelte vorsorglich auch als fristgemäße Kündigung
zum 30.9.1975.
Anfang Dezember 2004 wandte sich der Knappschaftsälteste X aus E mit einem Schreiben an die Beklagte: Der in Deutschland lebende
Versicherte G D sei von dem in der Türkei lebenden Kläger beauftragt worden (herauszufinden), ob noch Versicherungszeiten
in Deutschland vorliegen, die zur Rentenberechtigung führen. Der Kläger sei am 30.9.1975 von der Ruhrkohle gekündigt worden
und lebe seit 1975 in der Türkei. Eine Antwort der Beklagten ist nicht aktenkundig. Etwa ein halbes Jahr später sprach der
Versicherte D bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in C vor und fragte, wann die Beitragserstattung erfolgt
sei und auf welches Konto gezahlt wurde. Der Kläger habe weder einen Bescheid noch eine Überweisung erhalten. Die Adresse
des Klägers sei damals wie heute die gleiche. Die Beklagte stellte fest, dass ihr Aktenvorgänge über das Erstattungsverfahren
nicht mehr vorliegen. Im Dezember 2005 rief der Versicherte D bei der Beklagten an und teilte mit, dass der Kläger nie einen
Antrag auf Beitragserstattung gestellt habe. Es werde um Auskunft gebeten, auf welches Konto der Betrag überwiesen wurde.
Die Beklagte antwortete, dass zwar keine Unterlagen mehr vorlägen, laut (elektronischem) Versicherungskonto die Beiträge jedoch
erstattet worden seien. Danach sei am 1.9.1977 ein Antrag auf Beitragserstattung gestellt worden, dem mit Bescheid vom 20.6.1978
entsprochen worden sei (Erstattungszeitraum 1.12.1969 bis 31.7.1975, Erstattungsbetrag DM 13.203,10).
Am 3.11.2006 beantragte der Kläger, ihm die für die Zeit vom 1.12.1969 bis zum 31.7.1975 gezahlten Arbeitnehmerbeiträge in
Höhe von EUR 6.750,64 zu erstatten. Die Beklagte wandte sich an die DRV Westfalen mit dem Hinweis, dass von dort am 20.6.1978
eine Beitragserstattung durchgeführt worden sei. Diese antwortete, dass der Antrag auf Beitragserstattung am 9.3.1978 an die
Beklagte abgegeben worden sei. Bei der DRV Westfalen seien keine Unterlagen verblieben. In den Verwaltungsakten der Beklagten
findet sich ein 2007 vom Referat Rentenversicherung II der Beklagten in Hamburg entworfener "Musterbescheid, wenn Versicherte
behaupten, den Erstattungsbetrag nicht erhalten zu haben".
Mit Klage vom 28.3.2007 (Vorprozess vor dem SG Dortmund, Az S 6 KN 100/07) verfolgte der Kläger sein Erstattungsbegehren weiter. Entgegen den Ausführungen der Beklagten habe er den Betrag zu keinem
Zeitpunkt erhalten. Ihm sei nicht mehr bekannt, welche Bankverbindung er im Jahr 1978 gehabt habe. Die Beklagte führte zunächst
aus, es verwundere, dass der Kläger erstmals im Alter von 62 Jahren (nämlich 2004) nachgefragt habe. Sie sei nicht in der
Lage, 30 Jahre nach Erteilung des Erstattungsbescheides mitzuteilen, auf welches Konto das Geld geflossen sei. Auf gezielte
Anfrage des Sozialgerichts (SG), wann, auf welcher Grundlage und warum die Aktenvorgänge vernichtet worden seien, antwortete die Beklagte, dass die Akten
auf der Grundlage interner Verwaltungsvorschriften - hier wohl im Jahre 1985 - vernichtet worden sind. Diese Verwaltungsvorschriften
seien später wegen einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) geändert worden. Gleichwohl bleibe sie bei ihrer Auffassung. Nach erstem Anschein lasse ein durch bewilligenden Bescheid
abgeschlossenes Verwaltungsverfahren zur Beitragserstattung typischerweise den Schluss zu, dass die geschuldete Leistung auch
bewirkt worden ist. Zusätzlich sei im vorliegenden Fall dokumentiert, dass der Antrag auf Beitragserstattung bei der damaligen
LVA Westfalen gestellt und zuständigkeitshalber am 9.3.1978 an die Bundesknappschaft abgegeben worden ist. Nach Hinweis des
SG, dass über den Erstattungsantrag noch nicht durch Verwaltungsakt entschieden worden sei, erklärte sich die Beklagte zur Beendigung
des Rechtsstreits bereit, "über den vom Kläger im Dezember 2004 gestellten Beitragserstattungsbescheid" zu entscheiden.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab: Nach den elektronisch gespeicherten Daten seien auf Antrag vom 1.9.1977 die für den
Zeitraum vom 1.12.1969 bis 31.7.1975 gezahlten Arbeitnehmerbeitragsanteile zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von
DM 13.203,10 mit Bescheid vom 20.6.1978 erstattet worden. Damit sei das Versicherungsverhältnis aufgelöst worden. Beitragszeiten
lägen nicht mehr vor, so dass eine weitere Beitragserstattung ausgeschlossen sei (Bescheid vom 1.2.2011; Widerspruchsbescheid
vom 16.5.2011).
Mit seiner Klage vom 16.6.2011 hat der Kläger sein Begehren unter Hinweis auf den Vorprozess weiter verfolgt und beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2011 zu verurteilen,
eine Beitragserstattung in Höhe von 13.203,10 DM (= 6.750,64 EUR) zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Obwohl die Akten über das Erstattungsverfahren nicht mehr vorgelegt werden können, sei die Beitragserstattung erfolgt. Aufgrund
der im maschinellen Versicherungsverlauf des Klägers gespeicherten Daten bestünden ausreichende Hinweise dafür, dass die Beitragserstattung
tatsächlich durchgeführt wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bestehe, wenn in das Versichertenverzeichnis eines Rentenversicherungsträgers ein Vermerk über eine erfolgte Beitragserstattung
eingetragen sei, eine Vermutung dafür, dass diese auch tatsächlich durchgeführt worden ist, wenn nicht Tatsachen festgestellt
werden, die diese Vermutung erschüttern. Solche Tatsachen habe der Kläger nicht vorgetragen.
Bei den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten befindet sich die Versichertenkarte des Klägers mit der "Stammkarte
für Ausländer - Arbeiter", in die in der Rubrik "Versicherungszeit und Arbeitsverdienst" (nur) der Beginn der Beschäftigung
"12.12.69" mit zwei bestätigenden Handzeichen eingetragen ist. Auf ihr befindet sich außerdem ein Stempelaufdruck "Beitragserstattung";
weitere Angaben finden sich auf der Stammkarte nicht. An die Versichertenkarte ist die Kopie einer Karte der Bundesknappschaft
(als damaliger Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung der Bergleute) über Leistungen an den Versicherten angeheftet,
auf der (lediglich) Leistungen aus den Jahren 1970 und 1971 vermerkt sind.
Das SG ist der Auffassung der Beklagten gefolgt und hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.2.2014, zugestellt am 7.3.2014).
Mit seiner Berufung vom 11.3.2014 hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Der Versicherte D habe ihn auf die Idee gebracht,
sich (wie viele andere) seine Rentenversicherung auszahlen zu lassen. Gehaltsabrechnungen aus der damaligen Zeit lägen ihm
nicht mehr vor. Er habe damals ein Konto (Gehaltskonto) in Deutschland gehabt. Er habe sich 1975 während eines Urlaubs in
der Türkei entschieden, nicht nach Deutschland zurückzukehren. Er habe 1975 nichts von einer Auszahlung gewusst, davon habe
er erst 2004 erfahren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.02.2014 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 01.02.2011
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2011 zu verurteilen, dem Kläger in der Zeit vom Dezember 1969 bis Juli
1975 entrichtete Pflichtbeiträge in Höhe von 6.750,64 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat ergänzend ausgeführt, dass die an die Stammkarte angeheftete Leistungskarte der knappschaftlichen Krankenversicherung
ein weiteres Indiz für eine durchgeführte Beitragserstattung sei. Im Zeitpunkt der Beitragserstattung habe ein Anspruch nur
bestanden, wenn seit dem Wegfall der Versicherungspflicht 2 Jahre verstrichen waren. Bei einem Antrag auf Beitragserstattung
sei routinemäßig in den Geschäftsstellen ermittelt worden, ob dort weitere Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung
dokumentiert wurden, die der Rentenversicherung noch nicht gemeldet worden seien. Das Vorhandensein der Leistungskarte der
knappschaftlichen KV sei ausschließlich auf diese Prüfung zurückzuführen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Senat den Kläger befragt und den Versicherten D als Zeugen gehört. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsakten der Beklagten
sowie die Vorprozessakten des SG Dortmund (Az S 6 KN 100/07) Bezug genommen. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
A. Die Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Entgegen der Auffassung des SG ist der Kläger durch den Bescheid vom 1.2.2011 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.5.2011, §
95 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) beschwert, §
54 Abs
2 S 1
SGG. Der ablehnende Bescheid ist rechtswidrig, weil dem Kläger der streitige Erstattungsanspruch zusteht.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 1.2.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.5.2011. Darin lehnt
die Beklagte einen Erstattungsanspruch ab, weil keine erstattungsfähigen Beiträge vorliegen. Dies folge daraus, dass "nach
den elektronisch gespeicherten Daten" die streitigen Beiträge bereits 1978 erstattet worden seien. Damit sei das Versicherungsverhältnis
aufgelöst; eine nochmalige Auszahlung sei nicht möglich. Die Beklagte wendet gegen den geltend gemachten Erstattungsanspruch
damit nicht ein, dieser sei bereits erfüllt, sondern - weiter reichend - es bestehe aufgrund eines früher durchgeführten (vollständigen)
Erstattungsverfahren kein Versicherungsverhältnis mehr, aus dem Ansprüche hergeleitet werden könnten, §
210 Abs
6 S 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI).
Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist begründet. Der - in der Höhe zu Recht von den Beteiligten mit EUR 6.750,64
bezifferte - Erstattungsanspruch des Klägers folgt aus §
210 Abs
1 Nr
1, Abs
3 S 1
SGB VI. Da der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung die für ihn geltende Regelaltersgrenze (65 Jahre, vgl §
235 Abs
2 Satz 1
SGB VI) noch nicht erreicht hatte, ist für sein Begehren nicht §
210 Abs
1 Nr
2 SGB VI, sondern §
210 Abs
1 Nr
1 SGB VI einschlägig. Danach werden Beiträge zur (deutschen) gesetzlichen Rentenversicherung auf Antrag solchen Versicherten erstattet,
die nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben. Weitere Voraussetzungen sind,
dass seit dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht 24 Kalendermonate abgelaufen sind und dass seither nicht erneut Versicherungspflicht
eingetreten ist, §
210 Abs
2 SGB VI.
Der Kläger hat den erforderlichen (gestaltenden) Antrag im Dezember 2004 gestellt. Sofern zu diesem Zeitpunkt die übrigen
Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, entsteht der Erstattungsanspruch. Da dieser keine wiederkehrende, sondern eine einmalige
Leistung betrifft (BSG SozR 4-2600 § 210 Nr 2 RdNr 10), ist für dessen Beurteilung (und seine rechtsgestaltende Wirkung) allein die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt
der wirksamen Antragstellung maßgeblich; spätere Änderungen sind nicht mehr zu berücksichtigen (stRspr, vgl BSGE 86, 262, 265 = SozR 3-2600 § 210 Nr 2 S 5 mwN; BSG SozR 4-2600 § 210 Nr 2 RdNr 15). Folglich ist ohne Belang, dass der Kläger zwischenzeitlich (im Jahr 2007) die Regelaltersgrenze erreicht hat.
Der Kläger hat zum Zeitpunkt der Antragstellung sämtliche Voraussetzungen für eine Beitragserstattung erfüllt: Er war aufgrund
der für ihn in den Jahren 1969 bis 1975 gezahlten Pflichtbeiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung "Versicherter"
iS der Vorschrift. Dieses Versicherungsverhältnis ist nicht durch eine frühere Beitragserstattung aufgelöst worden, §
210 Abs
6 S 2
SGB VI. Der Kläger war im Dezember 2004 in der deutschen Rentenversicherung "nicht versicherungspflichtig". Er hatte bei Antragstellung
auch nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung, §
210 Abs
1 Nr
1 Halbsatz 2
SGB VI. Nach §
7 Abs
1 S 1
SGB VI (in der bis heute unverändert geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18.12.1989, BGBl I 2261) können sich alle Personen, die "nicht versicherungspflichtig" sind, für Zeiten von der
Vollendung des 16. Lebensjahres an freiwillig versichern. Dies gilt nach dem persönlichen und räumlichen Anwendungsbereich
der Versicherung nur für Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (§
3 Abs
1 Nr
2 SGB IV) oder für Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben (§
7 Abs
1 S 2
SGB VI). Schließlich sind seit dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht 24 Monate abgelaufen, ohne dass (bis 2004) erneut Versicherungspflicht
eingetreten ist, §
210 Abs
2 SGB VI.
Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig, dass der Kläger aufgrund seiner Beschäftigung im deutschen Steinkohlenbergbau
und der anschließenden Rückkehr in seine türkische Heimat einen Erstattungsanspruch erworben hat. Die Beklagte wendet gegen
diesen Anspruch lediglich rechtsvernichtend ein, der Kläger habe sein Gestaltungsrecht auf Erstattung der gezahlten (Arbeitnehmer-)Beiträge
bereits 1977 ausgeübt und sie habe daraufhin den Erstattungsanspruch 1978 bereits erfüllt. Dadurch sei das Versicherungsverhältnis
aufgelöst worden, §
210 Abs
6 S 2
SGB VI. Damit wendet sie gegen den Anspruch ein, der Kläger sei im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung im Dezember 2004 nicht
mehr Versicherter gewesen. Streitig ist damit allein noch, ob ein früheres Beitragserstattungsverfahren zur Auflösung des
Versicherungsverhältnisses geführt hat, so dass der Kläger daraus keine Rechte mehr herleiten kann.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass 1977/78 eine Beitragserstattung erfolgt
ist. Die verbleibenden (Rest-)Zweifel wirken sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten aus.
Dieser Grundsatz besagt, dass der Nachteil der Nichterweislichkeit von Tatsachen sich zu Lasten desjenigen auswirkt, der aus
diesen Tatsachen Rechtsfolgen herleitet. Dies ist hier die Beklagte, die gegen den Erstattungsanspruch des Klägers - rechtsvernichtend
- einwendet, das Versicherungsverhältnis sei 1978 durch Beitragserstattung aufgelöst worden.
Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass nachweislich (1) ein Erstattungsantrag, (2) ein wirksamer Erstattungsbescheid
und (3) eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend §
362 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB)) vorliegen. Für die ordnungsgemäße und wirksame Durchführung einer Beitragserstattung trägt die Beklagte die objektive Beweislast
(vgl dazu, besonders zur Beweislast: BSGE 80, 41 ff = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6; vgl auch LSG NRW, Beschluss vom 21.9.2003, Az L 2 KN 19/03, und Urteil vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11 und zuletzt vom 19.8.2014, Az L 18 KN 63/10 und L 18 KN 45/11, alle bei [...]). Es kann offen bleiben, ob die rechtsgestaltende Wirkung der Beitragserstattung aus dem Erstattungsantrag
oder aus dem Erstattungsbescheid folgt (LSG NRW, Urteil vom 18.10.2001, Az L 2 KN 64/01 mwN) und unter welchen Voraussetzungen sich die Beklagte bei nicht erwiesener Erfüllung der Erstattungsforderung nach Treu
und Glauben darauf nicht (mehr) berufen kann. Denn hier ist weder erwiesen, dass der Kläger 1977 einen Antrag auf Erstattung
der Beiträge gestellt hat noch dass die Beklagte 1978 einen Erstattungsbescheid erlassen, dem Kläger wirksam bekannt gegeben
und ihre Erstattungsschuld erfüllt hat.
Allein aufgrund der im Versicherungskonto elektronisch gespeicherten Daten (dem so genannten "Gesamtkontospiegel"), der Einlassungen
des Klägers und der Aussage des Zeugen D sowie der Angaben in der "Stammkarte für Ausländer" steht nicht mit der erforderlichen,
an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) fest, dass
die drei genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten der beweisbelasteten Beklagten
ergänzend die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins (sog prima facie-Beweis) heranzieht. Diese Beweisregel gilt auch
im sozialgerichtlichen Verfahren (BSGE 8, 245, 247; 12, 242, 246; 19, 52, 54; Humpert in: Jansen.
Sozialgerichtsgesetz. 4. Aufl. 2012, §
128 Rdnr 7 mwN; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer.
SGG. 11. Auf 2014. §
128 RdNr 9 mwN; Pawlak in Hennig.
SGG. Stand Mai 2016. §
128 RdNr 96; Zeihe. Das
SGG und seine Anwendung. Stand April 2016. 3.G. vor §
103; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, L 18 (2) KN 42/08 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 32/10, vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11 und L 18 KN 120/12, vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11 und zuletzt vom 19.8.2014, Az L 18 KN 63/10 und L 18 KN 45/11, alle bei [...]). Sie besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine Tatsache geschlossen werden kann, die nach der
allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig Folge eines solchen Geschehensablaufs ist (BSG in: Breithaupt 1999, 357, 362; Keller. aaO. RdNr 9a). Dabei wird der (Voll )Beweis einer Tatsache vermutet, solange nicht
Tatsachen erwiesen sind, die den vermuteten typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen (vgl Humpert. AaO; Keller. AaO. RdNr
9e mwN; Pawlak. AaO. RdNrn 94, 99). Ein nachweislich durch eigenen Antrag eingeleitetes und durch bewilligenden Bescheid abgeschlossenes
Verwaltungsverfahren zur (vollständigen) Beitragserstattung lässt bei Fehlen entgegenstehender Tatsachen typischerweise den
Schluss zu, dass die geschuldete Leistung bewirkt worden ist (stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN
223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, alle bei [...], und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11 und L 18 KN 120/12, vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11, und zuletzt vom 19.8.2014, Az L 18 KN 63/10 und L 18 KN 45/11, alle bei [...]; außerdem: LSG NRW, Urteile vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03, sowie vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06; LSG Hamburg, Urteil vom 27.4.2006, Az L 6 RJ 89/04 mwN). Letzteres muss jedenfalls dann gelten, wenn die Leistungsbewirkung nicht substantiiert bestritten worden ist und sich
auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Leistungserbringung nicht zeitnah erfolgt ist (wie etwa zeitnahe Nachfragen
des Versicherten, wo das Geld bleibe, vgl LSG NRW, Urteile vom 17.2.1997, Az L 4 J 16/95, und vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03; Bayerisches LSG, Urteile vom 14.5.2002, Az L 19 RJ 3/02, und vom 8.12.2004, Az L 19 RJ 203/03). Auch von einem solchen typischen Geschehensablauf kann nicht ausgegangen werden, weil es bereits an Urkunden (oder sonstigen
Beweismitteln) fehlt, die einen Erstattungsantrag des Klägers belegen.
Urkundliche Unterlagen zu dem von der Beklagten behaupteten Erstattungsverfahren (zB Antrag(sformular), Erstattungsbescheid)
finden sich in den Akten nicht; dies gilt gleichermaßen für Nachweise über den Zugang eines Erstattungsbescheides sowie die
Auszahlung bzw Überweisung des Erstattungsbetrages. Die Beklagte stützt sich zum Nachweis eines ordnungsgemäß durchgeführten
Erstattungsverfahrens deshalb im Kern auf die im elektronischen Versicherungskonto des Klägers gespeicherten Daten. Diese
Daten allein genügen zur Überzeugung des Senats aber nicht, eine vollständige wirksame Beitragserstattung mit der erforderlichen,
an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen (grundlegend bereits: Urteil
des Senats vom 19.8.2014, Az. L 18 KN 45/11, s dazu den die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zurückweisenden Beschluss des BSG vom 2.4.2015, Az B 13 R 361/14 B). Sie lassen bestenfalls den Schluss auf einen intern abgelaufenen Verwaltungsvorgang zu und (im Übrigen) allenfalls als
möglich erscheinen, dass (außerdem) verfahrenseinleitend ein wirksamer Erstattungsantrag des betroffenen Versicherten gestellt
und ein Erstattungsbescheid an ihn ergangen ist (vgl zuletzt Senatsurteile vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11 und L 18 KN 120/12, vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11, und vom 19.8.2014, Az L 18 KN 63/10 und grundlegend: L 18 KN 45/11, alle bei [...]; zuvor insbesondere Urteile des 2. Senats des LSG NRW vom 16.12.2010, Az L 2 KN 169/09, vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06, und vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06, diese zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de). Zum Nachweis der wirksamen Antragstellung durch den Versicherten, des
Zugangs eines Erstattungsbescheids und der Erfüllung der Erstattungsforderung bedarf es in der Regel (mindestens) weiterer
feststehender Hilfstatsachen, die den Schluss auf die maßgeblichen Haupttatsachen (Antragstellung, Zugang eines Erstattungsbescheides,
Leistung mit befreiender Wirkung an den - ehemaligen - Versicherten) zulassen. Der abweichenden Auffassung des Bayerischen
LSG (zB Urteil vom 17.7.2013, Az L 13 R 275/12 sowie Urteil vom 18.11.2009, Az L 13 R 559/08, beide zitiert nach [...]) schließt sich der Senat nicht an, weil diese Rechtsprechung nicht erklärt, inwiefern sich aus
elektronisch gespeicherten Daten nach den maßgeblichen prozessualen Beweisgrundsätzen im Wege des Strengbeweises (vgl dazu
M. Kühl in: Breitkreutz-Fichte.
SGG. Kommentar. 2. Aufl. 2014, §
118 Rdnr 2) die Antragstellung, die Bekanntgabe des darin erwähnten Bescheids und die Erfüllung des festgestellten Erstattungsanspruchs
ergeben sollen.
Der Ausdruck des Gesamtkontospiegels, also der in dem von der Beklagten geführten elektronischen Versicherungskonto des Klägers
gespeicherten Daten, ist keine öffentliche Urkunde, aus der sich die genannten Haupttatsachen ergeben, weder eine öffentliche
Urkunde über Erklärungen nach §
118 Abs
1 S 1
SGG i.V.m. §
415 Abs
1 ZPO noch eine öffentliche Urkunde über eine amtliche Entscheidung nach §
417 ZPO. Allein mit einem solchen Ausdruck kann nicht bewiesen werden, dass die dort gespeicherten Vorgänge (Datum eines Antrags
sowie eines Bescheids, Erstattungszeitraum sowie -betrag) so wie dort gespeichert stattgefunden haben. Der Ausdruck kann insoweit
keine Urkunde sein, weil es sich lediglich um einen "Ausdruck" handelt, der (allenfalls) dokumentiert, dass die entsprechenden
Daten elektronisch gespeichert sind. Zur objektiven Richtigkeit der Daten besagt er nichts. Urkunden in diesem Sinne können
nur schriftliche Dokumente sein, von denen ein Original existiert bzw existiert hat, vgl §
435 ZPO. Beweiskraft kann einer Urkunde nur zukommen, wenn sie echt ist oder dies vermutet wird (§§
437 ff
ZPO; vgl Huber in: Musielak.
ZPO. 11. Aufl 2014. §
415 RdNr 2). Diese Anforderungen kann ein (beliebig wiederholbarer) Ausdruck elektronisch gespeicherter Daten von vornherein
nicht erfüllen.
Der Ausdruck des Gesamtkontospiegels steht auch nicht - selbst wenn er mit einem Beglaubigungsvermerk versehen wäre - nach
§
416a ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich. Nach dieser Vorschrift steht der mit einem Beglaubigungsvermerk
versehene Ausdruck eines öffentlichen elektronischen Dokuments gemäß §
371a Abs
3 ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich, wenn ihn eine öffentliche Behörde innerhalb der Grenzen ihrer
Amtsbefugnisse oder eine mit öffentlichem Glauben versehene Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der
vorgeschriebenen Form erstellt hat. Bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel, also den in dem Versicherungskonto gespeicherten
Daten, handelt es sich gerade nicht um ein öffentliches elektronisches Dokument nach §
371a Abs
3 S 1
ZPO. Danach sind öffentliche elektronische Dokumente (nur) elektronische Dokumente, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb
der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen
Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form erstellt worden sind. Die Regelung des §
416a ZPO soll gewährleisten, dass der Beweis durch Urkunden in Papierform auch dann geführt werden kann, wenn das Originaldokument
(nur) in elektronischer Form besteht. Die Vorschrift bestimmt, unter welchen Voraussetzungen dem Papier-Ausdruck eines bestimmten
elektronischen Dokuments die Wirkungen einer Urkunde zukommen können (Huber. AaO. § 416a RdNr 1). Daraus ergibt sich, dass
ein öffentliches elektronisches Dokument iS der §
371a Abs
3 S 1 und §
416a ZPO mit Ausnahme der Schriftlichkeit die Merkmale einer öffentlichen Urkunde iS der §§
415, 417 f
ZPO erfüllen muss, um mit diesen gleichgestellt werden zu können. Dies ist bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel nicht der
Fall.
Der elektronische Gesamtkontospiegel kann keiner öffentlichen Urkunde über Erklärungen nach §
415 Abs
1 ZPO gleichgestellt werden. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift erstreckt sich darauf, dass die Erklärung samt dem niedergelegten
Inhalt und den Begleitumständen (Zeit, Ort, Behörde, Urkundsperson) zutreffend und vollständig so wie beurkundet, bzw - bei
öffentlichen elektronischen Dokumenten - gespeichert, und nicht anders abgegeben wurde (Huber. AaO. § 415 RdNr 10). Daten
mit dieser Aussagekraft über bei der Beklagten abgegebene Erklärungen enthält der elektronische Gesamtkontospiegel nicht.
Der Kontospiegel gibt lediglich die Daten "Antrag 01.09.1977" wieder. Dies stellt die bloße Angabe dar, dass an dem genannten
Datum eine Erklärung gegenüber der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerin, der Bundesknappschaft, abgegeben worden sein soll.
Der tatsächliche Inhalt der Erklärung, der die Bewertung zulässt, es handele sich rechtlich um einen Antrag auf Erstattung
der zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge, ist dem Gesamtkontospiegel gerade nicht zu entnehmen. Auch
aus dem Umstand, dass die Beklagte diesen Antrag unter der "Schlüsselnummer" 1830, die nach Angabe der Beklagten für die Speicherung
von Beitragserstattungsverfahren gebraucht wird, gespeichert hat, kann nicht auf den Inhalt der abgegebenen Erklärung geschlossen
werden. Vielmehr muss sich aus dem öffentlichen elektronischen Dokument selbst die Erklärung mitsamt dem niedergelegten Inhalt
ergeben, damit sich die Beweiskraft nach §
415 Abs
1 ZPO hierauf erstrecken kann. Darüber hinaus geht die Zuweisung zu dieser "Schlüsselnummer" nicht auf den Erklärenden, sondern
auf die Beklagte zurück. Sie kann deshalb auch auf einer unzutreffenden Wertung einer Erklärung beruhen. Daneben ergibt sich
aus den Daten des elektronischen Gesamtkontospiegels auch nicht, wer den etwaigen "Antrag" gestellt haben soll, ob dies der
Kläger persönlich, ein Bevollmächtigter oder eine - uU nicht wirksam bevollmächtigte - dritte Person war. Da der Kläger nur
bis Mitte 1975 in Deutschland beschäftigt war und nach eigenen Angaben seither dauerhaft in der Türkei lebt, liegt nahe, dass
er sich im Zeitpunkt, an dem der Antrag gestellt worden sein soll, in der Türkei aufhielt, so dass durchaus möglich erscheint,
dass ein Dritter für ihn den (etwaigen) Antrag gestellt haben könnte. In diesem Fall müsste die Beklagte nachweisen, dass
diese dritte Person ordnungsgemäß vom Kläger bevollmächtigt worden ist (vgl dazu etwa die vom Zeugen D vorgelegte notarielle
Vollmacht vom November 2004). Die Person des Erklärenden sowie mögliche Vollmachten des Versicherten lassen sich den gespeicherten
Daten nicht entnehmen, so dass eine wirksame, dem Kläger zurechenbare Antragstellung dem elektronischen Gesamtkontospiegel
nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen ist.
Dem elektronischen Gesamtkontospiegel kann auch nicht die Beweiskraft von öffentlichen Urkunden über amtliche Anordnungen,
Verfügungen oder Entscheidungen nach §
417 ZPO zukommen, da er keine amtliche Entscheidung iS eines Verwaltungsakts ist. Im hier maßgeblichen Zusammenhang sind ihm lediglich
die Daten "Bescheid 20.6.1978", "Erstattung von 01.12.1969 bis 31.07.1975", "Erstattungsbetrag 0,00" sowie "ESBT-KN 013203,10"
zu entnehmen. Dies reicht nicht aus, um den elektronischen Gesamtkontospiegel einer öffentlichen Urkunde nach §
417 ZPO gleichstellen zu können. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift umfasst, dass die Anordnung, Verfügung oder Entscheidung
tatsächlich erlassen wurde und hierbei den Inhalt hat, der sich aus der Urkunde ergibt, und unter den in der Urkunde angegebenen
Umständen ergangen ist, also Beweis erbringt auch hinsichtlich Ort und Zeit (Krafka in: BeckOK
ZPO. Stand: 1.3.2016. §
417 RdNr 5). Der vorliegende Sachverhalt zeigt deutlich, dass sich aus dem elektronischen Gesamtkontospiegel nicht entnehmen
lässt, ob die dort gespeicherten Daten zuverlässige, sichere Rückschlüsse auf ihren Wahrheitsgehalt zulassen. So hat die Beklagte
den gespeicherten Daten offenbar entnommen, dass die DRV Westfalen das Beitragserstattungsverfahren durchgeführt habe, und
diese folglich um Übersendung der Versichertenkarte gebeten (Schreiben vom 10.11.2006). Die DRV Westfalen hat dazu mitgeteilt,
sie habe den Vorgang am 9.3.1978 an die Beklagte abgegeben und verfüge über keine Unterlagen mehr (Schreiben vom 21.11.2006).
Im Gesamtkontospiegel finden sich dazu ua die - mit diesem Sachverhalt nicht ohne weiteres in Übereinstimmung zu bringenden
- Angaben "1880 Ablehnung Beitragserstattung", "Antrag 01.09.1977" und "Bescheid 09.03.1978". Solche mit der Aktenlage nicht
(ganz) übereinstimmenden Angaben in einem Gesamtkontospiegel hat der Senat in zahlreichen anderen Verfahren ebenfalls feststellen
können (vgl zB das bereits mehrfach erwähnte Senatsurteil vom 19.8.2014, Az L 18 KN 45/11). Vor diesem Hintergrund ist der Senat nicht davon überzeugt, dass sich aus der bloßen Speicherung von Daten in einem elektronischen
Gesamtkontospiegel mit der nötigen Sicherheit entnehmen lässt, dass ein vollständiges Beitragsverfahren stattgefunden hat,
zumal sich darin grundsätzlich keine Angaben zur Bekanntmachung eines Erstattungsbescheides und Bewirkung der Leistung finden
lassen.
Im Wege des Augenscheinbeweises kann dem Ausdruck des elektronischen Gesamtkontospiegels allenfalls entnommen werden, dass
Bedienstete (oder Beauftragte) der Beklagten die Daten irgendwann eingegeben und gespeichert haben. Den sicheren Schluss auf
die entscheidungserheblichen Tatsachen lässt die Inaugenscheinnahme des elektronischen Gesamtkontospiegel bzw der Ausdrucke
nicht zu. Es kann daraus bestenfalls der - wahrscheinliche, da Eingabefehler nie ganz auszuschließen sind - Schluss gezogen
werden, dass zum Versichertenkonto des Klägers ein Vorgang existierte, den die Beklagte intern als "Erstattungsverfahren"
bewertet und bearbeitet hat.
Geschehensabläufe, die typischerweise den Schluss auf eine Beitragserstattung zulassen, sind danach nicht erwiesen. Dies gilt
selbst dann, wenn man in Rechnung stellt, dass die zur Beitragserstattung gespeicherten Daten durchaus eine gewisse Plausibilität
haben. Den letzten Pflichtbeitrag in Deutschland hat der Kläger im Juli 1975 entrichtet. Nach § 95 Abs 1 S 2 Reichsknappschaftsgesetz
war eine Beitragserstattung auch damals idR erst zwei Jahre nach Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung möglich.
Im Zeitpunkt der gespeicherten Antragstellung im September 1977 war diese Frist abgelaufen. Daraus lässt sich aber gerade
nicht typischerweise folgern, dass eine Beitragserstattung immer nach Ablauf der maßgeblichen Wartefrist wirksam durchgeführt
worden ist. So sind dem Senat (und damit auch der Beklagten) auch Fälle bekannt, in denen eine Beitragserstattung gar nicht
oder nicht zeitnah dokumentiert ist oder erst später vom Rentenversicherungsträger (zB anlässlich eines Rentenantrags) angeregt
worden ist. Hinzu kommt vorliegend, dass der Kläger - nach eigenen, durchgehend einheitlichen Angaben, bestätigt durch die
Aussage des Zeugen D und das Kündigungsschreiben des Arbeitgebers - nicht geordnet und planmäßig in die Türkei zurückgekehrt
ist, sondern ursprünglich nur eine Urlaubsreise beabsichtigt hatte, und erst auf Wunsch seiner Ehefrau dauerhaft in der Türkei
verblieben ist. Das lässt den Schluss zu, dass er sich bei dahin über eine Beitragserstattung überhaupt keine Gedanken gemacht
hatte.
Die persönlichen Angaben des Klägers im Termin sowie die Aussage des Zeugen D begründen im Gegenteil erhebliche Zweifel daran,
dass dem Kläger die Beiträge 1978 erstattet worden sind. Beide bekunden übereinstimmend, dass der Kläger den Zeugen D erst
spät ("2005/6") darum gebeten hat, für ihn einen Renten- oder Beitragserstattungsanspruch in Deutschland zu klären, und ihn
dann - notariell - bevollmächtigt hat, sich für ihn darum zu kümmern. Beide sind - nachdem die Beklagte auf eine Beitragserstattung
hingewiesen hatte - diesem Vorbringen nachgegangen. Der Zeuge hat in Deutschland mehrfach bei verschiedenen Stellen der Beklagten
vorgesprochen und in der Türkei zusammen mit dem Kläger mögliche Zahlungswege überprüft. Aus den Äußerungen des Klägers ergeben
sich (anders als in vielen anderen Verfahren) keine (mittelbaren) Hinweise auf eine Erstattung oder überhaupt den Erhalt eines
Geldbetrages (dies unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt zB von demjenigen, der dem Urteil des Bayerischen LSG vom 18.11.2009,
Az L 13 R 559/08, zugrunde lag, da der dortige Kläger "nach anfänglichem Zögern eingeräumt (hatte), er habe damals einen Geldbetrag erhalten;
er (hatte) diesen nur nicht als Beitragserstattung, sondern als Zahlung von Arbeitsentgelt" eingestuft). Er hat im Gegenteil
auf die gezielte Nachfrage im Termin ohne Zögern erklärt, er habe 1978 aus Deutschland kein Geld von der Beklagten erhalten.
Nach dem Vorbringen des Klägers ist überdies fraglich, wie eine Zahlung bewirkt worden sein soll. Der Kläger hatte zwar ein
Bankkonto in Deutschland, hat sich darum aber nach der plötzlichen Rückkehr in die Türkei nicht mehr gekümmert und überhaupt
keine Kontakte nach Deutschland mehr aufgenommen. In der Türkei hatte er niemals ein Bankkonto.
Der Senat hat nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung keine greifbaren Zweifel daran, dass der Zeuge und der Kläger
wahrheitsgemäße Angaben gemacht haben. Aus ihren Angaben ergeben sich aber - und das ist wesentlich - keine im Sinne des Beklagtenvorbringens
positiv ergiebigen Tatsachen.
Die Versichertenkarte (mit der Stammkarte für Ausländer) kann - ungeachtet des Beweiswerts im Übrigen - nicht wegen des Stempelaufdrucks
"Beitragserstattung" für einen typischen Geschehensablauf herangezogen werden. Zu dem Stempel "Beitragserstattung" fehlt zunächst
die - in vielen vergleichbaren Fällen vorhandene - handschriftliche Bestätigung mit Datum und Unterschrift. Damit korrespondiert,
dass auf der Karte nur der Beginn der Beschäftigung, nicht aber deren Ende vermerkt ist. Für eine Bearbeitung eines Vorgangs
"Beitragserstattung" ist aber erforderlich, das Ende der Beschäftigung zu kennen, um entscheiden zu können, auf welchen Zeitraum
sich die Beitragserstattung bezieht. Allein der Stempelaufdruck lässt damit durchaus die Möglichkeiten offen, dass jemand
irrtümlich davon ausgegangen ist, es handele sich um ein Beitragserstattungsverfahren, oder jemand den Vorgang aus sonstigen
Gründe nicht abgeschlossen hat.
Sonstige Hilfstatsachen, die den sicheren Schluss auf eine vollständige Beitragserstattung zulassen, liegen nicht vor. Insbesondere
die Tatsache, dass sich bei der Versichertenkarte die Ablichtung einer Leistungskarte der Knappschaft als gesetzlicher Krankenversicherung
des Klägers befindet, ist insoweit nicht positiv ergiebig. Sie enthält lediglich Angaben über Krankheitszeiten und Leistungen
in den Jahren 1970 und 1971, so dass nicht erkennbar ist, dass sie auch für die darauffolgende Zeit (negative) Informationen
enthält. Selbst wenn aber die - für den Senat nicht überzeugende und in keinem vergleichbaren Verfahren bisher zu Tage getretene
- Auffassung der Beklagten zuträfe, die Kopie könne nur im Zuge eines Beitragserstattungsverfahrens zur Versichertenkarte
gelangt sein, besagte dies nach dem zuvor Gesagten nichts über einen vom Kläger wirksam gestellten Erstattungsantrag und den
(vollständigen) antragsgemäßen Abschluss dieses Erstattungsverfahrens.
Es liegt schließlich kein Sachverhalt vor, der zu einer Umkehr der Beweislast oder einer Absenkung des Beweismaßstabs führte.
Der Beweisnotstand der Beklagten resultiert in erster Linie daraus, dass sie ihre etwaigen (Original-)Unterlagen zu dem von
ihr behaupteten Beitragserstattungsverfahren vernichtet hat, so dass ihr nur noch der elektronische Datenbestand des Versicherungskontos,
der Gesamtkontospiegel, zu Nachweiszwecken zur Verfügung steht. Aus dieser Vorgehensweise ergeben sich weder eine Absenkung
des Beweismaßstabs noch eine Umkehr der Beweislast oder eine der Beklagten zugutekommende Beweiserleichterung. In Fällen einer
Beweisnot (bei typischen und unverschuldeten Beweisschwierigkeiten) kann im sozialgerichtlichen Verfahren im Einzelfall zwar
eine Beweiserleichterung angenommen werden, so dass sich das Gericht über Zweifel hinwegsetzen und eine Tatsache als bewiesen
ansehen kann (BSG, Urteil vom 2.9.2004, Az B 7 AL 88/03 R, [...] RdNr 17; vgl auch Keller. aaO. § 128 RdNr 3e mwN). Selbst wenn ein typischer und unverschuldeter Beweisnotstand vorläge,
wäre der Senat jedoch weder befugt, den Beweismaßstab zu verringern (BSG, Urteil vom 27.5.1997, Az 2 RU 38/96, [...] RdNr 25; Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte.
SGG. Kommentar. 2. Aufl. 2014, § 128 Rdnr 7), noch träte eine Umkehr der Beweislast ein (BSG, Beschluss vom 4.2.1998, Az B 2 U 304/97 B, [...] RdNr 4; Breitkreuz. AaO). Nach den dargestellten Grundsätzen können die Beweisschwierigkeiten der Beklagten nicht
dazu führen, dass zu ihren Gunsten Beweiserleichterungen eingreifen, so dass an den Beweis der ordnungsgemäßen Beitragserstattung
weniger hohe Anforderungen gestellt werden könnten.
Es handelt sich weder um typische noch um unverschuldete Beweisschwierigkeiten. Typische Beweisschwierigkeiten sind solche,
die auf den Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts basieren, also etwa regelmäßig eintreten, wenn Versicherte, die im
Ausland leben, Rentenleistungen beantragen. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist dem Senat aus vielen vergleichbaren
Verfahren bekannt, dass andere Rentenversicherungsträger, gelegentlich auch die Beklagte selbst, noch über Unterlagen zu Beitragserstattungsverfahren
verfügen, selbst wenn diese vor langer Zeit stattgefunden haben. Dies beruht offenbar auf der weisen Entscheidung, Unterlagen
auch nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen aufzubewahren, wenn sie zum Nachweis der darin urkundlich belegten Tatsachen noch
benötigt werden. Es liegen damit auch keine unverschuldeten Beweisschwierigkeiten vor, da die Beklagte diese selbst dadurch
herbeigeführt hat, dass sie die Unterlagen zu dem behaupteten Beitragserstattungsverfahren vernichtet hat.
Überdies dürfte der Beklagten auch klar sein, dass die im vorliegenden Fall erwiesene Tatsachenlage nicht ausreicht, um den
Beweis einer durchgeführten Beitragserstattung zu führen. So hat sie im Vorprozess selbst vorgetragen, 1979 sei in einer Büroverfügung
geregelt worden, dass die Akten in Beitragserstattungsfällen für die Dauer von 6 Jahren aufzubewahren seien. Aufgrund höchstrichterlicher
Rechtsprechung (BSG. Urt v 29.1.1997, Az 5 RJ 52/94) sei allerdings "zur Vermeidung von Vermögensschäden" die Arbeitsanweisung der Beklagten am 26.11.1998 ergänzt worden (Schreiben
vom 6.9.2010 im Verfahren S 6 KN 100/07). Außerdem hat sie 2007 einen "Musterbrief, wenn behauptet wird, dass das Geld aufgrund eines alten Erstattungsbescheides
nicht angekommen ist" entworfen. Darin heißt es ua, "Der Bescheid wurde mit Einschreiben/Rückschein zugestellt, die Auszahlung
erfolgte per Scheck über eine Bank Ihres Wohnortes an Ihre damalige Adresse [ ...] auf das von Ihnen angegebene Konto [ ...]".
Diese Beispiele machen deutlich, dass auch nach den verschiedenen von der Beklagten angelegten Maßstäben die zur Beweisführung
erforderlichen Tatsachen vorliegend nicht bewiesen sind.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 S 1, 193 Abs
1 S 1
SGG.
C. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, §
160 Abs
2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.