Keine Streitwertfestsetzung in einem Rechtsstreit über eine Rückzahlungsforderung von vorläufig bewilligtem Kurzarbeitergeld
im sozialgerichtlichen Verfahren
Kostenfreiheit des Arbeitgebers im Hinblick auf seine Verfahrens- und Prozessstandschaft für den Arbeitnehmer
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die Ablehnung der Festsetzung eines Streitwertes.
Im zu Grunde liegenden Verfahren vor dem Sozialgericht Aachen stritten die Beteiligten um eine Rückzahlung von vorläufig gezahltem
Kurzarbeitergeld. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 06.05.2013 in Fassung des Änderungsbescheides vom 10.04.2014 sowie
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2016 Kurzarbeitergeld für zahlreiche Arbeitnehmer der Klägerin endgültig fest
und forderte zuvor vorläufig bewilligtes Kurzarbeitergeld i.H.v. 482.085,14 € nach §
328 Abs.
3 Satz 2
SGB III von der Klägerin zurück. Das dagegen geführte Klageverfahren S 10 AL 136/19 endete mit einem Anerkenntnis der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 07.08.2020, welches die Klägerin annahm.
Im September 2020 beantragte die Klägerin, den Streitwert für das erledigte Klageverfahren auf 482.085,14 € festzusetzen.
Eine Festsetzung sei notwendig, weil die Beteiligten nicht nach §
183 SGG kostenprivilegiert seien, so dass Gerichtskosten anfielen. Es sei in den angefochtenen Bescheiden nicht nur über den von
ihr für ihre Arbeitnehmer gestellten Antrag auf Kurzarbeitergeld entschieden worden, sondern zugleich über eine Rückzahlung
von nach Ansicht der Beklagten zu Unrecht ausgezahltem Kurzarbeitergeld durch die Klägerin. Hinsichtlich des gegen die Klägerin
unmittelbar geltend gemachten Rückzahlungsanspruchs handele es sich nicht um einen Fall, in dem Rechte der nach §
183 SGG kostenprivilegierten Arbeitnehmer in Prozessstandschaft geltend gemacht würden. Die Klägerin aber falle nicht unter §
183 SGG , und es sei - vergleichbar der in Ziff. B.II.6.2. des Streitwertkatalogs für die Sozialgerichtsbarkeit berücksichtigten
Erstattungspflicht des Arbeitgebers - der Wert der Rückzahlungsforderung maßgeblich.
Mit Beschluss vom 14.10.2020 hat das Sozialgericht die von der Klägerin beantragte Festsetzung eines Streitwertes auf 482.085,14
€ abgelehnt. Das GKG finde nach §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG hinsichtlich der Kosten des Verfahrens nur dann Anwendung, wenn in einem Rechtszug weder Kläger noch Beklagter zu den in
§
183 SGG genannten Personen gehörten. Die Klägerin gehöre jedoch zu diesem Personenkreis, für den Gerichtskostenfreiheit bestehe.
Kurzarbeitergeld sei eine Sozialleistung, die der jeweilige Arbeitnehmer beanspruchen könne. Gesetzlich sei allein der Durchführungs-
bzw. Auszahlungsweg so geregelt, dass Arbeitgeber oder Betriebsvertretungen die Kurzarbeit anzeigten und Kurzarbeitergeld
beantragten; diese machten insofern als Verfahrens- oder Prozessstandschafter der Arbeitnehmer den Anspruch geltend. Bleibe
das Kurzarbeitergeld gleichwohl Sozialleistung, folge daraus, dass auch derjenige, der den Anspruch gerichtlich geltend mache,
zu den Leistungsempfängern i.S.d. §
183 SGG zähle. Der Hinweis der Klägerin auf das Rückzahlungsverlangen der Beklagten ändere daran nichts. Denn auch im Erstattungsverfahren
seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld zu prüfen und bildeten deshalb die Grundlage für eine Zuordnung
zu den Verfahren nach §§
193 , 183
SGG .
Gegen den am 26.10.2020 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 26.11.2020 Beschwerde eingelegt. Als Arbeitgeberin gehöre
sie im Verfahren S 10 AL 136/19 nicht zu den in §
183 SGG abschließend genannten, kostenprivilegierten Personen. Es handele sich auch nicht um einen Fall von Prozessstandschaft. Versicherter
sei jeder Beteiligte, über dessen Status als Versicherter gestritten werde. Es sei im zu Grunde liegenden Verfahren jedoch
nicht um Rechte und Pflichten aus dem Versichertenstatus gegangen. Sie - die Klägerin - sei vielmehr auf Rückzahlung von 482.085,14
€ in Anspruch genommen worden, weil sie bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld vermeintlich falsche Angaben gemacht habe.
Der Anspruch nach §
328 Abs.
3 Satz 2
SGB III richte sich unmittelbar gegen den Arbeitgeber, so dass keine Prozessstandschaft für die Arbeitnehmer bestehe. Bereits Entstehungsgeschichte
sowie Sinn und Zweck des §
183 SGG sprächen dafür, die Kostenprivilegierung Personen einzuräumen, die eines entsprechenden sozialen Schutzes bedürften, hingegen
§
197a SGG zur Anwendung zu bringen, wenn diese Schutzbedürftigkeit nicht bestehe. Letzteres sei etwa der Fall bei Streitigkeiten zwischen
einem Sozialleistungsträger und einem Arbeitgeber; um eine solche Streitigkeit gehe es jedoch hier, weil sich der Anspruch
aus §
328 Abs.
3 Satz 2
SGB III gegen den Arbeitgeber richte. Werde ein Arbeitgeber zu Umlagezahlungen herangezogen, sei er nicht Versicherter i.S.v. §
183 SGG , auch wenn es um die Versicherungen der Beschäftigten gehe. Die Zahlung von Kurzarbeitergeld, also die Leistungspflicht
des Sozialleistungsträgers, bei der ein Fall der Prozessstandschaft vorliege, sei insofern von der Rückzahlungspflicht zu
unterscheiden, welche die Beklagte hier geltend gemacht habe.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 14.10.2020 zu ändern und einen Streitwert i.H.v. 482.085,14 € festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf den angefochtenen Beschluss. Dass eine Rückzahlungsforderung streitig gewesen sei, ändere nichts an der
Prozessstandschaft, zumal eine solche Forderung aus der endgültigen Festsetzung der Leistung resultiere ( §
328 Abs.
3 Satz 2
SGB III ). Eine Beschränkung auf Streitigkeiten über aus dem Versichertenstatus folgende Rechte und Pflichten finde sich im Wortlaut
des §
183 SGG nicht.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 09.02.2021 der Beschwerde nicht abgeholfen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der dieser Entscheidung zu Grunde liegt.
II.
1. Der Senat entscheidet über die Beschwerde der Klägerin (der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 GKG ) in der Besetzung mit drei Berufsrichtern.
a) Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss über die Festsetzung eines Streitwerts entschieden, auch wenn es
eine solche Festsetzung gerade abgelehnt hat. Es handelt sich um eine Entscheidung nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG . Danach setzt das Prozessgericht, soweit - wie hier - eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 GKG (Wertfestsetzung für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels) nicht ergeht, den Wert
für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder
sich das Verfahren anderweitig erledigt hat. Der nach § 63 GKG gerichtlich festgesetzte Streitwert ist nach § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend.
b) § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 HS 2 GKG (wonach das Gericht über die Beschwerde durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet, wenn die angefochtene
Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde) ist von vornherein nicht anwendbar. Denn ein
Kammervorsitzender eines Sozialgerichts ist nicht "Einzelrichter" im Sinne der Vorschrift ( LSG NRW, Beschlüsse vom 03.09.2009
- L 8 B 12/09 R Rn. 5 m.w.N., sowie vom 17.12.2009 - L 11 B 7/09 KA Rn. 5 f.). Wollte man stattdessen der Ansicht folgen, der Senat des Landessozialgerichts entscheide grundsätzlich durch
eines seiner Mitglieder als Einzelrichter (so etwa Stotz in jurisPK-
SGG, 1. Auflage 2017, Stand 15.04.2019, §
197a SGG Rn. 63, allerdings ohne Auseinandersetzung mit der Ansicht des LSG NRW), so wäre im vorliegenden Fall jedenfalls eine Übertragung
auf den Senat nach § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG (ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter; § 66 Abs. 6 Satz 3 GKG) angezeigt, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. dazu Stotz, a.a.O.).
2. Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere wurde die Frist des § 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG eingehalten. Auch ist der Mindestbeschwerdewert nach § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG (mehr als 200 €) erreicht.
3. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, einen Streitwert festzusetzen.
Nach §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG werden, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in §
183 SGG genannten Personen gehört (oder es sich - anders als hier) um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens i.S.v.
§
202 Satz 2
SGG handelt), Kosten nach den Vorschriften des GKG erhoben; die §§
184 bis
195 SGG finden keine Anwendung. In solchen Verfahren ist deshalb nach Maßgabe des GKG ein Streitwert festzusetzen.
Die Klägerin gehört jedoch i.S.d. §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG zu den in §
183 SGG genannten Personen, für die das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich (gerichts-)kostenfrei
ist und es keiner Streitwertfestsetzung bedarf.
a) Bei der Gewährung von Kurzarbeitergeld wird der Arbeitgeber für die Abwicklung des Verfahrens kostenlos in Dienst genommen
und als Treuhänder der Arbeitnehmer tätig; seine Verfahrens- und Prozessstandschaft schließt die Arbeitnehmer von einer eigenen
Geltendmachung ihrer Rechte aus ( BSG, Urteil vom 25.06.1998 - B 7 AL 126/95 R zu Wintergeld/Schlechtwettergeld nach dem AFG; siehe auch Kador in Eicher/Schlegel,
SGB III, Loseblatt, Stand April 2020, §
328 Rn. 92). Aus der Prozessstandschaft für die Arbeitnehmer ergibt sich, dass für das vom Arbeitgeber geführte sozialgerichtliche
Verfahren Kostenfreiheit nach §
183 SGG besteht und der Anwendungsbereich des §
197a SGG nicht eröffnet ist ( BSG, Urteil vom 21.07.2009 - B 7 AL 3/08 R Rn. 22; Müller-Grunde in jurisPK-
SGB III, 2. Aufl. 2019, Stand 29.12.2020, §
95 SGG Rn. 37.1).
b) Bei der (im vorliegenden Verfahren betroffenen) Rückzahlung vorläufig erbrachten Kurzarbeitergeldes stellt §
328 Abs.
3 Satz 2
SGB III (der als Sonderregelung die allgemeine Erstattungsvorschrift des § 50 SGB X verdrängt; Düe in Brand,
SGB III, 8. Auflage 2018, § 328 Rn. 27; BSG, a.a.O. Rn. 21) zwar auf die Rückzahlung "vom Arbeitgeber" ab. Wenn die Vorschrift für das Kurzarbeitergeld (und das Wintergeld)
eigens regelt, dass auf Grund einer vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen vom Arbeitgeber zurückzuzahlen sind, so
nimmt dies jedoch wiederum darauf Rücksicht, dass der Arbeitgeber im Leistungsverfahren die Stellung eines Treuhänders seiner
Arbeitnehmer hat; die Regelung stellt so klar, dass der Arbeitgeber diese Stellung auch hat, soweit vorläufige Leistungen
zu erstatten sind (Düe, a.a.O. unter Hinweis auf BT-Drs. 13/8994 zu Nr. 42a; ebenso Schmidt-De Caluwe in NK-
SGB III, 7. Auflage 2021, §
328 Rn. 58). Auch wenn es sich um einen unmittelbar gegen den Arbeitgeber (und nicht gegen die Arbeitnehmer) gerichteten Rückzahlungsanspruch
handelt und man die Begründung des Gesetzgebers (in BT-Drucks., a.a.O) deshalb für rechtlich nicht treffsicher halten mag
(in diesem Sinne Kador, a.a.O. Rn. 91), nimmt der Gesetzgeber den Arbeitgeber auch für die Rückzahlung deshalb in Anspruch,
weil dies den Besonderheiten des Kurzarbeitergeldverfahrens entspricht (so auch Kador, a.a.O. Rn. 92). Nach dem gesetzgeberischen
Willen setzt sich die kostenlose Indienstnahme des Arbeitgebers zur Entlastung seiner Arbeitnehmer insoweit konsequent fort.
Dies führt auch im Rückzahlungsverfahren zur Anwendung des §
183 SGG .
c) Soweit die Klägerin ihre gegenteilige Ansicht durch den Streitwertkatalog der Sozialgerichtsbarkeit (zu B.II.6.2 = Abrechnungsbescheid
zur Erstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 147a
SGB III i.d.F. bis 31.03.2012; danach maßgebend der Wert der Erstattungsforderung) gestützt sieht, so betraf die in dieser Vorschrift
geregelte Erstattungspflicht des Arbeitgebers Arbeitslosengeld für Arbeitnehmer, die als Zugehörige rentennaher Jahrgänge
arbeitslos geworden waren. Der Arbeitgeber fungierte in diesen Fällen von vornherein nicht als Verfahrens- oder Prozessstandschafter
des Arbeitnehmers; der gesetzgeberische Grund für die Erstattungspflicht (Überlassen älterer Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit,
ohne dass dem Arbeitgeber ein in der Vorschrift näher geregelter Entlastungsgrund zur Seite stand) war mit demjenigen in Fällen
des §
328 Abs.
3 Satz 2
SGB III von vornherein nicht vergleichbar. Der Arbeitnehmer behielt in Fällen des § 147a
SGB III das ihm rechtmäßig bewilligte Arbeitslosengeld. Der Arbeitgeber entlastete lediglich im Umfang seiner gesetzlichen Erstattungspflicht
die Versichertengemeinschaft von den Kosten der beim Arbeitnehmer eingetretenen Arbeitslosigkeit. Insofern waren der Anspruch
auf Arbeitslosengeld und der Erstattungsanspruch nicht "wesensgleich". Die Rückzahlungspflicht gemäß §
328 Abs.
3 Satz 2
SGB III betrifft hingegen vorläufig (über den Arbeitgeber) ausgezahltes Kurzarbeitergeld, auf das der Arbeitnehmer letztlich keinen
Anspruch hatte; vorläufig gezahltes Kurzarbeitergeld und Rückzahlungsanpruch sind insoweit gerade wesensgleich.
d) Kann nach allem der Arbeitgeber nach §
183 SGG das sozialgerichtliche Verfahren um eine Rückzahlung nach §
328 Abs.
3 Satz 2
SGB III gerichtskostenfrei führen, so bedeutet das im Rahmen des RVG, dass statt Wertgebühren Rahmengebühren für die sozialrechtliche Verfahrensvertretung anfallen. In Fällen geringer Rückzahlungsforderungen
kann dies im Vergleich zu Wertgebühren höhere Anwaltsgebühren verursachen, in Fällen hoher Rückzahlungsforderungen niedrigere.
4. Das Verfahren ist gebührenfrei ( § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG ). Kosten werden nicht erstattet ( § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG ).
5. Gegen diesen Beschluss findet eine Beschwerde nicht statt (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG ). Die Zulassung einer weiteren Beschwerde an das Bundessozialgericht ist ausgeschlossen (Schmidt in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
197 Rn. 7i m.w.N., und § 197a Rn. 5; Stotz, a.a.O.).