Insolvenzgeld
Rechtzeitige Antragstellung
Materiell-rechtliche Ausschlussfrist
Nachfrist
Selbst zu vertretender Grund
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Insolvenzgeld für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis 31.05.2011.
Der 1963 geborene Kläger war seit dem 31.05.2010 befristet bis zum 31.05.2011 bei der H GmbH (im Folgenden: Arbeitgeberin)
in E als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Die monatliche Bruttovergütung betrug 1.500,00 EUR (netto 1.186,87 EUR). Am 16.03.2011
erhielt er das Arbeitsentgelt für den Monat Februar ausgezahlt, außerdem erhielt er am 30.03.2011 einen Vorschuss i.H.v. 500,00
EUR für den Monat April 2011. Danach wurde ihm kein Lohn mehr ausgezahlt. Die daraufhin vom Kläger vor dem Arbeitsgericht
Düsseldorf - dort vertreten durch seine auch im vorliegenden Verfahren Bevollmächtigten - angestrengte Lohnzahlungsklage endete
durch ein Teil- sowie ein Schlussversäumnisurteil vom 26.05.2011 bzw. 14.07.2011 (11 Ca xxx/11). Die Arbeitgeberin wurde darin
verurteilt, an den Kläger die noch ausstehende Vergütung für den Monat März 2011 i.H.v. 1.500,00 EUR brutto abzüglich am 30.03.2011
gezahlter 500 EUR sowie für die Monate April und Mai 2011 i.H.v. jeweils 1.500,00 EUR brutto zu zahlen.
Im Juni 2011 stellte die Beklagte auf die wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge gestellten Anträge mehrerer Einzugsstellen
mit interner Verfügung fest, die Arbeitgeberin habe ihre Betriebstätigkeit zum 15.01.2011 eingestellt. Die Voraussetzungen
des §
183 Abs.
1 Nr.
3 SGB III alter Fassung (jetzt: §
165 Abs.
1 Nr.
3 SGB III) lägen seither vor; insolvenztag sei der 15.01.2011. Dies teilte sie den anfragenden Einzugsstellen mit.
Die vom Kläger eingeleitete Vollstreckung - ebenfalls betrieben durch seine Bevollmächtigten - verlief erfolglos. Mit Schreiben
vom 24.02.2012 - bei den Bevollmächtigten eingegangen am 28.02.2012 - teilte der zuständige Obergerichtsvollzieher mit, über
das Vermögen der Arbeitgeberin sei am 02.02.2012 das Insolvenzverfahren unter dem Aktenzeichen xxx bei dem Amtsgericht Düsseldorf
eröffnet worden. Dieses Vollstreckungsprotokoll übersandte der Prozessbevollmächtigte dem Kläger.
Tatsächlich wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin durch Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf am
28.03.2012 eröffnet (xxx).
Mit Schreiben vom 09.05.2012 wandte sich die BKK Verkehrsbau Union an den Kläger und bat um die Abgabe einer eidesstattlichen
Erklärung hinsichtlich seines letzten Arbeitstages bei der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin habe ihn bis zum 31.05.2011 angemeldet;
am 14.01.2011 sei das Gewerbe indes abgemeldet worden. Er sei somit über das Insolvenzereignis hinaus bei der Firma beschäftigt
bzw. gemeldet gewesen.
Am 21.06.2012 beantragte der Kläger über seine Bevollmächtigten die Gewährung von Insolvenzgeld durch die Beklagte für den
streitbefangenen Zeitraum. Er sei bislang von einem Insolvenzereignis am 02.02.2012 ausgegangen. Durch das Schreiben der BKK
Verkehrsbau Union habe er nunmehr Kenntnis von der Gewerbeabmeldung am 14.01.2011 erhalten, so dass er über das Insolvenzereignis
hinaus bei der Arbeitgeberin beschäftigt gewesen sei und daher nunmehr Insolvenzgeld begehre.
Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.10.2012 ab. Sie habe von Amts wegen als maßgebliches Insolvenzereignis (Betriebseinstellung
wegen offensichtlicher Masselosigkeit) den 15.01.2011 festgesetzt. Der Kläger habe daher die zweimonatige Frist nach §
324 Abs.
3 S. 1
SGB III zur Beantragung von Insolvenzgeld versäumt. Eine Nachfrist nach §
324 Abs.
3 S. 2
SGB III könne zwar eingeräumt werden, weil der Kläger erst durch das Schreiben des Gerichtsvollziehers vom 24.02.2012 Kenntnis von
dem anhängigen Insolvenzverfahren erhalten habe; ein Hinderungsgrund, Insolvenzgeld zu beantragen, sei damit weggefallen.
Die Nachfrist habe daher am 29.02.2012 begonnen und mit Ablauf des 30.04.2012 geendet. Der Antrag durch den Bevollmächtigten
des Kläger sei aber mit Schreiben vom 19.06.2012 - bei der Beklagten eingegangen am 21.06.2012 - und somit nach Ablauf der
Nachfrist gestellt worden. Das Versäumnis der Bevollmächtigten müsse sich der Kläger zurechnen lassen.
Der Kläger legte am 31.10.2012 Widerspruch ein und gab zur Begründung an, eine Antragstellung nach Kenntnis des Insolvenzverfahrens
Ende Februar/Anfang März 2012 sei ihm mangels Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen gar nicht möglich gewesen. Denn die
Ansprüche seien - ausgehend von einem Insolvenzereignis am 02.02.2012 - bereits ca. ein Jahr alt gewesen und hätten somit
nicht für die dann drei zurückliegenden Monate Dezember 2011 bis Februar 2012 geltend gemacht werden können. Die Beklagte
wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2013 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 06.03.2013 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben. Er hat weiter die Auffassung vertreten,
eine Antragstellung Ende Februar/Anfang März 2012 sei mangels Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen nicht möglich gewesen,
da sich die offenen Lohnansprüche nicht auf die vorausgegangenen drei Monate vor dem Insolvenzereignis (dem 02.02.2012) bezogen
hätten. Erst durch das Schreiben der BKK Verkehrsbau Union habe er Kenntnis von dem "richtigen" Insolvenzereignis Mitte Januar
2011 erhalten. Die zweimonatige Nachfrist beginne daher erst mit Zugang dieses Schreibens.
Der Kläger hat nach der Antragsfassung des Sozialgerichts schriftlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2013 zu verurteilen,
ihm Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.03.2011 bis zum 31.05.2011 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Ausschlussfrist nach dem Insolvenzereignis am 15.01.2011 und die eingeräumte zweimonatige
Nachfrist seien ausgehend von der am 28.02.2012 erhaltenen Mitteilung des Insolvenzereignisses nicht eingehalten worden. Grundlage
für die interne Entscheidung zur Feststellung des Insolvenzereignisses seien die Gewerbeabmeldung der Arbeitgeberin zum 14.01.2011
sowie eine im November 2010 erfolglos durchgeführte Vollstreckungshandlung wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge
durch das Hauptzollamt gewesen. Außerdem machten verschiedene Einzugsstellen im Wege des Insolvenzgeldes rückständige Beiträge
zur Sozialversicherung geltend.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 01.10.2015 (dem Kläger zugestellt am 19.10.2015) hat das Sozialgericht die Klage
abgewiesen. Unabhängig davon, ob man den 15.01.2011, den 02.02.2012 oder den 28.03.2012 als tatsächliches Insolvenzereignis
zugrundelege, habe der Bevollmächtigte des Klägers mit dem Eingang des Vollstreckungsprotokolls am 28.02.2012 Kenntnis von
einem Insolvenzereignis erlangt, durch das entgegen seiner fehlerhaften Rechtsauffassung durchaus ein Anspruch auf Insolvenzgeld
habe entstehen können. Da die Kenntnis des Bevollmächtigten dem Kläger zuzurechnen sei, sei so die Nachfrist des §§
344 Abs.
3 S. 2
SGB III in Gang gesetzt worden. Auch ein Verschulden sei zu bejahen. Die Begründung, dass nach der Mitteilung von einem Antrag abgesehen
wurde, weil seinerzeit die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten und erst mit Kenntnis des "richtigen" Insolvenzereignisses
die Aussicht auf einen Insolvenzgeldanspruch bestanden habe, halte einer juristischen Überprüfung nicht stand. Denn der Anspruch
auf Insolvenzgeld sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf die drei Monate unmittelbar vor dem Insolvenzereignis
beschränkt. Wenn das Arbeitsverhältnis bereits vor dem Insolvenzereignis geendet habe, erstrecke sich der Insolvenzgeldzeitraum
vielmehr über die letzten drei kalendermäßig ablaufenden Monate vor dem letzten Tag des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis.
Aus Sicht des Empfängers des Vollstreckungsprotokolls habe daher durchaus erfolgversprechend ein Antrag auf Insolvenzgeld
gestellt werden können. Selbst bei Beibehaltung der fehlerhaften Rechtsauffassung wäre es im Rahmen anwaltlicher Fürsorge
dringend geboten gewesen, den kostenfreien Antrag zumindest vorsorglich zu stellen. Der Kläger habe seinen Anwalt auch nicht
nur im Arbeitsrechtsstreit, sondern auch mit der Vollstreckung beauftragt; der Rechtsirrtum sei ihm demgemäß auch zuzurechnen.
Auf das Schreiben der BKK komme es nach alledem nicht mehr an.
Hiergegen hat der Kläger am 19.10.2015 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, dass die Versäumung der Antragsfrist
unverschuldet gewesen sei. Nach den Formularen und Broschüren der Beklagten werde stets auf §
165 Abs.
1 SGB III abgestellt, wonach der Antrag auf Insolvenzgeld innerhalb von zwei Monaten nach Kenntnis des Insolvenzereignisses gestellt
werden müsse. Das einzig maßgebliche Insolvenzereignis sei unbestritten die Einstellung der Betriebstätigkeit der ehemaligen
Arbeitgeberin im Januar 2011, von der er allerdings erst im Mai 2012 positiv Kenntnis erlangt habe. Unabhängig davon, ob er
anwaltlich vertreten gewesen sei, habe er nach dem reinen Gesetzeswortlaut bei Kenntniserlangung von einer Insolvenzeröffnung
im Februar 2012 keinen Anspruch auf Insolvenzgeld, da die zurückliegenden Monate nicht mehr von Arbeitstätigkeit geprägt gewesen
seien; das Arbeitsverhältnis habe bereits ein Jahr zuvor geendet. Grundsätzlich gehe auch die Beklagte vom Insolvenzereignis
im Januar 2011 aus; bei der Beantragung von Insolvenzgeld und der damit maßgeblich beginnenden zweimonatigen Frist gehe sie
dann allerdings von dem Insolvenzereignis im Februar 2012 aus. Dies sei willkürlich und contra legem.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 01.10.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.10.2012
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2013 zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.03.2011 bis zum
31.05.2011 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Soweit sich der Kläger auf Ausführungen in einem Merkblatt beziehe,
sei nicht zu erkennen, wie diese Ausführungen dazu beigetragen haben könnten, dass er seinen Antrag auf Insolvenzgeld erst
so spät gestellt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige, insbesondere statthafte (§
144 Abs.
1 Nr.
1 SGG) und fristgerecht erhobene (§
151 SGG) Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert i.S.d.
§
54 Abs.
2 S. 1
SGG. Denn er hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Insolvenzgeld im Zeitraum vom 01.03.2011 bis zum 31.05.2011.
1. Die als Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 S. 1, Abs.
4, §
56 SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet.
Nach §
165 Abs.
1 SGB III (inhaltsgleich: §
183 Abs.
1 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt
waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Nr. 1), bei Abweisung des Antrags auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr. 2) oder bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland,
wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich
mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr. 3) - Insolvenzereignis - für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses
noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Insolvenzgeld ist nach §
324 Abs.
3 SGB III innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen.
a) Dem Kläger ist zwar Arbeitsentgelt ausgefallen. Zuletzt hatte er im März 2011 das Gehalt für den Monat Februar 2011 sowie
einen Vorschuss i.H.v. 500,00 EUR erhalten; weitere Gehaltszahlungen bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.05.2011 hat
er trotz Titulierung durch Teil- und Schlussversäumnisurteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.05. bzw. 14.07.2011 nicht
erhalten. Der Kläger hat somit noch Anspruch auf Arbeitsentgelt für drei volle Monate abzüglich des Vorschusses.
b) Auch liegt ein Insolvenzereignis i.S.d. §
165 Abs.
1 SGB III vor; denn über das Vermögen der Arbeitgeberin ist am 28.03.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet worden (Amtsgericht Düsseldorf
- xxx).
Ob bereits zuvor am 15.01.2010 ein Insolvenzereignis wegen vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit eingetreten ist,
so wie die Beklagte dies von Amts wegen angenommen hat, kann im Ergebnis offen bleiben. Hiergegen spricht allerdings, dass
wohl ein Arbeitnehmer (Gerhard Vieth) von Dezember 2011 bis Mitte Januar 2012 noch bei der Arbeitgeberin beschäftigt war und
damit eine Betriebseinstellung zweifelhaft ist. Auch zeigt die später am 28.03.2012 erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahren,
dass keine Masselosigkeit vorlag; denn anderenfalls hätte das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ablehnen
müssen (§
26 InsO). Dass ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt ist aber gerade Voraussetzung für die
Annahme eines Insolvenzereignisses i.S.d. §
165 Abs.
1 Nr.
3 SGB III.
c) Der Antrag auf Insolvenzgeld ist jedoch nicht rechtzeitig gestellt worden. Dabei kommt es auf den genauen Zeitpunkt des
Insolvenzereignisses - ob es also bereits am 15.01.2011 oder erst am 28.03.2012 vorlag - nicht an, weil der Antrag in beiden
Fällen nicht rechtzeitig war.
aa) Nach §
324 Abs.
3 S. 1
SGB III ist Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Hierbei handelt
es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist (vgl. Scholz in Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu,
SGB III, 5. Auflage 2013, §
324 Rn. 13; Hassel in Brand,
SGB III, 6. Auflage 2012, § 324 Rn. 18); eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 SGB X) ist ausgeschlossen.
(1) Zu Gunsten des Klägers vom späteren der beiden in Betracht kommenden Insolvenzereignisse - dem 28.03.2012 - ausgehend,
ist der Antrag nicht innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Monaten gestellt worden. Die Frist des §
324 Abs.
3 S. 1
SGB III endet mit Ablauf des Tages, der im übernächsten Kalendermonat der Zahl des Insolvenztages entspricht; ist der letzte Tag
der Frist ein Sonnabend, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, so endet die Frist am nächsten Werktag (Schaumberg in Schlegel/Voelzke,
jurisPK-
SGB III, 2014, §
324 SGB III Rn. 40). Nach dieser Maßgabe endete die Frist zur Beantragung von Insolvenzgeld am 29.05.2012 (Dienstag nach Pfingstmontag).
Den Antrag stellte der Kläger hingegen erstmalig am 21.06.2012 bei der Beklagten und damit verspätet.
(2) Auf die tatsächliche Kenntnis des Insolvenzereignisses kommt es dabei nicht an. Denn diese ist nicht weiteres Tatbestandsmerkmal
des § 324 Abs. 3 (vgl. BSG, Urteil vom 26.08.1983 - 10 RAr 1/82 Rn. 19; Radüge in Hauck/Noftz,
SGB III, V/2012, §
324 Rn. 26). Die Frist beginnt in allen Fällen einheitlich mit dem Tag nach dem Eintritt des Insolvenzereignisses und ohne Rücksicht
auf die Kenntnis des Arbeitnehmers; für den Fristbeginn ist daher der Tag der Kenntnisnahme der Betriebseinstellung unmaßgeblich
(vgl. Hassel a.a.O. § 324 Rn. 20 m.w.N.). Auf den Erhalt des Schreibens der BKK Verkehrsbau Union, durch das der Kläger erstmals
von der - von der Beklagten angenommenen - Betriebseinstellung der Arbeitgeberin am 15.01.2011 erfahren hat, kommt es für
die Einhaltung der zweimonatigen Antragsfrist daher nicht an.
bb) Der Antrag ist auch nicht rechtzeitig innerhalb der Nachfrist des §
324 Abs.
2 S. 2 und 3
SGB III gestellt worden. Danach wird Insolvenzgeld geleistet, wenn die Frist aus nicht selbst zu vertretenden Gründen versäumt worden
und der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt worden ist.
Ein selbst zu vertretender Grund liegt vor, wenn sich der Arbeitnehmer nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung
seiner Ansprüche bemüht hat. Dabei sind die Rechtsgrundsätze anzuwenden, die die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand entwickelt hat (BSG, Urteil vom 18.01.1990 - 10 RAr 14/89 Rn. 15; vgl. auch Scholz a.a.O., § 324 Rn.13). Zu vertreten hat der Antragsteller danach die Nichtbeachtung einer ihm nach
seinen Verhältnissen zumutbaren Sorgfalt, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zur gewissenhaften Prozessführung
nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise erforderlich ist. Rechtsunkenntnis entlastet in der Regel nur, wenn
der Betroffene nicht mehr rechtzeitig Rechtsrat einholen kann (vgl. Hünecke in Gagel, SGB II/SGB III, 58. EL Juni 2015, §
324 SGB III Rn. 31 m.w.N.).
(1) Ausgehend von einem Insolvenzereignis am 15.01.2011 kann offen bleiben, ob der Kläger die - dann bis zum 15.03.2011 laufende
- Frist zur Antragstellung aus nicht selbst zu vertretenden Gründen versäumt hat. Denn unterstellt, es hätte wegen der Unkenntnis
des Insolvenzereignisses zunächst tatsächlich ein unverschuldeter Hinderungsgrund vorgelegen, wäre dieser spätestens am 28.02.2012
weggefallen.
(a) Denn am 28.02.2012 haben die Bevollmächtigten des Klägers das Vollstreckungsprotokoll des Obergerichtsvollziehers vom
24.02.2012 erhalten, in dem ausdrücklich vermerkt war, über das Vermögen der Arbeitgeberin sei das Insolvenzverfahren eröffnet
worden. Damit lag ab diesem Zeitpunkt bei ihnen auch die Kenntnis von einem Insolvenzverfahren vor.
(b) Diese Kenntnis der Bevollmächtigten ist dem Kläger auch zurechenbar. Grundsätzlich muss sich der Antragsteller das Verschulden
(und in diesem Rahmen die Kenntnis) seiner Bevollmächtigten zurechnen lassen. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln über
das Vertreterverschulden. Maßgeblich ist dabei der Auftrag, den der Vertreter hatte (vgl. BSG, Urteil vom 29.10.1992 - 10 RAr 14/91). Ist er mit der Stellung eines Antrags auf Insolvenzgeld oder sogar umfassend mit der "Durchsetzung von Arbeitsentgeltansprüchen"
beauftragt, so ist es dem Antragsteller zuzurechnen, wenn der Bevollmächtigte von dem Insolvenzereignis Kenntnis erlangt und
den Vertretenen nicht darauf hinweist, dass ein Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen ist (so auch Hassel a.a.O., § 324 Rn.
25; Hünecke a.a.O., § 324 Rn. 31; Radüge a.a.O., § 324 Rn. 33).
Die Bevollmächtigten, die den Kläger auch im Arbeitsgerichtsprozess vertreten hatten, waren nach dem üblichen Vollmachtsformular
mit der umfassenden Durchsetzung seiner Arbeitsentgeltansprüche beauftragt. Sie haben dementsprechend für den Kläger ausweislich
des Vollstreckungsprotokolls die Zwangsvollstreckung aus den vor dem Arbeitsgericht erwirkten Titeln betrieben und somit seine
Ansprüche geltend gemacht. Als umfassend beauftrage Vertreter konnten die Bevollmächtigten den Kläger somit auch hinsichtlich
der Insolvenz tätig werden.
Auf die eigene Kenntnis des Klägers vom Insolvenzverfahren, die er aufgrund des nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung
unverzüglich an ihn weitergeleiteten Vollstreckungsprotokolls allerdings ohnehin gehabt haben dürfte, kommt es hiernach nicht
entscheidungserheblich an.
(c) Lag aber am 28.02.2012 die Kenntnis von einem laufenden Insolvenzantrag und damit von einem Insolvenzgeschehen im Zusammenhang
mit dem Geschäftsbetrieb der Arbeitgeberin vor, drängte sich ab diesem Zeitpunkt jedenfalls eine Nachforschungspflicht hinsichtlich
einer Insolvenz der Arbeitgeberin geradezu auf, ggf. durch Nachfrage beim Amtsgericht unter dem ebenfalls mitgeteilten Aktenzeichen
oder sogar durch die Stellung eines vorsorglichen Antrags auf Insolvenzgeld.
Dies gilt unabhängig davon, dass das in der Auskunft des Obergerichtsvollziehers im Vollstreckungsprotokoll vom 24.02.2012
angegebene Datum der Insolvenzeröffnung nicht zutreffend war und das Insolvenzverfahren vielmehr tatsächlich erst am 28.03.2012
vom Amtsgericht Düsseldorf eröffnet wurde. Hieraus ergibt sich kein nicht selbst zu vertretender Hinderungsgrund. Denn gleichwohl
mussten die Bevollmächtigten des Klägers bzw. der Kläger selbst vom Vorliegen eines Insolvenzereignisses ausgehen und ihr
Verhalten darauf einstellen; insoweit traf sie eine Pflicht, sich unverzüglich anhand des (richtig angegebenen) Aktenzeichens
über das Insolvenzverfahren kundig zu machen. Bei einer solchen Nachfrage wäre dann das zutreffende Datum der Insolvenzeröffnung
- der 28.03.2012 - zu erfahren gewesen.
(d) Dass die Bevollmächtigten offenbar davon ausgingen, bei einem Insolvenzereignis am 02.02.2012 habe der Kläger keinen Anspruch
auf Insolvenzgeld, da er in den drei Monaten vor diesem Datum nicht in einem Arbeitsverhältnis bei der Arbeitgeberin gestanden
habe, rechtfertigt nicht die Annahme, es habe ein nicht selbst zu vertretender Hinderungsgrund vorgelegen.
Denn diese Rechtsauffassung ist nicht zutreffend. Der Insolvenzgeldzeitraum erstreckt sich - anders als die Bevollmächtigten
dies offenbar meinten - auf die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor einem Insolvenzereignis; maßgeblich ist also
entweder der Zeitpunkt des Insolvenzereignisses, oder, wenn das Arbeitsverhältnis bereits vor dem Insolvenzereignis geendet
hat - wie es hier der Fall gewesen ist -, der letzte Tag des Arbeitsverhältnisses (vgl. E. Schneider in jurisPK-
SGB III, 2014, §
165 SGB III, Rn. 62; Kühl in Brand, a.a.O., §
165 Rn. 44). Der Kläger hatte also nicht nur bei Annahme eines Insolvenzereignisses am 15.01.2011 nach §
165 Abs.
3 SGB III einen Anspruch auf Gewährung von Insolvenzgeld, sondern auch bei Annahme eines Insolvenzereignisses am 02.02.2012 für die
letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses, sprich für März bis Mai 2011. Dieses Verständnis stellt entgegen der Auffassung
der Bevollmächtigten keine Verletzung des verfassungsrechtlichen Willkürverbots dar, sondern ergibt sich aus dem klaren Wortlaut
der Regelung. Rechtsirrtümer können den Kläger aber nicht entlasten (vgl. Peters-Lange in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch
des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 8 Rn. 111). Es war dem Kläger möglich, Rechtsrat einzuholen. Wenn dieser Rechtsrat falsch
war, lässt das sein Verschulden nicht entfallen.
(e) War der Kläger ab dem 28.02.2012 aber nicht mehr daran gehindert, die nunmehr beginnende Nachfrist von zwei Monaten einzuhalten,
ist innerhalb dieser Frist kein Antrag auf Insolvenzgeld gestellt worden. Denn die Nachfrist lief dann bis Montag, den 30.04.2012;
gestellt wurde der Antrag erst am 21.06.2012.
(2) Geht man stattdessen von dem tatsächlichen Datum der Insolvenzeröffnung am 28.03.2012 aus, ist die maßgebliche Frist zur
Stellung des Insolvenzgeldantrags ebenfalls versäumt (vgl. oben). Die Einräumung einer Nachfrist gem. §
324 Abs.
3 S. 2
SGB III kommt dann jedoch bereits dem Grunde nach nicht in Betracht; denn die zweimonatige Antragsfrist wäre dann gerade nicht aus
nicht selbst zu vertretenden Gründen versäumt worden. Auch insoweit hätte der Kläger nämlich durch das am 28.02.2012 bei seinen
Bevollmächtigten eingegangene Vollstreckungsprotokoll vom 24.02.2012 schon Kenntnis von der Insolvenz bzw. dem laufenden/beantragten
Insolvenzverfahren gehabt bzw. haben müssen, nicht aber erst nach Zugang des Schreibens der BKK Verkehrsbau Union im Mai 2012.
Ab dem 28.02.2012 war er damit nicht mehr gehindert, rechtzeitig einen Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen. Ein erst späteres
Erkennen eines möglicherweise doch früheren Insolvenzereignisses (am 15.01.2011) kann ihn nicht nachträglich von diesem Fristversäumnis
entlasten. Dass die Bevollmächtigten der (irrigen) Auffassung waren, erst mit der durch das Schreiben der BKK Verkehrsbau
Union vom 09.05.2012 erlangten Kenntnis des "richtigen" Insolvenzereignisses am 15.01.2011 habe ein Insolvenzgeldanspruch
geltend gemacht werden können, lässt eine zu vertretende Fristversäumnis nicht entfallen. Denn dieser Irrtum ist dem Kläger
zurechenbar (vgl. oben).
2. Ist Insolvenzgeld somit nicht innerhalb der Ausschlussfrist des §
324 Abs.
3 SGB III beantragt worden, besteht auch kein Anspruch auf die Gewährung von Insolvenzgeld für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis zum
31.05.2011.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
III. Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG bestehen nicht.