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LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2016 - 20 SO 139/16 B ER
Vorläufige Leistungen nach dem SGB XII EU-Ausländer Leistungsausschluss Verfestigung des Aufenthalts in Deutschland Ermessensreduzierung auf Null
1. Unbeschadet der (in der Rechtsprechung ausführlich behandelten) Frage, ob die Abgrenzung der Leistungsregime des SGB II und des SGB XII in § 21 SGB XII allein anhand der "Erwerbsfähigkeit" erfolgt, läuft die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erkennbar dem gesetzgeberischen Willen zuwider, der § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII zugrunde liegt.
2. Nach den Gesetzesmaterialien sollten Leistungen für den Lebensunterhalt für nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger gerade ausgeschlossen sein; insofern bestehen deutliche Zweifel an der Rechtsauffassung des BSG, dass im Anschluss an einen sechsmonatigen Aufenthalt für nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, die nach § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII von Sozialhilfeleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII gerade ausgeschlossen sind, nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII regelhaft doch Sozialhilfeleistungen - letztlich in Höhe üblicher Hilfe zum Lebensunterhalt - zu erbringen seien.
3. Unbeschadet der weiteren Frage, ob eine Verfestigung des Aufenthalts in Deutschland überhaupt durch eine typisierende Anlehnung an die Sechs-Monats-Dauer eines Aufenthalts nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU feststellbar ist, gründen sich die Bedenken gegen die Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts vor allem darin, dass sie die eigentlich als gesetzliche Ausnahme ausgestaltete Ermessensvorschrift des § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII unter zudem typisierender Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null nach sechsmonatigem Aufenthalt bei Fehlen einer Ausweisungsverfügung regelhaft anwenden will.
4. Denn selbst wenn man insoweit dem Bundessozialgericht folgt und eine Gewährleistung des Existenzminimums durch laufende Leistungen zum Lebensunterhalt aus verfassungsrechtlichen Gründen für notwendig erachtet, so spricht doch Vieles dafür, dass eine Auslegung des § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII, wie sie das Bundessozialgericht vorgenommen hat, die zulässigen Grenzen der Auslegung - auch unter dem Aspekt einer (vermeintlich) verfassungskonformen Auslegung - sprengt.
Normenkette:
SGB XII § 23 Abs. 1 S. 1
,
SGB XII § 21
,
SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
,
SGB II § 23 Abs. 3 S. 1 und S. 3
,
FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1a
Vorinstanzen: SG Duisburg 09.03.2016 S 48 SO 64/16 ER
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 09.03.2016 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren. Der Antragstellerin wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. M, F, bewilligt.

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