Gewährung von Leistungen für eine Haushaltshilfe
Fehlende Mitwirkung
Schriftliche Hinweispflicht
Prozessunfähiger Antragsteller
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Versagungsbescheides betreffend die Gewährung von Leistungen für eine
Haushaltshilfe.
Der 1948 in Bulgarien geborene, ledige und alleinstehende Kläger leidet seit einer Wirbelsäulenoperation aus dem Jahr 1979
an einer multiplen Paraspastik, die zu erheblichen Einschränkungen seiner Mobilität führt. Er ist promovierter Kunstmaler.
Seit 1999 hat er allein vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen 649 Verfahren geführt.
Mit Schreiben vom 06.07.2013 beantragte der Kläger u.a. finanzielle Unterstützung für eine Haushaltshilfe. Die Beklagte wandte
sich daraufhin mit Schreiben vom 25.07.2013 an den Kläger und teilte mit, dass die Kosten für eine Haushaltshilfe im Rahmen
der Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII im Umfang von 15 Stunden monatlich und einem Stundenlohn von bis zu 12 EUR inkl. Abgaben grundsätzlich übernommen werden
könnten. Voraussetzung sei jedoch eine Anmeldung des Haushaltshelfers bei der Minijobzentrale sowie dessen schriftliche Bestätigung
zu Beschäftigung, Stundenumfang und Höhe des gezahlten Stundenlohnes. Das von der Pflegekasse gezahlte Pflegegeld sei teilweise
für die Kosten der Haushaltshilfe einzusetzen. Alternativ könne auch ein ambulanter Pflegedienst in Anspruch genommen werden.
Hiergegen wandte sich der Kläger (Schreiben vom 03.08.2013) und führte aus, aus dem Pflegegutachten ergebe sich nicht, dass
er Teile des Pflegegeldes für eine Haushaltshilfe einsetzen müsse. Es sei vereinbart, dass er die vollen Leistungen für eine
Haushaltshilfe beim Sozialamt beantragen könne. Er bitte um Gewährung von Leistungen in Höhe von 200 EUR, weil ihm schon im
Jahre 1997 390 DM bewilligt worden seien.
Am 08.08.2013 forderte die Beklagte den Kläger zur Bearbeitung u.a. seines Antrags auf eine Haushaltshilfe auf, Angaben und
Nachweise über seine aktuelle Einkommens- und Vermögenssituation vorzulegen. Angefordert wurde eine schriftliche Erklärung
sowie Angaben zu einer etwaigen Rente, Nachweise über sämtliche Einkünfte, eine aktuelle Mietbescheinigung, Kontoauszüge aller
Konten seit 01.06.2013, Nachweise über sonstiges Vermögen sowie eine Bestätigung der Krankenkasse über seine aktuelle Versicherung.
Die Offenlegung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse lehnte der Kläger jedoch ab (Schreiben vom 10.08.2013). Seine
Einkommens- und Vermögensverhältnisse hätten nichts zu tun mit seinem Antrag; es gehe um einen Nachteilsausgleich nach §
126 SGB IX. Er teilte jedoch mit, dass er weder eine Rente noch Wohn- oder Pflegegeld erhalte. Einen Rentenantrag werde er nicht stellen.
Eine Mietbescheinigung habe mit seinem Antrag nichts zu tun. Wie er krankenversichert sei, wisse er nicht und brauche er auch
nicht mitzuteilen.
Die Beklagte wies den Kläger darauf hin (Schreiben vom 09.09.2013), §
126 SGB IX sei keine Anspruchsgrundlage. Als solche kämen allein die Vorschriften des SGB XII in Betracht. Diese seien nach § 2 SGB XII von Einkommen und Vermögen des Betroffenen abhängig. Es würden daher folgende Unterlagen benötigt: Sozialhilfeantrag und
Erklärung über Vermögen, Bescheid über Altersrente bzw. Bestätigung des Rentenversicherungsträgers über eine entsprechende
Antragstellung, Nachweis über alle aktuellen Einkünfte, etwa aus anderen Sozialleistungen, aus selbstständiger Tätigkeit,
von sonstigen Stellen und Personen, Bestätigung der Krankenkasse über die aktuelle Versicherung, vollständige Kontoauszüge
ab 01.06.2013 aller bestehenden Konten, Nachweise über sonstiges vorhandenes Vermögen sowie Nachweise über Versicherungsbeiträge.
Die Beklagte setzte eine Frist zur Übersendung der Unterlagen bis zum 30.09.2013 und wies den Kläger auf die Folgen fehlender
Mitwirkung hin.
Auch hiergegen wandte sich der Kläger (Schreiben vom 28.09.2013) und nahm Bezug auf sein Schreiben vom 10.08.2013. Die begehrten
Leistungen könnten auch als Darlehen gezahlt werden. Er sei bereit, die Kontoauszüge vorzulegen, sobald eine positive Entscheidung
über seinen Antrag ergangen sei und nur die Kontoauszüge fehlen würden, um die Leistungen zu erhalten.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 21.10.2013 mit, ein Widerspruch gegen das Hinweisschreiben vom 09.09.2013
sei nicht möglich. Da er seit dem 01.06.2013 keine Leistungen vom JobCenter mehr beziehe und nach seinen eigenen Angaben weder
Rente, Wohngeld noch Pflegegeld erhalte, sei davon auszugehen, dass er bislang nicht angegebene Einkünfte habe oder von einer
anderen Person finanziell unterstützt werde. Er werde daher ergänzend aufgefordert mitzuteilen, aus welchen Mitteln er seit
Juni 2013 seinen Lebensunterhalt bestritten habe. Zudem möge er mitteilen, warum er kein Pflegegeld mehr erhalte. Die Beklagte
setzte eine Frist bis zum 21.11.2013, wies den Kläger erneut auf seine Mitwirkungspflichten hin und erklärte, dass beabsichtigt
sei, bei fruchtlosem Fristablauf den Antrag wegen fehlender Mitwirkung nach §
66 SGB I abzulehnen.
Der Kläger entgegnete, bei ihm habe sich wirtschaftlich nichts geändert; allein die Leistungen durch das Jobcenter seien inzwischen
weggefallen (Schreiben vom 07.11.2013). Seinen Lebensunterhalt sichere er derzeit durch Darlehen.
Die Beklagte wies erneut auf die Mitwirkungspflichten des Klägers und die bis zum 21.11.2013 laufende Frist hin, bestand weiterhin
auf den angeforderten Nachweisen und bat den Kläger zusätzlich um Offenlegung der Darlehensverträge (Schreiben vom 13.11.2013).
Der Kläger entgegnete, er erhalte seine derzeitigen Mittel von guten Bekannten und teilweise von Verwandten ohne "jegliche
institutionellen Bedingungen" (Schreiben vom 15.11.2013).
Mit Bescheid vom 10.12.2013 versagte die Beklagte dem Kläger die begehrten Leistungen für die Kosten einer Haushaltshilfe
wegen fehlender Mitwirkung. Bei Ausübung des Ermessens überwiege das öffentliche Interesse an der Versagung der beantragten
Leistung. Dem Kläger sei ausreichend Zeit gegeben worden, die erforderlichen Nachweise vorzulegen. Auch unter Berücksichtigung
seiner persönlichen Situation sei eine Leistungsgewährung ohne Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht gerechtfertigt,
weil dies gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen und die Interessen der Steuerzahler verletzen würde.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch (Schreiben vom 16.12.2013). Sein Einkommen sei seinem bisherigen Vortrag sowie allen
Anträgen seit seiner Lähmung im Jahr 1979 zu entnehmen.
Die Beklagte wies den Widerspruch nach Beteiligung sozial erfahrener Personen gem. § 116 SGB XII als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.03.2014). Bei der beantragten Haushaltshilfe handele es sich um eine
Leistung der Hilfe zur Pflege gem. §§ 61 ff. SGB XII. §
126 SGB IX sei keine Anspruchsgrundlage. Die beantragten Leistungen seien einkommens- und vermögensabhängig. Trotz aller bekannten Vorinformationen
aus dem früheren Leistungsbezug des Klägers lägen keine ausreichenden Erkenntnisse zur Leistungsberechtigung vor. Auch in
der Person des Klägers liegende Umstände rechtfertigten nicht eine möglicherweise rechtswidrige Leistungserbringung.
Am 17.03.2014 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Münster Klage erhoben. Zur Begründung hat er sich auf seine Ausführungen
im Antragsverfahren bezogen.
Mit Beschluss vom 26.05.2014 hat das Sozialgericht nach Anhörung des Klägers Rechtsanwalt N als besonderen Vertreter gem.
§
72 SGG bestellt. Die hiergegen vom Kläger erhobene Beschwerde vom 07.07.2014 hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 06.08.2014
zurückgewiesen.
Der besondere Vertreter hat nach Akteneinsicht ergänzend ausgeführt, es bestünden erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit
des Bescheides vom 10.12.2013. Der Kläger habe dargelegt, seinen Lebensunterhalt über Darlehen zu bestreiten. Dies schließe
eine Aussage zu seiner Rentensituation sowie zu sonstigem Einkommen ein. Zudem sei der Kläger auf Grund seelischer, körperlicher
und sozialer Umstände nicht in der Lage, an einem Verwaltungsverfahren mitzuwirken. Ob der Kläger die Notwendigkeit seiner
Mitwirkung habe erfassen können, sei zweifelhaft. Schließlich sei der Kläger auf die Folgen fehlender Mitwirkung nicht ausreichend
hingewiesen worden. Die Beklagte habe angekündigt, den Antrag abzulehnen, nicht aber die Leistung zu versagen. Der Hinweis
nach §
66 SGB I müsse unmissverständlich die beabsichtigte Entscheidung bezeichnen; eine Ablehnung sei jedoch im Gegensatz zur gesetzlich
vorgesehenen Versagung oder Entziehung eine endgültige Verfügung.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 10.12.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2014 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat den angefochtenen Bescheid weiterhin für rechtmäßig gehalten. Allein die vage Aussage, der Kläger finanziere seinen
Lebensunterhalt über Darlehen, könne eine Leistungsbewilligung nicht rechtfertigen. Unklar sei u.a., ob tatsächlich eine Rückzahlungsverpflichtung
bestehe. Auch sei die Mitwirkung des Klägers nicht entbehrlich. Die Prozessunfähigkeit des Klägers sei nicht gleichbedeutend
mit einer Geschäftsunfähigkeit. Das Amtsgericht N habe die Bestellung eines Betreuers mehrfach abgelehnt. Der Kläger sei geistig
und körperlich in der Lage, Anträge bei der Beklagten zu stellen, Widersprüche einzulegen und sonstige Verfahrenshandlungen
vorzunehmen. Schließlich führe auch der Hinweis der Beklagten, die Leistung werde im Falle fehlender Mitwirkung nach §
66 SGB I abgelehnt, nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides. Denn aus dem Schreiben der Beklagten vom 21.10.2013 gehe eindeutig
hervor, dass im Falle fehlender Mitwirkung eine Entscheidung nach §
66 SGB I ergehe.
Das Sozialgericht hat am 14.04.2015 einen Erörterungstermin durchgeführt. Anschließend hat es durch Urteil ohne mündliche
Verhandlung vom 23.06.2015 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe dadurch nicht mitgewirkt, dass er seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse
nicht in ausreichender Weise nachgewiesen habe. Seine Mitwirkungspflichten seien auch nicht wegen seiner Prozessunfähigkeit
ausgeschlossen. Die Entscheidung über die Prozessunfähigkeit beinhalte keine Entscheidung über die Geschäftsfähigkeit des
Klägers. Es sei ausschließlich untersucht (und bejaht) worden, ob die Geschäftsfähigkeit in Bezug auf die Führung sozialgerichtlicher
Prozesse eingeschränkt sei. Die Prüfung der Geschäftsunfähigkeit obliege dem Vormundschaftsgericht. Dieses habe es jedoch
mehrfach abgelehnt, für den Kläger einen Betreuer zu bestellen. Aus der Prozessunfähigkeit für sozialgerichtliche Verfahren
könne auch nicht geschlossen werden, dass der Kläger zugleich für das vorgelagerte Verwaltungsverfahren (partiell) handlungsunfähig
sei. Letzteres sei durch die Sozialgerichtsbarkeit nie festgestellt und auch nicht überprüft worden. Auch ein wichtiger Grund
zur Verweigerung der Mitwirkungshandlung gem. §
65 Abs.
1 Nr.
2 SGB I liege nicht vor. Zweifel an der Einsichtsfähigkeit des Klägers könnten einen solchen wichtigen Grund nicht begründen. §
65 Abs.
1 Nr.
2 SGB I ziele auf Gründe ab, die zur Verweigerung gerade der betreffenden Mitwirkungshandlung berechtigten. Schließlich führe auch
die Verwendung des Begriffs "ablehnen" an Stelle von "versagen" nicht zu einer Rechtswidrigkeit des streitbefangenen Bescheides.
Trotz der falschen Wortwahl sei der Hinweis hinreichend klar gewesen. Anhaltspunkte für Ermessensfehler lägen nicht vor.
Gegen das dem besonderen Vertreter am 01.09.2015 zugestellte Urteil hat dieser am 14.09.2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung
wiederholt er seine erstinstanzlichen Ausführungen und trägt ergänzend vor, es sei von einer Geschäftsunfähigkeit des Klägers
auch für das vorausgegangene Verwaltungsverfahren auszugehen. Es stelle sich die Frage, ob nicht ein Vertreter von Amts wegen
gem. § 15 SGB X hätte bestellt werden müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23.06.2015 sowie den Bescheid vom 10.12.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 13.03.2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Ergänzend zu ihrem erstinstanzlichen Vorbringen führt sie aus, der
Bestellung eines Vertreters von Amts wegen stehe § 15 Abs. 1 Nr. 4 SGB X entgegen. Denn solange der Kläger noch fähig sei, einen Vertreter zu bestellen, dürfe ihm ein solcher nicht gegen seinen
Willen aufgezwungen werden. Der Kläger habe jedoch in der Vergangenheit regelmäßig Prozessbevollmächtigte mandatiert, das
Mandat dann aber wieder entzogen. Bei Annahme von Handlungsunfähigkeit des Klägers einerseits und fortgesetzter Ablehnung
einer Betreuerbestellung durch das Betreuungsgericht andererseits würde dem Kläger die Möglichkeit genommen, wirksam Anträge
bei der Beklagten zu stellen.
Zur Vorbereitung einer Begutachtung der Fähigkeit des Klägers, im Verwaltungsverfahren für sich selbst tätig zu werden, hat
der Senat folgende Akten bzw. Unterlagen beigezogen, auf die Bezug genommen wird:
- Stellungnahmen des Sozialen Dienstes der Beklagten vom 03.03.2009 und 04.12.2008
- Streitakten des Amtsgerichts N xxx und 27 XVII K 000 (jeweils zur Frage einer Betreuerbestellung für den Kläger)
- Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung des Amtsgerichts N vom 10.11.2011 (Amtsgericht N 27 XVII K 000)
- Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. F vom 07.10.2011 (zur Frage der Bestellung eines besonderen Vertreters nach
§
72 SGG für den Kläger)
- Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. S vom 08.05.2012 aus dem Verfahren Amtsgericht N xxx (zur Frage einer
geistigen oder seelischen Behinderung beim Kläger und zum Bedarf einer Betreuerbestellung)
- Arztbrief des Dr. I (behandelnder Neurologe und Psychiater des Klägers) vom 30.06.2012
- Protokoll der gemeinsamen nichtöffentlichen Sitzung des 7. und des 20. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen
vom 22.08.2012 (Anhörung der Sachverständigen Dres. F und S)
- Stellungnahme des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Stadt N vom 19.08.2013
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage auf neurologisch-psychiatrischem
Fachgebiet bei Dr. F vom 25.11.2016 zur Mitwirkungsfähigkeit des Klägers im Verwaltungsverfahren, welches diesem Rechtsstreit
vorausging. Dabei wurden sämtliche bislang erworbenen Erkenntnisse aus den betreuungs- und sozialgerichtlichen Verfahren zur
Grundlage gemacht. Der Sachverständige diagnostizierte weiterhin eine Persönlichkeitsstörung mindestens in Form einer Persönlichkeitsänderung,
höchstwahrscheinlich sogar im Sinne einer paranoiden Persönlichkeit. Der Kläger sei nicht fähig gewesen, den ihm auferlegten
Mitwirkungshandlungen nachzukommen, weil er nicht in der Lage gewesen sei, die Schreiben der Beklagten zu verstehen und darauf
adäquat zu reagieren. Der Kläger könne auf Grund seiner pathologischen Persönlichkeitsstruktur für sich selbst im Verwaltungsverfahren
nicht tätig werden. Deshalb liege auch höchstwahrscheinlich keinerlei Geschäftsfähigkeit vor. Dieser Zustand werde wegen einer
nicht mehr therapeutisch zugänglichen Chronifizierung auf Dauer vorliegen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug
genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte der Beklagten sowie der weiter beigezogenen Akten des Amtsgerichts N (xxx und 27 XVII K 000) sowie des Sozialgerichts
Münster (S 12 SO 56/14). Der Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die jedenfalls nach §
144 Abs.
1 S. 2
SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Denn die Leistungsversagung durch die Beklagte
ist rechtswidrig.
1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 10.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2014, mit
dem die Beklagte die Gewährung von Leistungen für eine Haushaltshilfe wegen fehlender Mitwirkung des Klägers versagt hat.
Gegen diesen wendet sich der Kläger mit seiner zulässigen Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG; vgl. zur Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage bei Versagungsentscheidungen nur BSG, Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 78/08 R).
2. Richtiger Klagegegner im Sinne von §
70 Nr. 1
SGG ist die Stadt N als die den Bescheid erlassende Stelle. Die Beklagte war für die hier begehrten Leistungen der Hilfe zur
Pflege gem. § 63 Abs. 1 i.V.m. § 65 Abs. 1 S. 1 SGB XII (in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) örtlich (§ 98 SGB XII) und auch sachlich zuständig (§ 97 Abs. 1 und 2 SGB XII i.V.m. § 2a der damaligen AV-SGB XII NRW).
3. Die Klage ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil der streitbefangene Bescheid sowie der Widerspruchsbescheid dem Kläger
nicht im Rechtssinne zugegangen und damit nicht wirksam bekanntgegeben worden wären. Denn zwar ist ein Verwaltungsakt, der
einer rechtlich handlungsunfähigen Person i.S.d. § 11 SGB X zugegangen ist, mangels Bekanntgabe gemäß § 37 SGB X unwirksam (vgl. Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 37 Rn. 8; Neumann in Hauck/Noftz, SGB X, K § 11 Rn. 62, Stand: Dez. 2016, sowie Pattar in jurisPK-SGB X, § 37 Rn. 48, Stand: 01.12.2012 m.w.N.). Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. F vom 25.11.2016 steht auch fest, dass der
Kläger während des Verwaltungs- bzw. Vorverfahrens höchstwahrscheinlich nach bürgerlichem Recht geschäftsunfähig, jedenfalls
aber nicht in der Lage war, für sich selbst im Verwaltungsverfahren tätig zu werden. Zweifel an der Aussagekraft des Gutachtens
bestehen nicht; es ist in sich schlüssig und widerspruchsfrei und bestätigt letztlich die in einer Vielzahl von Vorprozessen
gewonnenen Erkenntnisse (näher noch unten zu 5.). Der Versagungsbescheid konnte dem Kläger gegenüber daher nicht wirksam bekanntgegeben
werden. Bei Geschäftsunfähigkeit eines Beteiligten wird ein Verwaltungsakt vielmehr erst wirksam, wenn er seinem besonderen
Vertreter oder Betreuer bekanntgegeben wird (vgl. BSG, Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 14/96 Rn. 18).
Der besondere Vertreter des Klägers hat nach seiner Bestellung vom Inhalt der Bescheide lediglich durch Akteneinsicht Kenntnis
erhalten; sie sind ihm nicht von der Beklagten eigens bekannt gegeben worden. Eine zufällige Kenntnisnahme bei Akteneinsicht
reicht jedoch nach überwiegender Ansicht für eine Bekanntgabe nicht aus (vgl. Pattar in jurisPK-SGB X, § 37 Rn. 153, Stand: 01.12.2012 m.w.N.). Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann indes dahinstehen. Denn ein gesetzlicher Vertreter
- und dementsprechend auch der ihn ersetzende besondere Vertreter gemäß §
72 SGG - kann durch "rügelose Einlassung" das Recht auf ordnungsgemäße Bekanntgabe des Verwaltungsaktes verwirken mit der Folge,
dass der Verwaltungsakt ex tunc wirksam wird (vgl. Pattar in jurisPK-SGB X, § 37 Rn. 157, 160, Stand 01.12.2012 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist deshalb die mangelnde Bekanntgabe spätestens dadurch geheilt
worden, dass der besondere Vertreter des Klägers nach seinem Eintritt in das Verfahren den Prozess im Anschluss an die Akteneinsicht
weiterführte, ohne eine Verletzung des § 37 SGB X zu monieren.
4. Rechtsgrundlage für eine Leistungsversagung ist §
66 SGB I. Danach kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise
versagen oder entziehen, wenn derjenige, der die Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den
§§
60 bis
62,
65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, soweit die Voraussetzungen der Leistung
nicht nachgewiesen sind. Nach §
60 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 und
3 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen
des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen (Nr. 1) bzw. Beweismittel
zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen
(Nr. 3). Der Kläger ist im vorliegenden Fall seinen aus dieser Vorschrift resultierenden Verpflichtungen jedenfalls nicht
vollumfänglich nachgekommen. Denn er hat zumindest nicht alle erforderlichen Kontoauszüge vorgelegt und hat es darüber hinaus
unterlassen, über von ihm erhaltene Darlehen aus dem Bekanntenkreis konkrete Angaben zu machen. Der Beklagten war es daher
nicht möglich, seine Hilfebedürftigkeit - als Anspruchsvoraussetzung für den Erhalt von Leistungen nach dem Siebten Kapitel
des SGB XII (Hilfe zur Pflege) - festzustellen.
Ob dem Kläger die Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht nach §
60 SGB I aus einem wichtigen Grund i.S.d. §
65 Abs.
1 Nr.
2 SGB I nicht zugemutet werden konnte, kann letztlich offen bleiben. Fraglich ist allerdings, ob die Vorschrift bei der Nennung des
"wichtigen Grundes" auf Fälle wie den vorliegenden abzielt. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/868 S. 33) heißt es dazu:
"Absatz 1 nennt mit der Zumutbarkeit die Grenze, die zur Wahrung der Persönlichkeitssphäre und der körperlichen Integrität
des einzelnen erforderlich ist und stellt klar, dass die in Anspruch genommene Sozialleistung und die Mitwirkung des Berechtigten
in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen." Damit hatte der Gesetzgeber eher eine Güterabwägung im Sinn; im
Hinblick auf die konkret beantragte Sozialleistung sollen keine unverhältnismäßigen Anforderungen an die Mitwirkungspflichten
gestellt werden. Dass der Gesetzgeber darüber hinaus auch Fälle wie den vorliegenden, in denen der Kläger aus gesundheitlichen
Gründen schlicht nicht die Fähigkeit zur Mitwirkung besitzt, erfassen wollte, erscheint zumindest unwahrscheinlich.
5. Selbst wenn daher die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
66 Abs.
1 SGB I als erfüllt anzusehen sein sollten, wäre der streitbefangene Versagungsbescheid gleichwohl rechtswidrig. Denn der Kläger
wurde jedenfalls auf die Rechtsfolgen einer fehlenden Mitwirkung nicht wirksam hingewiesen.
Nach §
66 Abs.
3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf
diese Folge schriftlich hingewiesen worden und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen
Frist nachgekommen ist. Der schriftliche Hinweis ist zwingende Voraussetzung für eine Versagung von Leistungen. Zweck der
Regelung ist es, dem Betroffenen die Möglichkeit zu verschaffen, die Konsequenz seiner bisherigen Weigerung in Anbetracht
der drohenden Folgen zu überdenken (vgl. Kampe/Voelzke in jurisPK-
SGB I, §
66 Rn. 32.2, Stand: 18.11.2016, unter Verweis auf OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.01.2016 - 2 O 12/15, sowie auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.09.2016 - L 7 AS 3613/15 Rn. 31).
Die Beklagte hat den Kläger zwar mit Schreiben vom 09.09.2013, 23.10.2013 und 21.11.2013 auf seine Mitwirkungspflichten und
die mögliche Leistungsversagung hingewiesen.
Dem Kläger fehlte es jedoch an ausreichender Reflexionsfähigkeit, die erforderlich war, um den Zusammenhang zwischen fortgesetzter
Weigerung und Leistungsversagung zu überblicken und die Rechtsfolgen kritisch abzuwägen. Denn nach den gutachterlichen Feststellungen
des Dr. F war er nicht in der Lage, den "Inhalt behördlicher Schreiben zu verstehen und darauf auf dem Boden eines sicheren
Realitätsbezuges adäquat zu reagieren". Insgesamt kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Kläger auf Grund einer
schwerwiegenden pathologischen Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage war und ist, für sich selbst im Verwaltungsverfahren
tätig zu werden. Prozessfähigkeit wird verneint; wahrscheinlich bestehe auch keine Geschäftsfähigkeit. Der Senat folgt dieser
Einschätzung des Sachverständigen. Sie deckt sich in der Sache mit den Erkenntnissen, die der Sachverständige in seinem früheren
Gutachten vom 07.10.2011 zur Frage der Prozessfähigkeit des Klägers gewonnen hat, und die mit den wesentlichen Ergebnissen
des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. S in einem im Verfahren Amtsgericht N xxx zur Frage der Betreuerbestellung für den
Kläger erstatteten Gutachten übereinstimmen. Beide Sachverständige sind in einem Erörterungstermin vom 22.08.2012 gemeinsam
von den Vorsitzenden des erkennenden Senats sowie des 7. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen ergänzend gehört
worden und konnten seinerzeit überzeugend die mangelnde Prozessfähigkeit des Klägers - der allein vor dem Landessozialgericht
eine Unzahl von Verfahren in gänzlich unverständiger Weise geführt hat, und der auch gerichtlichen Hinweisen in keiner Weise
sachgeleitet nachgehen kann - darlegen.
Konnte aber der Kläger die Tragweite seiner unterlassenen Mitwirkung nicht überblicken und sachgeleitet reagieren, so steht
dies einer unterlassenen Aufklärung im Sinne des §
66 Abs.
3 SGB I gleich.
6. Der Einwand der Beklagten, dass der Kläger wegen fehlender Handlungsfähigkeit letztlich überhaupt nicht mehr in der Lage
wäre, für sich selbst Anträge zu stellen, steht dem nicht entgegen. Die Beklagte wäre vielmehr gehalten gewesen, beim Betreuungsgericht
um die Bestellung eines geeigneten Vertreters von Amts wegen gem. § 15 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 SGB X für den Kläger nachzusuchen. Dieser "geeignete Vertreter" erhält mit seiner Bestellung die Rechtsstellung eines gesetzlichen
Vertreters (vgl. Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X, K § 15 Rn. 24, Stand: Feb. 2010). Nach seiner Bestellung kann er einen Antrag - wie im vorliegenden denjenigen des Klägers auf Leistungen
für eine Haushaltshilfe - genehmigen und das Verwaltungsverfahren fortführen.
Keineswegs ist ersichtlich, dass ein solches Ersuchen durch die Beklagte an das Betreuungsgericht erfolglos verlaufen wäre,
wie die Beklagte meint. Denn zwar hat das Amtsgericht N die Bestellung eines rechtlichen Betreuers für den Kläger mehrfach
abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Bestellung eines rechtlichen Betreuers (§
1896 BGB) sind jedoch andere als die für die Bestellung eines geeigneten Vertreters i.S.v. § 15 SGB X. § 15 Abs. 4 SGB X verweist zwar auf die Vorschriften über die Betreuung, also auf §§
1896 ff.
BGB. Dass über diesen Verweis aber auch das Fehlen eines entgegenstehenden (freien) Willens des Betroffenen i.S.v. §
1896 Abs.
1a BGB Voraussetzung für die Bestellung eines geeigneten Vertreters sei, ist nicht ersichtlich. Denn die tatbestandliche Fassung
des § 15 Abs. 1 Nr. 4 SGB X orientiert sich ersichtlich an §
1896 Abs.
1 BGB, dessen maßgebliche persönlichen Voraussetzungen ("auf Grund einer psychischen Krankheit oder körperlichen, geistigen oder
seelischen Behinderung") die Vorschrift fast wortgleich übernimmt. Die Bestellung eines geeigneten Vertreters gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 4 SGB X ist indes nicht in entsprechender Weise eingeschränkt, wie es die Bestellung eines rechtlichen Betreuers nach §
1896 Abs.
1a BGB ist, der die Betreuerbestellung gegen den freien Willen des Volljährigen verbietet. Dies zeigt (unbeschadet der Frage, ob
der Kläger einen solchen freien Willen in Bezug auf sozialrechtliche Handlungsentscheidungen überhaupt zu bilden vermag),
dass der Gesetzgeber des SGB X gerade keinen Einwilligungsvorbehalt des Betroffenen vorgesehen hat, sondern allein auf das Vorliegen einer psychischen Krankheit
oder einer Behinderung abstellen wollte. Allein das entspricht dem Zweck des § 15 SGB X, gerade die Lücke zu schließen, die entsteht, wenn der Beteiligte des Sozialverwaltungsverfahrens nicht handlungsfähig i.S.d.
§ 11 SGB X ist, jedoch ein Vertreter (insbesondere ein rechtlicher Betreuer) nicht existiert. Ohne einen solchen Vertreter wäre die
Durchführung eines Sozialverwaltungsverfahrens unmöglich, so dass der Grundsatz der Rechtstaatlichkeit verletzt würde. Durch
den Vertreter werden letztlich die Interessen des Vertretenen im Sozialverwaltungsverfahren gewahrt (vgl. Vogelsang in Hauck/Noftz,
SGB X, K § 15 Rn. 1, Stand: Feb. 2010) und die Verwirklichung sozialer Rechte gesichert. In einem solchen Fall kann es auf den Willen des
Beteiligten gerade nicht ankommen, weil er sonst faktisch von Sozialleistungen ausgeschlossen würde. Dies entspricht im Übrigen
der vergleichbaren Situation im sozialgerichtlichen Verfahren; dort kann ein besonderer Vertreter nach §
72 SGG bestellt werden, wenn ein rechtlicher Betreuer nicht existiert; und auch dort kommt es - wie gerade der Fall des Klägers
zeigt - auf einen nicht entgegenstehenden Willen des Vertretenen oder auf seine "Betreuungsfähigkeit" nicht an.
7. Der Einwand der Beklagten, dem Kläger dürfe ein geeigneter Vertreter i.S.v. § 15 SGB X nicht aufgezwungen werden, da er doch zumindest fähig sei, selbst Vertreter zu mandatieren (er dies im konkreten Verfahren
jedoch ablehne), greift erkennbar zu kurz. Die Beklagte sieht den Umstand, dass der Kläger in der Vergangenheit mehrfach Prozessbevollmächtigte
mandatiert, ihnen das Mandat dann aber wieder entzogen hatte, als Beleg für die Fähigkeit des Klägers, selbst einen Vertreter
zu bestellen. Das übersieht jedoch, dass die faktische Mandatierung eines Rechtsanwalts nichts über die rechtliche Wirksamkeit
des Mandatsvertrages sagt. Ist die Mandatierung eines Anwalts im Sozialverwaltungsverfahren eine zu diesem Verfahren selbst
gehörende Handlung, so bewirkt (unbeschadet der Frage nach einen allgemeinen Geschäftsunfähigkeit des Klägers, die der Senat
nicht beantworten muss) die vom Sachverständigen Dr. F überzeugend dargelegte Handlungsunfähigkeit des Klägers im Sozialverwaltungsverfahren,
dass die Mandatierung unwirksam ist.
8. Erweist sich der streitbefangene Versagungsbescheid wegen Fehlens eines wirksamen Hinweises nach §
66 Abs.
3 SGB I als rechtswidrig, so kommt es auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die erteilte Rechtsfolgenbelehrung wegen
falscher Begrifflichkeiten ("ablehnen" an Stelle von "versagen") ordnungsgemäß war, nicht an.
9. Die Beklagte wird nach allem im wieder aufzunehmenden Verwaltungsverfahren beim Betreuungsgericht um die Bestellung eines
geeigneten Vertreters nach § 15 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 SGB X zu ersuchen haben. Erst im Anschluss an die Bestellung eines geeigneten Vertreters kann das Verwaltungsverfahren wirksam
abgeschlossen werden.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
11. Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), sind nicht ersichtlich.